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vergebens eine Friedenskundgebung erwartet hatte, hat in einem Reskript an den Generalgouverneur von Moskau die zuversichtliche Hoffnung ausgedrückt, daß in dem jetzigen, wie in künftigen Jahren der Friede gestatten werde, alle Kräfte dem inneren Gedeihen zu widmen. Das sind sehr gewichtige und erfreuliche Worte, welche zur Beruhigung der Gcmüther erheblich beitragen werden. Je seltener offizielle Aeußerungen des Zaren in politischen Dingen sind, um so stärker fallen sie in's Ge wicht. Daß es dem Zaren mil seinen Friedensworten ernst ist, dafür sprechen innere, wie äußere Gründe. Wenn der Zar sein Wort für den Frieden einlegt, so darf man annehmcn, daß er selbst an erster Stelle ent schlossen ist, das Schwergewicht seiner Autorität einzusetzen, um die von ihm betonten Friedcnshoffnungen in Erfüllung zu bringen. Hoffen wir, daß der Lar in der eingeschlagenen Richtung weiter vorgeht. Er ist der einzige Mann, der die Welt von dem Alp der Kriegsbefürchtungen be freien kann. Rußland hat durch den Mund Kaulbars u. A. Bulgarien gegen über gedroht, es werde eher die Welt untergehen als daß Rußland von seinen Forderungen ablasse. Das heißt den Mund voll nehmen. Fürst Ferdinand aber ist die Antwort nicht schuldig geblieben. Mit einer Armee wie die bulgarische, sagte er zu der Vertretung des Handes, dürfe man alles wagen. Und das Offizierkorps redete er am Neujahrstag mit den Worten an: „Die Ereignisse können Bulgarien bald zwingen, sein Recht zu ver- theidigen. Man wird sehen, daß ich für die Vertheidigung des Vaterlandes zu sterben weiß." Auch er nimmt also den Mund voll, aber sieht man von den Uebertreibungen ab, so leuchtet aus der Rede Muth und Ent schlossenheit heraus, die sehr anerkennenswerth sind, wenn den Worten die Thaten entsprechen. Zwischen Frankreich und Italien hat sich ein Streitfall ergeben, der zu sehr heftigen Erörterungen bereits geführt hat. In Florenz drang der dortige Friedensrichter mit einigen Gendarmen in die Wohnung des fran zösischen Consuls, um das in einer Prozeßsache dort hinterlegte Testament eines tunesischen Generals, Hussein Pascha, mit Gewalt zu beschlagnah men. Derselbe protestirte gegen die Verletzung seiner Gerechtsame. Ita lien ist auch bereit, den Friedensrichter strafweise zu versetzen, aber nur, wenn zugleich auch Frankreich seinem Consul eine Rüge errheile, weil dieser bei dem Streitfall auch seine Befugnisse überschritten habe; derselbe sei nämlich gar nicht berechtigt gewesen, die Verwaltung der Hussein'schen Erbschaft zu übernehmen, ohne den Friedensrichter davon in Kenntniß zu setzen. Frankreich besteht nun darauf, daß Italien mit der Strafversetz ung des Friedensrichters den Anfang machen müsse; später werde es sich, unabhängig davon, finden, ob Frankreich auch seinen Konsul zu bestrafen Ursache habe. In Frankreich ist die öffentliche Meinung tief empört, daß Crispi sich nicht ohne Weiteres dem französischen Verlangen fügt. Man droht dem Minister des Auswärtigen, Flourens, wenn er sich schwach zeige, sofort mit seinem Sturze. „Gaulois" ruft dem jungen Königreiche Italien zu, es solle doch endlich lernen, Großmacht zu sein, und sich an Deutsch land ein Beispiel nehmen, welches zweimal gezeigt habe, wie man das stärkste Heer der Welt haben und dennoch ein begangenes Unrecht würde voll und höflich gutmachen könne. Ein anderes Blatt fragt zähneknirrschend, ob Frankreich denn so tief gesunken sei, daß es sich selbst von einem kleinen Gernegroß, wie Italien, schweigend Schimpf anthun lassen müsse? Ein drittes Blatt meint, Italien habe an Abessinien anscheinend nicht genug und suche für seinen Thatendrang auch noch europäische Verwickelungen. Ein viertes sagt geradezu, Herr Crispi lasse sich vom Fürsten Bismarck als ^gknt provooatsur gebrauchen und sei nur darum so dreist, weil er an Deutschland einen Rückhalt finde. Zudem sind, der „Voss- Ztg." zufolge, die von der italienischen Regierung dem französischen Ministerium übersandten Schriftstücke in italienischer Sprache und auf Seidenpapier ge schrieben, was als absichtliche Unhöflichkeit aufgefaßt wird. Crispi läßt sich aber nicht einschüchtern; er hat eine neue Untersuchung über das Eindringen des Friedensrichters in das französische Konsulatsarchiv angeordnet. London. Die Unbeschäftigten der Londoner Vorstädte Greenwich und Deptfvrd hielten dieser Tage eine von etwa 2000 Personen besuchte Versammlung ab. Einer der Redner sagte, das Elend in dem Distrikte sei jetzt so groß, daß Menschen von Herz es nicht mehr anschauen könnten. Drei Fälle von buchstäblichen Hungerstod seien schon vorgekommen. Das Arbeitshaus sei längst voll. Dauerten die Dinge noch länger in dieser Weise fort, so müßten die Arbeitslosen die Ansicht Kardinal Manning's in Erwägung ziehen, nämlich daß Noth kein Gesetz kenne. Die sogen. Wohlthätigkeitsgesellschaften seien eine Farce. Bekämen dieselben 40 000 Pfund Sterl, jährlich, so würden 20 000 Pfd. Sterl, davon für Gehälter und laufende Ausgaben verwandt. Man solle in Massen vor das Arbeits haus ziehen, dann würde das gegenwärtige System der Armenunterstützung bald abgeändert werden. In Hamburg haben die Sozialdemokraten den Herren der Justiz heiß gemacht, denn 30 Zentner sozialistischer Schriften wurden in der Zentralheizung des Justizpalastes verbrannt. Der Dampfer „Britannia" soll auf der Reise von Gibraltar nach New-Aork Schiffbruch gelitten haben; dabei sollen 850 Menschen um's Leben gekommen sein. Hoffentlich bestätigt sich diese schreckliche Nachricht nicht. Vaterländische». Wilsdruff. In der Nacht vom Dienstag zur Mittwoch hat im benachbarten Limbach ein Schadenfeuer stattgefunden. Es brannte ein Seitengebäude des Thicle'schen Gasthofes vollständig nieder; leider ist der junge Besitzer dadurch schwer geschädigt worden, daß ihm ein Pferd erstickt, sowie verschiedenes Federvieh und im Gebäude aufgespeicherte Vorräthe mit verbrannt sind, und derselbe auch bis jetzt noch nicht versichert hatte. M — Eine vollständige Mondfinsterniß haben die Sternkundigen für den 28. d. M. angesagt. Die Verfinsterung beginnt um 10 Uhr 10 Min., die totale Finsterniß erst um 12 Uhr 49 Min. Nachts. Hoffentlich wer den!« nichts,wieder neidische Wolken, wie bei der vorjährigen Sonn- und Mondfinsterniß, die Beobachtung des interessanten Schauspiels verhindern. Die Mondfinsterniß dauert im Ganzen drei Stunden, erreicht also ihr Ende um 1 Uhr 50 Min. — Letzten Sonnabend entgleisten bei dem Nachmittag 12 Uhr 35 Minuten von Hainsberg nach Kipsdorf verkehrenden Zuge auf der Strecke zwischen Hainsberg und Rabenau zwei mit Langholz beladene Lowries, doch konnte der Zug nach kurzem Aufenthalt seine Weiterfahrt fortsetzen. Die alsbald wieder in's Gleis gebrachten Wagen führte eine besondere Maschine nach Rabenau. — Wichtig für angehende Einjährig-Freiwillige ist die kaiserliche Verordnung, betreffend Ergänzungen und Aenderungen der Wehrpflicht, welche lautet: „Wer sich behufs Erlangung der Berechtigung zum einjährig freiwilligen Dienst nicht spätestens bis zum 1. Februar seines ersten Mili tärpflichtjahres, d. h. desjenigen Jahres, in welchem er das 20. Lebens jahr vollendet, bei der betreffenden Prüfungskommission anmeldet und den Nachweis der Berechtigung nicht bis zum 1. April desselben Jahres bei der Ersatzkommission seines Ortes anbringt, verliert das Anrecht auf Zu lassung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst." Zum wirklichen Eintritt in die Armee ist also außer dem Zeugnis; von Obersekunda noch ein mili tärisches Zeugniß von der Prüfungskommission für Einjahrig-Freiwillige einzuholen; geschieht dies nicht, sc geht der betreffende junge Mann un widerruflich seiner Berechtigung verlustig, da in Folge der kaiserlichen Ver ordnung die ministeriellen Instanzen nicht mehr das Recht haben, nach träglich, wenn ein Schulzeugniß vorlag, die Berechtigung zum Eintritt in die Armee als Einjährig-Freiwilliger zu ertheilen. — In Meißen verschied in einer am 15. d. abghaltenen Versamm lung der Maler-, Lackirer- und Vergolder-Innung der auf's Neue ge wählte Obermeister Moritz Axt in dem Augenblicke, als er sich zur An nahme der Wahl erklärte. — Daß die sächsische Pferdezucht in den verflossenen 10 Jahren einen hohen Aufschwung erreicht hat, ist unbestrittenes Verdienst des k. Landstallmeisters Grafen Münster in Moritzburg, der mit unermüdlicher Thätigkeit in landwirthscbaftlichen Kreisen das Interesse für Pferdezucht zu erwecken und zu befestigen verstand. Während noch im Jahre 1877 auf landwirthschaftlichen Ausstellungen in Sachsen nur 42 Proz. von Thieren heimathlicher Zucht vertreten waren, ist bei der vorjährigen Bautz- ner Ausstellung die hohe Ziffer von 80 Proz. ausgestellt worden. Am wesentlichsten zu dieser Hebung sächsischer Pferdezucht hat der Foblenauf- zuchtverein mit beigetragen, derselbe besitzt 6 Aufzuchtstationen (Oelsnitz, Tanneberg, Leulitz, Eppendorf, Elterlein und Heuscheune), in welchen ge genwärtig 173 Fohlen verpflegt, bezw. aufgezogen werden. Platz ist in der Station für 230 Thiere. Von der Errichtung einer ständigen Cen tralstelle für den Verkauf junger Pferde sächsischer Zucht in Dresden mußte abgesehen werden, dafür wird dieselbe aber in Moritzburg etablirt werden, da in dem dortigen k. Landstallamt, in welchem sich 90 Hengste befinden, noch genügend Raum für vorgenannte Zwecke vorhanden ist. — Seit Monat November herrscht in Cunewalde unter den Kin dern Masern und Scharlach. Gegenwärtig herrschen die Masern in Ober cunewalde so schlimm, daß die vierte Schulklasse vom Bezirksarzte geschloffen werden mußte. Dazu ist Obercunewalde von einer neuen Epidemie heim gesucht worden, indem die Trichinose daselbst ausgebrochen ist. Eine große Anzahl Menschen, zum Theil ganze Familien, sind daran schwer erkrankt. Täglich mehrt sich noch die Zahl der Erkrankungen und es ist noch nicht abzusehen, in welchem Umfange die Trichinose ausgetreten ist. Jedenfalls dürfte man es mit einer schweren Epidemie zu thun haben, da in der untersuchten Bratwurst eine große Anzahl Trichinen gefunden wurden. Die Erkrankungen sind größtentheils auf den Genuß von roher Bratwurst zurückzuführen. Der Tod hat bereits seine Beute gefordert, indem am 15. Januar ein junger Mensch von 25 Jahren der Trichinose erlegen ist. Nach einer anderen Mittheilung aus Obercuncwalde liegen zur Zeit gegen 30 Personen an dieser Trichinenkrankheit darnieder. Be sonders schwer sind die Mitglieder der Feuerwehr betroffen worden, welche gelegentlich eines Kränzchens Räucherwürstchen gegessen haben. Eine an gestellte mikroscopische Untersuchung hat das Vorhandensein einer unge heuren Menge von Trichinen ergeben, obgleich der betreffende Fleischer, welcher auch selbst darniederliegt, behauptet, daß alle Schweine, die von ihm geschlachtet werden, auf Trichinen untersucht worden sind. Auf ärzt liche Veranlassung ist alles vorhandene Schweinefleisch bei dem betreffenden Fleischer konfiscirt worden. — Ein schreckliches Unglück ereignete sich Dienstag früh in Leipzig in der Wiesenstraße. Daselbst wohnt ein 28 Jahre alter verheiratheter Bürstenhändler aus Bärwald. Der arme Mann war geistig gestört und litt an Verfolgungswahnsinn. Als er Dienstag Morgen wieder einmal von einem heftigen Anfall seiner Krankheit heimgesucht wurde, verließ er plötzlich die Wohnung, und eilte nach den Dachräumlichkeiten hinauf. Seine Frau, nichts Gutes ahnend, folgte ihm auf dem Fuße nach und suchte ihn zurückzuhalten. Sie konnte aber nicht verhindern, daß er den Boden erreichte, sich dort durch ein Fenster schwang und drei Etagen hoch in den Hof hinabstürzte. Der Unglückliche zerschmetterte sich den Kopf und blieb auf der Stelle todt. Aus den Geheimnissen der Großstadt. Kriminal-Roman von R. Meißner. (Nachdruck verboten). (Fortsetzung.) „Warum nicht einmal, wenn einem Herz und Kopf schwer ist von — Familiensorgen." „Seit wann sind Sie im Besitz jenes Auswanderungspasses nach Amerika, der bei Ihnen gefunden worden?" „Seit gestern Mittag." „Zu welchem Zweck haben Sie sich denselben verschafft?" „Um morgen damit außer Landes zu gehen." „Weshalb?" „Weil ich hier beschäftigungslos geworden." „Nennen Sie mir die Personen, mit denen Sie im Laufe des gestrigen Tages verkehrt haben." „Meine Mutter, meine Schwester, mein Vater, die Familie meines Chefs —" „Haben Sie in Gesellschaft Ihres Vaters nicht noch einen Herrn getroffen?" Fritz denkt einen Augenblick nach. „Ja, es war ein Agent; seinen Namen hab' ich vergessen." „Haben Sie in der neuen Welt mit irgend Jemand gesprochen?" „Mit einem Kellner, der mir ein Glas Bier brachte." „War nicht ein Herr da, der Sie um Feuer bat?" „Jawohl, aber ich ließ mich in kein Gespräch mit ihm ein." Der Richter schweigt dann, mit einem festen Blick in das Gesicht deS jungen Mannes sagt er: „Wissen Sie, daß gestern Abend zwischen sieben und acht.;Uhr in der Urbanstraße nicht weit vom Kottbuser Damm der Kommerzienrath Gottwalt beraubt und ermordet worden ist?" „Wer?" — Fritz tritt einen Schritt weiter vor. — „Der Com- merzienrath beraubt? — Ermordet? — Barmherziger Himmel? Und dessen verdächtigt man — mich?" Er schlägt eine höhnische Lache auf.— „Bei Gott, das war das Letzte, was noch fehlte?" „Wenn er der Schuldige oder wenigstens der Mitschuldige dieses Ver brechens ist, was man nach den vorliegenden Verdachtsmomenten immerhin annehmen kann," sagt sich der Untersuchungsrichter, „so ist er wenigstens ein außerordentlich guter Schauspieler!" — Dann winkt er und läßt Fritz wieder in die Haft zurückführen. Gleich daraus wird ein zweiter Verdächtiger vorgeführt. Es ist das ein älterer, breitschultriger, untersetzter Mann. „Ihr Name?" fragt der Untersuchangsrichter. „Traugott Voigt." „Ihr Gewerbe?" „Commissionär." „Sie sind der Vater des ersten Buchhalters der Firma I. Gottwalt und Söhne?" »Ja." „Sie haben heut am frühen Morgen gleich nach Oeffnung des La dens in einem Gvldwaarengeschäft Unter den Linden diese Tuchnadel ver kaufen wollen?" — Dabei zeigt der Richter das werthvolle Kleinod, das vor ihm in einem Kästchen liegt.