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sicheren und nahen Folge haben muß. Die Verleihung eines russischen Fürstentitels an den Fürsten Bismarck selbst würde eines Präzedenzfalles nicht ermangeln, und zwar eines Präzedenzfalles, wo diese hohe Auszeich nung einem verdienten österreichischen Militär zu Theil geworden: dem Marschall Radetzky, welcher nicht allein russischer Feldmarschall a.ä llonoros, sondern auch russischer Fürst war." Wir registriren diese von russischer Seite erfolgten Auslassungen, ohne indeß dieselben für hervorragend glaub würdig zu halten. In der „Köln. Ztg." lesen wir u. A. folgende, das Verhältniß Rußlands, Deutschlands und Englands zu einander beleuchtenden Auslassungen: „Welche Haltung Deutschland im entscheidenden Augenblick gegenüber der orientalischen Frage einnehmen wird, das muß wesentlich von Rußland selbst, nämlich davon abhängen, ob wir in Rußland einen Freund, einen ruhigen, wenn auch unzuverlässigen Beobachter, oder aber einen un bedingten Gegner unserer nationalen Entwickelung zu erblicken haben. Wählt Rußland die letztere Stellung, so sind Rußlands Feinde unsere Freunde, und so werden wir im diplomatischen oder militärischen Kampfe gegen Ruß land keinen noch so geringen Kraftzuwachs verschmähen. Es liegt lediglich im beiderseitigen Interesse, daß die Russen sich darüber vollständig klar werden. Wir haben nicht die geringste Lust, uns der Engländer wegen mit den Russen zu verfeinden, Rußland soll unsere Thür für eine ehrliche freundschaftliche Annäherung im Rahmen des mitteleuropäischen Bündnisses stets offen finden, aber wenn Rußland unsere Feindschaft sucht, so wird der Friedensbund sich auf erweiterter Grundlage nur noch fester zusammen schließen." In Neustadt a. d. Haardt spielte sich vor dem Gerichte ein Prozeß ab, der wegen der politischen Färbung des der Verhandlung zu Grunde liegenden Vorfalls Aufsehen erregen wird. Drei Wochen nach dem Tode Kaiser Wilhelms äußerte in öffentlicher Wirthschaft der Bierbrauereibesitzer Ludwig Geißel, Führer der deutschfreisinnigen Partei in Neustadt, Stadt- rath, Inhaber städtischer Ehrenämter, als im Gespräche die Frage der Er richtung eines gesammtpfälzischen Denkmals für Kaiser Wilhelm berührt wurde: „Für den Kaiser gebe ich keinen Groschen. Aber wenn Ihr dem Eugen Richter ein Denkmal setzt, gebe ich einen halben Morgen Land und 1000 Mk." Dieserhalb wegen „groben Unfugs" vor Gericht gestellt, wurde er jetzt zu einer Geldstrafe von 100 Mk. bezw. 30 Tagen Haft verurtheilt. Das Gericht stellte fest, daß die Gegenüberstellung des Heimgegangenen Kaisers und eines Parteimannes, über dessen Werth in seiner eigenen Partei die Ansichten auseinandergingen, etwas höchst Verletzendes enthalte. Er wähnt sei noch, daß der Angeklagte in einem Anhängsel der genannten Aeußerung erklärte, zu einem Denkmal für Kaiser Friedrich komme cs ihm auf einen Viertel Morgen und 500 Mk. nicht an. Also noch immer nicht so viel als für Herrn Eugen Richter! Ein dänisches Kriegsschiff in einem deutschen Kriegshafen ist eine Erscheinung, die für die nächste Zeit in Aussicht gestellt wird. Es ver lautet nämlich, daß das von Kopenhagen nach London bestimmte dänische Kadetten-Schulschiff Korvette „Dagmar", in Erwiderung für das zur Er öffnung der Ausstellung in Kopenhagen dort zu erwartende Eintreffen eines deutschen Kriegsschiffes, einen Gegenbesuch durch Anlaufen von Wilhelms haven machen werbe. Es würde dies der erste Fall seit 1864 sein, daß ein dänisches Kriegsschiff einen deutschen Kriegshafen besuchte. Die Auswanderung über Hamburg hat in den letzten Tagen eine solche Höhe erreicht, daß augenblicklich über 2000 Auswanderer sich dort befinden, welche in der nächsten Zeit befördert werden sollen. Die Auswandercrlogis sind derart überfüllt, daß es schwer ist, alle Auswanderer zu placiren. Die meisten Auswanderer ziehen die direkte Fahrt von Hamburg gegen diejenige über England vor und sind meistens mit Passagebillets versehen. Der „Kreuz-Zeitung" schreibt man aus Rom: In den leitenden Kreisen lebt man derUeberzeugung, daß es früher oder später doch zu einem Krieg mit Frankreich kommen werde, und darum wird in den Ar senalen und Werkstätten auch sehr eifrig gerüstet. Der Unterstaatssecretär des Kriegsministeriums, General Corvetto, befindet sich in Neapel, um neue Befestigungswerke zum Schutze des Hafens und Arsenals zu entwerfen. Der Marineminister Brin hat bei dem Schiffbau-Etablissement Ansvldi in Sestri-Poncnte wiederum 8 große Torpedo-Boote bestellt, von denen 2 bereits fertig gestellt und vom Stapel gelassen sind. In der Nähe von Spezia haben Probefahrten mit dem großen Kriegsdampfer „Lepanto" statt gefunden, welche sehr gut verliefen, denn es wurden mit einer Maschine von 15 000 Pferdekraft in einer Stunde 18 Seemeilen durchsegelt. Dies Fahrzeug soll noch vier größere Maschinen von 18 000 Pferdekraft erhalten, vermöge welcher man noch ein günstigeres Resultat zu erzielen hofft. Das permanente Geschwader, zusammengesetzt aus den Kriegsschiffen „Caste fidardo" „Archimede", „Tripoli" und „Folgore", ist von Gaeta nach Spezia abge gangen, um den Viceadmiral Herzog von Genua abzuhvlen und nach Bar celona zu geleiten, welcher beauftragt ist, dort die Königin-Regentin von Spanien im Auftrage der Majestäten zu begrüßen. Die bekannte französische militär-wissenschaftliche Zeitschrift ,,I-s 8psvt»t6llr wilituirs" bringt in ihren letzten Heften u. A. auch einen längeren Aufsatz über Kaiser Friedrich, der sachlich und ruhig gehalten ist. Der im letzten Heft (1. Mai) enthaltene Theil dieses Aufsatzes ge denkt der Zeit, da Kaiser Friedrich im Jahre 1856, damals als Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen, mit seinem Adjutanten General Moltke Gast am Tuilerienhofe war. Die Kaiserin Eugenie schrieb damals über diese Gäste an eine Freundin: „Der Prinz ist ein recht schöner Mann, fast einen Kopf größer als der Kaiser; schlank, blond, mit seinem gold gelben Schnurrbart ist er ein Germane, wie sie Tacitus schildert; dabei von ritterlicher Höflichkeit hat er etwas von einem Hamlet in seinem Wesen. Sein Adjutant ist ein gewisser General Moltke oder ein ähnlich lautender Name; der ist ein wortkarger Mann, ein Träumer, immer geistvoll und interessant. Er kann einen durch seine Bemerkungen und Aeußerungcn in Verlegenheit bringen. Er ist von einer Rasse, die sich aufdrängt. Louis sagt: „Die Zukunftsrasse". Bah, soweit sind wir noch nicht!" — Arme Kaiserin, nur zu bald waren wir so weit! Es wird einem ganz warm ums Herz, wenn man, wie neulich, im Londoner „Standard" liest, wie das englische Volk voll Bewunderung und Liebe für die deutsche Nation und seine Regierung ist. Dieser Umschwung muß sich aber erst vor kurzem vollzogen haben. Im Jahr 1864 stand England auf der Seite der Dänen und im Jahre 1866 auf Seite der Oesterreicher und machte aus beidem gar kein Hehl. 1870 stand zwar der englische Hof auf der Seite Deutschlands, aber das englische Volk entschieden auf Seite der Franzosen, denen es auch Waffen lieferte. Wenn also inzwischen eine Besserung in der Haltung unserer englischen Vettern Deutschland gegenüber stattgefunden hat, so ist das sehr anerkennenswerth, thatsächliche Beweise aber hat Deutschland noch keine erhalten. Vielleicht kommt es noch! Zahlreiche Artikel, die von Zeit zu Zeit in englischen Zeitungen auftauchen und vor deutschen Kommis und Lehrern warnen, von welchen England übersluthet werde, liefern den Beweis, daß es mit der Versicherung des „Standart", unsere deutschen Landsleute würden alle mit offenen Armen in England ausgenommen, nicht so weit ist, als glauben gemacht wird. Wir Deutsche wollen gern gute Freundschaft halten, möge aber das gute Einverständniß mit uns bei den Engländern eine etwas praclischere und handgreiflichere Form annehmen als seither. Vaterländische». Wilsdruff. Indem wir auch an dieser Stelle auf den heute Dienstag Nachm. 2 Uhr 15 Min. anläßlich des Lutherfestspiels von hier nach Dresden verkehrenden Extrazug aufmerksam machen, geben wir zu gleich folgende uns gewordene Notiz: Da anzunehmen, daß zum Besuch des Lutherfestspieles auch Kinder nach Dresden mitzureisen beabsichtigen, wird noch darauf hingewiesen, daß Extrazugsbillets an Kinder unter 10 Jahren zu halben Preisen ausgcgeben werden. Auch wollen wir nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, daß es räthlich erscheint, sich vorher Billets zum Eintritt in das Lutherfestspiel schriftlich oder telegra phisch bei der Hofmusikalienhandlung Ries in Dresden zu bestellen, da bei dem zu erwartenden Andrange nicht zugesichert werden kann, daß Nachm. noch Billets erhältlich sind. — (Eingesanot.) Das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, hat immer seine Vortheile; diesem Grundsätze huldigte auch am Himmel fahrtstage der hiesige Gewerbeverein und unternahm eine kleine Partie nach Grumbach, um den neuen großen Windmotor des Herrn Wätzig daselbst zu besichtigen. Die gefälligen Mittheilungcn des Herrn Besitzers über den Motor interessirten sehr. Das Rad hat einen Durchmesser von6Mtr.3O. Aus einer Tiefe von 58 V? Mir. wird das Wasser gehoben. Die ganze Betriebsanlage kostet ca. 3,300 Mark. Der Motor soll das Vorzüglichste sein, was es bis jetzt giebt und ist Herr Wätzig auch sehr damit zufrieden, ! denn der Kostenpunkt der Dampfmaschine gegenüber, welche früher stets ! zum Wasserheben gebraucht wurde (heute nur noch zuweilen) ist sehr be achtlich, pro Woche gegen 20 Mk. Es ist nun möglich, daß die Exkursion auch gute Folgen haben kann und es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß i in nicht zu ferner Zeit unweit der Officin des Herrn Berger ein Rcinsch'er ! Motor sein mächtiges Rauschen vernehmen läßt und unten auf der Erd' ! Kreis- und Bandsäge, Hobelmaschine u. s. w. in flotte Bewegung setzt, denn bei starkem Winde soll es nach vorliegenden Zeugnissen möglich sein, mit einem „Patent-Ultra-Standart" 10—12zöllige Hölzer schneiden zu können. In Nossen soll ein Glascrmeistcr schon lange mit einem Wind motor arbeiten. Für die vielen Kleinindustriellcn in unserem Wilsdruff wäre es freilich von großem Werth, wenn eine Wasserkraft wie die in Nürnberg, welche die Stadt angekauft für 80,000 Mk. incl. des großen Hauses, in welchem sich 48 Werkstätten befinden und für sehr mäßigen Preis vermiethet werden, etwas Aehnlichcs zu Stande käme. Der Hand werkerstand ist der Meinung, daß der schönen Worte genug gewechselt sind, und daß man weitere Thaten sehen läßt. — Dresden, 12. Mai. Ihre Majestäten der König und die Kö nigin sind heute Vormittag 10 Uhr 20. Minuten nach Sibyllenort gereist. — Trotz cines rauhen Nordwindes, der das Sitzen im Freien un möglich machte, hatte die für den Himmelfahrtstag anberaumte allgemein e Turnfahrt des Turnkreises der Kreishauptmannsckaft Dresden an diesem Tage ein zahlreiches Publikum nach Tharandt geführt. Die Stadt hatte aus Anlaß der Turnfahrt ein festliches Gewandt angelegt; Ehrenpforten, Flaggen, Fahnen und Banner, Ranken und Kränze zierten Straßen und Häuser. Von allen Seiten strömten bereits am frühen Vormit tag die Schaaren der Turner zum Theil unter Trompeten- und Trom melschall nach Tharandt, der Haupttrupp traf indessen gegen 11 Uhr aus Dresden und dem Plauenschen Grunde ein. Die bereits früher im Hotel zum Bade eingetroffenen Vereine schlossen sich dem hiesigen Turnvereine zum Empfange der Dresdner an. Nachdem dieselben mit einem kräftigen „Gut Heil" begrüßt, formirte sich der Festzug in Stärke von ca. 1000 Mann unter Vorantritt der Wilsdruffer Stadtkapelle in Uniform aus dem Badethale durch die Wilsdruffer-, Johannes- und Dresdncrstraße bis zur Kunstmühle und von da nach dem Hotel zum Bad, wo sich der selbe auflöste. Nachmittags 2 Uhr versammelten sich die Thcilnehmcr an der Turnfahrt im Garten des hiesigen Bades, woselbst Herr Bürgermeister I)r. Biehayn die erschienenen Gäste Tharandts von Seiten der Stadt be grüßte, worauf Herr >>r. Meding als Kreisvcrtreter für den freundlichen Empfang dankte und der Stadt Tharandt ein dreimaliges „Gut Heil" ausbrachte. Hieran schlossen sich Freiübungen auf der großen Wiese des ! Badegartens, an deren Nordseite eine Tribüne für die Vorturner errichtet ! war. An den Freiübungen nahmen leider nur ca. 300 Mann theil, was j wohl auf die kühle Temperatur zuruückzuführen sein dürfte. Nach Schluß der Freiübungen sang der hiesige Gesangverein „Sängerkreis" das „Deutsche Lied", und hierauf fand ein Wettturncn statt an welches sich Spiele schließen sollten, die jedoch wegen zu weit vorgeschrittener Zeit aufgegeben werden mußten. Der größte Theil der Turner begab sich hierauf in die Säle und Zimmer des Badehotels um an dem programmmäßigen Com- merse theil zu nehmen. Derselbe wurde Seitens des erwähnten Gesang vereins durch den Gesang des Liedes „Das treue deutsche Herz" eröffnet, worauf Herr Oc. Meding die sämmtlichen Turner begrüßte und den Zweck der Turnfahrt und des Turnens in kurzen Worten darlegte; der selbe schloß seine Rede mit einem „Gut Heil" auf die deutsche Turner- fchast. Darnach wurden mehrere deutsche Lieder gemeinsam gesungen; auch concertirte die Wilsdruffer Stadtkapelle. Noch sei eine Ansprache de« Direktors der Turnlehranstalt in Dresden und Kreisvertreters Herrn Bier erwähnt, in welcher genannter Herr in zündenden Worten das heutige Turnen besprach und dann zwei Telegramme zum Verlesen brachte von der Krcisturnfahrt Zwickau und Bautzen, welche ein „Gut Heil" sandten und über Schneegestöber klagten. Punkt 7 Uhr wurde der Commers von den Vertretern beendet, was aber nicht verhinderte, daß die Anwesenden noch länger zusammen verweilten. Den Schluß bildete ein Turnerball. : — Am letzten Aushebungstage in Döbeln gab ein Gestellungspflich tiger auf die Frage des Oberstabsarztes: „Haben Sie über etwas zu klagen?" „Ja, ich bin verheirathet." Dieser Umstand half ihm natürlich aber von der activen Dienstzeit nickt los, und so hat er zum Herbst, trotz seiner Verheirathung, zum Dienst mit der Waffe einzutreten. — Ein eigenartiges Jubiläum beging am Himmelfahrtstage der Todtengräber Traugott Händel in Lommatzsch. An diesem Tage waren es 25 Jahre, daß der Jubilar seines Amtes waltete, innerhalb welcher Zeit er 3741 Leichen bestattete — reichlich die Einwohnerzahl der Stadt Lommatzsch! Von der Geistlichkeit, dem Kirchenvorstande und der Grab innung wurden Herrn Händel mehrere Ovationen bereitet. — Am 10. Mai hat eine Frauersperson in Heinersdorf bei Chem nitz, 24 Jahre alt, ihr nur wenige Tage altes Kind in's Wasser geworfen. — Mit dem im I. Quartal d. I. empfangenen Einzahlungsbetrage aon 974 364 Mk. hat die Königliche Altersrentenbank in Dresden (Alt stadt, Landhaus- und König-Johannstraße) nicht nur denjenigen des gleichen Zeitraumes im Vorjahre um mehr als 40 Prozent übertroffen, sondern überhaupt ein Ergebniß erzielt, welches bisher seit Bestehen der Bank noch in keinem Vierteljahre erreicht wurde. Die vor einigen Tagen gemäß dem Gesetznachtrag vom 9. April d. I. zur Ausgabe gebrachten Tarife unter scheiden sich von den bisherigen nur hinsichtlich der Alters- oder bis ans Lebensende zahlbaren Renten, an den Zeitrenten dagegen, deren Tarife nur bis zum 26. Lebensjahre des Versicherten ausgedehnt sind, ist gar kein? Veränderung zu bemerken. Letztere werden namentlich auf die Zeit des Universitätsbesuchs und des freiwilligen Militärdienstes sowie zur Braut- Aussteuer erworben.