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7« des Wochenblattes für Wilsdruff re. Die Söhne des Waffenschmieds. Original-Roman von E. Heinrichs. ^Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Während John Watson sich in fliegender Eile nach Longfields Hause ! begab, was immerhin schon eine ziemliche Reise war, kam Frau Rositta ^gefahren, um Betsie zu besuchen. Di« Thür zu der elenden Wohnung ivar unverschlossen, da die Unglücklichen keine Diebe zu fürchten hatten, und ungehindert konnte sie deshalb bei der Kranken eintreten. „O, theure Missis!" hustete Betsie, „hat John Sie schon unterwegs getroffen?" „Nein, Betsie, mein Wagen hält unten auf der Straße, ich habe Deinen ! Mann nicht gesehen. Bist Du denn ganz allein?" „Ich mußte Missis sprechen, ehe es mit mir zu Ende geht; da schickte ich John, um Sie zu bitten, liebe Mrs. Longfield! — Aber das hat Gott s so gefügt, auf daß ich mich zu Ihnen allein aussprechen kann. John hat vor einem halben Jahre oder noch länger einen Mr. North kennen gelernt, ! welcher unserem James merkwürdig ähnlich sieht — wenn man ihm näm- I lich nicht in die Augen schaut; dann aber erschrickt man vor dem bösen Blick. Auch ist er nicht so groß und stattlich wie Mr. James." „Du meinst doch meinen Sohn, Betsie?" fragte Frau Rositta nach denklich. „Freilich, unseren lieben Mr. James! — Ach — der schlimme Husten — die Beklemmung! — Verzeihen Missis!" Die menschenfreundliche Frau Rositta holte rasch die Medizin und flößte ihr dieselbe sorgsam ein. „Das viele Sprechen greift Dich zu sehr ! an, meine arme Betsie!" „O, das schadet mir nicht mehr, liebe Missis! Ich muß eilen, ehe j der Tod mich packt," flüsterte Betsie mit einem dankbaren Lächeln. „Nun geht's wieder. Ich freute mich, als vor vielen Wochen Mr. North ab reiste, wie John mir sagte, weil derselbe immer geheime Dinge mit ihm zu verhandeln hatte. Nun ist er plötzlich wieder da, gestern Abend — hier in der Stube war der Patron — o, er trägt einen feinen Rock und will ein Gentleman sein, wie John sagte; aber er ist ein Bösewicht. Ich wachte auf und verstand Einiges, es war von Polizei und Newgate die Rede, er versuchte meinen Sohn zu etwas Bösem zu überreden. Heute Abend kommt er wieder, vielleicht findet er mich todt, dann ist der schwache John verloren. O, meine theure Mrs. Longfield, was soll ich anfangen, um ihn zu retten? Ich kann nicht sterben vor dieser schrecklichen Angst, daß John ein Verbrecher wird!" Frau Rositta war immer nachdenklicher geworden, jetzt drückte sie sanft die Hand der Kranken und sprach entschlossen: „Beruhige Dich, gute Betsie, ich werde heute Abend mit Mr. Longfield hierher kommen, um diesen Mr. North selber zu sehen und John Watson zu warnen. Er soll kein Ver brecher werden, wenn wir es hindern können. Um welche Zeit wird jener Mensch hier sei»?" „Als er fortgegangen war, schlug's vom nahen Thurm« Acht, ich zählte die Schläge." „Gut, meine Liebe, ich komme ganz bestimmt mit Mr. Longfield um diese Stunde oder auch noch früher hierher. Wir wollen Alles thun, um John auf den guten Weg zu führen, das verspreche ich Dir. Hast Du sonst noch einen Wunsch, den ich Dir erfüllen könnte, meine arme Betsie?" „O, meine theure Mrs. Longfield, wie gut Sie doch zu mir sind," flüsterte die Kranke mit einem dankbar verklärten Blick. „Gott segne Sie dafür und schenke Ihnen das reichste Glück immerdar, — Sie haben es verdient. — Nun will ich ruhig sterben, da ich weiß, daß ich John der einst im Himmel wiedersehe, ihn und mein liebes Baby —" Ihre letzten Worte waren kaum mehr verständlich, sie schloß die Augen und athmete schwer. Frau Rositta beugte sich erschreckt über sie und be feuchtete ihre trockenen Lippen mit etwas Wein. Dann blieb sie neben dem Lager sitzen, um den Schlummer der Sterbenden zu bewachen, denn daß Betsie bereits eine solche war, ließ keinen Zweifel mehr zu. Die gute Mrs. Longfield war zu menschenfreundlich, um die Aermste jetzt allein zu lassen, — sie wartete vielmehr die Rückkehr des Mannes ab, um diesen alsdann noch einmal die Mahnung einzuschärfen, sein sterbendes Weib unter keinen Umständen zu verlassen und den letzten Kampf der Armen soviel wie mög lich zu erleichtern. Dann ging sie fort. John Watson hatte stets eine geheime Scheu vor Mrs. Longfield em pfunden, besonders aber, seitdem er sich dem lüderlichen Lebenswandel nun gänzlich ergeben. Ihr strenges Pflichtgefühl verbunden mit einer sich stets gleichbleibenden ruhigen Würde, hatte ihm schon immer gewaltigen Respekt ingeflößt, weshalb er erleichtert aufathmete, als sie nach seiner Heimkehr sich entfernte. Er setzte sich gehorsam an das Bett der sterbenden Gattin und machte bei dem letzten Kampf derselben die ganze Skala jener Höllen qualen durch, welche das Gewissen in solchen Stunden selbst dem verhärteten Bösewicht zu bereiten pflegt. Bevor die Nacht ihren Schatten über die Riesenstadt ausbreitete, hatte mit so vielen anderen Leidenden auch die arme Betsie ausgemngen. John saß wie vernichtet neben der Leiche, er zündete kein Licht an, weil er den Anblick des stillen Antlitzes jetzt fürchtete, und war nicht im Stande, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, bis ihn ein leises Klopfen an der Thür jäh emporschreckte. Er ging mit schwankenden Schritten, um zu öffnen und scheu in den Gang hinauszustarren. „Wer ist da?" „Ich bin's, Watson!" John fuhr zusammen. „Ich will Licht machen, Mr. North!" murmelte er, ein Feuerzeug hervorziehend, um die Lampe anzuzünden. North war ohne Umstände eingetreten. „Wie geht's der Kranken?" fragte er leise. ^Jhr geht's wohl, Mr. North! — Sehen Sie selber hin." Die schwarzen Augen des Gentleman flogen scharf nach dem ärmlichen Lager, wo das schneeweiße Gesicht der Todten noch unverhüllt sich zeigte. „Ah, es ist vorbei mit ihr? — Hm, das thut mir leid, Watson! —In dessen, wie die Sache stand, könnt ihr die Ruhe ihr gönnen, — wie?" John schwieg und starrte düster auf das Lager hin. „Ich will Euch heut' Abend nicht länger stören," nahm Mr. North nach einer Pause wieder das Wort. „Wollt Ihr die Leiche hier behalten?"