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Aeilage zu No. 45 des Wochenblattes für Wilsdruff, Tharaud, Nossen, Siebenlehn rc. Freitag, den 11. Juni 1869. In Worms, alten Lutherstadt, Angesichts des Denkmals des Reformators, am 31. Mai viele tausend deutsche Protestanten aus allen Aschen Landen versammelt, um dem Papste auf seine öffentliche Mladung an die Protestanten, in den Schooß der römisch-katholi- Mn Kirche zurückzukehren, öffentlich zu antworten. Die Kirchenrc- Mnuntc hatten geschwiegen, so wollte das protestantische Volk aus sich Mt eine Antwort geben, die weder Hörner noch Zähne hat. Die Mbl der Fremden betrug an 20,000, die Zahl der Deligirten, auch B Oestreich und Frankreich, an 800. In der Dreifaltigkeitskirchc l^en die Verhandlungen vor etwa 6000 Protestanten, Laien und glichen statt. Kirchenrath Schenkel aus Heidelberg entwarf die ^»vort und begründete sie in ausführlicher Rede. Um 3UhrNach- Aags wurde alles Volk durch das Geläute der Glocken auf den Arkiplatz cingeladen, eine ungeheure Menschenmenge fand sich ein. ^uschli verlas die Erklärung, die unter brausendem Zuruf ange- ^men wurde. Mit dem Lutherliede schloß die feierliche Versamm- ^g. Die Erklärung, im Namen des protestantischen Volkes, lautet: . „Erklärung: 1) Wir, die heute in Worms versammelte» Prote sten, fühle» u»s in unserem Gewissen gedrungen, bei voller An- Munng der Gewissensrechte unserer katholischen Mitchristcn, mit ^cn wir im Frieden leben wollen, aber auch im vollen Be- ^tsein der religiösen, moralischen, politischen und socialen Seg nen der Reformation, deren wir uns erfreuen, gegen die in dein Hannten apostolischen Schreiben vom 13. September 1868 an uns Achtete Zumuthung, in die Gemeinschaft der römiscb-katho- HenKirche zurückzukehren, öffentlich und feierlich Verwahrung Hlegm. 2) Immer gern bereit, auf den Grundlagen des reinen Heliums mit unseren katholischen Mitchristcn uns zu vereiuigeu, Schicen wir heute noch eben so entschieden, wie vor 350 Jahr. Luther "Horms und unsere Väter in Speier, gegen jede hierarchische nnd Elterliche Bevormundung, gegen allen Geisteszwang und Gewissens- "E, insonderheit gegen die, in der päpstlichen Encyklika vom 8. sicher 1864 und iii dem damit verbundenen ShllabuS ausgespro- staatsverderblichen und kulturwidrigen Grundsätze. 3) Unsern fischen Mitbürger» u»d Mitchristen reichen wir, hier am Fuße rHuthcrdenkmals, auf den uns mit ihnen gemeinsame» Grundlagen ^ christlichen Geistes, der deutschen Gesinnung und der modernen OM, die Bruderhand. Wir erwarten dagegen von ihnen, daß sie .^Schutze unserer gegenwärtig bedrohten höchsten nationalen und Öligen Güter sich uns anschließen werden, im Kampfe gegen den 'Nit ihnen gemeinsamen Feind des religiösen Friedens, der »a- Einigung und der freien Kulturentwicklung. 4) AlsHaupi- bHe per religiösen Spaltung, die wir tief beklagen, erklären wir O hierarchischen Jrrthümcr, insbesondere den Geist und das Wirken ^Hesuiteuordcns, der den Protestantismus auf Leben und U:, bekämpft, jede geistige Freiheit unterdrückt, die moderne Kultur tMscht und gegenwärtig die römisch-katholische Kirche beherrscht. O durch entschiedene Zurückweisung der seil dem Jahr 1855 er sten und fortwährend gesteigerten hierarchischen Anmaßungen, l? durch Rückkehr zum reinen Evangelium und Anerkennung der sHdcnschaften der Kultur kau» die getrennte Christenheit de» Frie- ^Hieder gewinnen und die Wohlfahrt dauernd sichern. 5) Endlich Heu wie alle, auf Begründung einer hierarchischen Machtstellung Geistlichkeit und ausschließliche Dogmeuherrschast gerichtete» Be- lHngm iu der protestantischen Kirche für'eine Verläugnuug iHtülestantischen Geistes und für Brücken nach Nom. Ucberzeugt, l^die Lauheit und Gleichgültigkeit vieler Protestanten der tirch- NcaktionSpartei eine Hauptstütze gewährt und auch in dem Agsten deutschen Staate ein Haupthinderniß nationaler und kirch- Erneuerung bildet, richten wir an unsere sämmtlichen Glau- ^Mioffen den Mahnruf zur Wachsamkeit, zur Sammlung und zu Abwehr aller die Geistes- und Gewissensfreiheit gefährdcn- " Tendenzen." Verhandlungen des Wilsdruffer Kirchenvorstandes. der ani 10. März 1869 stattgcfundcnen vierten diesjährigen chHS- thciltc der Herr Vorsitzende zunächst mit, daß die Kirchen- auf das Jahr 1868 auch die Genehmigung des Herrn Kir- gefunden habe, worauf beschlossen wurde, dieselbe nun- der Köuigl. Kirchcninspection eilizureichen. j, Hrauf wlirden die zum hiesigen Kirchenvermögcn und den da- ^"^'alteten Kassen gehörigen Hypothekenbriefe uiid Sparkassen- einer genauen Durchsicht unterworfen und für richtig be- e^enicr wurde ein Beschluß des hiesigen Stadtraths mitgetheilt, H derselbe die selbstständige Ausführung der vom Kirchcnvor- e beschlossene» Reparaturen in hiesiger Stadlkirchc abgelehnt dagegen vorschlägt, die Ausführung und Cvulrolc der bctreffen- j. icparaturcu einer aus 2 Mitgliedern des Kirchenvorstandes, 1 des Stadtrathes und 1 Mitgliede der Stadtverordneten be- ^n gemischten Deputation Zll übertragen, welcher Vorschlag Hin- § ^irchenvorstandcs beifällig aufgeiwmmen und gern a»ge- Behufs der practischen Ausführung des vom Herrn Baumeister Aurich gefertigten Anschlags über die in der Stadtkirche vorzunehmenden Reparaturen wurde beschlossen, denjenigen hiesigen Meistern, welche vom Herr» Vorsitzende» dazu aufgefordert, zu Uebernahme der be treffenden Arbeiten sich bereit erklären würden, Abschriften von dem Aurich'schen Anschläge zuzustcllen, damit dieselben ihre Forderungen darnach berechnen könnten, welche bis zum 4. April a. e. bei dem Kirchenvorstandc einzureichen wären. Ferner wurde dem Kirchcnvvrstandsmitglicde Herrn Adv. Som mer der Auftrag ertheilt, nachdem derselbe sich zu Uebernahme die ses Auftrages bereit erklärt hatte, das für hiesigen Gottesacker mit Begrübnißkirche und Todtenhalle nenangelegte Folium im Grund- und Hypothekenbuche für Wllsdruff ciuzusehen und dessen Richtigkeit zu prüfen. In der Sitzung vom 6. April 1869 wurden die von den Mau rermeistern Güldner und Hoyer cingereichten Kostenanschläge über die in der Stadikirche vorzunehmenden Reparaturen streng geprüft und wegen mehrfacher sich dabei herausgestellter Ungenauigkeiten, dem Herrn Vorsitzenden der Auftrag ertheilt, mit den genannten beiden Meistern die ungenauen Punkte zu erörtern. Sodann wurde auf Ansuchen des Herrn Diaconus Ficker be schlossen, demselben zu gestatten, in den untern Räumen des Diaco- natsgebüudes Schulunterricht zu ertheilen. Hierauf brachte der Herr Vorsitzende zur Kenntniß des Kirchen vorstandes a. ein Schreiben des Herrn Adv. Sommer des Inhalts, daß bei Einsichtnahme des neuangelegten Foliums für den hiesigen Got tesacker dasselbe von ihm für richtig befunden worden sei, und b. ein Schreiben des Herrn Ephorus, worin mitgetheilt wurde, daß nunmehr bald die Berufung einer Diöcesanversammlung für die Ephoric Dresden II erfolgen werde. Endlich theilte der Herr Vorsitzende noch mit, daß an der hie sigen Orgel infolge eingedrungener Feuchtigkeit eine Reparatur sich nöthig gemacht habe, deren Dringlichkeit vom Herrn Cantor Zedtler bezeugt worden, so daß dieselbe vom Herrn Orgelbauer Jähnichen bereits in Angriff hat genommen werden müssen, obwohl sich im Vor aus noch nicht absehcn lasse, wie hoch die Kosten der Reparatur sich be laufen würden. Unter erwähnten Umständen gab der Kirchenvorstand nachträglich seine Genehmigung zu dieser Reparatur. Wilsdruff, den 1. Juni 1869. , Protokollflihrer. Gerächt und gerichtet. Stur vors- und tiümlnalgcschlchlc »e» Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Der Gerichtsrath war, als Georg zu Verhör gebracht wurde, in seiner übelsten Laune, denn jeden Morgen stieg er wie ein drohendes Gewitter in die Amtsstube hinab, um sich unter Blitz und Donner am Tage über zu entladen und dann nur Abends beim Whist unter alten Freunden einen Streifen heitern Himmels zu zeigen. Der alte Kriminalrichter saß, wie immer, hinter seiner Barriere und nahm beim Eintritt des Jnkulpate» eine Prise, um den letzteren mit geschärften Augen aublicken zu können. „Er ist also der nichts würdige Mordkerl, der de»Müller erschlagen hat?" donnerteer dann Georg an. „Das bin ich nicht!" entgegnete dieser ruhig. „Schweig Er und antworte Er nur, wenn er gefragt wird. Er hat mit Konrads Mariannen eine Liebschaft gehabt?" fragte der Alte weiter. „Nein, das hab' ich nicht," war die gelassene Antwort. „Was, Er leugnet, was dorfbekannt!" rief entrüstet der Ge- richtsralh, „so saug' Er mir nicht an, sonst wirds nicht gut," setzte er drohend hinzu und fuchelte dabei mit einem Aktenstücke in der Luft. „Ich bin der Marianne gut gewesen und sie mir, aber eine Liebschaft haben wir nicht gehabt!" entgegnete Georg. „Wie? Er untersteht sich, solche Wortklaubereien vorzubringen? das ist ganz gleich, Er hat eine Liebschaft mit ihr gehabt, versteht Er mich? und Er ist wüthend darüber gewesen, daß sie einen andern hat hcirathen wollen?" „Weil ihr Vater sie gezwungen," entgegnete der junge Bursche und in dem matten Auge blitzte es seltsam auf. „Uno Er hat deshalb feinen Nebenbuhler aus dem Wege ge schafft? Leugne Er nicht länger, wir haben die klarsten Beweise. Ist das nicht ^ein Tuch?" und damit brachte er das oorxus äoleeti hervor. „Ja wohl!" entgegnete der Bursche unbefangen, „ich hab's vor einigen Tagen bei Mariannen vergessen." „Ha, ha! da ist er gefangen, das Tuch lag in der Kammer des Ermordeten und Er hat es dort in der Eile liegen lassen. Das bleiche Gesicht Georgs wurde noch bleicher und ein kalter Schauer lief über seinen Körper, denn er fühlte, das sich über sei nem Kopfe ei» dunkles Netz zusammenzog, dem er schwerlich entrin nen würde.