Volltext Seite (XML)
erscheinen, wo man ihn allgemein erwartete. Die ihm zugedachten Gratulationen mußten also unterbleiben. Wo sich übrigens die junge Frau jetzt aufhält, ist gänzlich unbekannt. Löwy will ihren Aufenthalt nicht verraten. * Der Schutz auf die Gatti«. Madame Jeanne Merey, die von ihrem Gatten getrennt lebt, fuhr eines Abends vom „Theatre de la Monnaye" in Brüssel, an dem die Künstlerin tätig ist, nach Hause. Der ehemalige Gatte Madame Mercys, Herr Ledocte, der sah, wie seine ehemalige Frau den Wagen bestieg, schoß, angeblich durch eine höhnische Geste der mit im Wagen sitzenden Schwieger- mutter gereizt, in blinder Wut nach der vorbeirollenden Exgattin und verletzte sie am Finger. Daß er geschossen hat, wird als „crims passionsl" milde beurteilt und kostet 1 Jahr und 100 Franken. Aber die Gerichtsärzte kon ¬ statieren, daß der Finger der Mme. Merey steif bleibt und daß sie sich nicht mehr auf dem Piano zum Gesang be gleiten kann. Viele Sachverständige, darunter Angehörige des Theaters, wohnten der Gerichtsverhandlung bei. Der Anwalt der Klägerin hatte sie geladen, um die Möglichkeit der Fähigkeit, sich begleiten zu können, festzustellen; denn er begehrt für seine Klientin als Schadenersatz die runde Summe von 100000 Franken. Der Gerichtshof fand indessen die Summe zu hoch; aber er verurteilte den leidenschaftlichen Gatten doch zu einem Schmerzensgelde von 35000 Franken. * Der mutmatzliche Mörder der Lucie Berlin, Zuhälter Berger, wurde am Dienstag im Polizeipräsidium abermals den Eltern des ermordeten Mädchens gegenüber gestellt und dann einem längeren Verhör unterzogen, in dem ihm Gelegenheit zum Nachweis seines Alibis gegeben werden sollte. Dieser ist ihm aber ebenso mißglückt wie an den Tagen vorher. Berger behauptet, er sei am Tage der Ermordung, am Nachmittag jenes Donnerstags, von 1 Uhr ab überhaupt nicht im Hause Ackerstraße 130 ge wesen und hätte darum zu jener Zeit auch nicht die Wohnung der Liebetrut betreten können. Sein Hinweis, daß er gegen 2 Uhr, in der Stunde, zu der nach Annahme der Behörde der Mord in der Liebetrutschen Wohnung aus- geführt wurde, sich außerhalb des Hauses befunden habe, ist durch die gegenteiligen Angaben der Frau Berlin und der anderen Flurnachbarn widerlegt worden. — Die Leiche der kleinen Lucie ist heute für die Beerdigung freigegeben worden; der Tag der Beisetzung ist aber noch nicht fest gesetzt. Der Australier. Roman von E. W. Hornung. k) (Nachdruck verboten.) „Nun schießtI" sagte er belfer. Sundown starrte dem jungen Mann einen Augenblick prüfend ins Gesicht, aber er beachtete seine Worte nicht. „Leert Eure Tasche!" Dick nahm das Taschenbuch, welches das ganze Vermögen der Firma enthielt, heraus. „Oeffnct es!" Dick gehorchte. „Wieviel ist es?" „Einhundert und dreißig Pfund." „Gut, in Checks?" „Beinahe alles in Papierscheinen." Der Räuber achte befriedigt. «Nehmt es, wenn Ihr es wagt", sagte Dick mit einem tiefen Atemzuge. Sundown bog sich herab und nahm das offene Taschen buch aus Edmonstones Hand, noch immer den geladenen Revolver auf ihn richtend. In dem bleichen Licht des auf- aehenden Mondes sah das Gesicht des jungen Mannes geisterhaft aus, wie der Tod selbst. Der Buschmann sah es und fiel halb aus seiner Rolle. „Ihr seid ein Anfänger, vermute ich?" „Wozu die Frage?" antwortete Dick bitter. „Und noch nicht lange mit dem Handel im Gange?" Dick antwortete nicht. Sundown trat nahe an ihn heran und griff an seine Schulter. „Sagt, Mann, bedeuten Euch diese einhundert und dreißig Pfund so sehr viel?" Noch keine Antwort. „Auf Euren Eid, sind sie Euch soviel wert?" Dick sah wild au». .Viel? Es ist mir alles! Ihr habt mir alles, was ich habe, geraubt. Ihr habt mein Leben, welches ich gern mit dem Geld verloren hätte, gerettet; denn dies ist alles, was ich auf der Welt habe, wenn Ihr es denn wissen wollt. Wollt Ihr mich wahnsinnig machen, Ihr Schurken? Schiebt auf mich, schießt, sage ich. Bleibt, ich werde Euch dazu zwingen" — und Dick preßte sein Handgelenk. In dem Augenblick fühlte er sich im Nacken ergriffen und fortgestoßen, während ein Ring von kaltem Stahl seinen Kopf znsammenpreßte. „Hierher — Jean Pound — rächt Euch und bindet diesen Jungen fest, aber schont ibn, ich bewache Euch." In fünf Minuten stockte das Blut überall in Edmonstones Körper. Er war so fest, wie nur ein rachsüchtiger Schurke binden kann an das äußere Wagenrad gefesselt. Sundown stand daneben und sah ihm zu. Dick würde in seinem Blick, wenn er die Maske gelüftet hätte, mehr Bewunderung als Wildheit gesehen haben, und ehe er sich wandte, um nach seinen plündernden Untergebenen zu sehen, einen noch weniger feindlichen Ansdruck. Flint war schon an das andere Hinterrad gebunden, sodaß die Teilnehmer Rucken an Rücken gefesselt waren, beide im stande, ihr Eigentum von den Räubern aus dem Wagen sort- tragen zu sehen, aber unfähig, einen Blick miteinander zu wechseln. „Was habt Ihr gefunden?" fragte Sundown seine Leute. „Wenig genug", antwortete Jean mit einem Fluch. „Der Warenvorrat war ziemlich ansverkauft, die Kasten beinahe leer." Trotzdem lagen verschiedene Waren zerstreut umher, und Hüte, Stiefel und Pfeifen wurden schnell von Jean Pound und dem mit „Ben" angeredetcn Mann aufgelesen. Sundown der Führer, schien mit einer Sammlung Rauchutensilien zu frieden und sehr zerstreut während der Plünderung zu sein. Nach einiger Zeit bestiegen die Männer auf ein Wort Sundowns ihre Pferde, er selbst begab sich zu dem an das Rad gefesselten Flint. „Kann ich Euch mit irgend etwas dienen, ehe wir fort gehen?" fragte er mit größter Höflichkeit. „Ja", sagte Flint trocken, .mit einer von den Cigarren, welche Ihr uns die Ehre angethan habt, fortzunehmeu." Der andere lachte, aber kam der Bitte nach. „Desgleichen mit einem Streichholz", sagte Flint. Sundown strich eins an und hielt es an Flints Cigarre, bis sie branme. Dieser freundliche Dienst verdiente in der Tbat den reichlichen Dank, der ihm gezollt wurde. Der geniale Räuber wandte sich jetzt zu dem jungen Edmonstoue „Euch", sagte er langsam, „gebe ich Euer Taschenbuch zurück. Einen solchen Schatz vermochte ich Euch nicht zu rauben. Behaltet cs als Andenken an das enorme Vermögen von einhundertunddreihig Pfund, welches es einst enthielt. Uebrigens habe ich es nicht ganz geleert; ich mag ein Teufel sein, aber ganz ohne Herz bin ich nicht. Ihr werdet genug für ein Nachtquartier und ein bescheidenes Abendessen darin finden. Und — und vergeßt Sundown nicht; vielleicht mögt Ihr einst ein gutes Wort für ihn eiulegen können." Diese letzten, nach einer kleinen Pause gesprochenen Worte wurden leicht hingeworfen, und doch klangen sie abweichend von allem Borhergesagten. Ehe der letzte Ton verhallt war, saß Snndown im Sattel, und der Widerhall der galoppierenden Pferde wurde schwächer und schwächer. Flint befreite sich zuerst. Es nahm Stunden in Anspruch. Seine Zähne schmerzten, seine Finger bluteten, ehe der letzte Knoten gelöst war und er seine Hände gebrauchen konnte. Sein Messer besorgte schnell das Uebrige. Er ging schnell zu Edmonstoue, der noch nicht gesprochen hatte, seit die Räuberbande verschwunden war. Er fand ihn bleich und kalt, mit einem harten, starren Gesichtsausdruck. Dick lieb sich ohne ein Wort, fast ohne einen erkenntlichen Blick, befreien. Die Pferde, welche man ganz in der Nähe Zweige und Büsche abrnpfen hörte, waren leicht zu fangen. Ebensowenig Schwierigkeit bot cs, die Spur, welche die Busch räuber genommen hatten, zu erkennen. Die niedergeschlagenen Teilhaber waren im Begriff, ihren Wagen wieder zn besteige», als Flint das Taschenbuch auf dem Boden liegen sah. (Fortsetzung folgt.)