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Wochenblatt für für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden 1884 Freitag, dm 1. Februar Nr. 1« Erschein, wöchentlich 2 Mal Dienstag und Freitag Nbonnemenisprcis vierteljährlich 1 Marl Eine einzelne Nummer kostet 10 Pf. Jnseratenannahme Montags u. Donnerstag« bis Mitta, 12 Uhr Erscheint wöcheutlich S Mal Dienstag und Freitag. NbvnnementSpreis ie rteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer k»stet^.O Pf. Jnseratenannahme Montags ».Donnerstags bis Mittag 12 Uhr. für die Köllig!. Amtshauptmannschast zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Witsdruss. Bierundvierzigster Jahrgang. Tagesgeschichte. Wenn von der Möglichkeit einer Störung des europäischen Frie dens die Rede war, so galten stets Frankreich und Rußland als diejenigen Mächte, von denen eine solche ausgehen könnte. Nach der von Rußland neuerlich eingenommenen Haltung und den Versicherungen der dort maßgebenden Persönlichkeiten, sollte man aber doch meinen, daß in Petersburg auf längere Zeit hinaus eine friedliche Politik die Oberhand behalten werde. Es bliebe somit nur Frankreich übrig; allein auch hier fällt ein Umstand zu Gunsten der Erhaltung des euro päischen Friedens schwer in's Gewicht. Plan darf nicht vergessen, daß Frankreich mit dem Lande gerade jetzt in ein gespanntes Verhältniß getreten ist, dessen Bündniß und guten Dienste ihm am leichtesten zu gänglich waren: es hat verstanden, sich England zn entfremden, wäh rend das Frankreich freundlichste Ministerium in London am Ruder ist, welches überhaupt dort gebildet werden konnte. Es muß derart gefaßt sein, beim ersten Kanonenschuß auf dem Kontinent die Kolonien, die es seit dem Jahre 1815 gewonnen hat, den Weg gehen zu sehen, den seine früheren Kolonien gegangen siud. Der Einsatz, den es jetzt in einem von ihm herausgeforderten Kriege machen würde, läge in seiner Stellung im Mittelmeer, in Nordamerika und Ostasien. Wäh rend es dem entfesselten deutschen Sturme gegenüber zu treten hätte, wäre seine Weltstellung schon von Anfang verloren. Diese Thatsachen liegen so offen da, daß man in ihnen die Bürgschaften des Frie dens in jeder Richtung konstatiren darf. Einem friedlich gesinnten Frankreich die Rolle im Völkerleben einzuräumen, die einer so großen Nation gebührt, wird immer das Verfahren einer verständigen und vorsorgenden Politik sein. Berlin, 29. Januar. Die „Nat.-Ztg." schreibt: „Mit großer Beharrlichkeit erhält sich das Gerücht, der Statthalter von Elsaß- Lothringen Generalfeldmarschall Frhr. v. Manteuffel werde von seinem Posten zurücktreten und durch den kürzlich zum Oberstkämmerer er nannten Grafen Otto zu Stolberg-Wernigerode ersetzt werden. Wir registriren das Gerücht, obgleich uns verschiedene Gründe seine Wahr scheinlichkeit in Frage stellen lassen. Berlin, 29. Jamiar. Das hiesige „Tageblatt" meldet: Ein Verbrechen, das in der verflossenen Nacht im Südvsten"Berlins in der Gegend des Mariannenusers verübt wurde, macht in der dortigen Stadtgegend viel von sich reden. Aus mancherlei sich widersprechen den Mittheilungen und Gerüchten läßt sich so viel mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß der Feilenhauer F. in der verwichenen Nacht mit mehreren anderen Personen, mit denen er wahrscheinlich persönlich bekannt war, in Streit gerieth und von zweien derselben in den Kanal gestoßen wurde. Passanten wollen mehrfache Hülferufe eiues mit den Wellen Ringenden vernommen haben. Als Letzterer aus dem Wasser gezogen wurde, mußte das Leben bereits entflohen sein, denn die Wie derbelebungsversuche blieben vergeblich. Die muthmaßlichen Thäter sind bereits verhaftet, die Aufklärung des Falles dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Zwei Artilleristen und ein Infanterist, weiche zum Besuche ihrer Familien in der Nähe von Bückeburg waren, kehrten in der Dunkel heit auf dem Bahndamme zurück, wichen einem entgegenkommenden Güterzuge aus, indem sie auf das zweite Geleis traten und wurden von einem hinter ihnen auf diesem zweiten Geleise heraubrausenden Personenzuge überfahren! Drei Leichen! Die badische Abgeordnetenkammer bewilligte am 29. ds. 66.000 Mk. für besondere Vorarbeiten zur Erhaltung des Heidelberger Schlosses. Der Finanzminister bezeichnete es als eine der badischen Regierung obliegende Aufgabe, die Vorarbeiten zu veranlassen und so die Ent scheidung über das künftige Schicksal des wichtigen Baudenkmals her beizuführen; ob die Inanspruchnahme der gesammten deutschen Nation dazu nothwendig werde, könne er jetzt noch nicht nüttheilen. Ein Prozeß, wie er wohl zu den Seltenheiten gehört, ist von einem Agenten in Hamburg gerichtlich anhängig gemacht. Derselbe h"^ vor einigen Jahren ein Verlöbniß mit einer Braunschweigerin geschlossen, die ein Vermögen von angenommen 15,000 M. haben sollte. Die Sache ging zurück und der Agent ehelichte alsbald seine jetzige Frau mit einem Vermögen von ca. 10,000 M. Später erfuhr nun der überall kaufmännisch rechnende Gatte, daß sein erstes Ver hältniß durch eme ungünstige Auskunft eines Kaufmanns gelöst wor den sei und verklagt er nun Letzteren auf die Differenz von 5000 M., welche er bei Ehelichung der ersten Braut mehr erobert haben würde, lieber den Geschmack eines derartigen Differenzgeschäftes läßt sich nicht streiten. Wie angenehm die Frau wohl durch einen derartigen Prozeß berührt sein mag. Der Geheim-Polizist Vlöch in dem Wiener Vorort Floridsdorf fiel von fünf Schüssen. Er war kaum aus seinem Hause getreten, so gab sein Mörder den ersten Schuß aus ihn ab, der ihn nicht traf, Blöch fuhr mit der Hand nach seinem Revolver, stürzte aber, noch ehe er ihn brauchen konnte, von 4 tödtlichen Schüssen getroffen, ohne einen Laut nieder. Der Mörder stürzte sich über ihn, nahm ihm Uhr und Brieftasche ab und flüchtete sich. Er wurde verfolgt, es entstand Mw lange Hetzjagd; der Mörder floh über einen seichten Arm der Donau und rief den Arbeitern am jenseitigen Ufer zu: Laßt mich, ich führe eure Sache! bedrohte sie aber zugleich mit dem Revolver. Dem einen Arbeiter, der ihm zu nahe kam, streckte er mit zwei Schüssen in das Bein nieder und lief weiter; da stolperte er, fiel und im Nu hatten mehrere Arbeiter ihn gepackt; Polizisten kamen herbei und nah men ihn in Empfang. Er ließ sich ruhig führen, machte aber plötz lich eine Wendung mit dem Arm, als wollte er sein Schnupftuch brauchen, zog schnell wie der Blitz eine große Dynamitpatrone aus der Tasche und schleuderte sie auf die Erde. Hätte die Patrone einen Stein getroffen, so waren Alle verloren, wie die Sachverständigen sagen, sie hätte 100 Mann tödten können, sie fiel aber auf nassen und weichen Boden und zündete nicht. Der Unmensch trug drei Revolver, an lOO Revolverpatronen, noch einige Dynamitpatronen und einen Dolch. Sein langer Bart war falsch, nur angeklebt. Als ihn der Polizeikommissar fragte, warum haben Sie Blöch ermordet? rief er schäumend vor Wuth: Aus Rache, er hat viele von uns (?) unglück lich gemacht, er war zum Tode vernrtheilt und hat sterben müssen! — Den Wachleuten rief er beim Photographen zu: Ihr elenden Ca naillen, wartet nur, Ihr kommt Alle dran! — Seinen Namen nennt er durchaus nicht, erklärt aber, einer geheimen Verbindung anzugehören, die alles ruiniren und alles umgestalten will. Seine Sprache ist die norddeutsche, seine Wäsche ziemlich neu und ohne Abzeichen, an Geld trug er etwa einen Gulden bei sich. In den Zeitungen wird er der „Schütz von Floridsdorf" genannt, nach einer Flugschrift, in welcher der Polizei zugerufen wurde, „Der Schütz von Fl. lebt noch." Der Mörder des Detektivs Blöch besteht andauernd auf seiner Namensverweigerung, benimmt sich aber so rabiat, daß er in Ketten gelegt werden mußte. Er rühmt sich, Blöch scharf auf's Korn ge nommen zu haben und das Exekutivorga« einer Partei zu sein, die Blöch znm Tode verurtheilt hatte. Der Haftbefehl wurde ihm bereits eingehändigt. Die Polizeidirektivn erläßt eine Kundmachung mit dem genauen Signalement des Mörders. — Heute liegt in sämmtlichen Wiener Wachstuben die Photographie des Mörders zur öffentlichen Besichtigung auf. Der seit mehr als 3 Wochen arbeitslose Wagnergehilfe Vincenz Schaffe! meldete sich in Wien Abends auf dem Polizei-Kommissariate in Ottakring unterstandslos. Als er dem amtirenden Polizei-Kommis sare vorgesührt wurde, gab er an, daß er am 26. d. M. um 8 Uhr Abends auf einer Bodenabtheilung des Hülsenfrüchten-Händlers Walgny in Hernals seinem 6jährigen Sohne Franz mit einem Taschenmesser den Hals durchschnitten habe. Das arme Kind starb nach kurzer Zeit an den Folgen der Verletzungen, und der entmenschte Vater ver grub seinem Geständnisse nach die Leiche in Stroh. Die Kommission, die sich sofort an Ort und Stelle begab, konstatirte alsbald, daß das schreckliche Geständniß Schaffek's der Wahrheit vollständig entspreche. Der Mörder gab an, die gräßliche That aus Noth gethan zu haben. Italien. Der 25. Januar hat in würdigster Weise die große Nationalfeier der Wallfahrt zum Grab Viktor Emanuels beschlossen. Die Besorgniß, die dreimalige Wiederholung werde den Effekt schwächen, war unbegründet. Im Gegentheil, der letzte Zug war der imposan teste und zahlreichste, wohl 30,000 Bürger aller Klaffen in bunter Mischung nahmen daran Antheil. Das Defiliren dauerte über 4 Stunden, belebt von Tausenden von Fahnen und Standarten und 35 städtischen Musikbanden. Auch die Kunst gelangte diesmal zum Aus druck. Mehrere Kommunen, vor allen Siena, hatten ihre Banner träger und Amtsdiener in die malerischen Trachten des Mittelalters gekleidet. Kein Unfall störte die Demonstration eines in Einheit und Freiheit verbundenen Volkes. Auch in Paris hat der orkanähnliche Sturm der letzten Tage 2 Menschen getödtet und 30 verwundet. London. Während des Sturmes am Sonnabend scheiterte in der Nähe der Mersenmündung das von Liverpool nach Calcutta be stimmte eiserne Segelschiff „Juno". Die aus 25 Personen bestehende Mannschaft ist hierbei umgekommen. Waterla »risches. Wilsdruff. Die letzte am Dienstag stattgefundene Versammlung des Gewerbevereins war durch den Vortrag seines geschätzten Ehrenmitgliedes, des Herrn Bürgermeister Ficker, eine wiederum in teressante und belehrende. Derselbe hatte sich als Thema: „den Frie den" gewählt, welches er in beinahe einstündigem freien Vortrage behandelte. Der geehrte Redner schilderte zunächst das Glück des Friedens im Lande und Reich und gedachte dabei des Heldenkaisers Wilhelm und seiner Räthe, sowie der Volksvertreter im Reiche, welchen es bis jetzt gelungen, den Frieden nach Außen zu sichern und welche Alles daran setzen, durch weise Gesetze den Frieden im Innern des großen deutschen Vaterlandes zu befestigen und dauernd zn sichern. Längere Zeit hielt sich dann der Herr Vortragende „im Haus und in der Familie" auf, die hohe Bedeutung betonend, wie nothwendig der Friede zwischen dem Gatten nnd der Gattin, zwischen Eltern und Kin dern, zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, zwischen Meistern, Gesellen und Lernenden sei und welch großer Segen daraus für Alle hervor gehe. Weiter wies der geehrte Herr Redner nach und gab Beispiele dafür, daß Gottesfurcht und Nächstenliebe die Grundpfeiler des menschlichen Glückes bilden und wenn diese in Haus und Familie vor handen — und wo nicht — wiederum Einkehr halten, dann werde sich unsere heutige soziale Frage leichter lösen und jeder Einzelne dazu beitragen. So aufmerksam die zahlreich Anwesenden dem Vortrage zugehört, so lebhaft war auch der Dank dafür, welcher auch in herzlichen Worten des Vorsitzenden und seitens aller Anwesenden durch Erheben von ihren Plätzen Ausdruck fand. Der als Gast anwesende