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MtMM ßr WilsdrH Beilage zn Nr. 58. Donnerstag, den 17. Mai 1900. 5imßM durE die WscrMMslckW. Von Paul Lindenberg. IV. , (Nackdmck verboten.) Chinn in Pans. -- Transvaal und seine Goldfunde. — England Indien. -- Ceylon, die glückliche Insel. — Niederlandisch-Jndien. — Der Teuchel Egyptens. — Die japanische Ansiedelung. Im Schatten des Moskauer Kreml, der Wiege der Russischen Selbstherrschaft, hat China in Paris seinen Platz gefunden; beherrschend und beschützend ragen über die bunten chinesischen Tempelgiebel die Zinnen und Thürme der Zarenburg hinweg — ob das Zufall, ob Absicht, man kann jedenfalls daraus seine Schlüsse ziehen über die Stell ung der beiden großen Reiche. Und während Rußland uns zeigt, welchen Reichthum in jeder Hinsicht die asiatischen Gebiete bergen und wie emsig es bestrebt ist, diese Schätze zu heben, begnügt sich China damit, uns seine allbekannten Handelsartikel vorzuführen, seine mehr originellen wie schönen Porzellan-, Bronze-, Cloisonne-, Speckstein-Sachen, seine Stickereien und Seidenwaaren; von dem geistigen Leben der zahllosen Millionen Menschen, von der wirth- schaftlichen Thätigkeit des Staates, von der Erfüllung kultureller Aufgaben erfahren wir nichts, weil nichts zu erfahren ist! — Das chinesische Hauptgebäude ist in Form eines dem Schwarzen Drachen gewidmeten Tempels errichtet, ganz aus Holz aufgeführt, zwei Stock hoch, mit doppeltem Dach und zwei Veranden übereinander, von dem leuchtenden Roth des Anstrichs heben sich lebhaft die grün-goldenen Ver zierungen und die vielen gelben Drachen ab, die, wo es mir ging, theils in Holz, theils in Porzellan angebracht wurden, auf dem von gelben Porzellankacheln gebildeten Dache weht die gelbe Flagge mit dem rothen Drachen. In kurzer Frist kann man sich hier mit den Leckereien der chinesischen Küche vertraut machen, mit Suppen aus Vogel nestern und Haifischflossen, mit drei Monate alten Eiern und gefüllten Bambussprossen, mit Zwergkrebsen und ge rösteten Fischen — na, wohl bekomm's! Unterhalb des Tempels liegen zwei langgestreckte, aus rothlackirtem Holz in Art der chinesischen Wohnhäuser errichtete Halleu mit einer bedeckten Gallerie vorn, deren vorspringendes Dach von rothen Holzfäulen getragen wird; zwischen den Holz gestellm der Vordcrwand sind statt Papier Glasscheiben befestigt, im Innern aber finden wir die Anfangs erwähnten Waarcn, die zum Verkauf stehen nnd schon thcilweise ihre Liebhaber gefunden haben, während hier und da auch chinesische Handwerker thätig sind und die mühsamen Cloisvnuesachcu hcrstei'en. Daß nicht bald ein „Ausoerkauft!" zu befürchten ist, dafür bürgen die vielen, draußen aufgestapelten mächtigen Kiste». Ein benachbartes dreitheiliges Tempelthor macht uns mit dem offiziellen chinesischen Baustil bekannt: die Durchgänge der rothgeüiuchteu Mauern sind mit weißen Ornamenten eingefaßt, au; dem oberen grünen und gelben Porzellauaufsatz erhebt sich die dreifache Bedachung aus Fliesen, an Drachen und Inschriften fchlt's hier gleichfalls nicht. Unterhalb Chinas stoßen wir auf die Baulichkeiten Transvaal's — von fern schon vernehmen wir das Sausen und Brausen wuchtiger Maschinen und alsbald sehen wir ein mächtiges Rad sich drehen, das eine Gold- wäschcrei in Betrieb setzt: etagenförmig rauscht das Wasser über sauft geneigte Flächen herab in einzelne Bassins, um die Erze von den Sand- und Steinschichtcn zu befreien. In einem benachbarten Gebände werden uns durch Modelle und Abbildungen die Goldmiueu veranschaulicht, au den Außenseiten schildern Malereien das Leben in den Minen wie in den Kafferndörfern. Ein in Art einer schmucken modernen Villa errichteter größerer Pavillon vereint mancher lei uaturgeschichtliche Sammlungen, unter denen besonders reichhaltig die der Mineralien und der Thierwelt sind, und zeigt uns daneben die Fortschritte, welche die beiden süd afrikanischen Republiken während der letzten Jahrzehnte auf öffentlichem und staatlichem Gebiete gemacht. Die meiste Anziehungskraft übt jedoch der im Freien aufgestellte, gold- schimmernbe Obelisk ans, welcher in seinen Abstufungen die Goldprodukiion Transvaals vergegenwärtigt; die kleine Spitze zeigt uns an, daß 1888 für 24427000 Franks Gold gewonnen wurde, die große Basts aber, daß sich während der ersten neun Monate des Jahres 1899 die Goldaus beute auf 368437193 Franks belief. Ein auf dem Unter bau dieses Obeliskes aufgestellter winziger goldener Block von etwa 30 Zentimeter Durchmesser trägt die Inschrift: „1 Million Franks Werth." Na, wenn der echt wäre, wie zahlreich müßte die Bewachung sein! — Daß trotz des Reichthums des Landes seine Bewohner schlicht und an spruchslos geblieben sind, beweist die Boerenfarm: ein kleines, aus behauenen Felsstücken aufgebautes, ganz niederes Häus chen mit vier schmalen Fenstern, dessen Strohdach man fast mit der Hand erreichen kann, die fünf Liliput-Wohnräume von spartanischer Einfachheit. Wie anders, des „eigenen Werthes voll bewußt", tritt uns ein paar hundert Schritte weiterEngland-Jndieu entgegen mit seinem großen, in hindustanischem Stil auf- geführteu, weißen Gebäude, von schlanken Thürmen begrenzt und durch ein leichtes Vestibül in zwei Theile gegliedert. In der vorderen Ehrenhalle blitzt's und funkelt's und gleißt es von goldenen und silbernen prunkenden Geräthen, von herrlichen Schmucksachen, von schimmernden Juwelen, denn hier haben in sorgsam aus indischen Hölzern gefertigten Schränken die indischen Rajahs ihre Kostbarkeiten ausge stellt. In der Mitte erhebt sich ein Triumphbogen, über ragt von einer Pagode mit zahllosen goldenen Dächern, meisterhaft ciselirt, am Giebel thront in farbigstem Ge- schiller der heilige Pfau. In den Seiteuhallen finden wir die Reichthümer Judiens aufbewahrt, Essenzen, Zimmet, Vanille, Thee, Kaffee, Edelsteine, Teppiche, gewebte und be stickte Stoffe, edle Metalle, zum Theil kunstvoll bearbeitet, und dazwischen stehen, etwas steif in der Ausführung, die Nachbildungen der einzelnen Soldatentypen der englischen Kolonialarmce, die hochgewachsenen Sikhs mit wulstigen Turbanen und die kleinen, schlitzäugigen Polizisten Birmas mit flachen Strohhüten, schmächtige Infanteristen Egyptens in gelben Kaki-Uniformen nnd breitschultrige sudanesische Neger in kurzen blauen Jacken und Pluderhosen. Ceylon, das glückliche Eiland nimmt eineu besonderen Raum ein, in umfassender Weise zeigt es uns seine Schätze jeder Art, unter Berücksichtigung der industriellen Anlagen (Verarbeit ung der Hölzer, Gewinnung des Kokosnußöls usw.), und unter Hervorhebung seiner erstaunlich mannigfaltigen Thier- wclt. An Schmelz und Farbenreichthnm wetteifern die handgroßen Schmetterlinge, die winzigen Kolibris mit den schiimnemdsten Edelsteinen, die hier, (wenn auch nur in Nach bildungen) zu Hunderten verschiedener Art, Größe und Färb ung vor uns ausgebreitet liegen. Ueberraschend eindrucks voll ist eine riesige Thiergruppe in sehr geschickter Auf stellung: aus den Dschungeln, dem mit märchenhaften Blumen durchwundenen Dickicht, bricht ein gewaltiger Elefant hervor, zu dessen Füßen eine Kobra ihr giftgeschwollenes Haupt aufzüngelt, während Bären, Wildschweine, Leoparden die Flucht ergreifen, in den Zweigen der Bäume aber ein ganzes Heer von Affen umhertollt und die seltensten Vögel sich wiegen. In einem nahe diesem Gebäude liegenden freund lichen kleinen Pavillon kredenzen weißgekleidete Singhalesen, den Schildpattkamm in dem nach Frauenart gekämmten Haar, den würzigen Ceylon-Thee. Sehr origin ellnnd festelnd tritt uns Niederländisch - Indien entgegen mit einer äußerst gelungenen, sehr sorg fältigen Nachahmung des Tempels von Djandi-Sara auf Java, mit breitem zweistöckigem Vorbau, vor welchem eine ganze Reihe von steinernen Buddha-Figuren Aufstellung gefunden, während die Reliefs des Tempelunterbaues mit Szenen aus dem Leben Buddhas, von seiner Geburt bis zu seinem Tode, geschmückt sind, all' das nach Abgüssen von den Originalen gefertigt. Eine stattliche Treppe führt in. das Innere mit allerhand buddhistischen Götterfiguren, zwischen zwei heiligen Bö-Bäumen der sagenhafte Löwe, im Vestibül die ausdrucksvollen Gestalten von Vischnu und Schiwa. Rechts und links vom Tempel liegen buntfarbige strohgedeckte Eingeboreuen-Wohnhäuser von Sumatra mit Kolonial-Sammlungen bekannten Inhalts, einen lebhaften Gegensatz bildend zu dem leuchtenden Weiß des Tempels, dessen Aufbau mit beträchtlichen Schwierigkeiten verknü^ Auch Egypten hat einen Tempel gewählt, ein schwer fälliges Gebäude, das in seiner breiten Vorderseite mit hohem Eingangsportal und Sphinxen wie Obelisken dem Tempel von Dandur in Nubien nachgebildet ist, während die übrigen Seiten Einzeltheile des Tempels von Philae darstellen, die Ausschmückungen aber mit Königs- und Priesterzügeu, mit Besiegung der Feinde, mit Schilderungen festlicher Begebenheiten den Tempeln von Abydos, Karnak usw. entnommen wurden. Die den säulenumgebenen Hof einschließenden Räume enthalten die Ausstellung der land- wirthschastlichen, industriellen und kunstgewerblichen Produkte des Landes, daneben schöne alte und neue Waffen, prächtige Teppiche, viele bedeutsame geschichtliche Erinnerungen, werth- volle Handschriften re. Die Keller, in die man von außen gelangt, sind erst zum Theil fertiggestellt, sie.wurden treu den Grabkammern der einstigen egyptischen Herrscher nach geahmt und werden später außer den Gegenständen des Todtenkultus die buntbemalten Holz- und reliefverzierien Steinsärge mit den Mumien verschiedener Könige und Königinnen Alt-Egyptens enthalten. Vorläufig ruhen die einbalsanmten Leichname der verehrlichen, ehemaligen all mächtigen Majestäten noch in umfangreichen Kisten, die draußen unter frisch eingepflanzten Dattelpalmen stehen, welche träumen mögen von den Ufern des Nils, in dessen Nuthen sie noch vor wenigen Wochen gespiegelt. A ie gefällig, wie freundlich und zierlich sieht gegen den massigen egyptischen Bau der zweistöckige, in Holz mit reichen Vergoldungen ausgeführte und mit zahlreichen Schnitzereien geschmückte, benachbarte Japanische Tempel aus, der am Ufer eines kleinen Sees liegt, nahe einem in japanischem Geschmack angelegten Gärtchen mit Bäumen, Sträuchern und Blumen des Mikadoreiches. Die wunder baren Werke altjapanischer Kunst und Handfertigkeit, zum großen Theil aus kaiserlichem Besitz stammend, erlesene Waffen, Bronzen, Gemälde, Lackwaarcn, Stickereien, Ge wänder, sind in diesem lustigen und anmuthigen Bau auf bewahrt, zu dessen Muster der aus dem VII. Jahrhundert stammende Kondo, ein in Nara stehendes buddhistisches Heiligthum, diente Uni den erwähnten See sind noch drei weitere japanische Häuschen mit überragenden Dächern und schattigen Galerien aufgeführt; in dem einen stehen japanische Waaren ganz preiswerth zum Verkauf, in den beiden anderen giebt's Sake, den im Geschmack dem Sherry ähnelnden Reiswein, und Thee, von niedlichen, höflich knixenden, stets vergnügt lachenden Japanerinnen servirt, deren bunte Kimonos im Winde wehen und stelzige Holzschuhe lustig klapper«. Sehr eindrucksvoll und mannigfaltig hat Frankreich seine verschiedenen afrikanischen Kolonieen und die unter seinem Schutz stehenden Gebiete zur Schau gestellt, eine nähere Beschreibung sei einem späteren Bericht Vorbehalten, wenn erst, was in Kurzem der Fall, einer der interessantesten Theile, jener Madagaskars, fertiggestellt sein wird. Die Scsi»vestern. Novelle von K. Sommer. (Nachdruck verbot«».) (Fortsetzung.) Mehrere Tage waren seitdem verflossen; dann und wann hatte sie von der Doktorin kurze Nachricht über die fortschreitende Besserung des Patienten empfangen, aber wie wenig war das für ihre Sehnsucht. Sie konnte ihr Verlangen, ihn zu sehen, kaum noch unterdrücken. Ob die kluge Schwester da keinen Rath wußte? Sie setzte sich zu ihr, auf den Rand des Sessels, in dem Käthe arbeitend saß, und lehnte die Wange gegen den blonden Kopf der Schwester. „Du — Käthe —- „Nun, Schatz?" „Ich glaube —'daß er mich noch immer lieb hat, es schien mir so. Was würdest Du nun thun, Käthe?" Die Gefragte schwieg einen Augenblick. Ein Heller, leuchtender Scheine legt sich über ihre sanften Züge. „Was ich thun würde, Elli? Mich demüthigen, so tief, wie nur ein lubend Weib es vermag." „Meinst Du damit — ich soll zu ihm gehen und ihn bitten, daß er mich — wieder aufnimmt?" fragte sie stockend und erglühend. „Darf ich das, Käthe?" „Wenn Du gewiß bist, daß er Dich noch liebt — ja." „Du rächst mir also " „Ich rathe Dir nichts, Elli — Du mußt thun, was Dein Herz Dir sagt." Ja, das Herz! Das trieb sie zurück in Günthers Arme, das trieb sie, demüthig zu sein; aber der Stolz war doch auch noch da, und der flüsterte ihr immer zu: „Wenn »Dich nun zurückweist, wenn?" — Aber schließlich siegte doch das Herz in diesem Kampf. — Es war einige Tage nach diesem Gespräch, da trat sie Abends in der Dämmerstunde ganz heimlich und verstohlen über die Schwelle des Doktorhauses. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen, und st: zitterte bei dem Gedanken, was wohl die nächste Stunde ihr bringen möchte. — Die Hai sthür war offen gewesen, man hatte ihr Eintreten nicht ge hört. So konnte sie unbemerkt in das Wohnzimmer gelangen. Auch hier war Niemand, aber aus dem nebenan liegenden, nur durch eine Portiere getrennten Raum tönten ihr Stimmen ent gegen. — Seine Mutter sprach, Ellinor hörte ganz deutlich ihre leise, gedämpfte Stimme. Sie blieb zitternd dicht vor dir Portiere stehen und lauschte, ihr Name war genannt worden. „Du bist ja für Elliuor zu einem ganz beredten Anwalt ge worden, Mutter," hörte sie Günther sagen, „früher —" „Früher stand ich ihr mit Mißtrauen gegenüber, ja — aber Ellinor ist eine ganz Andere geworden, das oberflächliche, eitle, selbstgefällige Wesen von damals ist sie jetzt nicht mehr. In den Stunden der Angst und Noth, die wir zusammen durch lebt, habe ich erkannt, daß bei ihr das Empfinden zum Durch bruch gekommen, und ich habe sie lieb gewonnen. —Günther, auch Dir ist sie noch theuer, Du hast es in Deinen Fieber reden mehr als einmal verrathen, verschließe Dein Herz nun nicht länger in Groll und Trotz, nimm das alte Glück wieder auf, es ist nun kein Scheinglück mehr." „Doch, Mutter," klang es müde und gepreßt, „ein Schein« glück immer noch, immer. Wir passen nicht zu einander, in all unseren Ansichten, all unseren Neigungen nicht. Ellinor ist ein berückend schönes Frauenbild, für den Salon geschaffen, für ein Leben des Genusses, nicht zur Genossin eines Arztes. Alles, was man frohen, heiteren Jugendgenuß nennt, müßte sie an meiner Seite entbehren, ich könnte sie nicht in Gesell schaften, nicht auf Bälle führen, und diese sind ihr Lebenselc- ment. Sie würde viel allein sein, aber sie würde es nicht ein- tchen lernen, daß es nicht anders sein kann. Mit Weinen und Schmollen würde sie mich Abends empfangen, wenn ich müde und abgespannt aus der Praxis komme und nach einem heiteren, sonnigen Lächeln verlange. N'e dürfte ich mit ihr von meinen Kranken sprechen — ihr graut ja vor Allem, was siech und elend ist — nie ihr meine Hoffnungen, meine Sorgen mitthnlen. Und ich würde es entbehren, Mutter, denn ich bin eS bei Dir so gewohnt. Meinst Du, daß wir beide, Ellinor und ich, auf diese Weise glücklich sein könnten? Wir würden voran zu Grunde gehen, langsam aber sicher." „Du stehst zu schwarz, mein Sohn. Glaubst Du nicht, daß Ellinor aus Liebe zu Dir es lernen würde, sich in die Verhältnisse zu schicken? Ich bin überzeugt davon. Und Du kannst ja doch nicht von ihr lassen, Günther!" „Ich muß es!" klang es leidenschaftlich schmerzlich. „Quäle mich nicht mehr, Mutter. Glaube mir, der Kampf wird mir schwer genug. Und wenn ich Ellinor noch zehnmal mehr liebte, was nützte es — ich habe kein Vertrauen zu ihr!" Sie sahen es nicht, daß zwei kleine, zitternde Hände sich Halt suchend in die Portiere krampften, daß ein blasses Gesicht chen mit verzweifeltem Blick sich tief auf die Brust senkte, wie getroffen vom schwerem Urtheilöspruch. Eie hörten auch nicht