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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.04.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080430025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908043002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908043002
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-04
- Tag 1908-04-30
-
Monat
1908-04
-
Jahr
1908
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Bezu-r-Prett itr Lry>»l- «d Pornrt« durch «nser« Lrtger und v»«dtt«ur» ml Hau» -«bracht: «lll»-a!>« L (»Mi -wr-ru«) vterrrlrL-rlich 8 Di., -mnarlich I Sulaab« > <m«r«a» »ad abends) viertel» jährlich 4.SÜ M., maaailuh 1.50 W, Durch die Dost de,ietzen: fl »al tLglich) iuaerhald Leutjchlands und der deutschen Kolonien mertrljLhrlich b,2S M-, »wa-tlich 1,7b M. aoilchi. Post, bestell-«», itr Oesterrchch » L 88 b, Ungar» 8 L vtarteljLhrllch. Aerner m vel» gien, Dänemark, den Donauftaaien, Italien, Luxemburg, -nederlaud«, Norwegen, Ruß land Schweden, Schweig »ad Spanien. Ja allen übrigen Staate» nur direkt durch di» Lxped. d. Vl. erbältlich. «bonneineut-Annabme: Augukutvlatz 8, bei unsere» Lrügern, Mialen, Spediteure» und rlnnahm«stellen, sowie Postimlern und Briefträgern. Di« ringeln« Nummer kostet 10 gifg. biedaktion »ad Expedition: Johannilgasi« 8. Telephon Nr. I4SSL Nr. lEi, Nr. 14SS4. Nr «S. Abend-Ausgabe S. KipMerTagMalt HandelszeUung. Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der LLadt Leipzig. Anzeiger»-Preis für Jnseral« au» pc^p^iu und Umgebung d>«-gespaltene PeHl-eiie L> Pt., sinan»>ell« «ngeigea SV Pi., Reklamen l M.; »»» auswta» 3V Pi., Reklamen t.2v Pt^ »omklutlandivPi., ftnani An-n-en7SPl.. Reklamen l.Lo M Inserat«». Behörden n amtlichen Teil 4stPi. Beilagegebüdr b M. p. Lauirnd rxkl. Post gebühr. Beichjjktanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhSht. Rabatt nach Tarii Fefterteilte iluiträge linnen nicht zurück- gezogen werden. Iür da» ikrscheinen an belltmmrrn lagen und Plätzen wird lein« Garantie übernommen Ilngeigen-Annahme: Bugustugpla, 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Anno: cen- Sxpedltionea de« Ja- und Lutlanoe«. -aupk-Stliale verli»i Tarl Du acker, Herzog!. Baor. Hosbuch» Handlung, Lützowltrake 10, (Telephon VI, Nr. 4808). Saupt-Ftlial« Dresden: Seestraße 4,1 (Telephon 4021). Donnerstag 30. April 1908. M. Jabrqanq. Das wichtigste vorn Sage. * Entgegen anderslautenden Meldungen können wir nach direkter Information beim Kultusministerium feststcllen, daß bezüglich der Ferien an den höheren Schulen in diesem Jahre alles beim alten bleibt, eine Uebereinstimmung des Schul ferienbeginns mit dem Beginn der Gcrichtsferien ist für die Zukunst in Aussicht genommen. lS. Lpzg. Ang.s * Die Abreise des Kaiser Paares von Korfu erfolgt Sonnabend. lS. Ttschs. R.I * Rechtsanwalt Liebknecht wurde im Disziplinarver fahren vor dem Ehrengericht der Anwaltskammer frcigc- sprachen. lS. Ttschs. N.s * Tie Verhandlungen zwischen den Acrztcn und dem Kranken- kassenverbande in Köln sind gescheitert, so daß ein neuer Aerztestreik bevorzustchcn scheint. lS. DtschS. R.) * Bei den P e s c a d o r e s i n s c l n ist heute der japanische Schul kreuzer „M atsuschima" untergegangen. Die Zahl der Umgekom menen wird aus 200 Mann geschätzt. lS. Letzte Dcp.s * Tic marokkanischen Gesandten, welche Europa bereisen, über bringen dem Deutschen Kaiser einen Brief Muley Hasids. lS. Ausl.) * Die Thronrede des Königs von Portugal stellt eine Reihe von Reformen in Aussicht. lS. Ausl. u. Letzte Dep.s Neues von Herrn Lrzberger. Herr Erzbcrger ist der Mann der Entdeckungen. Was hat er nicht alles entdeckt, eine Unmenge Kolonialgreuel, die Bestechung mehrere: großer Berliner Blätter zugunsten des Konzostaates, deren Namen er aber trotz dringender Aufforderung nicht zu nennen vermochte oder aus Noblesse unterließ. Fröhlich sah das Zentrum dem lustigen Treiben des Knaben Absalom zu, bis dann Erzbcrger und sein Parteifreund, der ältere und viel würdigere Herr Rocren den Anlaß zum 13. Dezember, zur Kaltsetzung des Zentrums gaben. Zwar wurde Matthias Erzbcrger noch während der Wahlen als Zug- und Reklamcmittcl benutzt und in einigen Tutzend Kreisen als Zähikandidat ausgestellt. Aber nach dem Zusammentritt des Reichstages hielt cs das rcgicrungsliistcrne Zentrum doch für klüger, die Steine des Anstoßes, Rocren und Erzbcrger, etwas in den Hintergrund zu schieben. Erst in allerletzter Zeit hat man ihnen die Zügel etwas lockerer gelosten, und in der Tat, die beiden haben etwas gelernt in der strengen Zucht der disziplingcübtcn Klerikalen, sic haben sich „menagiert". Doch ganz kann auch Herr Erzbcrger die kleinen Seitensprünge vom Wege nach bunten Blumen nicht lassen, und hat jetzt wieder etwas Neues entdeckt, nämlich einen „Seniorcnkonvcnt des Blocks". Den Anlaß bot ihm ein Artikel Dr. Böhmes, Mitglied der wirtschaftlichen Vereinigung des Reichstags, über „Die Grenzen der Blockpolitik" im „Tag", worin unter anderem „die Beseitigung der die Minderheit verletzenden Form der Geschäftsführung" verlangt wird. Herr Böhme bezeichnet es als kleinlich, „wenn eine zufällige Mehrheit einen besonderen Senioren konvent zur stehenden Einrichtung macht und auch bei jedem gleichgülti gen Geschäftsordnungsantrag die Scheidung zwischen Mehrbeit und Minderheit durchführt." Wie auf einen ertappten Verbrecher stürzt sich natürlich Herr Erzbcrger auf diese „Enthüllung". Da haben wirs! tönt's in der nächsten Nummer derselben Zeitung aus einem Artikel Erzbcrgers, betitelt „Ein Seniorcnkonvcnt des Blocks", uns entgegen: durch die Mitteilung Böhmes erhalte eine wiederholt in den Reihen der Minderheit ausgesprochene Vermutung ihre Bestätigung, die geeignet sei, das größte Aufsehen zu erregen. „Denn ein Seniorenkonvent", so fährt Erzbcrger fort, „der jeweiligen Mehrheit ist bisher nicht vorhanden ge- wesen, selbst in den wilden Obstruktionskämpfen um den Zolltarif nicht." Und mit Genugtuung stellt er fest, daß unter der sogenannten Zentrums herrschaft sich nie eine solche Einrichtung, die mit dem Geist der Ge schäftsordnung im Widerspruch stehe, ausgetan habe. Mit dem weisen Rat, zu dessen Erteilung just Herr Erzbcrger der berufenste Mann ist, man möge zu der „guten alten Sitte" zurückkchren und Verabredungen über die Geschäftsführung weder „im Privatkontor des Fürsten Bülow, noch in einer Ehambrc separee des Reichstags" treffen, und mit der furchtbaren Drohung, daß andernfalls die also vergewaltigte Minderheit sich genötigt sehe, zur Obstruktion zu schreiten und olle Pläne der Mehr heit zu durchkreuzen, schließt der Artikel. Diese Darstellung Böhmes und Erzbergers ist geeignet, eine Legen, dcnbildung hervorzurufen, und erheischt eine Entgegnung. Einen „Seniorenkonvent des Blocks" hat cs nicht gegeben und gibt es auch heute nicht. Daß bei so wichtigen und umstrittenen Vorlagen, wie Vereins- gesetz und Börsengesetz, die Vertreter der zu positiver Erledigung ent schlossenen Mehrheitsparteien sich über die geschäftliche Behandlung be- sprechen und einigen, sich auch gegenüber etwaigen Obstruktionsvcrsuchen rüsten und vorbereitcn, das ist ganz selbstverständlich, verstößt in keiner Weise gegen die gute parlamentarische Sitte und ist im Reichstag schon in Dutzenden und Aberdutzenden von Fällen all die Jahre her geübi worden. Wie viele geschäftliche Verhandlungen in den Tagen des November und Dezember 1902, als es sich mm den Kampf um den Zoll, tarif handelte, zwischen den Parteien der Zolltarifmehrheit unter Mit wirkung auch des damaligen Reichstagspräsidenten Graf Ballestrcm ge- pflogen, wie vielerlei geschäftliche Verabredungen damals auch — um Erzbergers geschmackvolle Wendungen zu gebrauchen — „im Privatkontor des Fürsten Pulow", sowie des Grasen Posadowskp oder „in einer Ehambrc fsparee des Reichstags" getroffen worden sind, darüber läßt sich vielleicht Herr Erzberger von seinen Fraktionskollegeu Spahn und Gröber ein Privatissimum lesen. Herr Böhme, der damals so wenig wie Herr Erzbcrger dem Reichstag angehörte, kann das gleiche bei seinem Fraktionsvorsitzenden Liebermann v. Sonnenberg besorgen, lind „Vor wärts" und „Berliner Tageblatt" aus jenen Wochen mögen für Böhme und Erzbcrger des weiteren den Kommentar liefern; die haben etwas gröber und leidenschaftlicher damals genau dasselbe gesagt und gerügt, was die beiden eifrigen Prediger gesunder Parlamentsmoral in ihren jetzigen Artikeln tadeln und wünschen. Man kann wie damals ruhig darüber zur Tagesordnung übergehen und cs Herrn Erzbcrger über lassen, nach neuen Sensationen zu jagen. Japan und China. Tic zurzeit in Ehina herrschende anti ja panische Stim mung hat derart überhandgcnommen, daß dadurch in den offiziellen Beziehungen zwischen Japan und Ehina eine verhängnisvolle Spannung entstanden ist, die die ernstesten Komplikationen befürchten läßt. Bei der chinesischen Bevölkerung macht sich jetzt ein nationales Selbstbewußtsein, das einer Ueberreizung ähnlich stehl, bemerkbar, wie es in der Geschichte des Landes noch niemals zutage getreten ist. Alle persönlichen Zwistigkeiten, so berichtet ein Korrespondent, sind in spon taner Weise beiseite gelegt worden, und es herrscht nunmehr eine Ein tracht, eine Begeisterung und eine Selbstlosigkeit, die gewissermaßen eine überraschende Offenbarung dessen bildet, was das chinesische Volk zu leisten imstande ist. Tie aus Canton eingegangencn Depeschen bestätigen, daß der be- gonnenc Boykott des japanischen Handels dort bereits vollständig durchgcführt ist, und daß die antijapanischc Bewegung in konsequenter Weise verbreitet wird. Ernster als alles andere ist die Tatsache, daß sich in den chinesltchen Volksmassen die Ueberzcugung eingewurzelt hat, ein bewafineler Kon- flikt mit Japan sei unter den obwaltenden Umständen nicht nur un- vermeidlich, sondern sogar auch notwendig geworden, weil nur in der Weise, d. h. durch mis Hervorrufen eines Konfliktes, die Unabhängig keit Chinas auf die Dauer gesichert werden könne. Aus Hongkong eingetroffene Nachrichten wollen wissen, daß die Bevölkerung sich allenthalben bewaffnet, daß große Mengen moderner Gewehre und Munition über Land und über See in das chinesische Gebiet eingeschmuggelt werden, und daß ferner freiwillige Truppen heimlich einexerziert werden. Es sind Anzeichen vorhanden, die darauf schließen lassen, daß die Regierungsbehörden über die herrschende Bewegung und Stimmung genau informiert sind, daß sie jedoch die Augen zudrücken, und die entstandene Gärung als eine natür liche und für Chinas Entwicklung günstige Sache betrachten. Deutsches Reich. Leipzig, SO Avril. * TaS Ende des sächsischen Bergbaus. „Silber tragen seine Berge" konnte einst der Fürst von Sachsen von seinem Lande rühmen, lind unsere neue Zeit mit ihren Weltkonjunkturen bat auch damit aufgeräumt. Fmanzminister Dr. Rüger hat bekanntlich erklärt, daß spätesten« 1913 der Bergbau im Erzgebirge geschlossen werden müsse. Einst war ter sächsische Erzbergbau in aller Welt berühmt und so ergiebig, raß er jährlich den Fürsten des Landes und dem Staate manche Million ein brachte. Aber die Silberadern uno sonstigen Erze sind längst fast ganz geschwunden und der staatliche Bergbau wirst schon lange keinen G wmn mehr ab, sondern er erfordert noch erhebliche Zuschüsse: 1907 etwa 950 000 Deshalb ist der Bergbau mehr und mehr eingeschränkt worden und seine völlige Einstellung ist für das Jahr 1913 in Aussicht ge nommen. Ist dock die Ausbeute an Silber für daö laufende Jabr nur noch auf ca. 3300 leg und die für Blei auf ca. 5600 berechnet, während noch vor wenigen Jahren, nämlich 1900, an Silber 14 347, an Blei beinahe 20 000 lex gefördert wurden. Der Mannschaflöbestand, der 1902 immer noch 2100 betrug, ist zurzeit auf etwa 1300 zufammcn- aeschmolzen. Im Jahre 1913 werden von den zehntausend fleißigen Bergleuten, die einst in Freibergs Umgebung nach silberglclßenecm Erz schürften, noch 600 übrig sein. Es werden daö fast nur bejahrte Arbeiter fein, da sich die jüngeren Kräfte bei Zelten Verdienst in anderen Erwerbsrweigen suchen. Aehnlich liegen die Verhältnisse Feuilleton. Antike Tempel konzentrieren den Gott im Menschen; des Mittelalters Kirchen streben nach dem Gott in dec Höhe. Goethe. * Belgische Lyrik. Tie eigenartige Bewegung, die der belgischen Dichtung erst in den letzten Jahrzehnten kulturelles Gepräge gab, deutet in ihren Motiven unverkennbar auf zwei der vornehmsten Begründer moderner Kunst zurück:-auf Richard Wagncc und die Schule der Präraffaeliten in Eng land. Namentlich in den Werken der letzteren fand Goethes Ruf nach Rückkehr zur Natur den erstarkten Ausdruck einer neuen Zeit, und auch Richard Wagner strebte, wenngleich auf verkehrtem Kiele, mit allen Mitteln seines betörenden Raffinements demselben Ziele zu. Im roma nischen Lager begann man freilich den leisen, feinen Untertönen, die seine Musik hcrüberwchtc, nicht minder bedächtig zu lauschen, als man Tante Gabriel Roscttis und William Morris' Prinzipien von der Malerei auf die Dichtung und insbesondere die Lyrik übertrug. Tic kühle Achtung, zu der man sich endlich den fremden Meistern gegenüber bequemte — sic gehörten einer gutgchaßten Rasse an —, hätte zu jenem Umstürze, der sich etwa um 1880 vollzog, sicherlich nie genügt, batten seine Vorbedingungen nicht in dem von germanischen Elementen vielfach durch setzten französischen Stamme selbst gelegen. In Belgien, dessen literarische Selbständigkeit mit vielem Pathos, aber gleichwohl nur formell einige Dilettanten schon dreißig Jahre vorher ver kündet hatten, regten sich allmählich die Flämcn. Franzosen bloß der Sprache nach, sahen sich ihre Dichter von vornherein auf einen unglück lichen Posten gestellt, der sich um so unhaltbarer gestaltete, je ausgeprägter sich das ibrcm Wesen im Grunde widerstrebenden Formcnspiel der Parnassianer entwickelte. Die einzelnen schüchternen Stimmen, die immer seltener aus ihren Reihen in den allgemeinen Chorus mit- cingeklungcn waren, verstummten bald völlig, und die meisten begnügten sich damit, eines Rufes zu barrcn, der ihrer jungen Kraft neue KampfcS- wegc erschließen sollte. Ta fiel dieser Schlachtruf plötzlich unvermutet von den Lippen Paul Verlaincs. Seine elsässische Herkunft erklärt vielleicht am besten die absonderliche Stellung, in der er seinen Zeitgenossen gegenübcrstand. Mit der ganzen naiven Brutalität, die ihn als Persönlichkeit ebenso scharf wie als Dichter kennzeichnet, riß er sich von ihnen loS, weil er den gefahrlosen Versuch ihrer herkömmlichen VerSkunststückc verschmäbtc. In seiner berühmt ge- wordenen poKtiguo" bekennt er freimütig die wenigen, einfachen Regeln, an die allein — wenn man sic überbaupt noch Regeln nennen kann — seine Dichtung sich kcbren will. ES ist eine Art Programm, das feierlich das Recht des schlichten, den Franzosen bislang unbekannten Lieder proklamiert, ein Programm, das Belgiens stürmischen Talenten wie geschaffen schien, um freudig auf ihm aufzubauen. Freilich gingen die jungen Leute, die nun mit dem von JulcS Lafarguc übcrkoinmcncn freien Versen die Spalten der neugegründcten „Jeune Bclgiquc" füllten, in ihrem Wollen vorerst viel zu weit, aber es war dies nur der unver meidliche Sturm und Drang, dem die Klassizität unmittelbar auf dem Fuße folgte. Bald löste sich aus der bunten Menge von Eintagspoeien, deren einst vielgenannte Namen heute längst wieder der Vergessenheit anheimgefallen sind, leuchtend die kleine Gruppe jener Dichter ab, deren überragende Größe auch der fremden Litcrarhistorik den Begriff einer belgischen Lyrik Ggl. auch Otto Hausers glänzende Studie „Tie Lyrik der Belgier") achtunggebietend cinvrägtc. Emile Verharren scheint mit vollem Rechte als Haupt dieses kleinen Kreises genannt zu werden. Nicht allein sein gewaltiges Können, das die meisten Lyriker seiner Heimat bei weitem übertrifft, sichert ihm diesen Rang, sondern noch mehr der klare Ueberblick, der sich gerade aus dein Werocgange dieses Dichters über die ganze Bewegung seiner Zeit ergibt. Verharren war in seinen Anfängen nichts weniger als originell. Durch das kalte Geäder »einer Erstiingkverse, die De Lislcs Traditionen nir- gends verleugnen, fließen die Tropfen flämischen Blutes sehr spärlich. Nur manchmal scheint der Dichter in .1^« blamuncko»" und „l.tv ^loineles" die Ziele, denen feine Lyrik zustccbt, fluchtig andeuten zu wollen. Auf den ersten Blick verrät sich bloß seine wunderbare Gabe, Landschaften fcsizuhalten, eine Gabe, dir in ihrer virtuosen Ausbildung unwilliürlich an dir Bildwerke alter niederländischer Maler denken läßt. Dabei sind es drei Formen des Landes, die Verharrens Kunst wieder spiegelt: das satte Flachland mit seinen gedrängten, schweren Farben, die unendlichen Hcidcflächcn mit dem grauen, eintönigen Rcgcnhimmcl und die alten toten Städte, durch deren Straßen zerknirschte Büßer unter hageren Mönchen wandeln. Immer wieder müssen die reichen christlich historischen Reminiszenzen dieser flandrischen Städte den Dichter aus das Gebiet der Mystik hinüberziehen, die aber kühl bleibt wie das Innere dec Kirchen, in denen die Bilderstürmer ihre Opfer suchten. Viel sicherer versiebt sich Verharren aus derbe, kraftvolle Motive, rauhe, packt ndc Szenen aus dem bäurischen Volke, die ihm unvergleichlich besser gelingen als GefühlSlyrik. Den vollen, scharfen Eigentor» findet diese erst in Vcrhacrens erster, seinen jungen Ruhm begründenden Trilogie. Man könnte „h,e« 8oirs - „1.04 Debkiksies" und „Oos I'Iaruboriux noirs" eine KrankhcitSgeschichtc nennen, in der ein siecher Körper mit einer wunden Seele ringt. Es ist sein eigenes zerrüttetes Nervensystem, das uns der Dichter bald mit lautem Schmerzensschrei, bald mit der Wollust des SclbstpeinigerS enthüllt. In den visionären Bildern ihrer wirren Träume, in der suggestiven Kraft ihrer Halluzinationen erinnern diese Verse vielfach an die erschütternden Strophen, die Paul Verla,ne, wenn er aus dem Alltag geflüchtet war, im Absinthrauschc niederschrieb. Aber wie dieser nach den schauerlickistcn PhantaSmagorien in der Kerker- zelle zu MonS plötzlich fremde, glockcnticfe Töne eines reinen Friedens fand, so leitet auch Verharrens Dichtung allmählich zur Abklärung hin über. Neber .Do-, .^pporns cksn-i mn°i osiomins". ein Buch, das halb fromm, halb wild anmutct, gelangen wir zu Verharrens zweiter Trilogie und erblicken ihn nun in der Vollentfaltung seiner Kraft. Die eigenen Leiden sind vergeßen und allgemein menschliche Motive klingen an. Die kurzen Skizzen, die er von den flandrischen Städten in „H Viklng«^ illusoires und Villen tontaousairos entwirft, sind crgieifende Zeugen sozialen Elends, und auch in Oampaxuo? sialluoinec5 sinnt Vcrhaercn ernsthaft darüber nach, wie uns Güte und Liebe, Friede und Glück allein erfüllen könnten. Und seltsam ist da der Ausklang dieses Buches, eine Art Buddhismus: nur das Abtöten des Wunsches, völlige Resignation auf die Freude wird jene höchsten Güter verleihen. Ist cs bei Emile Vcrhaercn das innige Anschmicgcn an die Heimat- lichc Scholle, die ibm zum reichen Quelle philosophischer Seldstvertiefung wird, so ist cs bei Georges Rodenbach gerade umgekehrt eine Art Koketterie, die ihn von den stummen Wundern seines Landes bis in das Reich des Transzendentalen hinübcrschweifen läßt. Nichts charakterisiert diesen parfümierten Dichter der Tekadcnzc, der elegant- träumerisch stets über Oberflächlichkeiten gleitet, mehr als die schwärmerische treue Liebe zu dem toten Brügge, dem nordischen Venedig, in dem wie Gcigcnsang die Märchen der Vergangenheit klingen. Auf der anderen Seite ist cS wieder eine verblüffende Originalität, die bei Rodenbach die trivialsten Erleb nisse, die prosaischsten Tinge mi: einem geheimen Schimmer lichter Schön, heit kunstvoll zu umkleiden weiß. Eine Episode, die HuySmans crzäblt, erhellt zur Genüge diese Originalität: Man stelle sich einen Wettbewerb von Dichtern vor, denen man die „Gaslatcrncn" als Thenia gestellt hat. Die meisten wurden die Ausgabe N'.r eine sehr undankbare halten, um sich um einige.: Verse willen den Kops zu zerbrechen. Rodenbach spottete der Schwierigkeiten und schrieb zum Preise der Laternen sieben köstliche Ge dichte, voll neuer Bilder, voll von unerwarteten V.'gleichen; er belebte die rti hripender, verwandelte sie in en p», idcndc G.schöpfe, deren Klagen er sodann mit herber Wehmut verkündete. Rodenbach hat uns — obwohl er in verhältnismäßig jungen Jahren gestorben ist — eine stattliche An- zahl von Gedichtbanden binterlasscn. Gleichwohl möchte ich unter seinen Sammlungen bloß auf „I.o Ikegno ein Kileuoo" lind via« onelosas" Hinweisen, nicht allein etwa, weil sie seine übrigen Schöpfungen an Ge halt um ein Bedeutendes überragen, sondern vielmehr deshalb, weil sie die Eigenart Rodenbachs am schönsten wicdcrgebcn. Auch tritt in der Form der souverän beherrschte freie Vers nun öfter hervor als bisher. In seiner Weltanschauung freilich ist Rodenbach auch diesmal derselbe Träumer geblieben, den seine Freunde von Anfang an in ihm erkannten, den sie oft genug verspotteten und ebenso oft nachahmtcn. Selbst Maurice Maeterlinck finden wir unter der Schar jener, die sich der Einflüsse Rodenbachs nicht erwehren konnten, nur daß seine Mystik unendlich weiter geht. Maeterlinck, an dem Selbständig- kcitskampfc seiner Zeitgenossen eng beteiligt, erfährt als Lyriker ein sonderbares Geschick. Liest man jedes seiner Dramen, genießt man freudig immer und immer wieder die zahllosen zarten, duftigen Stellen, die — manchmal über ganze Akte reichend — voll graziöser Linien, voll weicher Stimmungen, voll tiefgehender Empfindung sind. Traumvcrsonncn lausckit er da den reinen Klängen, die still auf dem Grunde seiner Seele scküum- mern. Selbst seine Prosa wird zum Gedicht — eine Erscheinung, der wir sonst nur in den Dramen eines Gabriel d'Annunzio, bisweilen in jenen Edmond RostandS begegnen. Rehmen wir aber seine Gedichte zur Hand, wundern wir uns nicht genug über die verschrobensten Bilder, die gewaltsamsten Vergleiche, die gesuchtesten Situationen. „Tristo^-k," ist das immer wicderkehrcndc Wort seiner „Korros osisuckos", denen er seinen stetig wachsenden Ruf sicherlich ebensowenig verdankt wie jenen zwölf Gedichten, die Oppcln-Bronikowskl mit vieler Technik zwecklos niS
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