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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 11.06.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080611026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908061102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908061102
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-06
- Tag 1908-06-11
-
Monat
1908-06
-
Jahr
1908
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dem 12. Wahlkrei» find die Verhältnisse auch jetzt noch nicht vollständig gesichtet. E« steht nur fest, daß ein Kandidat der Bürgerlichen mit einem Sozialdemokraten in die Stichwahl kommt. Davon abgesehen wird also die preußische Hauptstadt im neue» Laudtaze durch S Frei- siuuige uud 5 Sozialdemokraten vertreten sein. In Schöneberg- Rixdorf muß Stichwahl zwischen dem Bürgerlichen »nd dem Sozial demokraten staitsinden. In Charlottenburg ist die Wahl des Professors Dr. von Liszt von der Freisinnigen Bolkspartei gesichert. Ja Wilmers dorf ist die Stichwahl zugunsten der Liberalen auSgejallen. * Ltzvo» t« Schneesturm. Staatssekretär Sydow geriet am Psingstfountag bei einer Tour im Steinernen Meere iu einen heftigen Schneesturm. Es gelang ihm aber, Riemanns-Haus zu erreichen, wo er bis zum Montag verblieb. Am Dienstag konnte der Staatssekretär nach Saalfeld ferne Tour fortsetzen. * Kürst Vulenturs. Die Wiener Vernehmungen in der Eulenburg-Affäre, die das Wiener Landgericht vornimmt, werden Ende dieser Woche zum Abschluß kommen. Allen Beteiligten wurde strengste Geheimhaltung der Vorgänge anbesoblen. So werden auch die von Berlin kommenden Fragebogen unter besonderem Verschluß gebalrea. Die Zeuzenproiokolle gehen direkt vom Vorstand der Rechts- hilfstelle unter Tiegel an daS Berliner Gericht und zwar einzeln sofort nach jeder Aussage. Wie verlautet, sollen durch da« Wiener Verfahren einige besonders wichtige Keststellungeu erfolgt sein. * Zur Versammlung der Deutsche« kolouiulgefellschaft iuBremeu trafen die Teilnehmer im Lause d«S gestrigen TagcS eiu, darunter der Präsident der Gesellschaft, Herzog Iobann Albrecht zu Mecklen burg, welcher vom Bürgermeister Dr. Marcus empfangen und begrüßt wurde. AbendS fand gemeinsame« Festessen in dem mit Palmen und Lorbeeren reich dekorierten Börseusaale statt, an dem 450 Mit glieder der Gesellschaft teilnabmeu. Die Verhandlungen der Haupiver« sammlung beginnen heute mit einer vertrauliche« Sitzung deS Vor standes. Heule abend werde« die Teilnehmer der Versammlung der Einladung reS Senates zu einem Festbankett im Ratskeller folgen. Am Freitag findet die Hauptversammlung statt. * Die zehn türkischen Arttkerie-Offiztere, die zur Dienstleistung nach Deutschland tommanbrert waren, sind nach Beendigung ihres Dienstes nach der Türkei zurückgekehrt. Sie haben einen sechsmonatigen Kursus durchgemacht, und zwar fünf Monate in der Arnllerie-Schießschule in Jüterbog, einen Monat in Spaudau zur Erlernung der theoretischen und praktischen Verwendung der Maschinengewehre. Nunmehr befinden sich nur noch vier türkische Infanterie-Olfiziere zu dreijähriger Dienst leistung in Deutschland, und zwar je einer in Halle, Münster, Danzig und Stettin. Ausland. * Eine Stimme gegen de« Tretdnnd, die jetzt allerdings eine Stimme ans dem Grabe ist, wird aus Rom bekannt. Rom, 11. Juni. (Tel.) „Secolo" teilt mit. daß der verstorbene Minister Prinettt die Aeußerung getan habe, Zanardellt hätte die Tripelallianz er neuert. weil er es in Anbetracht der europäischen Lage tun mußte. Wer sie aber beim nächsten Verfall wiederum erneuern wollte, beginge rin Verbrechen. Italiens auswärtige Politik müsse eine andere Richtung nehmen. AIS ob bei dem Dreibund nicht Deutschland der Gebende und Italien der Nehmende wäre. * Ter ReisedltM des Präsidenten von Frankreich ist nun wie folgt festgesetzt: Paris, 10. Juni. (Telegr. der „Agence Hava»".) Die Begegnung des Kaisers von Rußland mit dem Präsidenten FalliLres soll in Reval während FalliöreS' Reise nach den skandinavischen Ländern staitsinden. Präsident Falliöres wird in Reval am 27. Juli eintreffen. Vorher wird Präsident FalliöreS am 20. Juli nach Kopenhagen gehen, wo er zwei oder drei Tage verweilen wird, dann geht der Präsident nach Stockholm, darauf nach Reval und von Reval nach Christianta, dem Endpunkt der Reije. Nach Frankreich kehrt Präsident Falliöres am 4. oder K. August zurück. * Frankreich macht mit der Zurückziehung seiner Truppen Ernst, wie man aus folgenden Meldungen schließen dars: Paris, 10. Juni. lTel.) Der „Agence Havas" wird auS Casablanca gemeldet: Alle Truppen sind iu die Kantonnements zurückgekehrt. General d'Amace wird über die Truppen eine Parade abhalten. Die Periode der aktiven Operationen ist beendet. Casablanca. 10. Juni. (Tel.) Dem feierlichen Einzuge der Marich- truvpen, welche gestern zurückkehrten, wohnten Admiral Philibert, der spanische Oberst Bernal, der französische und der spanische Konsul sowie die ganze deutsche und französische Kolonie bei. Den lebhaft begrüßten Vorbeimarsch kommandierte General d'Amade, welchen Admiral Philibert znr Haltung der Truppen und zu dem Erfolge der Expedition beglückwünschte. Die Truppen lagern aus hygienischer Rücksicht außerhalb der Stadt. * Tie Lage in TronSkoukasien wird am besten gekennzeichnet durch folgende Meldungen: Tiflis, 10. Juni. Der Exarch von Grüften, Erzbifchof Nikon, ist heute auf der Treppe de« SyuodalgebäudeS durch mehrere Rrvolverschüsse getötet wordeu. Der ihu begleitende Klosterbruder wurde schwer verwundet. Die Mörder entkamen. Tiflis, 11. Juni. (Tel.) Rittmeister Karaulow, der Chef der örtliche« Grupp« der politischen Polizei, der die vorläufige Untersuchung in der Angelegenheit der Ermordung des Exarchen von Grusien führte, wurde auf der Fahrt nach seiner Wohnung von einem Unbekannten schwer am Kopfe verwundet. Der Täter entkam; der Versuch, die UutersuchungSakten zu rauben, mißlang. Deutscher Lehrevtag. (Telegraphischer Bericht.) (Schluß.) 8. u. 8. Dortmund, 10. Juni. Der Vortrag des Generalsekretärs Tews über den Lehrermangel wurde mit stürmischem Beifall ausgenommen. Es wurde beschlossen, ihn drucken und bei den zuständigen Behörden und bei den Abgeordneten verbreiten zu lassen. Dann setzte eine lebhafte Diskussion ein. Hauptlehrer Roehl (Mannheim): In bezug auf die Schule ist Baden absolut kein Mustcrländle. Es hat grundsätzlich noch die Halb tagsschule, und grundsätzlich hat jeder Lehrer zwei Klassen zu unter richten. Wir badischen Radikalen sagen: Baden mühte eigentlich ganz nahe an das Land grenzen, das einen Ochser.kops >m Wappen trägt. (Heiterkeit.) Bezüglich der höheren Lehranstalten sind auch in Baden vorzügliche Zustände, während man hinsichtlich der Volksschule geradezu von einem Volksschulelend sprechen muß. Wir haben reinen Kultus minister wie Bosse. Jetzt gibt man allen Beamten Gehaltszulage, den Lehrern aber nicht. Sie drückt man an die Wand. (Lebhafte Zurufe.) — Abg. Lehrer Löchner (Stuttgart) beklagt den Lehrermangel in Würt temberg und lobt den gegenwärtigen württembcrgischen Kultusminister, der nach Kräften für Abhilfe sorge. (Beifall.) Redner fordert für den Lehrerstand: Mehr Brot, mchr Licht und mehr Freiheit! (Lebhafte: Beifall.) — Abg. Lehrer Kalb (Gera) weist darauf hin, daß Preußen und manche anderen Staaten in bezug auf die LehrerbÄandlung von den thüringischen Kleinstaaten noch manches lernen könnten, besonders eine freiere Gestaltung der Schulverwaltung. Wenn es auch in Thüringen nur langsam vorwärts gehe, so liege das daran, daß diese Staaten zu nahe an Preußen liegen. (Heiterkeit.) Es müßte in Preußen statt eines Herrn Holle einmal eine Frau Holle kommen, die ordentlich aufräumt. (Heiterkeit.) — Lehrer Pautsch (Berlin) bedauert den Lehrermangel im Osten. — Lehrer Huff (Darmstadt) weist darauf hin, daß in Hessen das liberale Schulministerium und die liberale Zweite Kammer dafür gesorgt haben, daß die Lehrerbesoldung ausreichend ist. Man wäre aber noch weiter, wenn nicht der große Staat Preußen so rückständig wäre. — Lehrer Deahr (Braunschweig): Auch in Braunschweig ist der Lehrer- mangel ein altes Uebel. Man sucht ihm dadurch entgegenzutreten, daß man die Seminaristen zweiter Klasse als Schulverwalter aufs Land schickt. Generationen gehen vorüber, ehe die verantwortlichen Stellen an ein Vorwärtsstreb:« denken. In einem Zeitalter der Eisenbahnen und der Elektrizität kommt man bei uns nicht über das alte Butter- fraucntempo hinaus. — Frl. Wetter (Dortmund): Nicht die Männer werden durch die Frauen verdrängt, die Sache liegt so, daß die Kraft der Männer zur Bewältigung der nationalen Arbeit nicht ausreicht. (Heiterkeit.) 18 000 Frauen unterrichten fast ein: Million Kinder. Die würden unterrichtslvs ans der Straße liegen, wenn die Frauenarbeit nicht wäre. (Erneute Heiterkeit.) Hierdurch glaube ich nachgewiesen zu haben, daß die Frauenarbeit in der Schule unentbehrlich ist. (Heiter keit und Widerspruch.) Die Frauen erfreuen sich des Vertrauens der Bevölkerung, und dieses Vertrauen wächst stetig. In der gemeinschaft lichen Arbeit von Mann und Frau liegt eine der wesentlichsten Grund lagen für die Erziehung des Volkes. Im übrigen sind die Ziele der deutschen Lehrerschaft auch die Ziele der deutschen Frauen. Möge der Tag nicht fern sein, wo der letzte Rest von Vorurteilen verschwindet und eine ehrliche Kameradschaft alle die verbindet, die an demselben Werke arbeiten. (Lebhafter Beifall.) — Lehrer Pcmming (Antwerpen) er kennt das Leben und Streben des Deutschen Lchrervereins auch im Inter esse der deutschen Auslandslehrer freudig an. Im übrigen dankt er der preußischen Negierung und dem früheren Kultusminister Studt für die vielerlei Verdienste im Interesse der deutschen Auslandslehrer. Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen. In seinem Schlußwort wendet sich Lehrer Tews gegen Frl. Wetter. Sie habe sich wohl auf etwas präpariert, was er gar nicht ge sagt habe. Nicht das störe die männlichen Lehrer, daß Lehrerinnen an gestellt wären, sondern es komme darauf an, wo sie angestellt wären. (Zustimmung.) Die Lehrerinnen werden hauptsächlich in den Städten angestellt. Der Lehrerstand ist dadurch mehr und mehr ein Land lehr er stand geworden. Gegen den guten Willen der Lehrerinnen wolle er nichts sagen. Mer die Frau habe doch einmal nicht die Haut, die eine kämpfende Organisation brauch«. Man darf nicht den letzten Mann aus der Schule herauswerfen. (Lebhafte: Beifall.) Glauben Sie nicht, daß der Lehrer sich in da« Hinterhaus zurückdrängen läßt, Hamit „Fräulein Lehrerin" im Vorderhaus Platz nimmt. (Stürmischer, an haltender Beifall.) Darauf wurde der Lehrertag geschloffen. Am Nachmittage sand ein Ausflug nach dem Fakkdenkmal in Hamm statt. Am Donnerstag finden interne Beratungen des Deut schen Lehrertages statt, Evangelisch-soziale* Aongvetz. (Telegraphischer Bericht.) (Fortsetzung.) 8. u. 8. Dessau, 10. Juni. Dem Vortrage des Professors Deitz mann folgte eine längere Aussprache, in der den Ausführungen des Referenten zum Teil ent gegengetreten wurde. Auch Reichstagsabg. Friedrich Naumann er klärte sich mit verschiedenen Ausführungen nicht einverstanden. Unter anderem hob er hervor, daß jetzt z. B. der Satz von dem Mammon nicht mehr gelten könne; denn setzt können wir in wirtschaftlicher Hinsicht ohne die große treibende Kraft des Geldes nichts mehr anfangen. An die Verhandlungen schloß sich ein gemeinsames Festmahl an. In der Nachmittagssitzung sprach Prof. Dr. Ernst Jrancke (Berlin) über die gemeinnützige Rechtsauskunft. Er erinnerte an die Unterredung, die der frühere Reichstagsabgeordnete für Dessau, Rösicke, mit dem Kaiser hatte, wobei der Kaiser erklärt hätte, es komme vor allem darauf an, daß die Arbeiter die Gleichberech tigung erhalten. In den Erlassen der neunziger Jahre, den sogenannten Arbeitererlassen, kommt der Kaffer auf den Anspruch der Gleich- berechtigung zurück. In der letzten Zeit sind in einer Reihe von Gewerben Tarifverträge abgeschlossen worden, aber im Bergbau und in der Textil industrie ist das noch nicht zu erreichen gewesen. Und ein Vertreter der Textilindustrie hat ausdrücklich erklärt: Niemals werden wir den Arbeitern Gleichberechtigung zugestehen. Hier wird cs noch schwere Kämpfe geben. Das Koalitwnsrecht ist den Arbeitern ein Heiligtum. Heute hat es aber noch Mängel in bezug auf die Gleichberechtigung. An das böse Wort von der Kkffsenjustiz glaube ich nicht. Es ist das schlimmste Hetzwort, das man sich denken kann. Aber zwischen dem Denken und dem Fühlen unserer Richter und weiten Kreisen unseres Volkes ist eine weite Kluft vorhanden. Die Flut der Gesetze in den letzten zwanzig Jahren läßt es unmöglich erscheinen, daß die große Masse sich damit beschäftigen kann. Es war deshalb die Gründung von Rechtsauskunftsstellen geboten. Die Zahl solcher Aus- kunftsstelleu war im Jahre 1907 schon recht erheblich. Die Freien Ge werkschaften hatten 460 000 solcher Stellen gegründet, die christlichen Gewerkschaften 240 000. Es ist erforderlich, daß diese Auskunftsstellen sich zu einem ersprießlichen Zusammenwirken zusammenfinden. Der Redner schilderte die Praxis bei der Einrichtung derartiger Institute, die Heranziehung der Leiter und deren Arbeitsgebiet. Erfreulicher weise sei auch die Animosität der Rechtsanwälte gegen, die Rechts auskunftsstellen geschwunden. Gegner seien nur noch die Rcchtskonsu- lenten, die die Leute zu Prozessen verführen und dann Kostenrechnungen in ungeheurer Höhe rücksichtslos eintreiben. Das große Ziel, das ver folgt werden muß, ist das, durch die Nechtsauskünfte die soziale Kluft mit überbrücken zu helfen. Bisher konnte der Arme, weil er arm war, und der Unwissende, weil er unwissend war, sein Recht nicht finden. Wir wollen diesen Notstand beseitigen oder wenigstens mildern. Wir hoffen, daß wir damit zur sozialen Versöhnung beitragen. Es ist viel leicht eine langwierige und schwere Arbeit, aber es ist unsere Pflicht, sie zu tun. Denn Gerechtigkeit erhöht ein Vokk. (Leibhafter Verfall.) An den Vortrag schloß sich eine längere Aussprache an. Oberlandesgerichtsrat Kuhlemann (Bremen) und Oberbürger meister Eb e l i n a (Dessau) betonten gleichfalls den hohen Wert der Rechtsauskunftsstellen. Prof. Dr. Adolf Wagner (Berlin) schloß sich an. Die Kompliziertheit unserer Gesetzgebung ergibt sich daraus, daß unsere Lebens- und Wirtschaftsvcrhältnisse immer komplizierter geworden sind. Der Schutz des kleinen Mannes verlangt aber derartige komplizierte Gesetze. Der Vorteil geht aber verloren, wenn der kleine Mann diese Gesetze nicht kennt. Der Redner ging dann auf die von den Arbeitgebern seitens der Steuerbehörde geforderte Auskunft über die Einkommenverlältnisse der Arbeiter ein. Auch über diesen Punkt könnten die Auskunstsstellen aufklären und be ruhigen. Pros. Wagner wandte sich dann gegen die Unentgeltlichkeit der Auskünfte im weitesten Sinne. Man wolle in Deutschland alles un entgeltlich haben, aber Steuern wolle man auch nicht zahlen. Man könne deshalb die Unentgeltlichkeit nur bis zu einer gewissen Steuer grenze gewähren. Die Wohlhabenden, welche die Auskunstsstellen be nutzen, müssen auch eine gewisse Entschädigung zahlen. (Beifall.) Nach weiterer Diskussion, in der den Ausführungen des Referenten im wesentlichen zugestimmt wurde, wurden die Verhandlungen auf Donnerstag vertagt. Am Abend fand ein öffentlicher Volksabend statt. deutung blieb. Dann begann die eigentliche Malerei. Fortwährend wurde verbessert, ganz Teile des Bildes, die ihm nicht genügten, dis auf den Holzboden herausgeschliffen; war das ersetzte Stück besser als der Rest, so mußten wieder neu« Telle geopfert werden, bis das Bild Leidls hohen Ansprüchen genügte.*) Auch die Kirchenfrauen sind auf diese Weise entstanden, aber der Künstler hat die Spuren dieser Mosari- arbeit vollkommen getilgt. Niemals bleiben bei Leibi die Nähte stehen. Allein durch diese Art zu schaffen war diese unvergleichliche Meister schaft zu erreichen, aber auf diese Weise wurde dem Bilde vielleicht etwas von stiner Unmittelbarkeit genommen. Tie Kirchenfrauen sind der feste Kern, um den sich Hamburgs Be ntz von Leibis Werken kristallisiert. Da ist noch der „Bauer mit Wettermantel und Hut" aus dem Wildschützenbild. Im Herbst 1882 ging Leibl in seinem kleinen Atelier in Aibling an em neues großes Werk. „Ich will das Aeußerste aufbieten", heißt es damals, „um einmal etwas wirklich Gediegenes herauszubringen." Zwar hatte er ursprüng lich, nachdem er vom „Hunde- und Bettelleben" in Berbling erlöst war, die Absicht gehabt, sich ein Vierteljahr „mit dem bloßen Anschauen der Natur'/ zu begnügen; aber es riß ihn zur Staffelei. Vier Männer sollen zusammen als „Wildschützen aufs Bild. „Ich habe setzt herrliche Burschen beisammen, wie ich solche noch auf keinem Bilde sah", schreibt er am 16. Oktober 1882 an seine Schwester. — Der durch das Zeitungs geschwätz verstimmte Künstler, der ms in seine letzten Lebensjahre nur in Paris Anerkennung gefunden hat, wollte das Geheimnis der Ent stehung gewahrt wissen. „Doch es soll niemand wissen, was ich male, bis ich fertig bin, und dann gleich weiter damit und keine Sekunde :n Deutschland ausgestellt" (an seinen Freund Kayser in Wien am 12. November 1W2). — Im Sommer 1886 war das Werk iertia. Die traurige Geschichte des Bildes ist bekannt. Leibi sah in -einem kleinen Atelier den Modellen, di« er fast lebensgroß aufs Bild gebracht batte, allzu nahe, er konnte die Gruppe nicht übersehen, da er nicht zurucktreten konnte — daraus ergaben sich trotz der ganz großen Schönheiten im einzelnen Fehler im Gefamtaufoau, tm Verhältnis der Figuren zueinander, in der Verteilung der Gestalten im Raum. Das Bild war in Paris ausgestellt, fand aber nicht den Erfolg, ver Leibi dort sonst zuteil wurde; dann stand es längere Zeit verhangen im Atelier, b s Leibl mit jener unerbittlichen Selbstkritik, die ihm eigen war, das Bild in drei Teile zerschnitt. Das Brustbild des jungen Menschen mit dem scharfen Profil, dahinter der bärtig« Kopf eines älteren Mannes, besitzt die Nattonalaalerie, bei Seeger, dem Leibi- Sammler, befindet sich ein zweiter Ausschnitt (Hände und Gewehr), der dritte ist in Hamburg: ein Mann in vorgenelgter Stellung mit ange- wanntcm Blick — der Kopf des vierten Wildschützen wurde geopfert. Die Ausführung ist prachtvoll, die Malerei breit und flächig, obgleich die Töne ineinander verrieben sind. Sie verrät jenen Umschwung der Technik, von dem Leibl seiner Schwester berichtet: „Meine Malweffe habe ich total geändert und Haffe, damit mehr erreichen zu können wte mit der früheren. Es erforderte aber große Entschlossenheit, diese Um wandlung mit mir vorzunehmen, und war ein« gefährliche Talent probe." (Am 14. Mai 1836.) Zn welchen Erfolgen diese „Talentprobe" geführt hat, beweist unser „Bauernmädchen mit Jnntaler Hut". Die Tone sind duftig und locker und daS Bild von unvergleichlicher Schönheit. Wie reich LeihIS Palette geworden, lehrt ein Vergleich dieses Bilde- mit dem Porträt der alten Dame, das die Kunsthalle gleichfalls besitzt. Beide Bilder auf eine braune Farbem'kala gestimmt, ,n beiden verschwimmt wie bet Rembrandt die Kontur der Gestalt mit dem Hintergrund, in beiden dominiert daS Karnctt des Gesichtes, in beiden unterbricht rin leuchten *) Val. I. Mrier-Grvefe: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst. 17. Bd. S. 486. des Weiß die warmen braunen Töne — aber mit der schimmernden Pracht des Bauernmädchens vermag sich das im Ton etwas stumpfe Porträt der alten Dame nicht zu messen. Am Anfang seiner Laufbahn steht das eine, am Ende das andere Werk. Auf der Münchner Akademie malt zwischen 1865—68 der Künstler, der in den Zwanzigern steht, das Bildnts seiner Tante Helene (die Schwester seines Vaters) und beweist durch dieses unmittelbare Erfassen der Natur, frei von jeder Schul- tvadition, daß er bei feinen Lehrern Rcmrberg und Piloto nichts mehr zu lernen hat. 1898, zwei Jahre vor seinem Tode, entsteht das zweite Bild in Kutterling, wo Leibl mit seinem Freunde Sperl ein patri archalisches Dasein führt. Die junge Bäuerin ist di« Jungfer Theresia Haltmaier, das „Malresl", wie sie kurzer genannt wurde, Haushälterin, Köchin, Stubenmädel und Modell in einer Person, die, nachdem ste von Leibls Schwester in die Geheimnisse der Kochkunst eingeweiht worden war, jener Misere ein Ende gemacht hat, über die Leibl »n seiner Berbunger Zeit geklagt hat. Oft genug erwähnt er in seinen damaligen Briefen die „hunbsmaßiae Nahrung" und das „zähe Rindsleder", das er im Wirtshaus tagtäglich hevunterwürgen mutz. Leibls Werke sind sämtlich im der Einsamkeit entstanden. Seit 1873 beginnt seine Flucht aus der Stadt; er hat sie zu dauerndem Aufenthalt nicht mehr betreten. Nur jemand, der mit der Natur und den Bauern so verwachsen war wie er, vermochte Bilder zu schaffen, die den novellistisch zugespitzten Kompositionen eines Defregger u. a. so fern stehen. Unter dem Einfluß der sentimentalen Dorfgeschichten eine- Berthold Auerbach usw. mögen jene Bcmernbilder entstanden sein, die eine künstlich zurechtgestutzte Natur, gesehen mit den Augen des Städters, präsentieren. So entsteht jene unerträgliche Lüge, als wenn es auf der Alm nichts als Spiel und Tanz gäbe, verliebte Dirndl und sakrische Bua. Die tragische Note, die Millet, als er den „6ri ckv la Tarr» vernommen, im Landmann entdeckt hatte, die feierlich-pathetische Gebärde, mit der er ihn seinen täglichen Verrichtuungen nachgeben läßt, ehlt Lerols Bauern — es sind schlichte Menschen, wetterharte Gestalten, zesehcn mit jenem tiefen Respekt vor der Natur, die Leibl eignet. „Doch >üt sich ein jeglicher, daß er nicht Unmöglichs mach, das die lltatur nit eiben künn. Diese Worte Dürers decken sich mit manchem Ausspruch Leibls, der auf die Natur und nur auf die Natur als Lehrmeisterin verweist. Und doch ist Leibls Vorgänger in der deutschen Kunst nicht Dürer mit seinem Feuergeist, sondern Hans Holbein der Jüngere, der sachlich kühle Porträtist, der sein persönliches Empfinden ausschaltet, ,wom Objekt bas Gesetz empfängt" uno mit einer Sachlichkeit und Meisterschaft sondergleichen der Natur nachgeht. Zwei ganz große Könner reichen sich über die Jahrhunderte hinweg die Hand! „Wir sind alle Menschen, wirsteigen inS Grab und lassen zurück unser Wort, und wenn dieses seine Mission erfüllt hat, dann kehrt es zurück in die Brust Gottes, den Sammelplatz aller Dichterworte, die Heimat aller Har monie'/ hat Heine einmal gesagt. Sollte das nicht auch für Buder gelten? * Wechsel i« der Lett»«« der Hvftheitter tn Katurg «nd Gvth«. Wie nu» aus Koburg gemeldet wird, haben tiefgehende Verstimmungen zwischen dem Herzog und dem bisherigen Hoftheaterintenvanten Kammerherrn v. Ebart beste« Rücktritt berbetgeführt. Hierzu erfahren wir von unserem O.-Korrrsvon- deute«, daß Intendant Paul v. Sbart vorläufig bi« geaeii Ende deS Jahre« beurlaubt worden ist, wa« («doch soviel wie leinen definitive« Rücktritt bedeutet. ES soll sich dabei darum bandeln, daß der Herzog ohne Wissen de« Intendanten bereit« abgelaufene Kontrakte von Schauspielern und Sängerinnen ver längert hätte. * Die Eröffnung des Märkischen Museum». Unser Berliner V-Korre- spondent meldet unS: Heute (Mittwochs wurde daS Märkische Musenm in der Wallfiraße eingeweiht, in da« nnr geladene Gäste Zutritt erhallen hatten. Rach einigen einleitenden Worten deS Oberbürgermeister- Kirschner hielt Bürger meister Tr. Reicke die Eröffnungsrede. die u. a. auSsührte, daß daS Museum die Frucht emsiger zehnjähriger Arbeit set, die Stadtbaurat Hoffmann trotz mancherlei gegen seine Kunst gerichteten Angriffe zu schönem Erfolge geführt habe. Nach Dr. RrtckeS Rede wurde von den Gästen ein Rundgäng unternommen, der die Uebrrzrugung aufkommen ließ, daß es sich hier um eine wirklich intim künstlerische Anordnung eines ungemein diifi- zilen Materials bandle. Insbesondere das hohe Gewölbe mit dem Altar und den Skulpturen alter märkischer Kirchen machte einen würdigen, dem Gegenstände angemessenen Eindruck. * BcrlagSbuchhändler Dr. med. et Phil. Gustav Fischer in Jena ist, wie unS von dort rin Privattelegramm unsere- Ü.-Korrespondenten meldet, vom Grobherzog von Sachsen - Weimar »um Geheimen Kom merzienrat ernannt worden. Damit ist einem der bedrotendsteu Führer im deutschen BerlagSbuchhandel eine gewiß dnrchau« verdiente Ehrung widerfahren. Bekanntlich erscheinen in Dr. Fischer- Verlag Standardwerke der Nationalökonomie und StaatSwiffrnschasten, so u. a. da» „Handwörter buch der StaatSwtssenschaft«n"nnd da- „Wörterbuch der Volkswirt schaft". Auch auf naturwissenschaftlichem Gebiet« hat der Verlag de- jetzt Ausgezeichneten hervorragende Publikationen gebracht. Di« Ehrung Geheimrat Fischer- dürste wohl auch darauf zurückzuführen sein, daß er sich an gemein nützigen Bestrebungen lebhaft beteiligte, besonder- an dem Neubau der tn Kürze jubilierenden Jenenser Universität. * Drittes Bayrisches Mnslkseft. Unser Nürnberg«» ^Korrespondent meldet: Mit einer prächtigen Aufführung schloß heute unter Mottl« über- legener Leitung das Fest. BrncknerS fünfte Sinfonie in Lckur fand mit ihrem religiösen Charakter nur schwer Verständnis bei dem an so schwere Kost wenig gewöhnten Nürnberger Publikum. (Soll eS doch einige Schwierigkeiten gekostet haben Bruckner überhaupt auf- Programm zu brtngenl) Uebttgeu- ließ auch beim Orchester, sei e- durch die allzu große Halle oder infolge Mangel- bester« Instrumente, noch manche-, namentlich in den erste« Sätze», an Deutlichkeit zu wün'chrn übrig. Aber die Kanitlenrn und der grandiose Schluß kamen doch mit unvergleichlicher Seele und Kraft heraus «nd wirkten mächtig. ES folgten rStsrlbasterweise zwei ganz unpassend« Solovortröge: das Rtenzigebet, sehr schön gelungen von Tünzler au» — Karlsruhe (welch Armutszeugnis für Bayern!) und »Ine Arte au» „Oval km» tntta" (l^ die wirk lich besser weggebliebei» wäre, zumal Frl. Ulbrtg an» München durchaus keine besonderen Qualitäten dafür mitbrachte. Dann kam die Schlußszene an» den „Meistersingern", aber leider nicht die ganz« Festwiese, sondern erst da- „Wacht aus!", dann «in Sprung aufs Preislied, da- wirvernm Tänzlrr sang, und von da bt« Schloß. Aber wte nun Mottl dtese Gängerichar von lLOO Personen und da» Orchester beherrschte und alle» mitsamt den Solisten (Tänzler, Ulbrtg, Kronen) zu einer gewaltigen Einheit emporhob, wie man ste selten wird hören können, da- war wundervoll, großartig. Und so klang da» ganze Fest tn einen herrlichen Schlußakkord au-, der große Begeisterung und Jubel hervorrtrf. Auch Prinzessin Ruprecht, Bayern- künftig« Königin, war unter den Gästen. * Meine ChrvnU. In Mailand ist gestern Professor Freiherr Wilhelm von Loeella unversehens gestorben. Der verschiedene war in weiten Kreisen bekannt durch seine wissenschaftlichen Vorträge und durch feine schriftstellerische Tätigkeit, namentlich al- Dantrforscher. Seine hervorragendsten Schriften auf diesem Gebiete sind: Dante in der denische» Kunst und Dante als Friedens stifter. Loeella war am 20. Januar 1848 tn Venedig geboren. — Professor M. Meurer iu Rom, der sich nm die Förderung de- deutschen Kunstaewerbe« maunigfachr Verdienst« erworben hat, bat vom König von Sachsen do- Oifizier»- krruz de- sächsischen Albrecht-orden- erhallen. — Wie au-München telegraphiert wird, soll die Enthüllung der BiSmarck-Büste in der Walhalla bei Regens burg am 29. Juli d. I. unter Teilnahme von Vertretern aller bayrischen Universitäten stattfinden.
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