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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags und kostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag. 64. Freitag, den 15. August 1873. An die socialdemokratischen Arbeiter. Da liegt er und streikt, schläft am Hellen lichten Tage, und der Hunger sicht ihm zum Fenster herein. Arbeiter, Ihr seid Männer und laßt Euch wie unmündige Kinder gängeln? Sitzt Euch nicht mehr das Herz auf dem rechten Fleck und habt Ihr das Einmal eins vergessen? Thut die Augen auf! Braucht eure Vernunft und fragt euer Ge wissen! Was sagen Euch die Parteiführer, die sich zu euren Vormündern aufwerfen? Sie sagen so: Fordert höheren Lohn! Fünf Groschen den Tag mehr! Zehn Groschen den Tag mehr! Giebt man's nicht, so legt die Arbeit nieder und feiert! Die Arbeitgeber — sagen sie — brauchen Euch; ohne Euch können sie nichts machen. Sie haben den Beutel. Zwingen müßt Ihr sie! So lange müßt Ihr feiern, bis sie kirre werden und klein bcigebcn. Haltet zu sammen! rufen sic Euch zu. Wenn Ihr zusammcnhaltet, seid Ihr Sieger, und ein Schritt vorwärts ist gethan zur Freiheit, Gleichheit und Brüder lichkeit! So sprechen Eure Verführer. O Thoren, die ihr von solchem Gerede Euch ein L für ein U machen laßt! Als ob die Hand spräche zum Fuße: Fuß, ich habe mich lange genug für dich ge plackt! Habe für dich Strümpfe gestrickt und sür dich Stiefel geflickt. Von früh bis spät habe ich für dich geschaffen, daß ich schwielig geworden bin. Nun will ich bessere Tage. Die Schwielen will ich loß sein, will seidene Handschuhe tragen, und gicbst Du sie mir nicht, so fordere ich sie und nehme sie mir. Dich, Fuß, brauche ich nicht; ich Hand will Herr sein. Daun müßte der Fuß antworten: Hand, darin hast du Recht: ich brauche dich und ohne dich komme ich nicht vorwärts. Aber du, Hand, brauchst mich, den Fuß, ebenso, und ohne mich kommst auch du nicht vorwärts. Wer läuft und schafft dir die Arbeit? Wer läuft und schafft dir dein Werkzeug? Wer trägt uR stützt dich, daß du dein Werk thnn kannst? Ich bin es, der Fuß, der das thut. Ich Fnß schaffe nichts ohne dich Hand. Aber du Hand schaffst nichts ohne mich Fuß. Da rum gehören wir beide zusammen, und wenn wir nicht zusammenstehn, bist du Hand und bin ich Fuß ein geschlagener Mann, und die ganze Geschichte hat ein Ende. Just so ist es mit Arbeitern und Arbeitgebern. Die Arbeitgeber brauchen Euch Arbeiter, aber Ihr Arbeiter braucht die Arbeitgeber gerade ebenso. Ihr habt ein gemeinsames Leben und ein gemeinsames Interesse; zu deutsch: wenn der Arbeitgeber nicht dem Arbeiter dient als seinem Bruder, so seid ihr beide lahm gelegt und geschlagene Leute. Was aber predigen Euch eure Parteiführer? Sie predigen: Arbeiter, legt die Arbeitgeber lahm, dann werdet Ihr die Herren. Hände, legt eure Füße lahm, dann werdet ihr die Herren. — Herren? Krüppel werdet ihr dann, und werdet als Krüppel umherhinken, umherhungern und umkommcn. Und Ihr, Arbeiter, glaubt dem Geschrei? Sähe ich es nicht mit meinen Augen und hörte ich es nicht mit meinen Ohren, ich hätte Euch, Arbeiter, wahrhaftig für viel zu klug dazu und für viel zu einsichtsvoll ge halten. Aber die Herren, die Euch den Kopf heiß machen und die meist selber keine Arbeiter sind, verstehen es, Euch Sand in die Augen zu streuen und Euch zu fangen. Und Ihr geht in die Falle? Ja mit Speck sängt man Euch, nachdem nian mit hohlen und mit bodenlosen Träumereien Euch berauscht und Euer Gewissen geknebelt hat. Man redet Euch vor, daß Ihr geknechtet, belogen und betrogen seid und eine verlorene Freiheit wieder erobern sollt. Mit Streiken sollt Ihr den ersten Schritt zur Freiheit thun. Und mit Streiken den zweiten. Und mit Streiken den dritten. Und der vierte und sünfte? Rund heraus, — Eure Parteiführer sagen's ja selber, sie predigen es Euch in Euren Versammlungen, schreiben eS blutroth in ihre Blätter, singen's Euch vor in ihren trunkenen Liedern: der vierte und fünfte Schritt ist die große Revo lution und das ungeheure Blutvergießen, für deren Ausbruch nur auf die rechte Stunde gewartet wird; — sie sollen die Welt erlösen, einen Himmel voll Gold und Glück und Genuß Euch aufbauen und auf die bluttriefende, fluchbeladene Erde ein Paradies pflanzen! Ja, und um Euer Gewissen, daß vor solchen Verbrechen zurückschrecken muß, zum Schweigen zu bringen und Eure Furcht und Ehrfurcht vor Gott zu bestechen» wagt man Euch frevlcrisch aufzubinden, daß Christus, unser Herr und Heiland, gar nichts Anderes gewollt habe, als was sie, diese Verführer, Euch vorspiegeln. Denn Christus, sagen sie, sei der allererste und vornehmste Socialdcmokrat gewesen, der Vorgänger von Ferdinand Lassalle, der eigentliche Gründer und Stifter d^r Internationale, der für seine Volksbeglückungs-Ideen von den Priestern und Reichen gekreuzigt worden sei. Und Ihr glaubt das? Und Ihr sprecht und singt diese Toll heit nach? Und Ihr wißt nicht, daß Ferdinand Lassalle für nichts weniger als für die Freiheit und für das Glück der Arbeiter gestorben, sondern wegen eines Weibes, um das er buhlte, von deren beleidigtem Liebhaber im Duell erschossen ist? — Was aber Christus betrifft: ich möchte wissen, Woher Eure Parteiführer, die seinen heiligen Namen nennen, von ihm etwas wissen. Fragt sie danach, und ich sage Euch: wissen sie etwas von ihm, so von nirgends anders her, als aus der Bibel, denn eine andere Quelle dafür giebt cs nicht. Nun so prüft doch! Sie reden Euch vor: die Pfaffen entstellen die Bibel. Thut selber die Augen auf und sucht in Eurem Neuen Testament nach! Und wenn Ihr von den Revolutionslehrcn, die Eure Parteiführer Euch predigen, auch nur ein einziges Wort findet, und auch nur einen Hauch von dem Geist, den sie Euch einimpfen wollen: dann soll die Hand, die dies schreibt, vcrlahmcn und verdorren. Ja wohl, ein Arbeiterfreund ist Jesus Christus gewesen, und einen Armenfrcund, — der größte und heiligste, der je auf Erden gewandelt hat. Ein Feind der Lüge war er von Arm und Reich. Ein Feind der Ucppigkeit und der Gottlosigkeit war ee von Arm und Reich. Ein Feind der Lieb losigkeit und des Hasses war er von Hoch und Niedrig. Sie Alle, ob Fürsten oder Bettler, hat er zu Kindern Gottes machen wollen durch die Vergebung der Sünden und ein Band der Liebe uin Alle knüpfen und alle Arbeit, die der Hohen und die der Geringen, zu einem Gottesdienste heiligen. Aber was lehren Eure Verführer von solcher Gottesliebc? Was von der Ver gebung der Sünden? Von der brüderlichen Liebe was? Nichts lehren ste von dem Allen, sondern Haß, Neid, Zorn, Rache, — leugnen und verleugnen den lebendigen Gott, sein Wort und seine Gebote, machen Jesum Christum zum Lügner und schlagen ihm ins Angesicht. Arbeiter! Viele von Euch haben an der Last des Lebens schwer zu tragen und mit bittern Sorgen zu kämpfen. Viele von Euch leiden unter der Ungunst der Zeitverhältniffe, haben schlechte Wohnungen, müssen sich kümmerlich durchhelfen und können für ihre Familien nicht so sorgen, wie sie gern möchten und wie sie von Gottes- und Rechtswegen cs sollten. Das darf nicht geleugnet und darf nicht be mäntelt werden. Aber Biele von Euch, — wer vermag dem zu widersprechen? — könnten trotz Allem eS besser haben, wenn sie mäßiger, wenn sie sparsamer, wenn sie häuslicher wären und ihren Lebenswandel anders einrichtcten. Andere freilich sind mäßig, sind sparsam und häuslich, sichren einen ordentlichen Lebenswandel und kommen dennoch auf keinen grünen Zweig. Aber — seid dessen gewiß — nicht bloß Arbeitern geht es so, sondern sehr vielen Andern auch, die nicht Arbeiter heißen, und die thörichtcr Weise von solchen Arbeitern, die es oft sehr viel besser haben als sie, beneidet werden. Aber ein Herz von Stein müßte man haben und wäre des Christennamens nicht werth, wenn man diesen, — heißen sie Ar beiter oder nicht, — nicht ein besseres Loos gönnte, und wenn man nicht alle Kräfte anstrengen und alle Opfer bringen wollte, um ihnen und Euch in die Höhe zu helfen. Arbeiter! Unter denjenigen, welche die in diesem Blatt ausgesprochene Gesinnung haben, sind rings umher im Lande viele Tausende, — und unter ihnen auch viele Arbeitgeber, die, — möge man Euch Vorreden, was man wolle, — den besten und eifrigsten Willen haben, mit brüderlicher und Opfer bringender Liebe Eure Lage zu bessern. Sie wollen dazu helfen, daß Eure Bildung und Euer geistiges Leben ge hoben, daß Euer Familienleben veredelt, daß die Arbeitskraft Eurer Frauen der Häuslichkeit bewahrt, daß Eure Kinder gut erzogen werden, daß Ihr in Krankheits fällen und im Alter vor Noth und Sorgen sicher seid. Dies Ziel kann aber nicht ohne Euch und nicht wider Euch, sondern nur mit Euch und zugleich durch Eure eigene Arbeit und Anstrengung erreicht werden. Welches ist der Weg zum Ziele? Wahrhaftig der nicht, den Eure Parteiführer Euch zeigen! Er führt nicht zum Ziele des Glückes, sondern schnurstracks in's Unglück. Wer getäuscht sein will, der folge ihnen! Wer unglücklich werden will, der folge