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BrzugS-Prei- Abend-Ausgabe 8. Anzeigen-Prew ck« L«i»jta mrd Borort« durch mise« Lräger und kpedUeur» tu» Hau» gebracht! «««gab« L tuur moraru») vtrrteijLhrltch 8 Li., monatlich 1 Li.; «u«gabr I (morgen« und abend«) viert«!» tthrttch <20 M„ monatlich ILÜ M. Durch dt« Loft ,» bezttben! (2 mal ««glich) innerhalb Deutichland« und der deutschen Kolonien virrleliährlich 8,28 M., monatlich 1,78 M. au-Ichl. Poft- deftellgew, >ür Oesterreich 8 L 66 b, Ungarn 8 L »ierteljLhrlich. i^ernrr tn Bel gien, LLuemark, den Donauftaaten, Italien, Luremburg, Niederlanden Norwegen, Nub- land Schweden, Schwei, und Spanien. In allen übrigen Staaken nur direkt durch dt» Lxped. d. Bl. erhLltlich. Ldonnement-Annabm«: stluguftubolatz 8, bei unseren LiLarrn, Filialen, Spediteur«« und Annahmestellen, sowie Postämtern u«d Brie« träger n. Dt« einzelne Nummer kostet 1v Lfg. Irdaktton und Lrvedttton. Johannttgasse 8. Selevbo« Nr. 14682. Nr. IE, Nr. 1468a. WpMerTllgMM Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltabt Leipzig. tftr Inserate aa» llttpzig ans Umgebung dt« ftgespaltene Petttzeil« 28 PI., stnanziell« Anzeige« St) Ps., NeNameo l lvt. ; »«, au«wärt« SV Ps., Neklamen 1.20 PI.; ,»m Su«l-nd 8V Pt., fiuanz. «lnizeigen 78Pi., NeNamea 1LV VI. Inserate «.Behörden «u amtlichen DetldSPs. vrilagegebüdr 8 M. p. Lausend exkl. Post gebühr. »eschäst«an,eigen an bevorzugter Stell« im Preise erhöht. Nabatl nach Lari! Festertetlte Aiitlräge können nicht zurück gezogen werden. Für da» ii«scheinen an betlimmtrn Lagen und Plätzen wird kein» «Sarantie übernommen Anzeigen-Annahme, Uuguftutplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen lllnnoi ren- Szpeditioaen de« In- und Aullande«. Haupt-Stltal, vrrltui Aarl Duncker, Herzogi. Paar. Hosbuch» Handlung, Uützowstrake Id (Telephon VI, Nr. 46VS). Haupt-Stltale Dre«de»t keeslrabe 4.1 (Telephon 4621). Nr. 18V. Donnerstag 11. Juni 1908. 102. Jahrgang. Das wichtigste. * Die Begegnung des Kaisers von Rußland mit dem Präsidenten von Frankreich soll am 27. Juli in Reval stattfinden. (S. Ausl.) * „Secolo" behauptet, der verstorbene Minister Prinetti habe die Verlängerung des Dreibundes ein Verbrechen genannt. lS. Ausl.) * Die Zweite holländische Kammer genehmigte im Prinzip den Ankauf der Eisenbahnen durch den Staat mit 71 gegen 13 Stimmen. * Bei Blumberzbruch an der Ostbohn wurden, wie aus Landsberg gemeldet wirb, infolge des Funkenauswurfs einer Loko motive 2000 Eisenbahnschwellen vernichtet. (S. Letzte Dep.) Dev Lehrevtag. Auf der Tagung der deutschen Lehrer in Dortmund ruhte ein guter Geist. Trotz aller voll gerechtfertigter Betonung der Standesinteressen stand doch über den ganzen Verhandlungen als Leitstern der Gedanke an daS große Ganze, das Wohl unseres gesamten Volkes. Es wurde dort manches mahnende ernste Wort gesprochen, das auch den Nicht schulmann zum Nachdenken zwang. Als Leiiwort nicht allein sür unsere ganze deutsche Schulpolitik darf und muß das Wort gelten: „Die Volksbildung muß von der Volksschule bis zur Hochschule ein geschlossenes organisches Ganzes dar st eilen." Und wie steht es heute mit diesem Grundsätze, der doch als ganz selbstverständlich erscheinen sollte? Kaum irgendwo sind Ansätze zu seiner Durchführung vorhanden, im Gegenteil geschieht vieles, um seine Verwirklichung auf weitere lange Jahre hinaus zu verhindern. Auf der Lchrertagung ist das bittere Wort gefallen von der Volksschule als „verschämter Armenschule". So scharf es klingt, ist es doch nur allzuwahr. Durch die Vorschulen zu den höbereu Lehranstalten wird vom Beginn des Schulunterrichts an eine Tren nung der sozialen Klassen durchgeführt, deren Folgen überaus verderb lich sind. Einmal wird bei den Kindern, die die Volksschule besuchen, von vornherein der Klassenhaß erzeugt, sie sehen, daß andere auf sie herabschauen und sie verachten auf der anderen Seite wird der Keim zum Hochmut gelegt, das Gefährlichste sür sein Kinbergemüt. Und gerade die gemeinschaftliche Erziehung, die nach der Forderung des Professors Natorp-Marburg ohneSchaden bis zum 12. Lebensjahre durchgeführt werden kann, würde in sozialer Beziehung unendlich Gutes wirken. Ein wohlhabendes Kind, das einmal aus dem Spielplatz mit einem ärmeren sein Frühstück geteilt hat, wird dadurch sür sein ganzes späteres Leben ein erzieherisches Moment gewonnen haben. Man gebe doch unsern Kindern die Gelegen heit, sozial empfinden zu lernen, dann wird viel Unrecht, manche unbe wußte Roheit verhindert werben, die jetzt auS Unkenntnis, Gleich gültigkeit und Mangel an Lebenserfahrung von Angehörigen der höheren Klassen Aermeren zugefügt werden. Es schadet keinem Kinde, wenn es schon in frühester Jugend einen Blick in die Not des Lebens tat, es wird dann später menschlich urteilen über Personen und Sachen, wo eS jetzt gleichgültig verdammt. Mit Recht wurde auf der Lehrertagung darauf hingewicsen, daß ein höherer Schüler den Staat etwa 180 ein Volksschüler ca. 50 kostet, dabei ein Lehrer auf ca. 18 höhere Schüler kommt, während ein Volksschullehrer bis zu 100 zu unlerrichien hat. Noch ärger wird diese Differenz, wenn man bedenkt, daß der Bolksschüler mit etwa 14 Jahren die Schule verläßt, während der „höhere" so lange die Schulbank drückt, bis er sein Ziel erreicht hat. Hierbei fielen — mit vollem Recht — auch scharfe Worte gegen die heutige Handhabung des EinjährigeninstilutS, das jetzt vielfach nur eine Differenzierung nach dem Geldbeutel, nicht nach der Bildung ist. ES ist ein sozialer Uebelstand allerschlimmster Art, daß es jungen Leuten ermöglicht ist, den Staat zu schädigen damit, daß sie durch Herumdrücken von einer Schule zur andern den staatlichen Zuschuß verzehren, um schließlich mit 20 Jahren oder mehr das ersehnte „Einjährige" zu machen, während der Volksfchüier schon lange mitten im wirtschaftlichen Leben steht und durch die längere Dienstzeit so um so schwerere Einbuße erleidet. Bei gemeinschaftlicher Er ziehung bis zum 12. Lebensjahre ließe sich dann entscheiden, wer sür eine höhere Weiterbildung geeignet ist und wer nicht. Wer bis zu einem bestimmten Alter — von Krankheit usw. abgesehen — ein ge wisses Ziel nicht erreicht hat, hätte auszuscheiven. Eine weitere Vorbedingung für eine durchgreifende Reform wäre die Freiheit der Lehrmittel und des Unterrichts, wie sie in den nordischen Staaten zum Teil schon durchgesührt ist. Wie wir auch vom Norden etwas anderes empfangen haben, das bei uns noch in den Anfängen steckt: die Volkshochschule. Zwar beginnt auch in Deutschland eine immer regere Bewegung in diesem Sinne, es werden Volkshochschulkurse abgehalten, versucht Kunst und gute Bücher uuters Volk zu tragen u. a. m., aber die Grund idee bleibt die Herbeiführung des gemeinsamen sozialen Empfindens, das nur dadurch erreicht werden kann, daß die Volksschule das wird, was sie dem Worte nach sein soll, eine Schule für unser ganzes Volk. Daß diese echt deutsche Forderung wieder laut jedem, der es gut mit unserem Volle meint, ins Gewissen gerufen worden ist, bleibt ein Ver dienst des letzten Lehrertages. Di- R-val-r Tvinkspvüche. Trinksprüche bei Galatafeln und Jürstenbegeguungen haben sich von jeher dadurch ausgezeichnet, daß sie diejenigen Punkte unberührt lassen, auf die es eigentlich ankommt. Insofern gilt auch heule noch der von Bismarck im preußischen Landtag gezogene Vergleich zwischen Diplomatie und Pserdehandel, denn auch die Reden des Zaren und des Königs von England bei der Galatasel an Bord des „Standart", die unsere Leser bereits aus der letzten Nummer kennen, weichen von dem althergebrachten Schema nicht ab. Immerhin läßt sich zwischen den Zeilen lesen, daß neben der „Aufrechterhaltung des allgemeinen Welt friedens" doch die geschlossenen und wohl auch noch zu treffenden Uebereinkommcn die Hauptsache der ganzen Verhandlungen zwischen England und Rußland sind. So wird jetzt berichtet, daß als letztes Resultat der russisch-englischen Annäherung ein mittelasiatisches Ucbcrcinkommcn, betreffend den Bau einer Eisenbahn nach Belutschistan über Herat anzusehen sei. welche den kürzesten Weg zwischen Europa und Indien darstellen wird. Ueber die Beurteilung der Trinksprüche in der auswärtigen Presse wird uns berichtet, daß die Londoner Morgenblätter eine ein gehende Besprechung der Revaler Trinksprüche bringen. So meint der „Daily Telegraph", in der Weltgeschichte werde diese Begegnung gedeutet werden als e,n Ereignis, welches den Weltfrieden gestärkt habe. England, Rußland und Frankreich dürfen sich zu diesem Ereignis beglückwünschen. „Evening Standard" schreibt: Alle bestehenden Ri valitäten zwischen Rußland und England seien geschwunden, und dies vereinfache die gesamte europäische Lage. Ter Tag, der zu einer wesent lichen Besserung in Mazedonien führen werde, sei nahe. — Ter Mai- länder „Eorriere della Sera" kommentiert in einem längeren Artikel die Begegnung von Reval und führt aus, es herrscht die allgemeine Ueberzeugung, daß das politische Ergebnis keine Allianz sein werde, die den Zweck habe, die anderen größeren europäischen Allianzen aus- zuwiegeln. Die Zusammenkunft beider Monarchen bedeute lediglich den Beginn einer neuen Aera friedlicher Beziehungen zwischen England und Rußland. — Das Wiener offiziöse „Frcmdenblatt" tritt an leiten- der Stelle in kategorischer Weise den im Auslande bestehenden Be fürchtungen entgegen, wonach bei der Monarchenbegegnung in Reval der Gründ für eine neue Tripelallianz -wischen England, Frankreich und Rußland gelegt werden soll, deren Spitze gegen Deutschland ge richtet sei. Das Blatt konstatiert, daß, da Rußland mit seinen inneren Verhältnissen vollauf beschäftigt sei, in Reval lediglich an dem Gerüst gearbeitet werde, das dem Weltfrieden weitere tragfähige Stützen leihen soll. Neben diesen Preßstimmen interessiert schließlich noch, wie der eng- lischt Sozialistenführer Keir Hardi über die Monarchenbegegnung urteilt. Er erklärte nämlich in einem Interview, daß die Bedingungen, unter denen König Eduard dem Zaren seinen Besuch abgestattet habe, nicht für einen Monarchen paßten, welcher Herrscher eines freien Landes sei. Er fügte hinzu, daß die Begegnung ohne Zweifel dem König von Kapitalisten suggeriert worden sei, was auch aus den Kursveränderungen an der Londoner und Pariser Börse hervorgehe. Ueber die weiteren Einzelheiten bei der Begegnung in Reval wird noch gemeldet: London, 11. Juni. (Telegramm.) Die Reden bei dem gestrigen Bankett in Reval wurden in englischer Sprache gehalten, wie die Kon versation überhaupt englisch geführt wurde. Der Zar soll besonders angenehm von der Rede des Königs überrascht gewesen sein und daraufhin besonders hohe Ordensauszeichnungen an das Gefolge des Königs verliehen haben. Der König von Englano hat dem Premierminister Stolypin und dem Minister des kaiserlichen Hauses, Baron Fredericks, das Großkreuz des Biktoriaordcns und dem Minister des Aeußeren, Iswolski, sein Bildnis ver liehen. König Eduard hatte eine längere Unterredung mit Iswolski. Außerdem fanden mehrere Besprechungen zwischen Iswolski und dem englischen Unrerstaatssekretär Hardinge statt. Sicherem Vernehmen nach betrafen die Konferenzen vornehmlich die mazedonffckeu Refor men. In den Verhandlungen sollen wesentliche Fortschritte in der Rich tung einer vollständigen Einigung erzielt worden sein. Deutsches Reich. Leipzig, 11. Juni. * Tie Berliner Stichwahlen. Gestern abend 8 Uhr hat auch die 3. Abteilung der Berliner Urwähler die notwendigen Stichwahlen voll zogen, so daß nunmehr der Ausfall der am 16. Juni vorzunehmenden Wahlen ter Abgeordneten sich mit Sicherheit voraussehcn läßt. Nur in Zeliilleton. Ich bin auf einer Welt, wo Böses tun oft löblich, und Gutes tun nicht selten gefährliche Verrücktheit heißt. Shakespeare. * Zu -en Leibls in -er Hamburger rtunsthalle. Von Dr. Rosa Schapire (Hamburg). Auf der Jahrhundertausstellung waren Leibls „Drei Frauen in der Kirche"., die sich in Wormser Privatbesitz befanden, ausgestellt. Wer das Bild nur aus Reproduktionen kannte, war von seiner ge ringen dimensionalen Größe überrascht (B. 0,77, H. 1,13 Zentimeter). Es ist so stark mit Form gefüllt, daß cs der nachschaffcnden Phantasie in seiner Ausdehnung viel größer erscheint; so geht es auch mit ge wissen Rembrandts, wie dem „Ehristus" in Darmstadt u. a. Die Hamburger Kmnsthalle und die Nationalgalerie in Berlin waren die einzigen öffentlichen Institute, die es verstanden haben, die Früchte der Jahrhundertausstellung zu nützen, und der schöne Leibl hat aus dem stetem Wechsel unterworfenen Privatbesitz seinen festen Platz in einer öffentlichen Galerie, der Hamburger Kunsthall:, gefunden. Hier bc- findet er sich in allerbester Gesellschaft, in einer der wenigen Galerien Deutschlands, in denen planmäßig gesammelt wird und die, soweit moderne Kunst in Frage kommt, an erster Stelle nach der National- galerie rangiert. Die „Drei Frauen in der Kirche" spielen eine große Rolle in Leibis Leben. Mayrs kürzlich erschienenem Leibl-Buch*) danken wir es, datz wir dem Werdegang des Werkes in seinen vielfachen Etappen zu folgen vermögen. Schon im Dezember 1877, unmittelbar nachdem die „Dors politiker" die Staffelei verlassen haben, hat Leibl den brennenden Wunsch, „ein neues Bild hervorzubringen, was dem vorigen nicht nach stehen und womöglich hoffentlich selbiges übertreffen soll". Ter Juli 1878 findet ihn an der Arbeit. „Ich habe ein Bild vor" — heißt es in einem seiner Briefe — „welches, wenn ich der Natur halbwegs nahe komme, sehr günstig werden kann." Erst im Sommer 1881 find die Kirchenfrauen fertig. Volle vier Sommer hatte der Künstler für sein Werk nötig, und seine Geduld wurde bei den vielen von außen kommen den Störungen off auf eine harte Probe gestellt. „Zuchthausardeff" meinte Lenbach, als er vor das Kirchenbild trat. Tas war freilich nicht aus dem Aermel zu schütteln, wie seine oberflächlich-eleganten Frauen bildnisse, die unter Zuhilfenahme von Photographien entstanden sind! Leibl hatte es sich halt ein bißchen schwerer gemacht. Drei Frauen nebeneinander im Gebet. Die Junge in vollstem Staat — sie legt den besten Putz an, wenn es gilt, dem lieben Herrgott eine Sonntagsvisite zu macken — hält das Gebetbuch zwischen den knochigen, aber weichen Händen auf der blendend weißen Schürze. Sie betet andächtig, doch mit jener in der Konfirmationsstundc erlernten Andacht, die noch nickt erprobt ist durch Leben und Kampf. Wie ganz anders die von der Kirchenbank heruntergerutschte kniende Alte! Not, *) Wilhelm Leibl: Sein Leben und sein Schaffen. Von Julius Mayr. Mit 30 Tafeln, 69 Abbildungen und einem Faksimile. Verlag von Bruno Eaffirer in Berlin. — Auf dieses schlichte, von einem Freunde Leibls verfaßte Buch sei aufs nachdrücklichste hingewiesen. Der Mensch und der Künstler rücken in neue Beleuchtung. — Sämtliche hier zitierte Briefstellen sind Mayrs Buch entnommen. Sorge und harte Arbeit haben sich mit Krähenfüßen und feinen Falten in das welke Gesicht eingezeichnet. Der Kopf wackelt leicht zwischen den Schultern, leise flüstern die Lippen das altgewohnte Gebet, die Zeit persönlicher Wünsche ist vorbei, das geschriebene Wort ist der Mittler zwischen ihr und Gott, lieber das alte schöne Buch mit seinen kräftigen Buchstaben, dem vergilbten Papier, den abgegriffenen Kanten und ver knitterten Ecken in ihren zitternden Händen find nickt weniger Stürme gegangen als über seine Besitzerin; das Buch hat Generationen Trost ünd Kraft gespendet; und ein inneres Band verknüpft die Verven. Zu dem etwas bleichsüchtigen, noch leeren Gesicht der Jungen paßt ihr neues, charakterloses Gebetbuch, das noch keine Geschichte zu erzählen hat, wie das ehrwürdige, arg mitgenommene zum verwitterten Gesicht der Alten. — Von der weißgetünchlcn Wand hebt sich das scharfe Profil der dritten Frau ab. Sie steht im Kampf, die Junge noch nicht, die Alte nicht mehr. Nicht fromm wie ihre Nachbarinnen neigt sie den Kopf, inbrünstig ist ihr Blick und inbrünstig ihr Flehen. Was soll ihr das vorgeschriebene Gebet, wenn sie mit einem Persönlichen Anliegen zu Gott kommt? Krampfhaft drückt sie die verarbeiteten Hände gegen die Brust; sie ist ganz Andacht, aber von jener ruhigen, selbstsicheren, im Leben fest zugreiscndcn Art, die den SegenJwn oben für ihr Beginnen erfleht, aber die Hände nicht müßig in den Schoß legt. — Die nüchterne Umgebung ist die wirksamste Folie für die Andacht der drei Frauen. Die hellsten Werte im Bilde find auf die vorderste Figur verteilt, die sich von der dunklen Empore abhebt; in kräftigem Gegensatz steht die Silhouette der dritten Frau in Schwarz gegen die Weiße Wand. Tic Gestalten überschneiden sich, doch deckt keine die andere so wen, daß das Motiv an Klarheit einbüßen würde; am meisten isoliert sitzt das sunge Mädchen. Die grobgeschmtzten Wangen der Kirchenbank lassen das Motiv der gebauschten Faltcnröcke der Frauen ausklingen. Jedes ein zelne Detail: die Maserung des Holzwerkcs so gut wie das Blumen muster im Buscntuch und die silbernen Schnüre der Jungen find von meisterhafter Vollendung, aber das Detail ordnet sich bescheiden der Gesamtwirkung unter. Der Künstler verliert sich nicht in Freude an kleinlichen Kunststücken. — Leiblhat sich zeitlebens gegen „Secienmalc- rei" verwahrt. Seine Worte: „Man male den Menschen wie er ist und die Seele ist ohnehin dabei" fallen vor dem Kirchenbilb ein. Die Darstellung von Kircheninterieurs ist ein beliebter Vorwurf der niederländischen Architekturmaler des 17. JahrhunoerkS. Tic Neefs und Steenwijck, die Emanuel de Witte können sich in der Wieder gabe kleiner Raumausschnitte, die mit spitzem Pinsel aufs sauberste ausgeführt sind, nickt genug tun. Ihre Bahnen gebt im 18. Jahr hundert der Frankfurter Johann Ludwig Ernst Morgenstern, der Hausfreund des alten Rats Goethe, der die ersten Zeichenversucke des jungen Wolfgang überwacht hat. — Alle Kunst feiner Beobachtung, alle Versuche, das Spiel des einfallcnden Lichtes zu schildern, sind un- geniigend für die Wiedergabe des Kirchenraumes mit seinem spezifischen Zauber. Das Emporgerffsenwerden der Seele in das Reich der Schön- yeit und Freiheit, das Verlangen nach Hingabe, nach Vereinigung mit einer liebenden, gläubigen Gemeinde sucht man in diesen zierlichen kleinen Bildern vergebens. Nur durch das Medium der Menschen, die diesen Raum betreten und in ihr Gebet vertieft sind, vermag diese Stimmung im Beschauer ausgelöst zu werden. Das hat der jung ver storbene, dem Hamburger Nazarenerkreis angehörige Julius Oldach in seiner schönen Zeichnung „Andächtige in der St. Michaeliskirche zu München" (Hamburg, Kunsthalle) klar zum Ausdruck gebracht. Der anglisierte Franzose Alphonse Legros hat es in seine „Frauen im Gebet" gebannt, und die letzte Etappe auf diesem Weg sind Leibls Kirchensraucn. Mannigfacke Schwierigkeiten standen der Ausführung dieses Bil- des im Wege. Der Kirchenraum war kalt und dunkel, im Winter mußte die Arbeit ruhen, und die oft unerträgliche Hitze im Sommer war auch nicht eben fördernd. So schreibt Leibl am 17. Juli 1880 an seine Schwester: „Mit dem Bilde geht es verzweifelt langsam, weil jetzt eine ungeheure Hitze herrscht, wobei die Farben sich am schlechtesten zum Malen eignen und man auch nicht die gehörige Spannkraft hat, welche zur richtigen Auffassung und WiedeMbe der Dinge notwendig ist. So habe ich die Arbeit der letzten zwei Wochen wieder wegmachen müssen." Und kurz darauf heißt cs: „Tre heißen Tage waren ungünstig für die Malerei, weil die Farben zu schnell trocknen und das Licht in der Kirche bei blauer Luft höchst dunkel und ungünstig wirkt." Dann gerät die Arbeit ins Stocken, weil eines der Modelle erkrankt. Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Ter Leibl befreundete Pfarrer Anton Blank, der den Künstler veranlaßt hatte, seinen Wohnsitz in Berbling zu wählen, starb im November 1878: sein Nachfolger, ein Zelot, ließ Leibl eines Tages die Kirchcnschlüssel abfordern, mit dem Verbot, fer ner in der Kirche zu malen. Vergebens suchten Leibl und der getreue Sperl den Herrn Pfarrer, dem sie auf der Dorfstraße begegneten, um zustimmen. Mit der schnöden Bemerkung, daß er sich auch vom König nicht in seine Kirche drcinreden lasse, ließ er die Freunde stehen. Beim Bezirksdekan in Götting hatten sie nicht mchr Erfolg. Dieser, ein alles Männchen, das von Kunst und Künstlern keine Ahnung hatte, stellte sick auf Seite des Pfarrers unter Hinweis auf manche in letzter Zeit rn Kirchen verübte Einbrüche. Auf Umwegen wandte man sich an den Prinz-Regenten Luitpold, und da mußte sich der würdige Pfarrer baff doch in Sachen seiner Kirche dreinreden lassen! — Diese Unter brechung war aber nur ein Ansporn sür Leibl gewesen. Er schreibt: „Während des Kriegszustandes mit dem Pfarrer war ich ungemein fleißig und schreitet das Bild rüstig weiter." Er hat übrigens später leinen Frieden mit dem Pfarrer gemacht, während es im ersten Zorn hieß, daß er ihm sein Benehmen nie im Leben vergessen würde. In Briefen an Mutter und Schwester ist vom Bilde fortwährend die Rede. So schreibt er am 20. Mai 1879 an die Mutter: „Es gehört wirklich große Ausdauer dazu, unter den gegebenen Verhältnissen ein solch schwieriges und ausführliches Bild bis zum Ende zu bringen. Tie meiste Zeit habe ich daran unter Todesverachtung in wahrem Sinne des Wortes gemalt. Tenn in der Kirche herrschte bis jetzt eine eiskalte Grabeslust, io daß die Finger ganz steif wurden. Manchmal ist cs wieder so dunkel, daß ich die größte Mühe habe, dasjenige, was ick gerade in der Arbeit habe, mit der gehörigen Genauigkeit zu erforschen- Daß bei einer solchen Arbeit der geringste Gedanke, bis zu einer be stimmten Zeit fertig werden zu wollen, den störenostcn Einfluß hat, brauche ick wohl nicht erst zu sagen. Ihr müßt Euch deshalb schon an den Gedanken gewöhnen, mich auf der Münchner Ausstellung nickt ver treten -u sehen. Ihr könnt deslmlb dock ruhig sein. Das Bild wird, wenn es auch nicht auf eine Ausstellung kommt, seine Wirkung nickt ver fehlen. Letzthin waren mehrere Bauern davor und falteten unwillkür lich die Hände. Einer sagte: Das ist Meisterarbeit. Auf das Urteil der einsachcn Bauern habe ich von ieher mehr gehalten als aiff dasjenige der sogenannten Maler, und so soll mir die Aeußerung dcS Bauern ein gutes Omen sein." — Ferner heißt es im November des gleichen Jahres: „Tie Annahme, daß das Bild jetzt schon beinahe tertig sei, ist irrig. Wenn Ihr das Bild einmal seben könntet, so würde ein «ur allemal Euer Glaube, daß so etwas in der Zeit, wie Ihr meint, gemalt werden könne, aiffhörcn. Jede Nebcrcilung^rächt sick bei mir bitter, in dem das Mißfallen, welches so gemalte Stellen in mir erregen, mir nicht erlaubt, solche stehen zu lassen, und ick sie daher gänzlich aüswilchcn unb noch einmal malen muß. uebrigens ist das Bild schon lehr weit, und wenn das folgende ebenso wird wie das, was schon fertig ist, so sollt Ihr einmal sehen, was das für eine Wirkung macken wird." Leibls Sckaffensprozeß war ja seltsam genug: zuerst zeichnete er das Bild in allen we'cntlichen Teilen, malte dann die Hauptfläckcn und schliff schließlich das Ganze mit Bimsstein ab, so daß nur eine vage An-