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WMIMM WM, W«, AcM« Md die MWidrL AtnLsbtcrtL die Kgl. KmLshaupLmannschaft zu Weißen, das Agl. KmLsgerichL und den SLadtrath zv Wilsdruff. ! Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abvnnementpreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. ^ 40. Freitag, den 2V. Mai 1887. DageSgeschichte. Für den feierlichen Akt der Vornahme des ersten Spatenstichs für dm Nord-Ostseekanal und die damit verbundene feierliche Grund steinlegung der Schleuse zu Holtenau ist nunmehr der 3. Juni vom Kaiser definitiv sestgesetzt. Wie verlautest gedenkt der Kaiser in Person mit allen königlichen Prinzen der Feier anzuwohnen. Eingeladen werden dazu die Bundesrathsbevollmächtigten, die Gesammtvorstände des Reichstags, des Preußischen Abgeordneten- und Herrenhauses, die Mitglieder des Staats- Ministeriums und die Spitzen der schleswig-holsteinischen Provinzialbehörden. Die Abreise der Festgäste von Berlin wird am 2. Juni über Lübeck er- folgen, wo die Stadt die Durchreisenden zu einem Gabelfrühstück einge laden hat. Auf der Rückreise wird am 4. Juni in Hamburg verweilt werden, um einer Einladung der dortigen Behörden zu Folge eine Besich tigung der neuen Zollanschlußbauten daselbst stattfinden zu lassen. Bei dem Studium des deutschen Reichshaushaltes erkennt man, welche gewaltige Kriegsmaschine in dem deutschen Heer ausgebildet wird. Es ist Friedenszeit und doch kostet der einfache Betrieb tagtäglich eine volle Million Mark. Der Etat für 1887 setzt genau 365 Vs Millionen für die laufenden Ausgaben der Landarmee fest. Dazu kommen noch 214 Millionen Mark für einmalige Zwecke. Die Kriegsflotte kostet ungefähr 48 Millionen Mark dauernde und 9'/2 Millionen einmalige Ausgahen. Die Friedensrüstung muß also für 1887 mit 628 Millionen Mark be zahlt werden. Man muß ein Dichter sein , um sich in der Phantasie dieses Gebirge von Geld vorzustellen und die Summe von Arbeit, die darin steckt. Sagte nicht einmal der Nationalökonom Smith, daß jedes Stück Geld der Äusdruck für ein Stück aufgestapelter in Münze umge setzter Arbeit sei? 628 Millionen! Wenn man vom 1. April 1887 Mittags bis zum 1. April 1888 Mittags unaufhörlich Tag und Nacht in Minute 1197 Mark auf den Tisch legt, dann ist nach Ablauf dieses Jahres die Summe erreicht. Und wem haben wir diese Rüstungen D verdanken? Einige Meilen von Berlin liegt in dem weiten Wassergebiet des Havelstromes die überaus starke Festung Spandau. Sie gilt als eine der stärksten des Reiches; denn einige Dammdurchstiche genügen, um einen weilenweiten Sumpf- und Wassergürtel um die Festungswerke zu ziehen, in deren Mauern bei Ausbruch eines Krieges die wichtigsten Archive aus dm benachbarten Residenzen Berlin und Potsdam ihren Aufenthaltsort finden. Innerhalb der Wälle von Spandau erhebt sich ein dicker Thurm dvn rothen Backsteinen; riesige Schlösser und eiserne Panzerplatten ver ehren den Eingang. Nur einmal im Jahr rasseln die schweren Thüren ""f, die jahraus jahrein von einem militärischen Doppelposten bewacht d>erdcn. Eine Anzahl schwarzgekleideter Männer steigt in den Thurm Md untersucht seinen Inhalt, der dort wie der goldene Nibelungenhort in dunkler Tiefe ruht. Wehe, wenn er an's Tageslicht gehoben wird, dann schreitet der Krieg durch die Welt. Denn der rothe Riese ist der weltbekannte Juliusthurm und der Schatz, den er bewacht, der deutsche Michskriegsschatz, baare 120 Millionen Mark in goldenen Zehn- und Zwanzig-Markstücken. Die goldenen Rollen sind reihenweise aufgestapelt und wie ein schlagfertiges Heer in Bataillonen, Regimentern und Armee korps an einander gereiht; sie füllen den mächtigen Thurm von der Sohle dis 'zum Dach. Die schwarzen Männer sind die Revisions-Kommissäre, welche nachsehen, ob der Thurm noch fest und der Schatz noch sicher ist. Aus dem Umgang wird hier und da ein Röllchen auf'ö Gerathewohl heraus- öezvgen und der Inhalt nachgezählt. Dann verläßt die Kommission den Thurm und der Wachtposten droht von neuem, jeden niederzuschießen, der sich dem Spandauer Nibelungenhort nähert. Wie gewaltig erscheint dieser dicke rothe Thurm, wenn man bedenkt, daß er nur die steinerne Schlaf- wütze für einen goldenen Berg ist, der ihn von oben bis unten so dicht ausfüllt, wie das gelbe Dotter das Ei. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht eine Bekanntmachung des Reichs kanzlers, nach welcher eine Erweiterung der Festungs-Anlagen von Straßburg, Metz und Posen bevorsteht. Sechs junge Leute im Elsaß, die bei der Musterung in Nieder- brvnn aufrührerische Rufe ausgestoßen hatten, wurden zu Gefängniß- strafen von 4 Wochen bis 8 Monaten verurtheilt; ein Arbeiter, der die Marseillaise gesungen hatte, erhielt 5 Monate Gefängniß, ein anderer, der Eine blau-weiß-rothe Schleife getragen hatte, 2 Monate Gefängniß. Die Auswanderung über Hamburg im Monat April betrug 602s Personen, welche in 80 Dampfschiffen und 2 Segelschiffen befördert Wu...n. Nach den Vereinigten Staaten gingen 5556 Personen. Aus dem Königreich Preußen kamen 2595, aus dem übrigen Deutschland 579, aus anderen europäischen Staaten 2684 und aus außereuropäischen Staaten l63 Personen. Seit dem 1. Januar bis Ultimo April d. I. wanderten H,413 Personen über Hamburg aus. Hamburg. Vor einiger Zeit berichteten wir, daß sich in der deut schen Arbeiterbewegung insofern ein eigenthümlicher Vorgang abspielte, als die in Folge eines Streikes brodlos gewordenen hiesigen Bäckergesellen Wit Unterstützung von Hamburger und Altonaer Arbeitern sich anschickten, sine große corporative Bäckerei ins Leben zu rufen. Der Plan ist jetzt insofern der Verwirklichung ganz nahe gerückt, als, wie man der „Nat- Ztg." schreibt, ein Comitee die Eintragung der Bäckerei in das Hambur ger Firmenregister bereits besorgt hat. Ueber 5000 Arbeiter haben schon Antheilscheine gezeichnet und Geldbeträge abgeführt. Die Sammlungen sollen jedoch fortgesetzt werden, da man die Absicht hat, die Bäckerei in großartigem Maßstabe zu errichten, sie soll mit Dampf betrieben werden und Schwarz- und Weißbrod Herstellen. Wenn dieser Plan der Ham burger Arbeiter, an dessen Verwirklichung nicht mehr zu zweifeln ist, von Erfolg gekrönt sein sollte, so wird er unzweifelhaft in die Strikbewegun- gen ein neues Element einfügen. Die Arbeiter werden versuchen, durch Concurrenzunternehmen ihren Arbeitgebern die Spitze zu bieten. Freilich ist es klar, daß die Aufbringung der erforderlichen Kapitalien nur in seltenen Fällen möglich sein wird — ganz abgesehen von der Frage, wie lange die für den Fortbestand eines solchen genossenschaftlichen Unterneh mens nothwendige „Einigkeit" der Betheiligten vorhalten würde. Das Ende des Deutschthums in den Ostseeprovinzen Rußlands ist nahe herangerückt. Die „nationalen" Russen halten ihr Ziel, deutsche Sprache und Sitte in den baltischen Provinzen zu tödten, sich gesichert, Schlag auf Schlag trifft das Deutschthum und seine alten, von allen früheren russischen Herrschern anerkannten und bestätigten Rechte. Die früher schwedischen Ostseeprovinzen haben sich zum Anfang des vorigen Jahrhunderts freiwillig unter russischen Schutz gestellt, sie haben dem Czarenreiche Treue gelobt und diese gehalten bis auf den heutigen Tag. Czar Peter der Große, der Begründer des modernen Rußland, gab den Deutschen der Ostseeprovinzen verbrieft und versiegelt die Rechte der eige nen freien Verwaltung, der deutschen Schule und Sprache und endlich ihrer Religion. Keiner der Nachfolger Peters hat an diesen Verträgen zu rühren gewagt, selbst der russischte aller russischen Kaiser, Nikolaus, der Großvater Alexanders III., nicht. Die baltischen Deutschen haben zum Dank dafür ihre Treue durch die That bewiesen; während überall in Rußland die Nihilisten auftauchten und mit ihren Mordbomben das Leben des Czaren bedrohten, ist in den Ostseeprovinzen Alles still geblieben. Aus den Reihen der Deutschen ist kein Nihilist hervorgegangen. Allein Undank ist der Welt Lohn. Die Stockrusfen Probedonoszeff nnd Katkow, die bösen Engel des Zaren, denen alle moderne Kultur, deren Träger die Deutschen in den Ostseeprovinzen sind, verhaßt ist, haben in Petersburg ihren vollen Einfluß gegen das Deutschthum geltend gemacht, nnd von ihnen ist der Wall der guten und heiligen Rechte der Deutschen mit Ge walt durchbrochen worden. Das ist der Dank an die gewerbfleißigsten Bewohner Rußlands, an die treuesten Unterthanen des Czaren. Der Name „Deutsche" soll im Czarenreiche verschwinden; das ist das Ziel der Deutschfeinde und leider rückt die Verwirklichung desselben näher und näher. Die Decrete aus Petersburg trafen die deutsche Amtssprache. Ziemlich allgemein wurde die deutsche Sprache durch die russische ersetzt. Die Stadtbehörden, welche sich weigerten, diesem ungerechten Befehle nach zukommen, wurden gemaßregelt und abgesetzt, die russische Amtssprache, von der die wenigsten Deutschen etwas verstehen, mit Gewalt eingeführt. Zugleich wurden die freien Amtsstellen Stockrusfen überwiesen. Dann ging es auf die Volksschulen los. Den Kindern wurde zwangsweise die russische Sprache beigebracht, die deutsche wurde verdrängt, und die Folge davon ist, daß die Kinder in vollstem Gegensatz zu ihren Eltern gebracht werden. Auch die Kirche blieb nicht unberührt. Versprechungen und Drohungen bewirkten den Uebertritt zur russisch-orthodoxen Kirche, und gegen die Geistlichen wurden unter den nichtigsten Vorwänden Maßre gelungen gebraucht. Die deutschen Vereine und Verbindungen wurden durch allerlei Plackereien belästigt, um sie dem Rusfenthume zuzuführen, kurzum, die schreienden Verletzungen der deutschen Rechte waren so zahl reich wie der Sand am Meer. Trotz aller Vergewaltigungen war aber doch noch Eins deutsch geblieben, das höhere Schulwesen. Darin lag noch ein fester Damm gegen die immer ungenirter auftretenden Russificirungs- versuche, damit wurde der gebildete junge Nachwuchs deutsch erhalten, bei deutscher Sitte und deutschem Wesen. Das hat die Machtinhaber in Pe tersburg schon lange verdrossen, diese letzte Schutzwehr der deutschen sollte fallen und leider Gottes wird sie fallen. Kaiser Alexander hat einen Ukas unterzeichnet, wonach in allen deutschen Gymnasien und Realschulen der Ostseeprovinzen die russische Unterrichtssprache eingeführt wird. Da mit erhält die deutsche Bildung den Todesstoß, damit ist auch das Schick sal der alten deutschen Universität Dorpat besiegelt, und das Deutschthum ist offiziell aus dem öffentlichen Leben gestrichen. Daö ist sehr traurig, um so trauriger, als zu gleicher Zeit auch gegen die deutschen Industriel len der Lodzer Gegend Repressalien geplant werden. Die finstere Strö mung in Rußland verträgt freies deutsches Wesen und deutsche Bildung, denen Rußland doch so unendlich viel verdankt, nicht, deshalb müssen sie fort. Später wird man in Petersburg erkennen, daß man sich init den Maßnahmen gegen die Deutschen ins eigene Fleisch geschnitten, sich selbst den größten Schaden zugefügt hat. Ohne Intelligenz gedeiht auch das Land des allmächtigen Czaren nicht. In der französischen Deputirtenkammer sind am Dienstag die Würfel über das Cabinet Goblet gefallen. Mit einer Minderheit von 18 Stimmen ist dasselbe seinen Gegnern unterlegen. Ministerpräsident Goblet hat dem Präsidenten der Republik Grevy die Entlassung des Ca- binets überreicht. Die Majorität der Kammer, welche gegen die Regierung stimmte, besteht aus 164 Mitgliedern der Rechten, 86 Opportunisten und 25 Mitgliedern der äußersten Linken. Im Allgemeinen gilt Freycinet als der Präsident des zukünftigen Ministeriums, wenn auch das „Journal des Debats" meint, Clemenceau würde sich dem Wiedereintritt Freycinet's widersetzen. Die intransigenten Blätter fordern Clemenceau auf, die Lei tung der Geschäfte zu übernehmen. In opportunistischen Kreisen ist man entschieden gegen die Herübernahme Boulanger's in das neue Kabinet. Die Schwierigkeiten der Situation lassen annehmen, daß die Minister krisis sobald keine unmittelbare Erledigung finden dürfte.