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WWW Beilage za No. 19. (Fortsetzung aus dem Hauptblatte.) Paris. „Gaulois" will wissen, Grevy werde den Kaiser Wilhelm zu seinem 90. Geburtstage durch einen außerordentlichen Botschafter be glückwünschen lassen. — An der Besprechung der deutschen Thronrede sagte der „Figaro" u. A.: „Alles läßt hoffen, daß der Weltenbrand nicht ausbrechen werde; es wird sich schon Jemand in Europa finden, der den Stiefel auf das Streichholz setzt und es auslöscht. Alle Völker haben ohne Ausnahme gezeigt, daß sie den Frieden wollen. Die Haltung aller Nationen während der deutschen Wahlperiode hat es bewiesen. Es gehörte wirklich ein eiserner Wille dazu, jetzt einen Krieg heraufzubeschwören und wir glauben nicht, daß ein solcher in Europa existirt. — Jeder Tag bringt in Paris ein neues chauvinistisches kriegslärmreiches Buch hervor; so ist jetzt erschienen: „Frankreich unter Waffen, oder der nächste deutsch-fran zösische Krieg". Ist das eine Bestätigung obiger Worte? Die Empörung, welche vorige Woche in Bulgurien ausgebro chen, scheint nach den letzten Nachrichten niedergeworfen zu sein. Nach Meldungen aus Giurgewo, die in Paris eingetroffen sind, eröffnete ein Geniebataillon in Rustschuk den Aufstand. Die dort liegende Infanterie habe sich an der Bewegung nicht betheiligt, sondern im Gegentheil die Genietruppen anaegriffen; sie sei aber von letzteren zurückgcwiesen worden. Als sodann Miliztruppcn der Infanterie zu Hilfe gekommen, seien die Aufständischen geschlagen worden. Die Milizen hätten etwa zehn Auf- ständische^füsilirt. Aus Sofia wird gemeldet, daß die dortige Polizei seit mehrereiOWochcn ein Komplott beobachtet habe, das am 3. März zum Ausbruch kommen sollte. Die Polizei habe nunmehr geglaubt, sich durch strenge Ueberwachung und durch Verhaftungen gegen irgendwelche Unter nehmungen gewisser Persönlichkeiten der Opposition sichern zu wollen. Am Donnerstag Nachmittag sind dort etwa 30 Personen, darunter Kara- weloff nnd Usagoff, verhaftet worden. Sie sollen mit den Verschwörern in Silistria und Rustschuk, wo militärische Kundgebungen gegen die Re gentschaft stattfanden, in Verbindung gestanden haben. In Petersburg werden die bei der letzten Verschwörung betheilig- ten Nihilisten in geheimer Sitzung abgeurtheilt und die Hinrichtungen finden Nachts statt. Sieben Offiziere sollen gehängt worden sein. Da cs die Pariser, die besten Freunde der Russen, berichten, muß es wohl wahr sein. Vaterländisches. — Dresden, 5. Februar. Nachdem beide Kammern ihre Zustim mung zum Ankauf, der Strecke Dresden-Elsterwerda der Berlin-Dresdner Eisenbahn gegeben, fand heute Mittag der Schluß des Landtages durch den Kriegsminister Grafen v. Fabrice statt. — Im Laufe dieses Sommers findet in Dresden der 8. Vcrbands- tag des großen deutschen Bäcker-Verbandes Germania statt. Bei dieser Gelegenheit beabsichtigt die hiesige Bäcker-Innung eine große internationale Bäckerei- und Eonditorei-Attsstellung abzuhalten. Da obiger Verband zur ^eit aus 20,000 Mitgliedern besteht, ist wohl anzunehmen, daß dadurch unsere Residenz einen bedeutenden Zuzug von Fremden erhält, umsomehr, als unsere Dresdner Bäckerei auswärts überall vortrefflich ac- creditirt ist. Diese Ausstellung dürfte sich von den bisher in Stuttgart Hamburg und Berlin stattgefundenen ähnlichen Unternehmungen besonders dadurch Vortheilhaft unterscheiden, daß wirkliche praktische Bäckereinrichtungen und nicht nur Modelle zur Ausstellung gelangen sollen. — Im verflossenen Monat Februar sind bei der Königlichen Alters rentenbank in Dresden (Altstadt, Landhausstraße 16, im Landhaus) 107,725 Mk. in 584 Einlagen eingezahlt worden, während sick der gleiche Monat des Vorjahres nur auf 74,561 Mk., eingezahlt in 539 Einlagen, gestellt hatte; die Zunahme beträgt mithin 33,164 Mk. oder 44 Prozent des vorjährigen Einlagekapitals. Die bedeutende Vermehrung des Geld betrages beweist, daß die Vorzüge der Königlichen Altersrentenbank nicht allein in den Kreisen der Minderbemittelten, für welche die Bank zunächst bestimmt ist, sondern auch in denen der Wohlhabenden mehr und mehr erkannt und durch Erwerb von Renten zum eigenm Vortheil benutzt werden. Die größte im vorigen Monat geleistete Einzahlung betrug 12,215 Mk. — Es sind am 21. Februar in sämmtlichen 23 sächsischen Wahl kreisen 517,850 Stimmen abgebeben worden gegen 333,000 am 28. Oktober 1884. Von jenen 517,850 Stimmen entfielen 161,540 aufna tionalliberale, 123,986 auf deutschkonservative, 53,931 auf freikonservative, 29,833 auf deutschfreisinnige und 148,569 auf sozialdemokratische Kan didaten. Die nationalliberalen Kandidaten vereinigten somit von den ab gegebenen Stimmen auf sich 31 Prozent, die deutschkonservativen 24 Pro zent, die sreikonservativen 10 Prozent, die deutschfreisingen 6 Prozent, die sozialdemokratischen 29 Prozent. Bei den Wahlen im Jahre 1884 war das Verhältniß so, daß die Nationalliberalen 82,000 hatten, die beiden konservativen Parteien 83,000, die Deutschfreisinnigen 40,000 und die Sozialdemokraten 128,000 Stimmen hatten; das Prozentverhältniß war damals demnach Nationalliberale 25 Prozent, Konservative 26 Prozent, Deutschfreisinnige 12 Prozent und Sozialdemokraten 37 Prozent. — Offene Geschäftskarten, welche auf der Vorderseite die Be zeichnung „Postkarte" tragen, werden gegen die Drucksachentaxe (3 Pfg.) nur noch bis Ende März von der Post zugelassen. Kaufmännische Kreise werden gut thun, ihre Vorräthe davon bis dahin zu räumen. — In Plauen i. V. ist es der Kriminalpolizei geglückt, einer weitverzweigten Diebesgesellschaft auf die Spur zu kommen, welche fast ausschließlich von Jahrmarktsdiebstählen gelebt hat. — Burgstädt, 3. März. Heute früh in der dritten Stunde brach in dem sogenannten „Jägerhaus" in Taura auf noch unerklärliche Weise Feuer aus. Trotzdem Hülfe sofort bei der Hand war, konnte doch das Feuer nicht überwältigt werden. Leider fand ein Feuerwehrmann seinen Tod durch herabstürzende Feuermassen, während zwei andere verletzt wurden. Durch dieses Schadenfeuer sind 7 Arbeiterfamilien, welche wahrscheinlich nicht versichert haben, sehr schwer betroffen worden. — Ju Wilkau bei Zwickau wollte am Mvn.ag ein Arbeiter, um einen Umweg zu ersparen, seinen Weg über die Eisdecke der Mulde neh men, er brach jedoch ein und ertrank. MÄE Dienstag, den 8. März 1887. — Ein neues Kaiserlied ist soeben in der Roßberg'schen Buchhand lung zu Leipzig erschienen. Den schönen Tert dazu hat Herr Professor Dr. Bierbaum in Karlsruhe geliefert, durch welchen in untadelhafter Form tiefempiundenen patriotischen Gefühlen beredter Ausdruck verliehen wird. Komponirt ist das Lied von C. Rübner für dreistimmigen Schul- und Chorgesang; die Komposition ist sehr ansprechend. Dichter und Komponist haben sich ergänzt. Der Preis des mit einem wohlgelungenen Bildniß unseres ehrwürdigen Kaisers gezierten Liedes beträgt nur 10 Pf.; für denselben Preis ist das Lied auch für eine Singstimme mit Klavierheglei- tung zu haben. Wir empfehlen das schöne Lied, besonders in „Partiebe- zug", aufs beste zur Anschaffung in Schulen beim Herannahen des 90. Geburtstages unseres allverehrten Kaisers, zu dessen Feier sich dasselbe ganz vorzüglich eignet. — Am Donnerstag Abend brannte auf Möckerer Flur bei Leipzig eine Strohfeime nieder und soll dabei ein Handwerksbursche, der in der Feime nächtigte, mit verbrannt sein. — Kein „Du" ohne Smollis! Daß das Wort „Du", gegen fremde Personen gebraucht, eine Beleidigung ist, entschied jüngst das Schöffen gericht in Leipzig. Ein Arbeiter K. war von emem Unternehmer mit mehreren anderen zur Ausschachtung in einem Grundstücke engagiert worden- Diese Anderen geriethen mit dem Grundstücksbesitzer, Rentier D-, in Con- flict, an dem sich auch K. ohne Veranlassung betheiligte. Hierbei nannte er D. fortgesetzt „Du". Trotzdem sich dieser diese Bemerkung energisch verbat, fuhr K. fort, ihn zu duzen. D. erhob Privatklage wegen Belei digung und hatte die Genugthuung, zu hören, wie sein ungebetener Duz bruder zu drei Tagen Haft verurtheilt wurde. — In Steina bei Döbeln fand man Abends im Garten des Guts besitzers Fließbach die Ueberreste eines schon mehrfach von Thieren benagten Kindesleichnams. Die Mutter wurde in einer erst 18 Jahre alten Dienst magd entdeckt und verhaftet. — Groitzsch. Bürgerschullehrer Gehl hier, der als Vertreter des 14. Wahlkreises im Landesausschusse der freisinnigen Partei in Sachsen den von Verdächtigungen der Regierung vollen Wahlaufruf mit unter zeichnete, erhielt am 26. Februar folgende Zuschrift: „Im Verfolg einer Verordnung des k. Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Ihre Mitgliedschaft beim Landesausschusse der deutschfreisinnigen Partei in Sachsen betreffend, werden Sie hiermit zu einer Vernehmung auf Mittwoch 2. März, Nachmittags 4 Uhr vor die Schulinspektion hierselbst an Raths- expeditionsstelle geladen. Groitzsch, am 26. Februar 1887. Protze, Bürgermeister." — In Burkersdorf b. Burgstädt war der 31 Jahre alte Hand arbeiter Koßleck beim Reinigen einer Pumpe in die Grube gestiegen. Da löste sich oben ein Ziegelstein los und traf ihn so an den Kopf, daß Koßleck alsbald seine Besinnung verlor. Dennoch hatte er noch so viel Kraft, sich an einem Seil befestigen zu können, an welchem er sodann in die Höhe gezogen wurde. Koßlcck wurde sofort in beste Pflege gebracht, doch verschied er nach schwerem Leiden schon in der folgenden Nacht. I r a u e n u r i h e i l. Novelle von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane „Im Sonnenschein", „Der StadtschreiLer" ic. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Dem Gerlchtsrath waren in seiner Praxis schon oft Leute vorgekom men, die unter der Maske gutmüthiger Dummheit ihre verbrecherischen Neigungen zu verbergen wußten. In großen Städten müssen Gauner, Verbrecher vornehme Manieren zeigen, wenn sie mit Sicherheit ihre schlech ten Streiche ausüben wollen; auf dem Lande dagegen ist für solche Snb- jecte ein dummes Gesicht der beste Empfehlungsbrief. Auch den Gerichts- rath konnte die geheuchelte Einfalt des Scholzen nicht länger täuschen. „Sie spielen Ihre Rolle ziemlich gut," bemerkte er mit leichtem Spott. „Mir ist das Verschwinden des Arseniks nicht so räthselhaft als Ihnen, da es sich in dem Körper Ihrer armen Frau gefunden hat." Jetzt erst begriff der Scholz, daß sich der Verdacht des Giftmordes auf ihn selbst richten mußte, und der bisher so ruhige, gelassene Mann fuhr entsetzt zurück. „Sie glauben doch nicht, daß ich selbst . . ." rief er verzweifelt aus, und seine blauen, wässerigen Angen irrten unruhig zu dem Gerichtsrath hinüber. Er stockte und vermochte Nichts weiter zu sagen. „Leider muß ich nach diesen Entdeckungen zu Ihrer Verhaftung schreiten," entgegnete der Gerichtsrath. Der Scholz zuckte zusammen, seine Kniee schlotterten, er vermochte sich nicht mehr aufrecht zu erhalten und sank wie gebrochen in einen Lehn stuhl. Kein Laut kam über seine blassen zitternden Lippen. „Ich hoffe, daß Sie meinen Anordnung keinen Widerstand leisten werden, und es mir gelingen wird, Sie ohne großes Aufsehen in die Stadt zu bringen," bemerkte Herr v. Z. Der Scholz nickte nur mit dem Kopfe; der furchtbare Schlag schien alle seine Lebensgeister vollends gelähmt und seinen ohnehin trägen Geist vernichtet zu haben. „Es ist das Beste, wenn ich Sie bald in meinem Wagen mit fort führe," erklärte der Gerichtsrath weiter. Der Scholz rührte sich nicht. Vielleicht folgte dieser stillen Ver zweiflung bald ein Ausbruch der grenzenlosesten Wuth; wenigstens ist solch' stillen Leuten niemals ganz zu trauen, dachte der Rath und rief nach dem Exekutor, um zur größeren Sicherheit dem Gefangenen die Hände fesseln zu lassen. Erst als der Executor an den Scholzen herantrat und dessen Hand band, erwachte der arme Mann aus seinem Stumpfsinn. Ein trauriges Lächeln spielte um seine Lippen, und sanfter, ruhiger, als es der Gerichtsrath erwartet hatte, sagte er: „Sie hatten es nicht nöthig, Herr Gerichtsrath; ich bin nun doch ein unglücklicher, verlorener Mann, warum sollte ich mick zur Wehr setzen?" In dem Augenblick, als der Scholz abgeführt werden sollte, trat He lene Schwarz herein. Sie sah die gefesselten Hände, seine tiefgebeugte Haltung nnd gewahrte sogleick, daß letzt auch ihr Verwandter des Mordes bezichtigt wurde.