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pel über die Mittel, gewissenlos und furchtlos. Die Nihilisten haßten ihn wie das Feuer. Einem jungen Nihilisten Jablonski hatte er Be gnadigung erwirkt unter der Bedingung, daß er Geheimpolizist werde. Dieser war ihm ganz ergeben und wurde sein Vertrauter. Er half bei vielen Entdeckungen und die Nihilisten schworen ihm den Tod, wenn er ihnen nicht Sudeikin in die Hände spiele. Dies gelang. Sudeikin kam neulich Abends mit einem jungen Vetter zu Jablonski ins Zimmer und wurde, während er am Tische sitzend plauderte, mit einem Schuß aus einer dunkeln Kammer niedergestreckt und dann von vier Männer, die auf ihn eindrangen, mit zahllosen Hieben und Stichen ermordet. Die Nihilisten entflohen, der jnnge Vetter war anscheinend tödtlich verwundet und im Stiche gelassen worden. Das rettete ihm das Leben. Das ist das neueste Nachtstück in Petersburg. Nihilisten, Polizisten, Verschwörungen, geheimnißvolle Verhaftungen und Ermor dungen — das ist der ewige Kreislauf in Rußland. Gottlob, wer dem allen nur aus der Ferne zuzusehen braucht. Die Zögerung Englands, dem Khedive von Egypten gegen den Mahdi Beistand zu leisten, hat in den leitenden egyptifchen Kreisen offenbar eine tiefe Verstimmung gegen den früheren Retter aus der Noth erzeugt. Diese Verstimmung spiegelt sich in einer Note der egyptischen Regierung an die englische wieder; in derselben heißt es, daß Egypten den Ostsudan an die Türkei abtreten wolle, wenn Eng land noch länger seinen Beistand verweigere und würde sich Egypten alsdann mit 15,000 Mann innerhalb seiner engeren Grenzen schon selbst zu schützen wissen. Unterdessen gestalten sich die Dinge im Sü den Egyptens immer drohender. Der Schwager des Mahdi steht mit einer starken Abtheilung nur noch 30 Meilen von Chartum und jetzt mischen sich außerdem auch die Abyssinier in die sudanesischen Händel. Dieselben marschiren auf die egyptische Haien- und Handelsstadt Massovah und diesem neuen Feind gegenüber fühlen sich die egyp tischen Truppen vollständig ohnmächtig. Es wird denn auch gemeldet, daß Baker Pascha von Suakim aufgebrochen sei, um mit den Führern der Abyssinier über den Rückzug der Chartumer Garnison durch abys- sinisches Gebiet zu unterhandeln. Vaterländisches. Wilsdruff. Nach dem uns vorliegenden Programm zu dem heute Abend im „goldnen Löwen" stattfiudenden „musikalischen Kränzchen" der Gesellschaft Liedertafel, verspricht dieser Abend wiederum ein höchst genußreicher zu werden; wir unterlassen des halb nicht, die Mitglieder der Liedertafel noch besonders darauf auf merksam zu machen und zum Besuch aufzumuntern. — Der intelligente und strebsame Wirth zum „Hotel Adler" hier arrangirt für Mittwoch den 6. Februar in den Räumen seines Hotels einen großen Maskenball, wozu heute vorläufige Anzeige erfolgt. Wir sind überzeugt, daß Herr Gietzelt alles Mögliche thun wird, um allen Theilnehmern vergnügte Stunden zu bereiten. Billets für Herren 1 Mk., für Damen 50 Pf., sind bei Herrn Gietzelt zu haben. Möge sein Unternehmen genügende Unterstützung finden. — Nach der Ende 1883 erfolgten Consignation werden in diesiger Stadt 122 Pferde und 356 Rinder gehalten. Das sind gegen das Jahr 1882 siebenunddreißig Rinder weniger. — In Freiberg fand Mittwoch Vormittag ^9 Uhr die Hin- richtunng des wegen Mordes vom dortigen Schwurgerichtshofe zum Tode verurtheilten Handarbeiters Wilhelm Theodor Schmidt aus Pobershau mittelst der, von dem sächsischen Landesscharfrichter Brand aus Pfaffroda bedienten Guillotine statt. Der Mörder, eine nicht unsympathische Erscheinung von übermittelmäßigen Körperbau verließ mit dem Glockenschlage festen Schrittes seine Zelle, geführt von zwei Gerichtsdienern und begleitet von dem Arresthausinspeklor sowie dem Anstaltsgeistlichen. Einen flüchtigen Blick nach der links von seinem Standpunkte errichteten Guillotine werfend, blieb Schmidt bei der Ansprache des Herrn Staatsanwaltes Bernhard völlig regungslos und nachdem er dem Scharfrichter übergeben war, ließ er sich willig auf das Bret schnallen, wenige Seunden später und — der Gerech tigkeit war Genüge geschehen. Schmidt hat in den letzten Stunden seines Lebens durchaus keine ernstliche Reue gezeigt, verabschiedete sich aber sehr warm von seiner armen Mutter, die wiederholt, selbst verständlich vergeblich, um Gnade für ihren „guten verführten Sohn" gebeten hatte. — Eine Doppelehe! Vom Landgericht zu Freiberg wurde dieser Tage der 34jährige Schuhmacher uud Bergarbeiter Walde aus Oschatz, zuletzt in Strehla bei Riesa wohnhaft, wegen Doppelehe zu 1^2 Jahren Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 5 Jahren verurtheilt. Derselbe ging am 17. Juni 1883 eine neue Ehe vor dem Standesbeamten zu Üanghennersdorf ein, bevor seine frühere Ehe aufgelöst, für ungültig oder für nichtig erklärt worden war. Man sieht, daß der Standesbeamte nicht vor sichtig genug sein kann. — In der Umgegend von Taucha ist dieser Tage ein schweres Verbrechen verübt worden. Ein Dienstknecht aus Hohenhaida ist auf dem Wege nach Mutzschlena von einem zur Zeit noch unbekannten Manne, der sich ihm zugesellt, überfallen, gräßlich zugerichtet und seiner Baarschaft von 36 M. beraubt worden. Dringender Verdacht der Verübung lenkt sich auf einen in den zwanziger Jahren stehenden Dienstknecht Namens Ruhland aus Pressel i. V. — Leisnig. Im Juni 1881 brach in einem Gute zu Altleisnig ein Schadenfeuer aus, welches sämmtliche Gebäude in Asche legte. Dieser Tage hat sich nun der Verdacht der vorsätzlichen Brandstiftung auf den Besitzer des Gutes und dessen Vater gelenkt, so daß die Gendarmerie Beide bereits arretirt und an das hiesige k. Amtsgericht eingeliefert hat. Cin WerhnachtöabL'nd. Novelle von Emilie Heinrichs. (Fortsetzung.) Marie schaute Charles an voll inniger Liebe, sie wußte es, daß sie niemals einem andern Manne angehören könne, und ihre Thränen flossen unaufhaltsam. Stumm hielten sie sich umschlungen, und die Zeit entfloh, wäh rend die Außenwelt um sie versank. Plötzlich öffnete der Doktor den Wagen und nahm einige Decken und Tücher heraus. „Kommen Sie rasch, liebe Marie, das Elend und der Jammer sind groß. — Sie bleiben hier, Gerard," setzte er gebieterisch hinzu. Marie raffte zusammen, was sie zu tragen vermochte und verließ den Wagen, während «Charles zurückblieb. Ja, der Jammer war unbeschreiblich und die Thränen der Un glücklichen, die hier ohne Obdach und Nahrung, in dürftiger Kleidung der eisigen Kälte, dem furchtbaren Schneesturm preisgegeben wärest durch die brutalste Willkür, schrie zum Himmel. Das Fest heiligster Liebe wurde an diesem Tage zum grausamsten Spott. Der Doktor, dessen mitleidiges Herz überwallte, war rastlos in mitten vieler Greuel. Diejenigen, die Kräfte genug hatten, ihr Heil weiter zu versuchen, wandten sich sofort nach Altona. „Ihr findet das Thor geöffnet," sagte er zu ihnen, „geht getrost dort werdet Ihr Beistand finden." Aber die hilflosen Greise, welche sich nur mühsam weiterschleppen konnten, und die Kranken, die den schneebedeckten Boden zur Lagerstätte erhallen, sie konnten nicht weiter, uud Viele schlossen ihre Augen zum ewigen Schlaf, mit dem letztem Alhemzuge noch eine schwere Verwün schung gegen die Mörder ausstoßeud. Doch nicht genug, daß man die Armen aus der eigenen Behausung getrieben, die französischen Schergen hatten ihre Lust daran, die Grau samkeiten zu verdoppeln, indem sie vielfach die Angehörigen trennten und die Kinder zu dem einen, die Eltern zum andern Thore wie Ver brecher hinausstießen. Wie viele Kinder kamen an diesem schreckliche» Weihnachtsabend elendiglich um, wie viele jammernde Eltern suchten nach ihren Kleinen und fanden sie nie wieder. Eine Zeit lang blieb Charles unbeweglich im Wagen sitzen, daun erhob er sich entschlossen. Der Gedanke, daß seine Schwestar auf Anstiften des schurkischen Oberst vielleicht von dem todtkrankeu Gatten uud den unmündigen Kindern getrennt, in tödtlicher Gefahr schwebte, machte jede Fieber in ihm erbeben. Er vermochte es nicht länger zu ertragen, hier unthätig im Wa gen zu verharren, wie ein Feigling die geliebte Schwester im Stich zu lassen und rasch den Schlag öffnend, sprang er hinaus, den Hut tief in die Stirn, den breiten Kragen seines Mantels emporgeschlagen. „O, mein Gott," murmelte er beim Anblick der unglücklichen Schaaren, „rechne diese Greuelthaten meinem Volke nicht an!" Sein Auge suchte den Doktor und seine Begleiterin, welche er endlich bei den Kranken und Greisen fand, tröstend und Hilfe spendend, so viel sie es vermochten. „Kommt," rief Charles plötzlich, „dort sehe ich den kleinen Jac ques, — barmherziger Himmel — er ist allein bei dem kranken Vater." Wie ein Rasender stürmte er davon von dem Doktor und Marie gefolgt. Auf einem elenden Karren lag Wilhelm Meinert unter einer Bettdecke, die tief eingesunkenen Augen geschlossen, das blasse, todt- ähnliche Antlitz der Kälte ausgesetzt und von den weißen Schneeflocken wie mit einem Leichentuche bedeckt, während der kleine fünfjährige Knabe, der Enkel des reichen Meinert, weinend daneben stand, von einer armen mitleidigen Frau getröstet und behütet. „Wo ist Deine Mutter, wo Dein Schwesterchen?" fragte Charles athemlos, das Kind in seine Arme schließend. „Die Madame ist mit dem kleinen Mädchen zum Dammthor hinausgebracht," schluchzte die arme Frau, welche einen Säugling an ihrer Brust hielt, den sie vergebens vor Kälte zu schützen versuchte, „da habe ich nur auf den kranken Mann, der wahrscheinlich unterwegs gestorben ist, und auf den kleinen Jungen hier geachtet." „Hab Dank und Gottes Segen dafür, gute Frau!" rief Marie, welche mittlerweile mit dem Dokior herangekömmen war. Sie nahm ihren eigenen mit Pelz gefütterten Mantel von den Schultern und hüllte damit die arme Mutter und ihren kleinen Säug ling ein. „Geht nach Altona," setzte sie dann hinzu, „und fragt dort nach Jacob Meinerts Tochter in der Reichenstraße." „Schöne Geschichte," brummte der Doktor, eine Thräne im Ange zerdrückend, „wird sich selbst zu Tode erkälten." „Marsch, Kind!" fuhr er laut und barsch fort, „Sie nützen hier nichts mehr und werden mir selber krank, nehmen Sie den Kleinen mit in den Wagen, wir folgen mit dem Kranken." Marie gehorchte, vor Kälte zitternd, während die Männer schwei gend de» Kranke» oder Todte» (wie der Doktor selber fürchtete) in die Bettdecke hüllten und nach dem Wagen trugen. „Setzen Sie sich mit hinein, Herr Gerard!" gebot der Arzt, „und bringen Sie Vater und Sohn nach meinem Hause, mich rufen noch andere Pflichten." „Und mich ruft die Schwester," versetzte Charles heftig; leb wohl Marie, Du siehst mich mit ihr und dem Kinde, oder niemals wieder." Er winkte ihr einen Gruß zu und stürmte fort. „Immer besser," brummte der Doktor, „dann hätte er mich doch wenigstens mitnehmen können. Ja, mein Kind," wandte er sich in seiner kurzen, entschlossenen Weise zu dem vor Angst und Entsetzen Halbtodten jungen Mädchen, „jetzt gilt's, den Kopf oben behalten und zeigen, was wir werth sind. Können Sie den Kranken nach meinem Haufe bringen, damit ich dem Tollkühnen nacheilen und ihn nöthigcn- falls schütze» kann?" „Ja, Herr Doktor," versetzte Marie, „Sie können sich auf mich verlassen." Er reichte ihr die Hand und hielt die ihrige einen Augenblick mit festem Druck in der seinen. „Folgen Sie der Stimme ihres Herzens," sagte er, sie bedeu tungsvoll anblickend, „vielleicht erblüht aus dieser so entsetzensvolle» Weihnacht eine Friedenspalme für einzelne Herzen." Marie schloß den Knaben an ihr Herz und ihr Auge leuchtete in wunderbarer Energie. Dann rasselte der Wagen dahin, während der Doktor sich eiligst auf den Weg machte, die Richtung nach dem Dammthor einschlagend. Durch das Nobistyor zogen schaarenweise mit ihren wenigen Habseligkeiten, die sie zu tragen vermochten, die Ausgetriebenen in Altona ein. Es war ein grausiger Anblick, da einige dieser Unglück lichen vor Verzweiflung sangen, andere laut jammerten und ihr Loos, ihr Dasein verfluchten. Der Kaufmann Jacob Meinert saß indeß in seinem Lehnstuhl, die Träume waren verschwunden, aber die Gedanken, welche vorhin so mächtig seine Brust bewegten, geblieben. Wie er aus dem langen wohlthätigen Schlummer, der ihn umfangen, erwachte, sehnte er sich nach dem Anblick der Tochter, dem einzigen Wesen, an welchem er die neiierwachte Liebe feines erwärmten Herzens bethätigen konnte. Es drängte ihn mit wunderbarer Gewalt den Schatten der Gattin zu versöhnen, und seine Ungeduld wandelte sich in Angst, als die alte Magd ihm noch immer nicht die Heimkehr der gute» Tochter melden konnte. „Was bedeutet der Lärm auf der Straße?" fragte er unruhig. „Die armen Menschen, welche die Franzosen aus Hamburg ge trieben haben, ziehen durch die Straße," versetzte die Alte, mit dem