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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sicbenleh» uud die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ^7 99. Dienstag, den 17. December 1872. Tagesgeschichte. Wilsdruff, am 17. December. Wir gestatten uns, unsere Mitbürger an dieser Stelle nochmals an die heute in den Vormittagsstunden stattfindende Stadlvcrordneten- Ergänzungswahl zu erinnern. Aus dem Collegium scheiden durch's Loos aus die Herren Kürschnermeister Springsklee, Schmiedemeister O. Loßner, Wirthschaftsbesitzer Funke und die Ersatzmänner Herr Kaufmann Nitthausen und Herr Stadgutsbesitzer Uibrig. -- Schon wunderten wir uns, daß von demjenigen Theile unserer Bürgerschaft, welcher sich für die städtischen Wahlen ganz besonders interessirt, bis jetzt von Ausstellung von Wahlvorschlägen abgesehen wurde, während doch in allen anderen Städten, ja selbst auf dem Lande, colossale Wahlagitationen stattfinden; da geht uns soeben —in letz ter Stunde — noch das auf letzter Seite befindliche Inserat zu, auf welches aufmerksam zu machen wir ersucht werden, was hiermit ge schehen sein mag. — Denjenigen, welche das heute Abend im Gasthofe zu Grum bach stattsindende Concert besuchen wollen, diene zur Notiz, daß Herr Engelmann halb sechs Uhr am Gasthof zum goldnen Löwen, Geschirr zur unentgeldlichen Hinausfnhr bereit halten wird. Das Geburtsfest Sr. Majestät des Königs wurde in der Residenz in hergebrachter Weise feierlich begangen. Früh nahm der König die Glückwünsche der Minister, der Direktorien beider Kammern, der Generalität, der Gemeindeorgane der Residenz, mehrerer fürst licher Persönlichkeiten u. s. w. entgegen. Reveille, eine von den Mu sikchören des Leibgrenadier-, des Gardereiter- und des Artillerie-Re giments gegen 9 Uhr gebrachte Morgenmusik, Fahnenschmuck der öffentlichen Gebäude, Concert des Stadtmusikchors vom Nalhhaus- balcon, Schulacte in den öffentlichen und Privatschulen, Speisung der Armen u. s. w folgten einander wie an früheren gleich festlichen Tagen. Das Offiziercorps und die Generalität versammelten sich zu Festdiners im Jägerhofe uud der Schützenkaserne, zahlreiche Civit- staatsdiencr, städtische und Hofbeamte im Saale der Harmonie zu gleichem Zwecke. Abends brannten auf den öffentlichen Plätzen die Gaspyramiden. In dem vorliegenden Haushaltplan der Stadt Dresden für 1873 hat sich der Bedarf wiederum erheblich vermehrt; dasGesammt- erforderniß, im Jahre 1872 885,146 Thlr., erhebt sich auf 935,933 Thlr. Der Mehrbedarf betrifft das Straßenwesen und das Schul wesen (für das erstere 29,115 Thlr. mehr, für das letztere 35,260 Thlr. mehr). In dem Dorfe Kaitz bei Dresden ist in der Nacht vom 10. December, gegen 1 Uhr, in der Scheune des Gutsbesitzers und Ge meindevorstands Fritzsche Feuer ausgebrochen, und sind durch dasselbe djese, wie auch das anstoßende Wohnhaus mit den bedeutenden Ge treide- und sonstigen Vorräthen zerstört worden. Alle Umstände lassen auf Brandstiftung schließen. Schwarzenberg, 12. December. Ein beklagenswerlhes Braud- unglück hat gestern Abend im benachbarten Dorfe Nittersgrün statt- gesunden, weselbst Abends 8 Uhr beim Niederbrennen eines kleinen Hauses ein Kind* nebst dessen Mutter, welche jenes zu retten bemüht gewesen ist, verbrannt ist. In der letzten Sitzung des „städtischen Vereins" in Leipzig wurde u. A. eine Petition an die Ständeversammlung genehmigt, worin gebeten wird, die Staatsrcgierung zu ersuchen, dem Landtag ein neues VerfassuugS- und Wahlgesetz nach den Grundlagen des Eiukammer- und Nepräsentativsystems, sowie des allgemeinen un mittelbaren gleichen, sowohl activcn als passiven, Wahlrechtes vor zulegen. Leipzig, 14. December. Eine tragische Scene spielte sich vor gestern Abend am Frankfurter Thore hier ab. Ein 21 Jahre altes, bU ihrer Mutter, einer Gutsbesitzers-Wittwe, in der Weststraße, in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Thores, wohnendes anständiges Mädchen, seit längerer Zeit am Tiefsinn leidend, hatte sich dort in einem Anfalle ihres Gcmüthsleidens in den Elsterfluß gestürzt. Bald darauf kommt ein junger Diann herzngeeilt, springt vom Ufer in's Wasser und zieht das Mädchen — aber als Leiche — aus ihrem nassen Grabe heraus. Der junge Mann war der Bruder des Mäd chens. Man hatte die Unglückliche zu Hause noch nicht vermißt, das Dienstmädchen aber, welches zufällig auf der Straße war, hatte sie nach dem Flusse eilen sehen, war aber nicht mehr im Stande, die entsetzliche That zu verhindern, sondern konnte der Familie nur die traurige Botschaft bringen, infolge deren der Bruder fortstürzte, um womöglich die Bedaucrnswerthe noch zu retten; leider sollte ihm das mcht mehr gelingen. Wer an der Spitze der deutschen Reichspost steht wie der Generalpostdirektor Stephan in Berlin muß ein rechter Marschall Vorwärts sein; denn der öffentliche Verkehr wächst riesig an und drängt immer vorwärts. Ende 1849, wo das Preuß. Generalpostamt vrganisirl wurde, betrug die Zahl der Postanstalten rund 1700, das Personal 14,500 Köpfe, jetzt umfaßt das deutsche Reichspostgebiet 5674 Pvstanstaltctt und ein Personal von 48,000 Köpfen. Die Zahl der Briesscndungen hat sich von 57 Mill, auf 417 Mill., die Zahl der Packele von 7 Mill, auf 36 Mill., die Zahl der Werthsendungen Von 4'/» Mill. Stück mit 800 Mill. Werth auf 16 Mill. Stück mit 3 Milliarden 707 Mill. 544,000 Thaler Werth jährlich gesteigert. Die Zahl der Zeitungen rc. hat sich von 73,000 Exemplaren mit 14 Mill. Nummern auf 1'/4 Mill., welche in 230 Mill. Nummern zur Versendung kommen, vermehrt. Dazu sind neue Geschäftszweige wie die Postanweisungen, Postmandate mit einem jährl. Geldverkehr von 130 Mill. Thlr.,'die Vereinigungen zahlreicher Postanstalten mit dem Telegraphen, der Debit der Wechselstempelmarken rc. hinzuge kommen. Allein im Generalpostamt arbeiten 140 Beamte. Durch die Hand des Gcneralpostmcistcrs laufen täglich ca. 450 Schriftstücke, er hat an manchen Tagen an 1000 Unterschriften zu geben und 30—40 Personen amtlich zu empfangen, der mündliche Verkehr dauert oft von 8—3 Uhr. Da diesen Anstrengungen kein Mensch gewachsen ist, so wird die Einrichtung des Generalpostamtes theil weis verändert werden, um den Chef etwas zu entlasten. Eine Nachricht von hervorragender Tragweite über den Fürsten Bismarck finden wir in den neuesten Berliner Blättern. Die „Sp. Ztg." schreibt: Auswärtigen Blättern wird von Berlin aus die überraschende Nachricht lelegraphirt, daß Fürst Bismarck beab sichtige, das Präsidium des Preußischen SraatSministeriums nieder zulegen. Wir würden diese Nachricht gern in das Reich der Phan tasie verweisen, wenn die Quelle, aus der sie zu stammen scheint, uns dies gestattete. Mag die Fassung jener Neuigkeit einseitig und zu kategorisch sein, mag sie das, was als mögliches Resultat aus den Verhandlungen hervorgehen kann, welche nach der Rückkehr des Fürsten gepflogen werden sollen, bereits als Thatsache hinstellen, soviel scheint gewiß, daß der Reichskanzler die Frage über das Ver- hältniß zwischen Neichsregierung und preußischem Staalsministerium aufgeworfen hat, und daß er das Bcdürfniß fühlt, sich von den preußischen Geschäften, in der Weise, wie sie ihm bis jetzt oblagen, mehr als bisher frei zu machen. Der Reichskanzler nicht zugleich Chef des preußischen Ministeriums — das ist eine Neuerung, die zuvörderst wenigstens mehr beunruhigend als befriedigend wirken wird. Wie oft ist von dem Fürsten Bismarck in früheren Verhandlungen des Reichstags auf die enge Verbindung beider Aemter hingewiesen, wie oft hervorgehobcn, daß diese beiden Chargen sich schwer auseinander nehmen ließen, daß, wenn sie in verschiedenen Händen lägen, dies namentlich in den ersten Anfängen der Bundesentwicklung eine ganze Menge von Nachtheilcn im Gefolge haben würde. Sind wir über jenes erste Studium der Reichsentwickelung schon hinaus? Kann heule schon das persönliche Band zerschnitten werden, das uns die sicherste Garantie bietet, daß in dem preußischem Ministerium niemals eine dem Reichskanzler entgegengesetzte Strömung zur Herrschaft gelangt, daß Preußen und das Reich immer mit und nie gegen einander arbeiten? Das ist nur eine von den vielen Sorgen, die in uns bei dem ersten Empfang der obigen Nachricht aufsteigen. Die ungeheuere Tragweite jener Trennung liegt auf der Hand; die große Zahl ernster Gesichtspunkte, nach der sie zu erwägen wäre, behalten wir uns vor, später zu erörtern, wenn auf das kurze Telegramm eingehendere Mit,Heilungen über das, was bevorsteht, gefolgt sind.