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Beilage zu No. 68. Freitag, drn 24. Anglist 1888. PS Die Warnung. Erzählung von Ludwig Habicht. (Schluß.) (Nachdruck verboten ) „Sollte nur rasch kommen, eh' zu spät", antwortete Anton. „Sorge nur für Deinen Kranken, wir müssen uns schon so gut behelfen, wie es geht", bemerkte Frau v. Tellberg dem Kutscher und sich an ihre Nichte wendend, setzte sie lächelnd hinzu: „Willu Du heute Deine Kochkünste zeigen, oder soll ich sie entfalten?" „Nein, ich will es übernehmen", entgegnete Adele und ihre Tante nickte ihr freundlich zu, denn sie war froh, daß sie sich wieder ungestört ihrer Lektüre überlassen konnte. Auch das junge Mädchen suchte sie durch diese Thätigkeit ein wenig zu zerstreuen, aber immer wieder lenkten ihre Gedanken zu der Warnung des Hauslehrers zurück. Wenn die Tante den guten Mann selbst gesehen und gesprochen Härte, würde sie gewiß auch nicht so ruhig geblieben sein. Adele war noch eben in der Küche eifrig beschäftigt, da ging die Thür auf und znr größten Verwunderung des jungen Fräuleins erschien Auguste auf der Schwelle. Noch ehe sie eine Frage hervorbringen konnte, erging sich das junge Mädchen mit geläufiger Zunge in den heftigsten Ausdrücken über die Schlechtigkeit des Kutsckers. „Denken Sie nur gnädiges Fräulein!" setzte sie zornglühend hinzu, „der Mensch hat mich in den April geschickt. Unterwegs begegnet mir zusällig mein Bruder und als ich ihn gleich nach der Mutter frag' und ob sie etwa gestorben sei, sagte er lachend: „Die ist so gesund, wie Du und ich. Anfangs denk' ich, er will mich nur beruhigen, aber Fritz ver sicherte hoch und theucr, daß die Mutter wohlauf sei und so kehrte ich um. Na, ich hab's dem Anton sür einen dummen Spaß gründlich ge geben, er wird es nicht zum zweiten Mal machen", setzte Auguste hinzu und sie stemmte resolut die Arme unter. Adele ließ sich die Sache noch einmal ruhig erzählen und ein Ver dacht stieg in ihr auf. Wenn der Kutscher nur diese Lüge erfunden hätte, um Auguste aus dem Hause zu locken und nun mit ihnen allein zu sein? Sie eilte augenblicklich zu ihrer Tante und sprach ihren Argwohn aus, obwohl sie im Voraus wußte, daß sie damit wenig Gehör finden würde. In der That faßte auch Frau v. Tellberg die Sache anders auf. „Ach, der gute Anton wird ganz unschuldig sein, wahrscheinlich hat sich die Botenfrau den dummen Spaß gemacht. „Gieb Acht, daß ich Recht habe"; sie klingelt den Kutscher herbei und wirklich erklärte dieser mit dem dummgutmüthigsten Gesicht von der Welt, daß er völlig unschuldig sei und ihn dann die Botenfrau belogen habe. Frau v. Tellberg empfand jetzt über ihren Scharfsinn einen kleinen Triumph und ließ sich durch die ängstlichen Bedenken Adelen's nicht er schüttern, der hinter all' diesen Dingen nur eins böse Absicht des Kutschers vermuthete. Der Tag ging sehr still dahin, von einer Reise konnte keine Rede sein, denn Anton klagte noch immer über sein Pferd und erklärte seiner Herrin ängstlich, daß er heute nicht den Stall verlassen dürfe und die gute Frau sah darin wieder die Treue des braven Burschen. Adele wurde ihre ängstlichen Gedanken nicht los; aber sie wollte ihre Tante nicht weiter beunruhigen und gab sich Mühe, ein sorgenloseres Antlitz zu zeigen. Wirklich ließ die Letztere fick davon täuschen; sie schien ganz die Warnung des Hauslehrers vergessen zu haben und war so heiter und sorglos wie immer. Nach dem Abendbrot nahm sie eine Stickerei zur Hand und plauderte dabei mit ihrer Nichte, die sich ebenfalls mit einer weiblichen Arbeit zu beschäftigen und so unbefangen wie möglich zu ant worten suchte, während durch ihr Inneres die qualvollsten Vorstellungen irrten. — Ein Schrei unterbrach plötzlich die Stille des Abends; er schien vom Stalle herzukommen. Adele schrak zusammen. „Was war das?" fragte sie und blickte be stürzt auf ihre Tante, die ruhig entgegnete: „Anton hat schon immer auf einen Marder gelauert, der unseren Hühnern nachstellt nnd vielleicht hat er ihn endlich erwischt." „Nein, das schien eine Menschenstimme zu sein," entgegnete Adele. „Wo denkst Du hin, es ist so, wie ich Dir sage, Du bist heut' ein mal in einer wunderlichen Aufregung und hörst und siehst deshalb alles Mögliche." „Ich will mich überzeugen, was dort geschehen ist," rief die Nichte und erhob sich rasch. „Nein, nein, das können wir bequemer haben," erwiderte die Tante und sie schellte sogleich nach dem Kutscher. Vergeblich bat Adele, ihr doch zu gestatten, selbst hinuntergehen zu dürfen; die gute, ein wenig eigensinnige Frau wiederholte nur desto entschiedener ihren Wunsch: „Nein, bleib'! Das schickt sich für Dich nicht, jetzt noch in den Stall hinunter zu gehen." Es verging eine lange Zeit, eh' der Kutscher erschien und als sogleich seine Herrin die Frage an ihn richtete, was das für ein Schrei gewesen sei, machte er anfangs ein verwundertes Gesicht und erst nach einigem Sinnen antwortete er: „Ach, ich hab' endlich erwischt nichtswürdigen Hühner dieb. Wird uns nicht mehr stehlen ein Küchlein." Frau v. Tellberg war damit befriedigt; sie erkundigte sich dann noch nach dem Fuchse, und als sie hörte, daß derselbe schon munter sei und Anton hoffe, ihn morgen wieder cinspannen zu können, war vollends ihre gute, sorglose Laune wieder hergestellt. „Ich bin nur froh, daß ich mich durch Deine Aengstlichkeit nicht an stecken lasse," sagte sie lächelnd und wollte harmlos weiter plaudern, aber Adele vermochte kaum kurze und zerstreute Antworten zu geben. Das Gespräch wurde immer einsilbiger geführt und endlich schwieg auch die Tante. „Wollen wir schlafen gehen?" fragte sie verdrießlich. „Nein, ich bin noch gar nicht müde", entgegnete die Nichte. „Dann muß ich mir noch Wolle holen." „Darf ich das nicht für Dich besorgen?" „Du würdest sie nicht finden, sie liegt in meinem Schlafzimmer", entgegnete die Tante etwas kühl und entfernte sich rasch mit einem ange zündeten Licht. Nach einer Weile kam sie todtenbleich, mit verstörtem Antlitz zurück und sie vermochte nur hervorzustammeln: „O mein Gott!" — dann sank sie auf den nächsten Stuhl. „Was ist geschehen, theuere Tante?" fragte Adele, das Herz mit namenloser Unruhe erfüllt. Frau v. Tellberg suchte sich mühsam aufzuraffen und es bebte leise von ihren Lippen: „Ich war in meinem Schlafzimmer und suchte die Wolle, und als ich sie gefunden, wollte ich mich entfernen, da bemerkte ich einen Stiefel, der unter meinem Bett hcrvorragte. Ich hatte noch so viel Besinnung, daß ich nicht laut aufschrie, sondern ruhig vor mich hinmurmelte: „Endlich hab' ich meine Wolle wieder" — und leise hin ausging; aber wie ich wieder hierher gekommen, weiß ich nicht. Du hattest Recht! Warum hab' ich Dir nicht gefolgt? Wir sind verloren! denn ich erkannte den Stiefel sogleich, er gehört Anton an. Ich täusche mich nicht." „Meine Ahnung!" flüsterte Adele, dann setzte sie rasch entschlossen hinzu: „Können wir uns nicht flüchten, ehe er uns verfolgt?" „Dn weißt, daß Auguste am Abend alle Schlüssel in meine Schlaf stube bringen muß," entgegnete die Tante. Das junge Mädchen sann einen Augenblick nach. „Durch das Fenster können wir ebenfalls nicht fort, es liegt zu hoch und beim leisesten Ge räusch würden wir nur den Schurken herbeilocken. Wir müssen um jeden Preis den Hausschlüssel haben und ich will's versuchen." Noch eh' die Tante widerrathen konnte, war sie verschwunden. Das Schlafzimmer lag am anderen Ende des Korridors und leise, mit unhörbaren Schritten, suchte sich Adele der Thür zu nähern. Nun galt es geräuschlos zu öffnen und ebenso geräuschlos die Stube zu betreten und sich des Schlüsselbundes zu bemächtigen. Das Herz bebte ihr, als sie das Drückerschloß in die Hand nahm. Wenn es nur den leisesten Ton von sich gab, war alles verloren. Die Thür öffnete sich geräuschlos und nun schlich sie mit angehaltenem Athem in das Zimmer. Sie mußte den großen Raum der Länge nach durchschreiten, denn wie sie wußte, lag das Schlüsselbund stets auf dem Nachttisch. Im Zimmer herrschte völlige Finsterniß; aber es kam Abelen zu statten, daß sie mit den Räumlichkeiten ganz vertraut war, dennoch konnte jeder Schritt nach vorwärts sie verrathen. Sobald sie nur mit ihrem Gewände irgend einen Gegenstand streifte, drohte ihr die größte Gefahr. — Da hatte sie schon den Nachttisch erreicht! — Aber wie sich nur der Schlüssel bemächtigen, ohne daß sie nicht ein verrätherisches Klirren von sich gaben? — Sie berührte die Schlüssel mit der Hand und wagte sie doch nicht anzugreifen. Ein Zittern ging durch ihren ganzen Körper und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Halb unbewußt holte sie ihr Taschentuch hervor, um ihren gepreßten Athem darin auszuhauchen. Da kam ihr plötzlich ein rettender Gedanke. Wenn es ihr gelang, mit dem Taschentuch die Schlüssel geräuschlos hin wegzunehmen? — Sie hatte keine Zeit, sich weiter zu besinnen und noch länger zu zögern. Jeder verlorene Augenblick konnte ihr den Tod bringen. Vorsichtig suchte sie die Schlüssel zu umhüllen; aber da ließ sich doch ein verrätherisches Klirren hören und Adelen war es, als müsse sie in die Kniee brechen, denn sie fühlte schon die Mörderfaust hinter sich. Nun konnte sie nur noch Kühnheit retten. — Schon drang ein leises Geräusch an ihr Ohr, als ob der Mensch unter dem Bett eine Bewegung mache und ohne weiteres Besinnen eilte sie an die Thür und sie hatte so viel Zeit, sie zu schließen, da war der Verfolger schon hinter ihr. Rasch be sonnen drehte sie den Schlüssel herum, der glücklicherweise von draußen steckte, und so war der Schurke wenigstens für den nächsten Augenblick gefangen. Adele horchte noch eine Sekunde an der Thür, was wohl der Mensch beginnen würde? — Vielleicht suchte er sich den Ausgang mit Gewalt zu erzwingen oder er wagte einen Sprung durch das Fenster; aber es blieb drinnen alles todtenstill. Wenn Adele nicht gehört hätte, daß eine Gestalt dicht hinter ihr war, würde sie das Ganze für ein Erzeugniß ihrer Einbildung gehalten haben. Nachdem das junge Mädchen noch einige Sekunden in athemloser Spannung gelauscht hatte und drinnen alles räthselhaft still blieb, eilte sie zu ihrer Tante zurück, um ihr das Vorgefallene zu berichten. Frau v. Tellberg zog halb besinnungslos die Klingel, um Auguste herbeizurufen, aber es blieb alles still. Das arme Mädchen kam nicht, und Adele wußte damit, daß sich ihre schreckliche Ahnung bestätigte, aber sie schwieg, um ihre Tante nicht noch mehr zu ängstigen. Wahrscheinlich war Auguste in den Stall gegangen, um Anton bittere Vorwürfe zu machen und der Elende hatte die Gelegenheit benutzt, das arme Mädchen sogleich völlig zu beseitigen. Was nun beginnen? Vergeblich grübelten die beiden Frauen dar über nach. Wenn sie jetzt aus dem Hause flüchteten, mußten sie fürchten, daß der schreckliche Mensch inzwischen den Weg durch das Fenster genommen hatte und ihnen auflauerte. Das Beste blieb, sich hier im Wohnzimmer gegen jeden Angriff nach Möglichkeit zu schützen. Frau v. Tellberg hatte alle Besinnung und Muth verloren, ihre Nichte mußte für sie handeln. Sie schloß beide Thüren sorgfältig ab und suchte die Eingänge noch durch allerhand Mobiliar zu schützen. Hier allein leistete ihr die Tante etwas Hülfe, als sie sah, wie das junge Mäd chen sich vergeblich abmühte. Endlich war alles soweit gethan, daß ein unbefugtes Eindringen nicht so leicht möglich wurde. Vielleicht durften sie hoffen, daß Anton es nicht wage, sie bis hierher zu verfolgen, selbst wenn es ihm gelang, sich rasch zu befreien. Aber der Schurke war schon zu weit gegangen, er konnte nicht mehr zurück und mußte alles daran setzen, sie zu verderben, um seine Schuld damit zu verdecken. Welch' eine Nacht! — Beim leisesten Geräusch bebten die armen Frauen zusammen. — Jede von ihnen blieb auf einen Stuhl sitzen und wagte nicht, die Augen zu schließen, immer mußten sie fürchten, daß der Elende auf irgend einem Wege zu ihnen hereindrang, entweder durch das Fenster oder durch die Thür. Jetzt fiel es Frau v. Tellberg wie Schuppen von den Augen, jetzt wußte sie alles! — Der Schurke hatte die günstige Gelegenheit benutzen wollen