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— Dresden, 2. März. Handelskammerpräsident Hultzsch erhielt bei der heutigen Reichstagsstichwahl 19,656, Drechsler Bebel 10,077 stim men. Hultzsch ist somit gewählt und der Sozialdemokrat unterlegen. — Nachdem am Freitag Vormittag abermals mehreren in Dresdner Gasthofställen untergebrachten Pferden die Schweife abgeschnitten und als bald darnach die Haare bei einem Bürstenwaarenhändlcr verkauft worden waren, ist es gelungen, am Sonnabend den Unbekannten in der Person eines ehemaligen Kutschers zu ermitteln und festzunehmen. Derselbe ver suchte hierauf unter Benutzung seiner in Streifen geschnittenen Schürze sich zu erhängen, wurde aber noch rechtzeitig losgeschnitten und wieder ins Leben zurückgerufen. Vorläufig mußte der selbstmörderische Dieb im Kranken haus untergebracht werden. — Wie aus Schedewitz berichtet wird, hat der dortige Fabrikant Bernhard Jung aus Anlaß des günstigen Wahlergebnisses im 18. Reichs tags-Wahlkreise der sogen. „Aschkasse", d. i. Seperat-Unterstützung für bedürftige Kranke des Fabriketablissements, die Summe don 1000 Mk. überwiesen. — Lengenfeld. Am vergangenen Freitag Nachmittag wurde beim Grundgraben zu der Fickenwirth'schen Fabrik in einer z. Z. unter Wasfer stehenden Vertiefung ein Frauenleichnam aufgefunden und polizei lich aufgehoben. Allen Anzeichen nach hat derselbe schon längere Zeit unter Wasser, bezw. unter Schnee gelegen. Die Beklagenswerthe ist jeden falls ein Opfer der Schneeverwehungen zu Weihnachten. Sie trägt ein schwarzes Kleid, dunklen Paletot, schwarze Glacehandschuhe, gute Stiefeletten, Gummiüberschuhe und Pelzgarnitur. Im Portemonnaie fanden sich noch 15 M. Befremdlich ist nur der Umstand, daß die Verunglückte bis jetzt noch nicht vermißt worden ist. I r a u e n u r t s) e i t. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane „Im Sonnenschein", „Der Stadtschreiber" rc. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Bertha schlug ihre thränenfeuchten Augen verwundert zu demJustiz- rath auf: „Ich hab' doch gelesen, wie gar Mancher unschuldig geduldet und gelitten hat, und leide ich nicht genug, daß man mich in den Kerker ge worfen ?" Der Gerichtsrath hätte zu anderer Zeit für den „Kerker" nur ein Lächeln gehabt. „Es kommt Niemand in's Gefängniß, gegen den nicht dringende Verdachtsgründe vorliegen," bemerkte er ruhig, „und auch bei Ihnen fanden sich deren genug, die Ihre Verhaftung rechtfertigten." „Und wenn ich auch wieder frei werde, meine Ehre ist für immer dahin," klagte Bertha, „was wird die gute Gräfin von mir denken?" „Sie glaubt nicht an ihre Schuld", — wollte der Gerichtsrath ant worten, besann sich aber und entgegnete: „Ich werde die Untersuchung nach Möglichkeit beschleunigen, mehr kann ich nicht für Sie thun." Die Angeklagte dankte in den herzlichsten Ausdrücken und versicherte noch einmal ihre Unschuld. Alle Bemühungen des Gerichtsraths, in diese dunkle Sache Licht zu bringen, waren vergeblich. Die für die Schuld der Angeklagten vorliegenden Beweise warm doch nicht stark genug, um in der nächsten Schwurgerichtssttzung die Verurthei- lung Bertha's herbeizuführen. Da sollte plötzlich die Sache noch eine andere Wendung erhalten. Eines Tages fand sich Helene Schwarz unvorgeladen im Gerichtszimmer ein, um eine neue Aussage zu Protokoll zu geben. Das große, starke Mädchen schien heute in einer seltsamen Aufregung, und als ob es mit einem Entschlusse kämpfte, holte es schwer Athem, ehe es mit sichtlicher Anstrengung sprechen konnte: „Herr' Gerichtsrath, ich kann nicht anders, ich habe keine Ruhe mehr und muß Alles sagen!" begann Helene. Der Gerichtsrath blickte überrascht auf die Magd und fragte hastig: „Sie find selbst die Schuldige, nicht wahr?" Helene zuckte einen Augenblick zusammen, dann streckte sie wie ab wehrend die Hände aus. „Um Gotteswillen, nein!" sagte sie heftig, dann setzte sie schon wieder ruhiger hinzu: „Ich komme, weil ich glaub', daß Bertha auch die Frau des Scholzen vergiftet hat." „Und was berechtigt Sie zu diesem Glauben?" fragte der Gerichts rath streng, und seine Äugen ruhten forschend auf der Magd. Ihre Än- klagelust erschien ihm doch zu widerlich. Helene mußte den üblen Eindruck bemerkt haben, den ihre zweite Denunciation auf den Gerichtsrath machte, und die Hand auf die Brust legend, begann sie in ihrer treuherzigen Weise: „Ich kann nicht anders, ich muß es sagen, Herr Gerichtsrath, und wenn es meine eigene Mutter wäre; es drückte mir das Herz ab, wenn ich schweigen sollte." „Sagen Sie nur, was Sie zu diesem zweiten schrecklichen Verdacht berechtigt?" bemerkte der Gerichtsrath. „Die arme Scholzin ist so rasch und plötzlich verstorben, das war mir schon verdächtig — und jetzt hab' ich mir's vom Doctor beschreiben lassen, wie Eins an Arsenik stirbt, das trifft auf's Haar. Sie hat auch solch' Brennen im Munde gehabt und sich erbrechen müssen und zuletzt so gezittert und die Sprache verloren, ganz wie's der Doctor beschrieben." „Sind das Ihre sämmtlichen Beweise?" fragte der Gerichtsrath, der in dem Geschwätz Helenens nur einen thörichten Argwohn fand. „Nein, das ist noch nicht Alles," begann die Magd von Neuem. „Der Jäger der Gräfin hat gesagt, daß Bertha ihn um Arsenik gebeten und auch wirklich welches erhalten hat. Lassen Sie die Leiche ausgraben, dann wird sich gewiß das Gift im Körper der Todten noch finden." Helene hatte ihre Aussage mit großer Lebhaftigkeit gemacht, und als wenn sie die inneren Vorwürfe beschwichtigen müsse, die sie darüber em pfand, daß ihre rücksichtslose Wahrheitsliebe die Freundin noch mehr in's Verderben stürzte, setzte sie hinzu: „Ich kann doch nicht anders." Weitere Angaben hatte die Zeugin nicht zu machen, und der Gerichts rath schritt zur weiteren Vernehmung des Jägers. Es war noch ein junger Bursche von kaum zwanzig Jahren und allem Anschein nach ein frischer lustiger Gesell, dem das Jägerleben ungemein behagen mochte. Auf den frischen blühenden Lippen zeigte sich ein zierliches Bärtchen, und wenn er lachte, kam eine Reihe der prächtigsten Zähne zum Vorschein. War es Lebenslust oder Eitelkeit, der junge Bursche lachte gern. Er bekundete in seiner kecken, zuversichtlichen Weise, daß ihn Bertha Lind ner um Arsenik gebeten und er ihr auch wirklich das Gift verabfolgt habe. . „Sie sagte mir, daß sie damit die Mäuse in ihrem Zimmer vertreiben wollte," fuhr der Jäger in seiner Aussage fort, „und die Kleine war stets so drollig und allerliebst, da könnt' man ihr nichts abschlagen." „Wie kamen Sie selbst in den Besitz von Arsenik?" fragte der Ge richtsrath. „Wir brauchen es zum Ausstopfen von Vögeln," erklärte der Jäger; „die Gräfin hat ja schon eine ganze Gallerie solch' ausgestopfter Thiere." Diese Angabe war ebenfalls richtig. „Sic haben aber doch sehr leichtsinnig gehandelt," bemerkte der Ge richtsrath. Der Jäger lächelte: „Wie konnte ich denken, daß die Kleine solche Schändlichkeiten damit treiben würde." „Halten Sie Bertha Lindner solch' elender Verbrechen fähig?" fragte der Gerichtsrath. Der Jäger blickte ganz verwundert zu dem Gerichtsrath auf, daß dieser noch fragen konnte, und ein herzliches Gelächter ausstoßend, sagte er lebhaft: „O, sie ist listig und verschmitzt wie ein Fuchs!" Nach Vernehmung des Jägers veranlaßte der Gerichtsrath sofort die Ausgrabung der Leiche. Es ist immer eine entsetzliche Aufgabe, wenn noch einmal die Gräber aufgewühlt und um ihre Geheimnisse befragt werden müsfen. . . Und die verschwiegenen Gräber geben wirklich Antwort, Dank unserer Wissenschaft — die auch selbst in diese schauerlichen Tiefen ihre Leuchte hält. Die Vermuthungen der Magd wurden durch die vorgenommene Ob duktion zur vollen Gewißheit. Im Magen der unglücklichen Frau fanden sich noch einzelne Körnchen einer weißlichen Substanz, die durch die Unter suchung des damit beauftragten Chemikers als Arseniktheilchen festgestellt wurden, und somit war die stattgefundene Vergiftung der Scholzensrau zweifellos. Jetzt mußte wohl der Verdacht auftauchen, daß bei diesem Doppel* morde auch der Scholz betheiligt sei. Eine in der Schölzerei vorgenommene Haussuchung warf auf den Scholzen das schlimmste Licht. In einem ver borgenen Wandschrank wurde eine Büchse mit Arsenik gefunden. Es war augenscheinlich davon gebraucht worden, denn die Büchse war nicht mehr voll, obwohl sorgfältig zugebunden. Der Scholz blieb völlig unbefangen, als die Büchse gefunden wurde, und erklärte sogleich: „Ja, die hab' ich mir bei einem Schönfärber in der Stadt gekauft und ich wollte die Mäuse aus meiner Scheuer damit vertreiben." Der Rath hielt die Büchse noch in der Hand und fragte rasch: „War die Büchse voll?" „Ja wohl," entgegnete der Scholz, „Meister Ersel hat sie mir vor meinen Augen zugebunden." „Und haben Sie bereits davon gebraucht?" fragte der Gerichtsrath weiter. „Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen," war die Antwort des Scholzen. Es kennzeichnete die Lässigkeit dieses Mannes. „Aber von dem Arsenik ist jedenfalls hinweggenommen worden," be merkte der Nath, „dies beweist der bedeckte Rand ," und indem Herr v. Z. die Büchse dem Scholzen hinhielt, prüften seine durchdringenden Augen das Antlitz des Scholzen. Der Scholz blickte mehr verwundert als erschrocken in die Büchse und rief ganz erstaunt: ' „Wahrhaftig, sie ist halb leer; nun, das. begreif ich nicht." „Hielten sie nicht den Schrank verschlossen?" forschte der Gerichtsrath. „Gewiß, ich hab' den Schlüssel immer in de^Tasche — da sehen Sie." Der Scholz griff in seine Tasche und holte einen kleinen Schlüssel hervor. Er schien noch immer in seiner schlichten Einfalt keine Ahnung zu haben, weich' schwere Wolken sich mit dieser Antwort über seinem Haupte zusammenzogen. „Es ist mir ein ewig Räthsel, wie das Gist herausgekommen," setzte er hinzu und strich mit der Hand über die gedankenarme Stirn. (F. f.) Vermischtes * Praktisch. Im Theater de la Monnaie in Brüssel, in welchem sich in letzter Zeit, namentlich im Parquet, die Damenwelt durch hohe Kopfbedeckungen sehr mißliebig gemacht hatte, hat die Direktion folgenden Anschlag vor den Eingängen anbringen lassen: „Nur den älteren Damen ist gestattet, die Hüte im Parquet aufzubehalten." Hierdurch ist denn auch vollkommen erreicht Worten, was beabsichtigt war. Selbst die ältesten Damen legen vor dem Betreten ihre Hüte in der Garderobe ab. Der Lotterie-Kollekteur Cohn in Hamburg, bekannt durch die Worte in seinen Annoncen: „Gottes Segen bei Cohn", wurde zu 6 Jahren Zuchthaus verurtheilt. Cohn, der die Gewinnlisten fälschte, um die Lot teriespieler, welche bei ihm Loose entnommen, um die in seine Kollekte fallenden Gewinne zu betrügen, hatte zu diesem Zwecke eine eigene Druckerei im Keller eingerichtet. * Zusammenstoß mit einem Walfische. Kapitän Spence, der Führer des Dampfers „Kellon", berichtet, daß er auf seiner letzten Reise von Sunderland nach London mit einem Walfisch in Kollision gewesen sei. Der Dampfer befand sich in der Nähe von Seaham, als die Mann schaft über dem Steuerbordbug einen großen Fisch wahrnahm, den sie des ausgespritzten Wassers wegen sür einen Wal hielt. Fünf Minuten später stieß der Fisch mit fürchterlicher Gewalt gegen den Backbordbug des Dampfers, hob sich zwei Fuß über die Seitenreling und sank dann ins Wasser zurück. Dicht hinter dem Heck kam er wieder nach oben, schien aber die Rücken flosse verloren zu haben, die ihm wahrscheinlich von der Schraube abge schlagen worden war. Darauf versank das Ungethüm, um nicht wieder zum Vorschein zu kommen. Der Dampfer legte sich bei dem Zusammen stoß stark auf die Seite, richtete sich aber sofort wieder auf und erlitt auch keinen Schaden. Kirchennachrichtcn aus Wilsdruff. Am Sonntage Reminiscere predigt Vormittags Herr ?. vr. Wahl. Nach dem 2. Einlauten Beichte und nach der Predigt heil. Abenmahl. Nachmittags Gottesdienst mit Predigt. Im Monat Februar. Getauft: Linna Hedwig, Friedrich Wilh. Schulze's, ans. Bürger» > und Ziegeldeckermstrs. hier, Tochter; Clemens Arthur, Friedr. Aug. Cle mens Legler's, Handarbeiters hier, Sohn; Anna Bertha, Karl Robert Heinr. Altmanns, Tischlers hier, Tochter; Johanna Martha, Clemens Theod. Haubolds, Drechslermstrs. hier, Tochter; Paul Kurt, Karl Emil Wurms, Tischlers hier, Sohn; Kurt Oskar, Karl Oskar DonatHS, Hand arbeiters hier, Sohn; Theodor Paul, Paul Otto Gabriels, Gutsbesitzers in Grumbach, Sohn; Arthur Oskar, Ernst Wilhelm Zschokes, ans. Bürger» u. Ziegeldeckers hier, Sohn. Getraut: Friedrich Gustav Koßligk, Schneider hier, mit Therese Marie Mütze hier. Beerdigt. Anna Bertha, Karl Rob. Heinr. Altmanns, Tischlers hier, Tochter, 1 M. 5 Tg. alt; Karl Gottfried Hullersen, Handarbeiter in Röhrsdorf, (starb im Bezirkskrankenhause) 61 I. 7 M. 6 Tg. alt; Johann David Kretzschmar, Handarbeiter hier, 56 I. 11 M. 26 Tg. alt; ! Oskar Engelbert Metzger, Handlungscommis hier, 18 I. 11 M. 23 Tg. ! alt; Reinhold Jonas aus Breslau, Lackierergehilfe hier, 44 I. 11 M. 20 ! Tg.; die beiden letzteren starben im Krankenhause); Karl Richard, Aug. Heinr. Lehmann, Schuhmachermstrs. hier, Sohn, 11M. 8Tg. alt; Friedr. August Pflugbeil, Privatus hier, 72 I. 10 M. 29 Tg. alt.