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Lin verhängnisvoller Saß. Novelle von E. Heinrichs. (Fortsetzung.) „Freilich, es stellt eine zwar düstere, aber liebliche Szene dar. Ein todtes Kind im Sarge, von Blumen fast verhüllt, ferner einen knieenden, verzweiflungsvoll die Hände erhebenden Knaben, von der fprechendähnlichen Zwillingsfchwester der Todten umschlungen, im dunklen Grunde das Elternpaar, dessen Züge schwer zu erkennen sind; — das Bild soll einen ganz wunderbaren Eindruck machen und den seltsamen Namen oder Titel: „Ein verhängnißvoller Haß" führen." Otto war bei der Beschreibung leichenblaß geworden und strich sich mehrere Male über die Stirn, als wenn er die finstern Gedanken zu bannen suchte; fast unbewußt murmelte er den Namen „Resi!" Mochte die Fürstin diesen Namen verstanden haben? Möglich war's, da sie leicht zusammenzuckte und ein feindseliger Ausdruck ihre Züge überflog. „Erzählen Sie uns die Geschichte, dieses wunderbaren Bildes, lieber X.!" rief sie mit sichtlicher Ungeduld, „ich bin in der rechten Stimmung, etwas Schauerliches anzuhören." „Fürstin, das kann Ihr Ernst nicht sein," bemerkte Otto, sie düster anblickend, „paßt eine tragische Familiengeschichte in diesen Kreis? — Ich fürchte fast," setzte er mit einem gewaltsamen Humor hinzu, „der große Maler beabsichtigt, sich mit seiner Erzählung hier die ersten Sporen als Romanschriftsteller zu verdienen." „Fürchten Sie das nicht, Herr Eberhard!" lächelte der Dialer, „ich bleibe meiner Kunst getreu, werde niemals ein Ueberläufer werden." Otto fuhr zornig empor, doch legte die Fürstin ihre Hand be schwichtigend auf seinen Arm und sagte nachlässig: „Hören wir doch den Roman, liebster Freund, was kümmern uns die Personen?" Der Maler begann mit einer peinlichen Genauigkeit seine Erzäh lung, welche von der Wahrheit in ihren Hauptmomenten sehr wenig abwich. Er schilderte den Eintritt des verwaisten Knaben in das bis dahin so glückliche Haus des Malers Eberhard, den Tod Resi's, sowie den unversöhnlichen Haß der unglücklichen Mutter. Die Gesellschaft horchte athemlos der interessanten Schilderung, während das Auge der Fürstin nicht von Otto's Antlitz wich. Bleich und finster, mit zusammengepreßten Lippen hörte dieser zu, keine Muskel seines schönen Gesichts zuckte, nichts verrieth den furchtbaren Aufruhr seines Innern als die Starrheit, welche ihn ergriffen. Man ahnte es, daß es die Geschichte seiner Kindheit war, welche hier so schonungslos von fremden Lippen preisgegeben, so grausam zerglie dert wurde. Und nun mußte der arme junge Mann es anhören, wie seine Liebe zu Nanni profanirt, sein Herz ihm stückweise vor die Füße ge worfen wurde. Es war ihm, als habe sich ein eiserner Ring um seine Brust gelegt, der ihm jede Bewegung, jede Vertheidigung unmög lich machte, — er fühlte alle Qualen eines Verdammten, und mußte schweigen, obgleich der Zorn die Pulse zu springen drohte. Unbarmherzig schwang der Maler die Geißel über den Undank baren, der den Pflegevater, die arme Braut schmählich dem Verderben, dem Untergange geweiht, der kein Lebenszeichen von sich gegeben. — „Halt, nicht weiter!" unterbrach ihn Otto mit keuchender Stimme, „das ist Lüge, elende Verläumdung, — er schrieb — sogar mehrere Male — ohne Antwort zu erhalten, und blieb trotz alledem der Brnut, der sein ganzes Herz gehörte, treu." „Ah, Sie scheinen sehr gut unterrichtet zu sein," rief der Maler, „vielleicht können Sie uns selber den Schluß des interessanten Drama's erzählen?" „Ich kann mir nicht denken, daß es ein Drama, sondern ein Lustspiel mit einer Hochzeit geworden," antwortete Otto, kurz auflacheiid, „oder hat die schöne Nanni den reichen Apotheker nicht geheirathet?" „Nein, so endet die Geschichte nicht, sondern echt tragisch mit einem Giftmord. Mutter und Tochter befinden sich augenblicklich im Gefängniß, angeklagt des Mordes an dem Gatten, resp. Vater." Die Fürstin konnte einen Ausruf des Schreckens nicht unterdrücken; denn wie ein Rasender hatte Otto sich nach den letzten Worten des Malers erhoben und seinen Sessel zurückgeschleudert. „Was ist Ihnen, mein Freund?" rief die Fürstin zitternd. „O, nichts, Durchlaucht!" versetzte Otto mit heiserer, fremd klingen der Stimme, „ich hatte nur Lust, dem großen Künstler dort, der ein so hübsches Schriftstellertalent entwickelt, ein wenig den Hals zu brechen dafür, daß er die Frechheit gehabt, tugendhafte Frauen zu Giftmi scherinnen zu stempeln, daß er es gewagt in meiner Gegenwart, obwohl er es gewußt, daß ich der Hauptheld seiner Geschichte bin." Einen Augenblick herrschte Todtenstille nach diesen Worten, welche wie ein Blitzstrahl in die Gesellschaft einschlugen, dann erhob sich die Fürstin, bleich und zornig, welchem Beispiele alle folgten, um ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben. „Der große Mime scheint sich in irgend einer Rolle zu üben," lächelte der Maler, „ich betrachte seinen sonderbaren Ausfall gegen mich als eine solche und bitte, die Wahrheit meiner letzten Behanptung hier schwarz auf weiß zu lesen." Er überreichte der Fürstin mit einer tiefen Verbeugung ein Zei tungsblatt, worauf ihr Blick einen mit Rothstift bezeichneten Artikel überflog. „Es ist wahr, Alles wahr," nickte sic mit einer Miene, welche Bedauern und Triumph abspiegelte, „lesen Sie selber, Herr Eberhard!" Dieser ergriff mechanisch das Blatt, doch gebrauchte er mehrere Minuten, bevor er im Stande war, die Bestätigung der furchtbaren Nachricht zu lesen. „Wahr, wahr," murmelte er mit bebenden Lippen, „und doch rufe ich nein! tausendmal nein!" dazu. — „Verzeihung, Durchlaucht!" wandte er sich, gewaltsam nach Fassung ringend, an die Fürstin, „nicht meine Schuld ist's, daß die heitere Tafel durch diesen grellen Mißklang gestört worden, rechten Sie mit Herrn L., welcher seine tragische Ge schichte mit so kluger Berechnung gerade in dieser glücklichen Stunde zum Besten gegeben. Mich aber bitte ich gütigst entlassen zu wollen, da meine Stimmung mit der Freude nicht mehr harmonirt." „Nicht doch, Sie bleiben," gebot die Fürstin einen stolzen Blick ringsum werfend, „ich darf Sie in dieser Stimmung nicht von mir lassen. Was die Vergangenheit auch bergen mag, sie soll begraben bleiben und keinen Schatten auf die Gegenwart werfen." Sie ergriff seine Hand und in athcmloscr Spannung harrte die in ihrer Erwartung getäuschte Gesellschaft der Lösung, welche nach den verheißenden Worten der Fürstin jetzt nur die öffentliche Verlo bung sein konnte. Einen Augenblick schwankte Otto, von dem Zauber der schönen Frau, sowie dem stolzen Triumphe, über alle Feinde und Neider trotz der vorhergehenden Szene den Sieg davon zu tragen, auf's Neue um. strickt. Die dunkeln Augen der Fürstin ruhten in flammender Leiden schaft auf ihm, der berauschende Duft, welcher ihre stolze, königliche Erscheinung umgab, ja, die ganze Atmosphäre erfüllte, schien seine Seele, sein Gewisse» in süße Träume zu wiegen und die kalte, mah nende Pflicht in den Hitergrund zu drängen. Seiner selbst kaum bewußt, zog er ihre seine, zarte Hand an seine Lippen, — was küm merte ihn die Heimath, was der todte Pflegevater und die so tief gesunkene Geliebte seiner Jugend! Sein Blick begegnete dem ihrigen, der in verzehrender Gluth seine Sinne verwirrte. „Ich wiederhole es," sprach die Fürstin, „kein Schatten soll diese glückliche Gegenwart trüben, keine tragische Geschichte eine» Bund trennen, welcher —" Sie brach erschreckt ab, da Otto ihr mit einer raschen Bewegung seine Hand entzogen hatte. Starr haftete sein Auge wieder auf dem verhängiiißvollen Artikel des Zeitungsblattes, welches er noch immer in der Hand hielt. „Du rufst mich," murmelte er, „vergieb, Du Arme, ich komme. Durchlaucht!" wandte er sich an die Fürstin, „ich bitte, mich gütigst entlassen zu wollen, die gebieterische Pflicht befiehlt, ich muß gehorchen." „Sic wollen fort — ohne Urlaub?" „Ja, Durchlaucht, — wenn es nicht anders geht, auch ohne Ur laub. Ich muß um jeden Preis fort." Die Fürstin preßte die Lippen aufeinander. „Gehen Sie, wein Freund!" sprach Sie nach einer Pause, ihm mit einem hnldvollen Blick die Hand reichend, „ich werde, falls man Ihnen den Urlaub verweigern sollte, Ihre Fürsprecherin sein; doch hoffe ich bald von Ihnen zu hören." „Recht bald, Durchlaucht!" versetzte Otto, ihre Hand an seine Lippen ziehend, „meine Ehre zum Pfände!" Mit einer tiefen Ver beugung nahm er Abschied von der Fürstin, deren gute Laune für diesen Abend vollständig gestört war, weshalb die Gesellschaft sich bald ebenfalls empfehlen mußte. „Gleichviel," meinte der Baron, „wir haben unsern Zweck erreicht und Bresche in diese drohende Mesalliance geschossen; läge die Partie umgekehrt, da ließe man sich's gefallen, aber so — ü äoav!" — IX. Der Tod des Malers Eberhard, sowie die Gefangennahme der Gattin und Tochter desselben, hatte selbstverständlich ein ungeheures Aussehen nicht blos in der kleinen Stadt, sondern auch weit über diese hinaus erregt. Das allgemeine Urtheil war von der Schuld der Frau felsenfest überzeugt, während man die Tochter ohne Ausnahme für schuldlos hielt und ihr Verbleiben im Gefängniß nicht zu begreifen vermochte. Glaubte Nanni an die Schuld der Mutter? Das unglückliche Mädchen war seit jener furchtbaren Stunde, wo die Thüre des Ge fängnisses sich hinter ihr geschlossen, von einer Art Apathie befangen. Starr und unbeweglich blickte sie in einen Winkel; thränenlos, schwei gend, — schien jede Empfindung des Geschehenen ihr abhanden ge kommen zu sein. Der Arzt, welcher den Auftrag hatte, ihren Seelenzustand zu untersuchen, schüttelte bedenklich den Kopf und erklärte, daß sie noth- wendig in eine andere, freundlichere Umgebung versetzt werden müsse, widrigenfalls eine Geistesstörung zu befürchten sei. Das Gericht zog hierauf einen zweiten Arzt hinzu, welcher sie, dem Urtheil des ersteren entgegen, für eine Simulation erklärte, und dessen Urtheil als ein kompetentes acceptirt wurde. Die Sache lag für Frau Eberhard sehr schlimm, die Vergiftung ihres Gatten war bei der Sektion klar erwiesen worden, ebenso der jahrelange, häusliche Unfrieden, und wenn die unglückliche Frau auch durch Zeugen darthun konnte, daß in der letzten Zeit eine Versöhnung stattgefunden, so war's leider doch offenkundig genug geworden, daß gerade in den beiden letzten Tagen die Zwietracht wieder ihre wilde Fackel geschwungen hatte. Die Flasche, aus welcher der Verblichene an jenem letzten Abend getrunken, befand sich in den Händen des Gerichts, doch war in dem Rum kein Arsenik oder sonstiges Gift gesunden worden; ein Umstand, welcher dem Apotheker Wagner, aus dessen Händen sie die Flasche sammt Inhalt erhalten, natürlich sehr zu Statten kam. Derselbe war ebenfalls auf die Aussage der Frau Eberhard hin verhaftet worden, hatte indeß außerdem noch den Vortheil für sich, daß er sein Alibi an jenem Abend nachweisen konnte, da er seit dem vorhergehenden Tage verreist gewesen und erst am darauffolgenden Tage zurückgekommen war. Selbstverständlich wurde der Apotheker sogleich wieder in Freiheit gesetzt, sein Anerbieten jedoch für Nanni's Entlassung aus dem Ge- jängniß eine Kaution erlege» zu wollen, abgelehnt. Die Geschichte erschien selbst dem richterlichen Auge so klar und einfach, daß an einer Verunheilung der Frau gar nicht zu zweifeln sein konnte; und doch war vieles so unklar und räthselhaft, die Kette der Beweisführung an mancher Stelle so lückenhaft, daß der Verthei digung späterhin Spielraum genug blieb, für ihr Klienten zu wirken. Das schien auch dem Staatsanwalt, einem sehr gewiegten und äußerst energischen Mann, hinlängliches Kopfzerbrechen zu machen, weshalb er in seinen Gedanken wohl immer und immer wieder auf den Apotheker Wagner zurückkommen mochte, so daß er denselben heimlich beobachten, ja, sogar alle feine Schritte überwachen ließ. Natürlich war seine Werbung um Nanni's Hand, sowie Eberhard's Abweisung nach allen Seiten hin zur Sprache und zur Kenntniß des Gerichts gekommen. Selbst Nanni's Liebe für den Pflegebruder und ihr späterer, freiwilliger Entschluß, den Apotheker zuheirathen, wurden ebenso mit rücksichtsloser Offenheit in die Untersuchung hereingezogen, wie die Motive des häuslichen Zerwürfnisses dieser einst so glücklichen Familie, der verhängnißvolle Haß der unseligen Frau. Woher hatte die letztere das Gift genommen und auf welche Weise jegliche Spur desselben vertilgt, da doch, wie die Herren wähnten, sicher anzunehmen war, daß Eberhard den Rum in seinem Thee oder mindestens aus einem Glase getrunken haben mußte? Die kaltblütige Ueberlegung, welche in dieser Handlungsweise lag, empörte die Richter gegen die Gefangene, da sie der Betheiierung derselbe», daß ihr Gatte den Rum aus der Flasche getrunken, keinen Glauben schenkten. Und selbst, wenn Letzteres der Fall gewesen, mußte sie nicht mit berechnen der Schlauheit, mit der Ueberlegung einer herzlosen Giftmischerin das Oorpu8 äolioti auf die Seite geschafft haben? Während Frau Eberhard händeringend und von Verzweiflung übermannt, fort und fort ihre Unschuld betheuerle, sprach Nanni kein Wort, obgleich sie in mancher Hinsicht wohl die Behauptungen der Mutter hätte bestätigen können. (Fortsetzung folgt.)