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Wilsdruff, Tharandt, Russen, Sievenlehn nnd die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerrchtsamt Wilsdruff und den Ttadtrath daselbst. 49.Ireitag, den 25. Juni 1869. Ta'g eszeschichte. In einer von der Oberpostdirection zn Leipzig erlassenen Ver fügung werden die Absender von Briefen rc. ersucht, zur nähern Bezeichnung sich nicht wehr der Worte: „per Adresse", sondern: An Herrn so und so, bei Herrn so und so rc., oder ähnlich bestimmt, zu bedienen, um einer fatschen oder unliebsamen Abgabe der Briefe rc. zu entgehen. Der „S. Z." berichtet man aus Dresden: Der Hausminister von Zcschau wird sichern» Vernehmen nach Ende dieses Monats von dem Ministerium sich zurückziehen; wie verlautet, wird vr. von Fal kenstein, unter Beibehaltung des Cultusministeriums, zürn Minister des königlichen Hofes ernannt werden. Im „Dr. I." vom 20. Juni befinden sich die Listen der jetzt ausgeloosten 4prozentigen Staatsschnldenkassenschcine, sowie der eben falls ausgeloosten und vom Staate übernommenen vormaligen Al- bertsbahnäclien abgedruckt. Tharandt, 17. Juni. Heute feierten die hiesigen Studircnden das Stiftungsfest der Akademie. Interessant war dabei der sich durch die Stadt bewegende Festzng, dem die in blendendes Weitz und fri sches Grün gekleideten jugendlichen, kräftigen Gestalten nicht nnr ein höchst stattliches Aussehen verliehen, sondern auch an seinem Schluffe eine sehr drollige Scene entwickelte. Während im vorigen Jahr eine gekoppelte Meute verschiedener Hunderacen den Zug endeten, folgten diesmal einem von einem mitttelalterlich gekleideten Pagen und Jägd- dicnern umgebenen Wagen die ärgsten Feinde des Waldes: riesig große Borkenkäfer, die neben einem bekränzten Fichtenstamme her- fpazicrten und von verkleideten Knaben täuschend d-argestellt wurden. In Dresden verweilen jetzt zwei von dem Seccssionskriege in den Vereinigten Staaten her berühmte Persönlichkeiten; der eine ist General Robert Anderson, durch die Vertheidigung des Fort Sumter bei Charleston bekannt, und der andere Commandore Warden der Sieger in dem denkwürdige»» Seegefecht des Monitor mit dem süd- staatlichen Panzerwidder Merrimac. Das neue Bundes-Handelsgericht in Leipzig wird sehr anständig ausgestattet, der Präsident erhält 6000 Thlr. Besoldung, der Vicepräsident 4000 Thlr. und jeder Rath 3000 Thlr. Um so mehr wird es Pflicht sein, darauf zu halten, daß nur die tüchtigste»» und würdigsten Männer berufen werden. Am 18. Juni hat sich in der Pleißenburgkaserne in Leipzig ein Sotdat des dortigen Schützenregimeuts aus bis jetzt unbekannten Ursachen erschossen. An demselben Abend ertrank ein 24 Jahr altes Dienstmädchen in der Pleiße. Dieselbe stürzte beim Wasserholcn von einer Schöpfe herunter. Vorigen Sonnabend gegen Mittag brannten in Pröhsitz bei Mutzschen vier Bauergüter ab. Die Eutstehungsursache ist bis jetzt noch nicht genügend ermittelt. In der Gegend von Schöneck im Voigtlande hat es arn 17. Juni geschneit und ist das Korn theilweise erfroren. Schöneck selbst liegt 2200 Futz über dem Meeresspiegel. Ain 20. Juni wurde in Zwickafi nach beendigtem Vormittags gottesdienst in der Marienkirche ein kirchlicher Act seltener Art voll zogen. Ei»» in Leipzig wohnhafter, bereits im höheren Lebensalter stehender Jude wurde, seinem Wunsche gemäß, dort gctanft. Döbeln, 21. Juni. Emen Beweis hochherzigen Gemeinsinnes hat unsere Stadt von dem ain Sonnabend hier im hohen Alter ver storbenen Justitiar Ritter rc. Wappenhensch erhalten. Derselbe hat nämlich die Stadt zur Universalerbin eingesetzt mit der Bestimmnng, daß von dem nach Abzug der Legate rc. verbleibenden Capitale in Höhe voi» ca. 170,000 Thalern sein an der Oberbrücke hier gelege nes Grundstück in eine Erziehungsanstalt für Waisen und gänzlich unbemittelte Kinder Döbelns und der Ortschaften, welchen er einst mals als Justitiar angebörte, umgeschaffcn werde, der die Aufgabe zufallen soll, ordentliche und brauchbare Dienstmädchen sowie tüchtige Gartcnarbeitcr zu erziehen. Der Verstorbene, Honiculturist aus Steigung und eifriger Sammler, hat dieser Anstalt auch seine in wei ten Kreisen rühmlichst bekannten Sammlungen an Mineralien rc. ja sogar an Kupferstichen testirt, das Capital selbst aber beim König!. Ministerium zu deponiren verordnet, welches Letztere dasselbe der Stadt mit 4"/„ zu verzinsen hat. Obwohl keil» Zweifel ist, daß die Schenkung als ein hoher Segen zu betrachten, da der Pauperismus auch hier beträchtliche Fortschritte macht, so wird doch noch das Verhältniß zu regeln bleiben zwischen der Stadt und den Ortschaften, welche der Verfasser als ebenfalls ain Genüsse participirend bezeich net hat. (CH. Tgbl.) Für die Reiterei der norddeutschen Armee soll beabsichtigt wer den, außer den zum einjährig freiwilligen Dienst berechtigten jungen Leuten, nur noch Freiwillige anzunehmen, welche sich beim Eintritt gleich zur Uebcrnahme einer 4jährigcn activcn Dienstzeit verpflichten. Während der Herbstübnngsperiode werden sich im Umfange der gan zen norddeutschen Armee 40—50,000 Mann mehr eingestellt befinoen, als während des Sommers. In Betreff der Hebungen des sächsischen Armeecorps ist, wie bereis gemeldet, bestimmt worden, daß dieselben in den» Zeiträume vom 3. bis 12. September mit der 23. Division in der Lausitz und mit der 24. Division bei Leipzig statthaben wer den. Auch bei diesem Corps werbe»» hierzu die Reserven bis zur vollen Friedensstärke der Bataillone einberufen. Uever das Verhältniß des preußischen Preiniers zum künfti gen Thronerbe»» sind im Publik»»»»» Gerüchte verbreitet, die der Thatsächlichkeit entbehren. Vielleicht mögen diese früher einige Be gründung gehabt haben, jetzt nicht mehr. Ji» den letzte»» 2 Jahren flehen die Anschauungen des Kronprinzen denen des leitende»» Staats mannes bedeutend näher; der Kronprinz nimmt die Auslassungen des Premier-Ministers über die inner» nnd answärtigen Angelegenheiten mit großer Aufmerksamkeit entgegen und läßt keine Gelegenheit vor übergehen, ohne' den Grafen Bismarck auszuzeichnen. Allerdings giebt es eine Partei, welche diese freundlichen Beziehungen wieder verwirren und löse»» will, aber ein auf solches Ziel hinarbeitender Artikel, welchen kürzlich ein Danziger Blatt enthielt, hat höchsten OrteS einen sehr Übeln Eindruck gemacht und dürfte seine Absicht durchaus verfehlen. Gerade so, wie seiner Zeit während der Verathuug des fürAr- beiteriutereffeu so wichtigen Gewerbegesetzes Hr. Mende nicht im Reichstag war, sondern, wie sich Bismarck ausdrückte, in Gladdbach cxcedirende Polizeibeamte zu beruhigen hatte, so hat jetzt Hr. För sterling vorgezogen, statt im ZoUparlement für Herabsetzung der Zölle auf Fleisch, Eisen und Reis und gegen Petroleum zu stimmen, in demselben Gladdbach zu leben. Er weilt schon mrhrere Tage dort und hielt am 13. Juni eine halbe Stunde voi» Gladdbach an der Pöht eine Arbeiterversammlung ab. Mau erwartete Mende, der ain Sonnabend in Düsseldorf war, derselbe hat sich jedoch mit Unwohl sein entschuldigt. Einige 30 Gensdarmm und Polizeibeamte waren ii» der Nähe des Versammlungslokales pvstirt. Försterling vermied Alles, was irgendwie die Menge aufregen konnte, und erwähnte mit keinem Wort die früheren Vorgänge. Fourniers Ohrfeige soll nun doch noch gerichtlich festgcstcllt werden. Der Herr Staatsanwalt in Berlin hält es für nöthig und hat seine Rede schon ansgea, beitet. Mai» mutz ihm Recht geben. Von ultramontanen Kanzeln hat zwar schon mancher Mann und manche öffentliche Meinung eine Ohrfeige erhalten, aber einen Bak- kenstreich am Altar, einer Fran applicirt, das ist doch noch nicht vorgekommen und es mutz festgestellt werden, ob es überhaupt vor gekommen ist. Sind doch ii» der heidnischen Zeit sogar Verbrecher an den Altar geflüchtet, um ein unanlastbares Asyl zu haben! und eine »sicht taktfeste Brant ist doch kein Verbrecher. Herr Fournier hat einen College»» bekommen. Der katholische Pfarrer Heimani» in Harheim bei Frankfurt hat Sonntag, den 13. Juni Nacymittags einem jungen Mann von 19 Jahre»», der zu spät zur Christenlehre kam, vor voller Gemeinde eine Ohrfeige gegeben. Es ist immer gut, wenn zwei Leute genau wissen, wie sie mit einander stehen. Napoleon und die Pariser wissen cs. Napoleon Weitz, datz er sich auf seine Pariser nie verlassen kann, und die Pa riser wissen, daß sie Napoleon niemals leichten Kaufes los werden. Ter Kaiser wird nicht gehen wie Louis Philipp, sondern nöthigen- salls triumphiren wie Marins auf den Trümmern von Karthago. Seine officielle Zeitung hat nach den letzten Crawallen nicht verhehlt, daß die Regierung vor dem größten Blutbad nicht zurückgeschreckt wäre, um zu siegen, und Napoleon selbst hat in einein offnen Brief erklärt, Drohungen und Aufständen darf eine Regierung niemals nachgeben, Den Parisern ergehts seitdem wie manchen Andern, sie wissen nicht, wie sie zu einem liberalen Rcgimcnte gelangei» sollen.