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LageSgeschichte. Die Aufhellung der politischen Lage, welche sich mit dem Jahreswechsel an die Veröffentlichung der gefälschten Aktenstücke knüpfte, scheint erfreulicher Weise andauern zu wollen. Von der Spree, wie von der Donau und der Newa erklingen jetzt fortgesetzt die Friedensschalmeien und überall überbieten sich die Regierungsblätter förmlich an beruhigenden Versicherungen. Daneben fehlt es auch nicht an possitiveren Friedenszeichen, wozu namentlich die Verleihung des Schwarzen Adler-Ordens seitens Kaiser Wilhelms an den deutschen Botschafter in Petersburg, General v. Schweinitz, gehört. Diese besondere Auszeichnung darf wohl als eine Anerkennung für die geschickte Durchführung der schwierigen Aufgaben gelten, welche Herrn v. Schweinitz gerade in den letzten Tagen oblagen und die ohne Zweifel für die Erhaltung des Friedens von höchster Wichtigkeit waren. Zur gleichen Zeit ist auch der ungarische Ministerpräsident v. Tisza vom Kaiser Wilhelm durch eine Ordensauszeichnung, durch die Verleihung des Großkreuzes des Rothen Adlcrordens, geehrt worden und die friedenszuver sichtliche Neujahrsrede Tisza's wird wohl der Grund dieser Auszeichnung gewesen sein. Auch über die russischen Truppenrüstungen werden nunmehr beruhigendere Mittheilungen verbreitet und da auch die Einberufung der österreichischen Reservisten eine zufriedenstellende Aufklärung erfahren hat, so scheint endlich der vorausgegangenen Periode hochgradiger politischer Er regung eine Epoche allmählicher Beruhigung für Europa folgen zu wollen. Um das Maß der Berechtigung, welches die gegenwärtig in der Presse und an der Börse zu Tage tretenden friedlichen Auffassungen ver dienen, richtig zu würdigen, wird man gut thun, sich zu vergegenwärtigen, daß, falls in der Veröffentlichung der gefälschten Depeschen wirklich ein Anzeichen für die Erhaltung des Friedens zu erkennen ist, hiervon dock jedenfalls nur die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland berührt werden. Bisher hatte man jedoch immer angenommen, daß die Beziehungen Rußlands zu Oesterreich einen weit schrofferen Charakter hätten, wes halb auch bei den Kriegsaussichten der letzten Monate immer zunächst der Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen diesen Staaten für möglich und wahrscheinlich gehalten wurde, während man annahm, daß Deutschland erst in zweiter Reihe in einen Krieg hineingezogen werden könne. Da nun die Veröffentlichung im „Reichsanzeiger" mit einem drohenden russisch österreichischen Konflikt nichts zu schaffen hat, so muß man nach anderen Zeichen suchen, wenn man auch für das Verhältniß der beiden Nachbar staaten zu einander eine friedlichere Wendung in Anspruch nehmen will. Und hierfür wäre cs allerdings von einiger Bedeutung, wenn es sich be stätigen würde, daß der Vorschub russischer Truppen aus dem Innern Rußlands gegen die österreichische Grenze eingestellt worden ist, wobei man aber wieder nicht aus dem Auge lassen darf, daß die nach den früheren Berichten an der Geenze angesammelte Truppenmacht bereits einen gewal tigen Umfang hat. Nach Allem ist es erklärlich, daß die österreichische Presse zwar auch ibre Genugthuung über die Veröffentlichung der Depeschen äußert, aber dies doch nur nebenher thut, dagegen vorzugsweise die mili tärische Lage an den Grenzen Oesterreich-Ungarns im Auge behält, und daher die Friedenshoffnungen nur eingeschränkt und mit Vorbehalt theilt. Das offiziöse Wiener „Fremdenblatt" giebt deshalb auch nur zu, daß die Gefahr des Krieges in eine größere Ferne gerückt sei und nicht unmittel bar drohe, wofür allerdings auch die selbst von russischer Seite nicht be strittene Ueberzeugung spricht, daß Rußland trotz der umfassenden militä rischen Vorkehrungen noch in langer Zeit nicht im Stande sei, einen Krieg zu führen. Ein trefflicher Ausspruch des Fürsten Bismarck, der auf die militäri schen Anstrengungen Frankreichs bezogen worden ist, wird mitgethcilt. „Für ihn existirte der maßgebende militärische Gesichtspunkt nicht", sagte darauf der Kanzler, „daß Deutschland Frankreich überlegen ist. Der ein zige Gesichtspunkt, aus dem die Sache anzusehen, sei die Thatsache: Wenn Deutschland es mit einem ungerechten Angriffe, von welcher Seite immer hin zu thun hat, ist es im Stande, das Doppelte und Dreifache dessen zu leisten, was ihm durch Militärgesetze auferlegt werden kann"' Der ,,Nat.-Ztg'" wird die Richtigkeit dieses Ausspruches mit der Erläuterung bestätigt, daß Fürst Bismarck sich gegen die von einzelnen Militärs ver- theidigte Theorie die Ausnutzung augenblicklicher militärischer Ucberlegenheit und gegen die Theorie des Zuvorkommens in scharfer Weise gewendet habe. Dieser rein militärische Gesichtspunkt existirt für ihn nicht. Der politische Gesichtspunkt sei der maßgebende, der in der durch einen ungerechten An griff aufgerufenen Volkskraft und in der allgemeinen Meinung Europas die besten Kriegsmittel findet. Diese Darstellung des Ausspruches des Reichskanzlers hat jedenfalls die innere Wahrheit für sich; denn die dem Fürsten Bismarck zugeschriebenen Worte resumiren nur die von ihm ein gehaltene Politik, die uns siebzehn Juhre ehrenvollen Friedens gebracht hat. Politisch defensiv, wenn cS sein muß, militärisch offensiv — in diesen Worten liegt sicher ein Theil des Geheimnisses so großartiger Erfolge. An Versuchen, Deutschland auch politisch in die Offensive zu drängen, präventive Kriege zu führen, mag es nicht in diesen 17 Jahren gefehlt haben; sie sind indessen an der überlegenen Staatskunst des Kaisers und seines Kanzlers gescheitert. So konnte bei Vorlage des letzten Wehrge- setzes unter dem einstimmigen Beifall Deutschlands und unter Zustimmung Europas gesagt werden, daß das Schwert unseres Kaisers das Symbol des Friedens ist! Der Brüsseler „Nord" erklärt der „Kreuzzeitung" zufolge, daß Fürst Bismarck dem europäischen Frieden durch die im „Reichsanzeiger" erfolgte Veröffentlichung der gefälschten Aktenstücke einen großen Dienst erwiesen habe. Es sei klar, daß es Leute gebe, welche den Kaiser Alexander über die Ziele der deutschen Politik täuschen und auf diese Weise eine allgemeine europäische Konflagration Hervorrufen wollten. Ob nun die Betrüger ent larvt werden oder nicht, sei für den Frieden gleichgiltig. Es genüge, wenn der Betrug aufgedeckt sei. Das Erfreulichste in der ganzen Angelegenheit sei die Wahrnehmung, daß fortan keine einzige europäische Macht geneigt ist, den Prinzen von Coburg auf seinem wankenden Throne zu stützen. In Sofia werde man deshalb trotz tönender Phrasen von Volkswillen u. s. w. bald einsehen, daß ein Widerstand gegen das geeinigte Europa ver geblich sein werde. Die Entfernung des Prinzen Ferdinand werde gewiß ! nicht alle Schwierigkeiten beseitigen. So lange aber seine ungesetzliche Herr- ! schäft in Sofia dauert, könne nicht einmal an die Wiederherstellung der vom Berliner Vertrag festgesetzten Ordnung gedacht werden. Der „Nord" hofft, daß zwischen den Mächten ein Einverständniß erzielt wird und schließt seine Betrachtung mit der Zuversicht, daß das Jahr 1888 ein Friedens jahr sein werde. Kaiser Franz Joseph übersendet seine Neujahrswünsche an Kaiser Wilhelm stets in einem Telegramm. Inder diesjährigen Depesche findet sich folgende Stelle: „Möge Gott geben, daß die verworrene politische Situation sich baldigst kläre, damit unsere Völker beruhigt werden und die Segnungen des Friedens ihnen erhalten bleiben." Präsident Carnot in Paris hat durch seinen Botschafter Herbette dem Kaiser Wilhelm die Erklärung zugehen lassen, daß unter seiner Prä sidentschaft kein französisches Ministerium eine Kriegspolitik einschlagen werde. Diese Erklärung ist viel werth und noch mehr, daß sie sich be stätigt, am meisten aber, daß Carnot den Muth gefunden und die Zu versicht gehabt hat, sie abzugeben; vor Kurzem noch hätte so etwas kein Präsident, kein Minister und kein Abgeordneter gewagt. Aus socialdemokratischen Kreisen verlautet, die Sozialdemokraten würden sich, falls die im neuen Sozialistengesetze angeblich beantragte Er- patriirung (Ausweisung aus dem Reiche) eingeführt werden sollte, an den Reichstagswahlen nickt mehr betheiligen. Ob aber die sozialdemokratische Parteileitung wirklich einen derartigen Beschluß fassen wird, möchte denn doch noch zu bezweifeln sein. In Metz explodirte auf Fort Manteuffel das Verbrauchs-Pulver magazin. Ein Unteroffizier und ein Kanonier der sächsischen Fußartillcrie wurden getödtet. Der deutsche Kronprinz hat den ihn behandelnden Aerzten zu Neu jahr prachtvolle Geschenke gemacht. So erhielt Sir Morell Mackenzie ein vollständig chirurgisches Besteck, Dr. Krause eine Brillantnadel, Dr. Schröder zwei prachtvolle japanische Vasen, Dr. v. Bergmann ein Silber besteck für 24 Personen. Dr. Schmidt ein goldenes Tintenfaß. Der Papst hat, wie man sich leicht denken kann, durch sein golde nes Priesterjubiläum sehr anstrengende Tage durchlebt. Ein Jubiläum, wie das seine, bei welchem die ganze Welt gratuliren kommt, giebt dem Jubilar eine Menge zu sckaffcn, und thatsächlich erfährt man aus Rom, daß der Papst, kurz bevor er sich zur Absolvirung der goldenen Messe begab, von der Aufregung überwältigt, zwei Ohnmachtsanfälle zu erleiden hatte. 48 Cardinäle, 238 Erzbischöfe und Bischöfe umgaben ihn, als er auf dem Triumphsessel in die Peterskirche getragen wurde, die aus Anlaß der Feier an 30,000 Menschen in ihren Mauern versammelt hatte. Und der Blick des Papstes streifte über dieses Menschcnmccr und er konnte einen Umstand bemerken, der sein Gesicht noch jetzt in dem hohen Greisen alter als ein besonders scharfes erscheinen lassen muß. Als nämlich der Papst nach der Feier in Gesellschaft seiner Nichte, der jüngst verehelichten Gräfin Moroni, das Frühstück einnahm, sprach er auch mit der jungen Frau von der Feier und meinte u. A.: „Und weißt Du, Kind, was ich in der Kirche bemerkte, und weißt Du, Kind, was mir große Freude ge macht hat? Ich bemerkte, daß eine bedeutende Anzahl Juden herbeige kommen, um meiner Feier beizuwohnen." Der Dampfer „San Marco" ist auf der Fahrt von Cardiff nach Genua mit 2600 Tonnen Kohlen verunglückt. Das Schiff sank im Golf von Biscaya während eines furchtbaren Sturmes unter. Die gesammte Bemannung, bestehend aus 29 Personen, sowie der Capitän, erkranken. Königin Victoria hat der Gemahlin des l>r. Mackenzie einen großen Shawl mit goldenen Palmen zum Geschenke gemacht, der einen enormen Werth repräsentirt. Die Königin legte der Gabe ein Schreiben bei, in dem sie sagt: „Die Dienste, welche Ihr Gemahl meinem Schwiegersöhne dem deutschen Kronprinzen leistete, reißen ihn häufig von Ihrer Seite; um Ihnen zu beweisen, wie sehr ich dieses uns gebrachte Opfer anerkenne, schicke ich Ihnen dies Zeichen meiner Huld." Aus Warschau kommt die Meldung, daß Cauzner's Wollwaaren- fabrik in Woroszylli bei Bialystock abgebrannt ist und 12 Personen in den Flammen umgekommen sein sollen. Die Vereinigten Staaten durchzittert jetzt eine neue Streikbeweg ung und zwar tritt dieselbe diesmal im Osten der Union auf. Der große Streik der Arbeiter und Angestellten der Philadelphia-Reading-Eisenbahn ist noch nicht beendet unv schon muß eine weitere große Arbeitseinstellung verzeichnet werden. Die Grubenarbeiter in sämmtlichen Kohlenwerken Penn- sylvaniens haben — mit Ausnahme der Grubenarbeiter im Wyaming-District — beschlossen, die Arbeit auf sechs Monate einzustellen, falls die Gesell schaften die angekündigte Lohn-Reduktion nicht zurückziehcn. BaterländisckeS. Wilsdruff. Im Schulhause zu Braunsdorf herrschte vorige Woche große Freude, ein selbstgezogenes Schwein wurde geschlachtet und wie bei solchen Gelegenheiten überall üblich, gute Freunde zum Schlacktfest eingeladen; doch die Freude sollte recht bald in Bestürzung sich verwandeln, als der Trichinenschauer Herr Sattlermeister Moritz Kühne in Grumbach das Fleisch auf Trichinen untersuchte, fand derselbe solche in großer An zahl vor. Wie man uns als wahr bericktet, sollen einige anwesende Gäste bereits vor dem Auffinden der Trichinen von dem Fleische gekostet haben, doch seien sofort Vorsichtsmaßregeln von denselben getroffen worden. — Nach langen und qualvollen Leiden ist am 4. d. die Ehefrau des Schutzmann Bögel in Reichenbach an den Folgen der Trichinosis ver storben. Abgemagert bis auf Haut und Knochen, hat die beklagenswerthe Frau 10 Wochen hindurch dieser heimtückischen Krankheit Widerstand ge leistet, ehe sie ihren Tod sand. — Wahrscheinlich in Folge von Wurstvergiftung erkrankte am ersten Weihnachtsfeiertage in Berge in der Lausitz eine aus 6 Köpfen bestehende Familie. Zwei Kinder sind der Krankheit bereits zum Opfer gefallen und ein drittes schwebt in Lebensgefahr. — In Groitzsch sind kürzlich falsche, übrigens gut nachgemachte Zweimarkstücke aufgetaucht. Beim dortigen Postamt sind kurz hinterein ander zwei Stück derartiger Falschstücke angehalten worden. Nur in einem Fall vermochte der letzte Besitzer anzugeben, von wem er das Stück erhalten. — Nach übermäßigem Genüsse an Alkohol verstarb in LampertS- walde bei Oschatz in der Sylvesternacht der Dienstknecht Hentschel an Herzlähmung. — Die des in vor. Nr. gemeldeten Raubmordes an dem Messinger'- schen Ehepaare verdächtige 22jährigc Dienstmagd Agnes Beyer ist am 4. Abends an die Staatsanwaltschaft eingelicfert worden. Man fand bei derselben Blutspuren an den Kleidern und das dem erschlagenen Ehepaare gehörige Geld. — Ein Bubenstreich ist in der Nacht des vorigen Dienstag im Gast haus Stadt Freiberg in Naundorf verübt worden. In diesem Gast- Hause ist der sogenannte „Fremdenverkehr" der Handwerksburschen, welche auf die vom Almosenverein verabreichten Marken daselbst Unterkunft und Kost unentgeltlich finden. Zwei dieser „armen Reisenden" haben die ge- sammten nicht niet- und nagelfesten Gegenstände in dem zu ihrer Unter kunft angewiesenen Raume total zerschlagen, Fenster, Stühle, Tische, selbst der Ofen ist zerstört. Die Thäter haben sich früh zeitig aus dem Staube gemacht und sind bisher noch nicht ermittelt. — Am 1. Januar entfernte sich eine in Forst in der Lansitz woh nende Frau S. mit ihren beiden Kindern aus ihrer Wohnung, um einen Besuch bei Verwandten abzustatten; ein im Bett liegendes kleines Kind ließ sie in der Wohnung zurück. Die Unvorsichtige hatte aber bei ihrem Weggange die nöthigen Vorsichtsmaßregeln beim Ofen unterlassen und so kam es, daß glühende Kohlen aus demselben auf den Fußboden fielen und verschiedene Gegenstände zum Sengen brachten. Bald war die kleine Stube derart mit Qualm augcfüllt, daß das zurückgelassene Kind dem Er stickungstode erlag. — Eine Vertheilung der im vergangenen Jahre bis Ende November bei der Königlichen Altcrsrentenbank in Dresden (Landhaus- und König Johannstraße) gemachten Einlagen nach den Wohnorten der Versicherten zeigt, daß, abgesehen von 166 075 M. aus nicht sächsischen Orten stammen den Einzahlungen, die 3 größten Städte unseres Landes mehr als die Hälft«