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AmLsb tcrLL für die Lgt. Amtsbaiwtmannschafi zu Meißen, das Ksit. Amtsgericht und den Stadtrath zv Wfsdrnst- Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg.— Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr* 4. Freitag, den 13. Januar 1888* Ob Krieg, ob Friede? Diese vielsagende Überschrift trägt ein längerer Artikel in der neuesten Nummer der „Grenzboten", der denen zum Trost geschrieben zu sein scheint, die sich darüber beklagen, daß die Ungewißheit, ob Krieg, ob Friede, trotz all unserer Stärke sich noch immer nicht in eine bestimmte Zuversicht, daß der Friede erhalten bleiben werde, verwandeln will. Wie's früher ausge sehen hat, das mögen die Unzufriedenen aus diesem Artikel ersehen. Es heißt in demselben: Seit dem letzten großen Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sind siebzehn Jahre verflossen. Während dieses Zeitraums hat sich, Dank den erfolgreichen Bemühungen Bismarcks, Mitteleuropa des Friedens zu erfreuen gehabt. Der russisch-türkische Konflict war nur ein localer, nur ein neues Glied in der Kette von Grenzkriegen, die nie aufgehört haben, seit die Türken Konstantinopel eingenommen haben. Die Bedeutung jener siebzehnjährigen Waffenruhe nach gewaltigem, aber kurzem Kampf schätzt man erst vollständig auf Grund von Rückblicken. In keiner Periode der europäischen Geschichte bis 1815 begegnen wir einer so langen Pause. Die Kriege des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts währten Jahre, halbe Jahrzehnte und in einem Fall eine ganze Generation hindurch und er neuerten sich in kurzer Frist, so daß die Welt kaum zu Athem kam von ihrer Noth und Last. Die Kämpfe der französischen Revolution und der Tage Napoleons dauerten fast ohne Aufhören. Die Tinte eines Friedens vertrages war kaum getrocknet, so wurde er verletzt, nnd die Nationen er schöpften sich in Aushebungen, die „bis an die Wiege und das Grab griffen." Wir haben in dem jetzigen Jahrhundert zweifellos einen Fortschritt gemacht, wenn wir uns erinnern, daß auf Leipzig und Waterloo vier friedliche Jahr zehnte gefolgt sind, und daß seit 1870 keine christliche Macht Europas mit einer anderen das Schwert gekreuzt hat. Das war in alter Zeit ganz un erhört, und wir dürfen uns zu der Besserung Glück wünschen, wenn auch Ausnahmen von der Regel für die Zukunft möglich sind und deshalb ein „Unberufen" am Ort scheint. Die Regel ist, man besinnt sich heutzutage länger als früher, ehe man losschlägt, die Kriege sind kostspieliger und in ihren Ergebnissen weiter greifend, aber sie dauern nicht lange, und es giebt zwischen ihnen längere Pausen. Man kann sagen, daß in solchen Leiten jedes Jahr des Aufschubs die bittere Erinnerung an Demüthigung und Verlust mehr abschwächt. Von 1815 bis 1840 hätte man die Voraus setzung, Frankreich würde Waterloo nicht wett zu machen suchen, für Wahn sinn gehalten, und stehe da, die Revanchegelüste sind nicht blos nicht ver wirklicht, sondern vergessen worden. Daß auch die Revanche gegenüber den Deutschen von 1870 bald von der Bühne schwinden wird, ist zwar nicht sicher, indeß scheint es immerhin ein ganz gutes Zeichen, daß die Franzosen schon einige Monate ganz leidlich ohne Boulanger ansgekommen sind. Weniger erfreulich als diese Beobachtungen und Vergleichungen sind folgende. Früher konnten die Nationen im Frieden Geld sammeln, jetzt nicht, da die Vorbereitung auf den Krieg oder, was gleichbedeutend ist, die Erschwerung desselben für den Gegner, womöglich die Abwendung, zu große Summen verschlingt. Als Frankreich 1871 Frieden mit Deutschland machte, war es schwer mit Schulden überbürdet, aber statt die Last durch Abzahlungen zu vermindern, hat es sie durch Ausgaben für Kriegszwecke ganz erheblich vermehrt. Seine Vorbereitungen für die Vertheidigung, oder auch für einen Angriff, wenn sich Gelegenheit bietet, haben ihm Jahr für Jahr dreimal mehr gekostet, als früher seine Kriege. Zu einem großen Theil ist die Wissenschaft hierfür verantwortlich: die Gewehre, Geschütze und Kriegsschiffe, dje 1854, 1859 und 1866, ja noch 1870 zur Kriegs führung nothwcndig waren, sind jetzt veraltet und durch wirksamere über holt. Es herrscht ein Wettlauf in der Erfindung. Manche Kriegsmi nister warten beim Erscheinen von neuen Waffen, bis eine noch neuere und bessere sie ins alte Eisen verweist, und das kann praktisch sein, nur muß nicht über Nacht ein Krieg eintreten und sie ungenügend gerüstet treffen. Die großen Staaten sind dem mehr ausgesetzt und können am wenigsten zögern, und so kommt es dahin, daß sie Schiffe bauen, die sie nach kaum zehn Jahren abtakeln, uud Gewehre einführen, die sie noch vor ihrem Gebrauch wieder abschaffen müssen. In der That, während Europa friedlich aussieht, ist die Welt eigentlich im Krieg, im Wettkampf um das Bewußtsein und den Werth des Stärkeren. Es ist ein Krieg der Aus gaben, der Pläne, der unaufhörlichen Steigerung der Kräfte zu Angriff und Abwehr, ein Krieg mit allem Möglichen außer scharfen Schüssen und Blutvergießen. Es steht zu hoffen, daß gerade die Erschöpfung, welche solchen ungeheuren Anstrengungen doch einmal folgen muß, zu Ermattung des Eifers und Ueberdruß an Kriegen führt, nur würde dies allenthalben gleichzeitig der Fall sein müssen. Die Erkcnntniß wird erleichtert, je mehr die Völker erkennen, daß der Sieg nicht nothwendige Sicherheit bedeutet. Wir gewannen 1870 Ruhm in Fülle, Geld und Gebiet mit einer guten Grenze, und doch hat das Volk seine Rüstung verstärken, seine Anstren gungen für Vertheidigungszwecke fast verdoppeln müssen. Wenn das die Errungenschaft eines sieggekrönten Feldzuges war, wo bleibt da die Ver suchung zu neuen Kriegen? Dagesgeschichte. Die Eröffnung des preußischen Landtages erfolgt morgen Sonnabend Mittags 12 Uhr im Weißen Saale des k. Schlosses zu Berlin. Einem Telegramm des „Berl. Tgbl." aus San Remo zufolge wären sämmtliche Lieblingshunde des Kronprinzen von unbekannter Hand ver giftet worden. Aus San Remo wird Berliner Blättern berichtet: Bei einer am j 8. d. stattgefundcnen Ausfahrt des Kronprinzen, dessen Befinden fort- i dauernd ein vortreffliches ist, ereignete sich ein kleiner Unfall. Auf der Via Roma scheuten die Pferde des krvnprinzlichen Wagens, gingen durch und stießen mit Wucht gegen das eiserne Gitter des Hotel Commerce. Der Kronprinz verlor keinen Augenblick die Geistesgegenwart, und es ge lang, die Pferde zu beruhigen, so daß die Spazierfahrt fortgesetzt werden konnte. Die Aussichten des im Reichstage zu erwartenden verschärften Socia list engesetzes lassen, wie ziemlich allgemein angenommen wird, die Ge nehmigung des Gesetzes, vielleicht mit einer kleinen Abänderung, als sicher erscheinen. Von den Nationalliberalen wird allerdings, wie feststeht, der linke Flügel gegen eine Aenderung des jetzigen Gesetzes stimmen, aber man glaubt, ein Theil der Centrumsabgeordneten werde dafür eintreten. Jeden falls ist also eine Majorität für das Gesetz zu erwarten. Zweifellos er scheint letzteres bezüglich des gleich nach den Ferien zur Erörterung gelan genden Antrages auf Verlängerung der Reichstags-Legislaturperioden. Der Kriegsminister Bronsart von Schellendorf ist von Friedrichsruhe, wohin er sich zu Ende der vorigen Woche begeben hatte, nach Berlin zurück gekehrt. Den Inhalt der Besprechungen mit dem Fürsten Bismarck bildete die Kostenvorlage zu dem neuen Wehrgesetz. Wenn auch noch nichts absolut Sicheres über die Höhe der vom Reichstage zu fordernden neuen Summe feststeht, so kann man doch annehmen, daß an hundert Millionen nicht viel fehlen wird. Durch das neue Wehrgesetz erfolgt eine Kriegsver- stärkung der Reichsarmee etwa um eine halbe Million Mann, für welche die Ausrüstung (also mindestens doch Gewehr, Mantel, Mütze, Rock oder Blouse) schon im Frieden beschafft werden soll. Der „Voss. Ztg." wird aus Wien geschrieben: Nach den Aeußcrungen, welche TiSza hervorragenden Persönlichkeiten gegenüber gethan, seien die Ansichten des Wiener Kabinets in der Orientfrage folgende: Oesterreich- Ungarn verwirft jede einseitige Auffassung der Rechte und Ansprüche einzelner Mächte im Orient und will der Orientangelegenheit ihren gesammteuropä- ischen Charakter gewahrt wissen. Die Gesetzwidrigkeit der jetzigen Lage in Bulgarien wird offen anerkannt und bemerkt, daß keinerlei persönliche In teressen uns an die gegenwärtige Gewalt in Sofia knüpfen. Daher wird sich Oesterreich-Ungarn nie einer Wiederherstellung widersetzen, sofern diese im Rahmen des Berliner Vertrages durchführbar ist. Die letztere Ein schränkung ist jedoch eine unerläßliche Bedingung, wenn es verhindert werden soll, daß in Bulgarien Einseitigkeit eintrete. Wie dem „Berl. Tgbl." von angeblich zuverlässiger Seite aus Warschau gemeldet wird, soll zu Ende voriger Woche in Petersburg ein gegen das Leben des Zaren geplantes Attentat entdeckt worden sein. Die Schuldigen, unter denen sich wiederum mehrere Offiziere befinden, sollen bereits er griffen sein. Rom. Der „Osservatore Romvno" veröffentlicht die bei dem feier lichen Empfange des Abgesandten Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm, Gra fen Brühl-Pförten, von diesem gehaltene Ansprache und die Antwort des Papstes auf dieselbe. Graf Brühl erklärte bei Ueberreichung des Hand schreibens Sr. Majestät, er sei beauftragt den Ausdruck der freundschaft lichen Gesinnungen des Kaisers zu erneuern. Die Kaiserin und der Kronprinz vereinten ihre Wünsche mit denen des Kaisers auf eine lange Regierungsdauer des Papstes. Der Papst erwiderte, er halte es für seine Pflicht, dankbar anzuerkennen, daß Se. Maj. der Kaiser ihm bei vielen Anlässen zweifellose Beweise seiner wohlwollenden Gesinnungen gegeben habe, namentlich während der Verhandlungen zur Herbeiführung des re ligiösen Friedens in Deutschland. Der gegenwärtige neue Beweis des kaiserlichen Wohlwollens berechtige ihn zu der Hoffnung, dab der Kaiser das begonnene Werk krönen wolle. Der Papst gab seinen besten Wün schen für die kaiserliche Familie, namentlich für die volle Wiederherstellung des Kronprinzen warmen Ausdruck. Präsident Car not und Gemahlin haben ihre ersten Gesellschaften gegeben, die eine Mittags, d. h. Nachmittags 5 Uhr, die andere desselben Abends von 10 Uhr an. Bei der ersten (Diner) saß man zu Tische bei einem prächtigen „Menü", bei der anderen (Soirö) ging man plaudernd auf und ab und erfrischte sich stehend am Buffet. Alle, die dabei waren, sind des Lobes voll, wie gewandt und fein der Herr Präsident und Ge mahlin die Honneurs machten, wie hübsch und leicht alles arrangirt war und wie reich und zugänglich das Buffet. „Siehe da," sagten die Gäste, „die sieben fetten Kühe Carnots nach den sieben mageren Grevy's " Es war ein großer gesellschaftlicher und vielleicht auch politischer Sieg des neuen Präsidenten; wir wollen abwarten, was die sagen, die nicht dabei waren. Aus Bulgarien wird wieder von einem Putsch gemeldet, der ver sucht worden, aber nicht gelungen ist. Etwa 50 Montenegriner haben bei Burgas einen Landungsversuch gemacht, angeführt von dem früheren bul garischen Hauptmann Nabokow, einem geborenen Russen. Sie stießen bei dem Versuch, mit ihrem Schiff in den Fluß einzulaufen, auf Truppen der Garnison und wurden von diesen zurückgeworfen. 12 Montenegriner und 8 Bulgaren sind bei dem Kampf getödtet worden. Mit den übrigen Mon tenegrinern ist Nabokow entkommen. Die bulgarische Regierung soll von diesem Versuch übrigens nicht überrascht worden sein, sondern vielmehr um die Absicht vorher schon gewußt haben. Petersburg. Die liberale „Nowosti" folgert aus der gegenwärtigen allgemeinen Lage, daß die Tripelallianz so gut wie verschwunden sei und als Gegner Rußlands Oesterreich allein dastehe. Aber ob sich den For-