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Sie entriß der Tochter das Tuch und packte mit krampfhaftem Griff ein Licht, um ein großes bereits vollendetes Bild zu betrachten. Dasfelbe mochte wohl geeignet fein, ihr ganzes Innere in Auf ruhr zu bringen. Sie fah ihre Resi im Sarge, schlafend unter Blu men, ein verklärter Engel, und daneben den kleinen Otto, den sie seit jener Stunde als den Mörder ihres Lieblings mit jeder Faser ihres Herzens gehaßt, von Nanni, dem Ebenbild des schlafenden Engels, umschlungen. Die Wirkung dieses Bildes war bei der angenblicklichen Gemüths- stimmung der Mutter eine unheilvolle; das Licht schwankte in der konvulsivisch zitternden Hand und mit einem Aufschrei sank sie nach wenigen Augenblicken wie gebrochen an Leib und Seele zusammen. Mit rührenden Bitten und zärtlichem Wort suchten Eberhard und Nanni sie aufzurichten und zur Heimkehr zu bewegen. „Ja, ja, ich gehe schon," nickte sie endlich, sich mühsam erhebend, „wie lieb ich Euch bin, habe ich nun erfahren, — es verlohnt nicht mehr, darüber zu reden. Daß Du aber kein Vaterherz besitzest," wandte sie sich an den Gatten, „ist mir ebenso klar; hättest Dn denn sonst ein solches Bild malen können, ohne vor Jammer und Leid zu vergehen? — Der Mörder Deines Kindes hat's Dir angethan noch immer, das ist auch der Abgrund zwischen uns, über welchen cs keine Brücke giebt." „O, warum mußte Dein Fuß Dich noch in der letzten Stunde hierher tragen," sagte Eberhard traurig, „in unser Haus wäre es ja nicht gekommen, da es noch heute Abend verpackt wird. Sprich, Adel heid, willst Du um eines Bildes willen den schwererrungenen häus lichen Frieden auf's Neue auf's Spiel setzen?" „Du hast mit diesem Bilde die Vergangenheit, welche ich den ehrlichen Willen hatte, für immer ganz zu begraben, onf's Neue herauf beschworen," versetzte sie finster, „so trage denn auch die Folgen, das Bild trennt uns auf's Neue." Sie wandte sich und ging, gefolgt von Nanni, welche die Mutter begleiten wollte, während Eberhard in einer unbeschreiblichen Stim mung zurückblieb bei seinem Bilde, das er mit gerechtem Stolze sein bestes Werk nennen durfte, da er seine ganze Seele darin niederge legt hatte. Und nun? — er griff an die Stirn, um sich zu überzeugen, daß die Erscheinung seiner Gattin nicht ein böser Traum gewesen. Dieses Bild, welches er voll Lust und Liebe, voll der heiligsten Vorsätze ge malt, als den sichersten Schutz gegen die Versuchung, das sollte die Klippe werden, woran sein häusliches Glück auf's Neue zerschellte! Nein, nein, lieber sollte sein Werk untergehen! — Er griff ent schlossen nach einem Messer, um das Zerstörüngswerk zu vollbringen und ließ es ächzend sinken. „Ich kann nicht," stöhnte er, „ich kann es nicht, es hieße mich selber tödten, wollte ich um einer thörichten Grille willen diese Schöpf ung zerstören." Er verhüllte das Bild und schickte sich an, ebenfalls heimzukehren. Das Haus war ihm auf einmal wieder so öde geworden, daß er sich Gewalt anthun mußte, um dorthin und nicht zu den alten, lustigen Freunden zu gehen. Eberhard traf die Tochter allein am Theetisch, die Mutter hatte sich eingeschloffen, nachdem sie derselben das Fläschchen des Apothe kers für deS Vaters Thee gegeben. Vater und Tochter fühlten kein Bedürfniß der Unterhaltung; denn wieder lastete der alte Druck auf ihnen. Düster wurde das Abendbrvd eingenommen, obwohl Eberhard es nicht unterlassen konnte den Rum zu loben. „Woher stammt derselbe?" fragte er, das Fläschchen in die Hand nehmend und die Etikette betrachtend. ,,Jch weiß es nicht, Vater!" erwiderte Nanni zerstreut. „Du weißt, die Mutter besorgt dergleichen stets selber." Er nickte und stellte das Fläschchen auf den Tisch, eine unwider stehliche Neigung, dasselbe zu leern, niederkämpfend. Die Mutter ließ sich an diesem Abend nicht wieder sehen und traurig, von finstern Ahnungen gequält, sagten sich Vater und Tochter „gute Nacht!" VI. Am nächsten Morgen ging Eberhard früh hinaus nach dem Atelier, um das fertige Bild sorgfältig zu verpacken und nach der Eisenbahn bringen zu lassen, da dasselbe für die Kunstausstellung der Residenz bestimmt war. Er selber wollte alsdann noch in der folgenden Nacht abreisen, um die Auspackung und Ausstellung persönlich zu überwachen. Die Atmosphäre des Hauses war wieder so drückend, so schwül geworden, daß Nanni erlöst aufathmete, als sie durch einen Boten zu dem Vater hinausgerufen wurde. „Ich kann meine Arbeit nicht um eines unglücklichen Wahnes willen zerstören," sagte Eberhard bekümmert zu der Tochter, die ihm helfend und tröstend zur Seite stand. „Das Opfer wäre auch vergeblich," versetzte sie trübe, „die That- sache, daß Du das Bild gemalt hast, ist hinreichend, um der Mutter Herz aus's Neue, und ich fürchte jetzt unheilbar zu verdüstern." „Ja, ja," nickte der unglückliche Mann, „darnm ist's wohl besser, ich lasse es mit der Uebersiedelung und bleibe hier, das Haus ist noch nicht wieder vermiethet." „O, nicht doch, lieber Vater! — das hieße die Kluft erweitern; führe Deinen Entschluß, den die Mutter mit so großer Freude begrüßte, unbeirrt aus, vielleicht wird dadurch der neue Groll im Keim erstickt." Eberhard nickte und mit erneutem Eifer gingen Beide jetzt an's Einpacken und Ordnen der verschiedenen Sachen und Utensilien, das Essen schickte die Mutter hinaus, ein Beweis, wie sehr sie es wünschte, allein zu bleiben, was Vater und Tochter mit wachsender Trauer und Besorgniß erfüllte. So kam der Abend heran, ein Fuhrmann holte Alles ab, um es nach Hause zu fahren und schweigend begaben auch Eberhard und Nanni sich auf den Heimweg. Die Einrichtung des Ateliers nahm natürlich vorab die ersten Stunden in Anspruch, doch ließ Frau Eber hard sich erst beim Abendbrvd sehen, wo sie schweigend und in sich gekehrt den Thee bereitete, wie sie es stets gewohnt gewesen. Eberhard sprach von seiner bevorstehenden Reise, wobei er den Wunsch äußerte, daß Nanni ihn begleiten möge. „Du hast doch nichts dagegen, liebe Adelheid?" setzte er mit sanfter, freundlicher Bitte hinzu. „Mir kann es völlig gleichgiltig sein, wohin Du gehst und wen Du mitnimmst," erwiederte sie kalt. „Das höre ich nicht gern," fuhr Eberhard betrübt fort, „im Gegentheil würde es mir die größte Freude bereiten, wenn auch Lu mich begleiten wolltest." „So scheint Dein Meisterwerk Dir viel Geld eingebracht zu haben," rief die Frau, ihn finster anblickend, „ich wüßte sonst nicht, woher Du das Reisegeld nehmen wolltest. Doch gleichviel, mir graut vor solchem Gelde." Eberhard fuhr zornig empor, doch unterdrückte er, sich gewaltsam bezwingend, das heftige Wort und griff nach dem Rumfläschchen mit der zierlichen Etikette, um seinen Thee damit zu würzen. „Pah, Weibergetränk!" rief er Plötzlich, die Taffe verächtlich von sich schiebend. „Zum Henker mit solchen Unterhaltungen am häuslichen Herd, denen sich ein Schwachkvpf, aber kein Mann von Ehre beugen mag; — zum Hemker mit allen Weibergrillcn, die das Haus zur Hölle umwandeln, ich will trinken, nm zu vergessen!" Bevor Nanni es verhindern konnte, hatte der unglückliche Mann das Fläschchen an die Lippen gesetzt und dasselbe halb geleert. „O, Vater!" sagte Nanni mit sanftem Vorwurf, „warum thust Du mir das?" „Klage die Mutter an, nicht mich," versetzte Jener, düster vor sich hinstarrend und sich dann und wann wie im inneren Fieber schüt telnd, „ich sehe es ein," fuhr er nach einer Weile mit dumpfer Stimme fort, „unsere Wege scheiden sich für immer, darnm wird's besser sein, daß wir wenigstens uns in Frieden trennen. Ja, ja, schaue mich nicht so entsetzt an, das Wort Trennung muß endlich ausgesprochen werden, da keine Umkehr mehr möglich ist, wie ich in dieser letzten Zeit thöricht genug wähnte. Du bleibst bei mir, Nauni!" „Vater, liebster Vater, scherze nicht so grausam!" rief Nani, in Thränen ausbrechend, während die Mutter, leichenblaß, doch mit einer heftigen Bewegung die Flasche ergriff, mit gepreßter Stimme ein halblautes: „Schändliches Gist!" hervorstieß und sich dann rasch damit entfernte. „Scherzen!" wiederholte Eberhard bitter auflachend. „Mir wäre wahrlich darnach zu Muthe, o mein Kind, es ist mein heiliger Ernst, Du gehst für's Erste mit mir nach der Residenz, das ist abgemacht, und dann —" Er brach ab und zuckte heftig zusammen. „Was ist Dir, Vater?" fragte Nanni, ihn erschreckt betrachtend. „Du bist Plötzlich bleich geworden." „O, es wird vorübergehen," versetzte er, auf's Neue wie im hef tigsten Schmerz zusammenzuckcnd, „ich weiß nicht, wie mir urplötzlich so schlecht geworden; macht es der Zorn oder jenes — Gist, wie es die Mutter nannte?" Er wollte sich erheben, sank jedoch ächzend wieder auf den Stuhl zurück. (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. * Bei dem Erdbeben, welches die Insel Ischia heimge sucht hat, sind nach dem jetzt veröffentlichten amtlichen Berichten Casa- micciola von 43000 Einwohnern 1784 umgekommen, 443 verletzt; von 672 Gebäuden sind 537 vollständig, 134 zum Theil zerstört. Ob wohl in Laco Ameno und Fvrio die Zahl der eingestürzten Gebäude sehr groß ist, z. B. in Laco Ameno sind von 389 Häusern 269 voll ständig und 162 zum Theil zerstört, so steht der Verlust an Menschen leben glücklicherweise in keinem Verhältnisse zu dem grauenhaften Un glück in Casamicciola; von den 1809 Einwohnern sind 146 getödtet und 93 verletzt. In Forio ist mehr als die Hälfte der Wohnräume zerstört, aber von den 6200 Einwohnern sind nur l46 getödtet und 98 verletzt. Im Ganzen sind auf Ischia 2313 Menschen umgekoni' men und 762 verletzt. Von den Getödteten gehörten 650 nicht der Insel an, von diesen sind aber nur 54 nicht italienischer Abstammung. * Ehrlich. Jäger (zum Treiberjungen, der den Frühstückskorb gebracht hat): Junge, Du bist an der Schnapsflasche gewesen!" — Junge: „Nee, gnä' Herr, der Kork ging ja nich raus!" * Ausweis. Gendarm: „Können Sie sich auswcisen?" — Handwerksbursche: „Das ist Sache der Polizei, — die weist mich überall aus!" * Merkwürdige Verwandtschaft. Ich machte die Bekannt schaft einer jungen Wittwe, welche mit einer erwachsenen Stieftochter in demseben Hause wohnte. Ich heirathete die Wittwe. Mein Vater, welcher die Gelegenheit hatte, unsere Stieftochter häufig zu sehen, ver liebte sich in diese und machte sie zu seiner Frau. Dadurch wurde meine Frau die Schwiegermutter ihres Schwiegervaters, und aus meiner Stieftochter ward meine Stiefmutter, und der Stiefvater ver wandelte sich in einen Stiefsohn. Meine Stiefmutter, Stieftochter meiner Frau, bekam einen Sohn, ich folglich einen Bruder, denn er ist der Sohn meines Vaters und meiner Stiefmutter; aber da er zu gleich der Sohn unserer Stieftochter ist, wird meine Frau seine Groß mutter und ich der Großvater meines Stiefbruders. Meine Frau schenkte mir dann ebenfalls einen Sohn, meine Stiefmutter, Stief schwester meines Knaben, ist zugleich seine Großmutter, denn er ist der Sohn ihres Stiefsohnes und mein Vater der Schwager meines Kindes, da dessen Schwester seine Frau ist. Ich bin der Bruder meines eig nen Sohnes, welcher das Kind meiner Stiefgroßmutter ist. Ich bin der Schwager meiner Mutter, meine Frau ist Tante ihres eigenen Sohnes, mein Sohu Enkel meines Vaters und ich Unglücklicher folg lich mein eigener Großvater. * Schiffsunfälle. Aus London wird gemeldet: Der britifche Schraubendampfer „Hörnet" von Glasgow kenterte am 27. Januar bei der Lundy-Insel und ging unter. Der Vorfall wurde von Bord des Dampfers „Bewersfield" beobachtet, der schnell zur Stelle fuhr, wo das Schiff versunken war. Mu Ausnahme eines Schiffsjungen, der aufgefischt wurde, war aber von der Besatzung des „Hörnet" keine Spur mehr zu sehen uüd dieselbe muß daher als verloren an gesehen werden. — Die Barke „Champion" von Jarmouth sank am 28. Januar während eines heftigen Sturmes im Atlantischen Ozean auf der Fahrt von Baltimore nach Hamburg. Der Kapitän, der zweite Offizier und sechs Matrosen ertranken; der Rest der Mannschaft wurde von dem Dampfer „Sirocco" an Bord genommen und in Li verpool gelandet. — Der Schuner „Victoria" scheiterte am 11. Febr. bei Minerstown an der irischen Küste. Die ganze Mannschaft fand vor den Augen der Küstenwache, die der stürmischen See wegen keine Hülfe leisten konnte, ihren Tod in den Wellen. * Ein gefühlloser Gatte. „Sag mal, Frauchen, was hättest Du lieber, einen Diamantring oder echte Spitzen?" — „O Du gutes süßes Männcheu! Du willst mich gewiß überraschen. Nun, offen ge standen, Spitzen sind mir doch lieber!" — „Gewonnen!" — „Was denn?" — „Zehn Mark. Ich habe nämlich mit Deiner Mutter ge wettet, ob Du, wenn Dir freie Wahl gelassen würde, lieber Spitzen hättest oder Diamanten. Nun habe ich doch gewonnen, das ist wirk lich famos!" — Ob dies die junge Frau auch fand, wissen wir nicht. * In Toulon ist Heulen und Zähneklappern. 32 Galeeren sträflinge sind ausgebrochen und entflohen, nachdem sie ihre Wächter überwältigt und gebunden hatten.