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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.06.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190906042
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090604
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090604
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-06
- Tag 1909-06-04
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Monat
1909-06
-
Jahr
1909
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L. Beilaae Frettag, 4. Jnni IVOS. 20. Gvartgelisch-Sozialer Kongreß. Nx. Heilbronn, 2. Juni. Da» Thema der NachmtttagSsttzung lautet«: »Geistige Str-mnngen in ber -enlf-en Gewcrkfch»ft«rew:gu«8." Drr erst« Referent Lic. Lchneemelcher (Berlin) führte auS: Der Evan- gekisch-Soziaie Kongreß hat schon zu einer Zeit die gewerkschaftliche Zusammen- tafsuug der Arbeiter al» eine für die Kultur de» Ganzen notwendige und nütz liche Betätigung angesehen, als andere darin noch eine Zusammenrottung best-lüsterner und unersättlicher Arbeiter erblickten. Allerdings hat die Gewerk- schastSbewegong unsere Erwartungen insofern getäuscht, al» sie die weitere Ent wickelung der Sozialdemokratie nicht gehindert und sich in keinem Gegensatz zu ihr gestellt Hal. Die selbständige Vertretung der Interessen der Arbeiter ist in der Gegenwart eine unentbehrliche Notwendigkeit grywrden. Wenn wir von der Selbständigkeit der Arbeiter sprechen, so schließen wir von vornherein die gelben Gewerkschaften und die Vaterländischen Arbeitervereine aus. Sie arbeiten nur mit der Drohung, den alten Arbeiter durch den Hunger mürbe zu machen, und mit dem Ver sprechen, er mvge sich dem Unternehmer bedingungslos unterwerfen. Damit ist vom christlichen Standpunkt das Urteil über diese Organisationen gesprochen. Demgegenüber haben sich die eigenllichen GewerkschaftSorganisationen, die freien Gewerkschaften, die christlichen Gewerk- schäften und die H.-D. Gewerknereine immer stärker entwickelt. An Zahl der Mitglieder und Macht der Kassen übertreffen die freien Gewerkschaften alle anderen Organisationen iveitaus. Für dir freien Gewerkschaften gilt BöhmelburgS Satz: Partri und Gewerkschaften sind eins. Trotz gewisser Gegen sätze in der Maifeierfrage und in der Frage des Generalstreiks, di« natnrnot- wendig sind, weil die Gewerftchastrn auf dem Boden des Gegenwartsstaates arbeiten, arbeiten Partei und freie Gewerkschaften so Hand in Hand, das; sie einfach nicht zu trennen sind. Ihr gemeinsames Ziel ist der absolute Klassen kamps und die Errichtung einer einseitigen Arbeiterherr'chast. AuS diesem Ge sichtspunkte heraus bekämpfen sie auch die Religion und die vaterländischen Grundgedanken. Deshalb kann mau rS Len christlichen Arbeiten, nicht ver- wehren, wenn sie, von ihrem Gewissen bedrückt, sich besonderen Organisationen zusammenschließen. Gewiß billigen gerade wir Evangelisch-Soziale es nicht, wenn mit dem Wort „christlich" Mißbrauch getrieben wird, wie daS auch bei den christlichen Gewerkschaften zeitweilig vorkommt. Insbesondere müssen wir eS verwerfen, wenn die christliche Gewerkschaftsbewegung namentlich in evangelischen Gegenden dazu benutzt wird, für eine bestimmte kirchenpolttische Richtung Propaganda zu machen. Im übrigen aber glanbeu wir, daß die christlichen Gewerkschaften, die sozial- politisch und in den Arbeiterkkmpsen am letzten Ende doch mit den freien Gewerkschaften zusammengehen müssen, noch eine große Zukunft haben. Wenn man uns allerdings damit schreckt, daß man sagt, die christlichen Gewerk schaften seien nur die Schutztruppen LeS Zentrums, so sage ich, auch daS Zentrum hat sich große sozialpolitische Verdienste erworben und ist für mich nicht der schwarze Manu, den viel« dariu erblicken. (Zustimmung und lebhafter Widerspruch.) Ich glaube jedenfalls, daß wir der christlichen Gewerkschaftsbewegung da» Recht ans Existenz nicht absprechen können. (Lebhafter Beifall.) Der zweite Redner war Pfarrer Lic. Traub <Dortmund): ES liegt un» fern, eine bestimmte kircheapolitisch« Richtung zu empfehlen oder zu verwerfen. Wohl aber liegt uns daran, die soziale Arbeit von kirchen politischer Beeinflussung zu befreien. Die wirklich soziale Gesinnung muß ihren Wert an sich selbst tragen. DaS Wort „christlich" hat in Arbeiterkreiseu einen Klang erhalten, der der Sache des Christen tums nicht zuträglich ist. Gewiß darf mau sich iu seinen kirchlichen Emp findungen nicht kränken lassen. Aber Streiks werden doch von allen Gruppen mit derselben Solidarität gesührt, und auch di« Tarisbewegung macht keinen wesentlichen Unterschied. Alle drei GewerkschaftSrichtnngen kämpfen gegen die gelben Gewerkschaften und die Sprache, die gegen da» Kapital geführt wird, ist nur in Nuancen verschieden. Die christliche Gewerkichasts- bewegnng hat sich iu kurzer Zeit zu eiurr beachtenswertcu Macht entwickelt. Der beste Beweis dafür ist die Nervosität mancher sozialdemokratischen Kreise und die Aengstlichkrit gewisser katholischer Kreis«. Nicht umsonst verbieten hollän dische Bnchöfe interkonfessionell« Gewerkschaften, und nicht umsonst kämpft der Jesuit Pesch gegen Giesberts. Gewiß haben die meisten christlichen Gewerk schaften ihren Rückhalt im Zentrum und gewiß würde auch rin Masseneintritt Evangelischer in absehbarer Zeit noch dem Zeutrum zugute kommen. Trotzdem ist der Versuch der Mühe wert, aus eine Annäherung der Konfessionen hinzuwirken. Die in sich gefestigte Arbeiterwelt ivird an zwei Aufgaben ihren bleibenden Wert als Kulturträger zu beweisen haben: das ist die Regelung ihres Verhält nisses zu drr Gesamtindustrie und die Erstehung de» nachwachsenden Ar- beitergejchlechts zu verantwortlichem Pflichtgefühl. Hierzu braucht der Arbeilerstand Bewegungsfreiheit. Nicht der unorganisierte, sondern der orga nisierte Arbeiterstand wird kulturell in die Höhe steigen. Ohne volle Koalitionsfreiheit wird ihm Las unmöglich. Seine Sache ist es dann, in dieser Freiheit die Macht zu erringen, die das größte Geschenk der menschlichen Natur ist: Gewissenhaftigkeit. Nur der Freie ist verantwortlich, mit Gebun- Lenen schafft niemand die Zukunft eines MillionenvolkeS. (Lebh., anhaltender Beifall.) In der Diskussion sprach als erster Redner Ttschendörfer (Berlin): Die sozialdemokratischen Ge- werkschaften werden sich die Hilfe der Evangelisch-Sozialen garnicht gefallen lassen. Wenn man nicht auf jede praktische Tätigkeit verzichten will, bleibt nichts anderes übrig, als die christlichen Gewerkschaften mit allen Kräften zu unterstützen. Lic. Naumann-Leipzig: Unser Ziel, Vertrauen bei der gesamten Arbeiterschaft zu gewinnen, wäre an dem Tage mit einem Schlage zu End«, au dem wir einseitig für die christlichen Gewerkschaften Partei ergriffen. (Hraf von Posadowsky: Ti« Referenten haben viel mit Zahlen gearbeitet, namentlich als sie von der Schwäche der H.-D.-Richtung gesprochen haben. Der verstorbene Reichskanzler von Caprivi hat einmal von der racxv cio oomdrs gesprochen. So hoch ich di« Statistik einschätze, so sollte mau die Kraft drr eiuzrlneu Arbeitervereiue nicht nach der Mitaliederzahl, sondern nach dem Wert für das gesamte öffrutltch« Lebe» einschätzeu. ES gibt iu Deutschland noch große Parteien, die im Grunde ihres Herzens gegeu jede Arbriterbemegung überhaupt sind. DaS drückt LaS Wort aus, von dem ich nicht weiß, ob eS authentisch ist, Laß die christlichen Grwerlschaften noch viel schlimmer seien als die Sozialdemokraten. (Zuruf: Ist authentisch! Kirdorf!) Der Gedanke, daß die Arbeiter in der Gegenwart, wo alle- für seine wirtschaftlichen Interessen kämpft, nicht anch für ihre wirtschaftlichen Interessen und für eine bessere Lebenshaltung kämpfen sollten, ist ganz undenkbar. Gegen die Sqzml- demokratie aber müssen wir unter allen Umständen kämpfen, da sie der Monarchie und dem bestehenden Staat feindlich gegenübertritt. Ich habe das immer für «inen große« Fehler an der deutscheu Sozialdemo kratie gehalten. (Sehr richtig!) ES steht fest, daß jede nichtmouarchische Versüssung zur Parteiregierung führt und daß jede Partriregierung unendlich langsamer auf sozialpolitischem Gebiete vorgeht. Zunächst müssen wir ober aus den Menschen den Egoismus und auch dru EelbsterbaltuugStrieb aus« treiben. Das aber geht gegen die Natur und ein französisches Sprichwort sagt: Man vertreibe die Natur und st« kehrt im Galopp zurück. Die sozialdemo kratische Bewegung kann also auS diese« Gründe« unsere Unterstützung nicht finden. Tas zweite Referat war sicher sehr geistvoll, aber hart im Raume stoßen sich die Sache«. Weuu wir die christliche Gewerkschaftsbewegung nicht hätten, würde einfach eia großer Teil der Arbeiter mit der Sozialdemokratie zusammeugryeu «ud die Kräfte der sozialdemokratischen Partei verstärken. Im politischen Kampfe darf mau die Unter-, schiede nicht so fein machen. Da muß die Arbeiterschaft ge-' treuut marschieren und gemeiuschaftlich schlagen. Deshalb ist auch mein Standpunkt, daß wir die christliche Gewerkschaftsbewegung unterstützen muffen im Gegensatz zur sozialdemokratischeu Bewegung, die unser aller Feind ist. (Lebh. Beifall und Widerspruch.) ReichStagSabg. Behrens bestritt, daß die christlich-soziale Partei au chro nischem AlltluItramoiitaalsmuS leide. ArbeitersekretLr Fischer-Reutlingen waudte sich gegeu die nuwahre Agi tation und KampfeSiveise der christliche» Gewerkschaft», di« schlimmer sei als die der Sozialdemokraten. Nach kurz« weiter« Debatte «klärte Prof. v. Harvack, daß man von einer Resolutto» Abstand nehme und r» jedem überlasse, sich aus Gruud der Aussprache setu Urteil zu bilden. Die wetteren Verhandlungen wurden daun ans Donnerstag vertagt. S«. Heübrvrm, S. Imst. (Zweiter Lag.) Rur heutigen zweiten VerhandluugStage erstattete zunächst Lic. Lchuee- melcher den Geschäftsbericht. Die Mitglieder zahl hat sich im Laufe d«S verpossene« Jahre» um einiae hundert Mitglieder gesteigert. Der Generalsekretär brtoate besooderS den Aufschwung LeS Bereinsorgan» „Evangelisch-Sozial", indem konservative, sozialreformatorische und radikale Elemente vereinigt feieu. Nachdem sodann einige befreundete Ver bände, uut« ihoeu der Deutsch-Evangelische Frauenbund, dem Kongreß Grüße überbracht hatte», ergriff Professor v. DretvS (Halle a. S.) daS Wort zu feinem Referat Kirche und Srbettrrstanb. Er führte au«: Die evangelisch« Kirch« ist gerade jetzt vor eiue schwere Aufgabe gestellt, ab« daS ist kein Unglück. Schwere Aufgabe» siud eiu Bewei« d« Kraft uud diene« d« Lebensfähigkeit und der Entwicklung der Kraft. Siu Teil de» Volke» steht der Kirche fero. her «der» droht ihr »Sllt- entfremdet zu Leipziger Tageblatt. werde«. Die Agitation für deo AnStritt au» der Landeskirche bat eiuru für die Agitatoren leibst überraschenden Erfolg gehabt. Allein in Berlin siud in de« letzten 3 Jahren über 17 000 Arbeiter aus der evangelischen Landes kirche au-geschieden, davon 10000 im letzten Jahre. Viele Tausende Kinder bleiben also ohne jede Berührung mit der Kirche. Einen vierten Stand mit eigener Weltanschauung gibt es in Deutschland erst, seit »S eine Soztaldrmo- kratie gibt. Die Kirche war zu jener Zelt, als mit dem Aufkommen LeS In- dustrialtSiuuS die große Masse deS Volke- in Elend und Pauperismus versank, dieser Anschauung gegenüber vollkommen indifferent. Sie hatte weder Ber- sländniS noch Herz für die Unzufriedenheit der Unterdrückten, eine einzige Aus nahme bildete Aychern. 17. Deutscher Geographentag. 8. ° L Lübeck, 3. Juni. Am zweiten Verhandlun gStage beschäftigte sich der Kongreß zunächst mit geschäftlichen Mitteilungen und beriet dann technische Fragen des geographischen Unterrichts. AuS der Mitte der Versammlung wurde Klage geführt, daß die Kosten der Veröffentlichungen über Forschungsreisen, die vom Deutschen Reiche unternommen oder unterstützt werden, für den Einzrlbezirder unerschwinglich hoch wären. Direktor Schwarz-Lübeck sprach über den mathrmalisch-astroaomischen Unterricht in den mittleren und höheren Klassen der höheren Schulen und verlangte, daß der Unterrichtsstoff auf die einzelnen Klaffen bester verteilt werde. — Den Bericht der ständigen Kommission sür den erdkundlichen Unterricht während der Geschäftsjahre 1907/09 erstattete der Vor sitzende Fischer-Berlin. Der Bericht verlangt eine Vermehrung der geographischen Lehrkräfte und eine Umgestaltung des geographischen Unterrichis au Universitäten dahingebend, daß alle uaturwisscnschaftlichen und verwandten Disziplinen in einem gemeinsamen Zötus vorbereitet werden sollen, der mit einer Prüfung abz«schließen habe. Die Spezialausbildung soll dann erst nach dieser Prüfung erfolgen. Die e Idee sand in der Versammlung wenig Anklang. Zum Schluß der Sitzung zeigte Prof. Tr Ovvrl-Bremen eine neue wirt- ichaftsgeogravhttche Lchulwanokarte. Am Nachmittag fand eine Besichtigung der Sehenswürdigkeiten Lübecks statt. Dea ersten Beratungsgegenstaud am heutigen T ge bildete daS Thema „Morphologie der Wüsteubilbunqeu". Professor Tr. Pas sarge.Hamburg sprach über Vie Ergebnisse zweier Studienreisen nach Algier zur Beobachtung ler Ver- witterungüverhaltnisje in den Hochsteppeu und in der Sahara. Das Hauptziel deS Redners bei seinen Reisen war, Anhaltepunkte dafür zu gewinnen, durch welche Kräfte die großartigen Numpsflächen und Jnseiberglandichaften Afrikas und Australiens eutslanceu jein könnten. ES ergab sich, daß die Vorstellungen über die Verwitterung und Abtragung in Wüsten, wie sie iu Deutschland namentlich unter dem Eiuflnste von Prof. Walther-Halle herrschend wurden, nicht allgemein gültig sind. Sie paffeu ledcnsalls nicht für die algerische Sahara, aler auch nicht für andere Wüsten. Die Vorstellung, daß die Steppeu ganz allgemein Regionen der Aufschüttung sind, well die Steppenvegrtatiou dea rin- geführte» Staub festdält, gilt sür Algerien nicht. Dort herrscht heutzutage die Abtragung durch Flächenspülung weitaus vor, und selbst in den am tiefsten gelegenen Salzserbrcken findet sich neben Ablagerung äolische Denudation. Die Kalkkrusten spielen bei der Abtragung eine wichtige Nolle, weil sie gerade weiche und lockere Ablagerungen mit dickem Schutzpanzec überkleiden und ihnen damit die Widerstandsfähigkeit harter Gesteine verleihen. Ferner begünstigen sie di« flächeubafte Abtragung durch Wasser und die Entstehung ebener Rumpsflächen. In drr Wüste führen sie zu der Bildung einer steinigen Hamada, die fo langsam wie hartes Gestein Lurch den Sandjchliff abgetragen wird. Aber auch ohne Kalkkrusten können Numpsflächen iusolge von Flüchenspüluug ent stehen, beim Wechsel von weichen uud harten Schichten unter dem Einfluge drr Lurch di« Zerstörung der harten Bänke entstehenden Gerölldecke. Wenig gestörte Lagerung der Schichten scheint Vorbedingung zu sein. Die Tätigkeit drr Boden tiere ist m Leu algerischen Steppen verschwindend gering wegen der dünnen Bodenschicht der Kaltkruste. Früher mag die Stauberzeuguna und damit die Staubausfuhr iusolge des Auftretens großer Herde» von Wilbtlrrcn größer ge- wesen sein. Eiu Teil drr Daja» der Hochsteppen könnte zoogeuer Erosion z. B. Lurch Elefanten seine Entstehung verdanken. Iusolge ein« besonderen Kultur haben die Gaultfcmdsteine des saharischen Atlas die Eigentümlichkeit, unter der Einwirkung vou Flechten merkwürdige Rundhöckerlandschasten zu bilden. Geb. Regierungerat Prof. Dr. Penck-Berliu sprach sodann allgemein üb« die Morphologie der Wüste und Dr. Solger-Berlin über den Gegensatz zwischen Wiisttndüaen und Stranddünrn. (Fortsetzung folgt.) Die Dresdner Gymnasiallehrer-Woche. L. Dresden, L Juni. Die Pfiagslwoche hat sich diesmal für unsre Residenz zu einer pädago gischen Woche gestaltet: Dem deutschen Blindentag, auf dein es sich wesentlich um Fragen der Verbesserung des Blinden-Unterricht» und der Blindenschrift handelt, reihen sich unmittelbar die Tagungen des Sächsischen Realgymnasial- lebrer-Brreins und deS Sächsischen Gymnasiallehrer-VereinS an. Ob auS der Tatsache, daß die beiden Lehrervereiniguugen fast gleichzeitig am selben Ort tagen, Schlüffe auf eine engere Vereinigung beider Verbände gezogen werden können, läßt sich zurzeit noch nicht sagen. Der Sächsische Realgymnasiallrhrer-Berein begann beute seine 9. Haupt versammlung mit einer geschäftlichen Versammlung im Neustadter Kasino. In dieser wurden nach drr üblichen Begrüßung durch den Vorsitzenden Herrn Rektor Dr. Stange an der hiesigen Dreikänigschule der Jahresbericht uud der Bericht deS Kassierers erstattet und ferner die Wahl der Rechnungsprüfer oorgenommen. Im Anschluß daran traten di« Vertrauensmänner zur Vor bereitung der Wahl des neuen Vorstandes zusammen, und den Rest deS Abends verbrachte man gemütlich mit einem geselligen Zusammensein im Reuftädter Kasino. Dresden, 3. Juni. Heut« vormittag begannen früh um 8 Nhr iu der DreikönigSschule die Abteilttngsfitzungea, tu denen zahlreich« Vorträge gehalten wurden. In Abteilung 1, die Dent sch, Latein und Geschichte umfaßt und der Leitung von Prof. Jacobson- DreSvrn-N. untersteht, sprachen folgende Herren: Oberlehrer Dr. Weicker vom Kadettenkorps über die „Begründung de» urhnmauistischen Gymnasiums durch W. v. Humboldt", Oberlehrer Dr. Edwin Müller-DttSden üb« den „Protrepticus des Posidoniu» und seine Bedeutung für die römische Literatur" uud Rektor Dr. Stange-Dresden üb« „Grenzen und Ziele des Laieinunter, richt» im Nealgymnasinm". Für Abteilung 2, neuere Sprachen, war nur ein Vortrag des Vorsitzenden, Konrektor» Dr. Lüder-Dresden, angemeldet, d« „Shakespeare in Len oberen Klaffen deS Realgymnasiums" behandelte. Am stärksten war Abteilung 3, Mathematik uud Naturwissenschaften, be setzt, deren Leitung iu den Händen vou Prof. Dr. Vrömel-DreSden lag. In dies« sprach Prof. Dr. Gorring-Dresden über „DirEtrlluug -«Differential- rechnung im Unterricht der Prime«", Oberstudienrat Dr. Meutzuer be handelte den Llassenscheu Juterfereuzversuch: Prof. Rebeu storfs-Dresden sprach üb« eine „Auswahl neu« Unterrtchtsversuchr" und Prof. Dr. Biedermann- Dresden führte Wechselstrom-Schulversuche vor. Mit lebhaftem Interesse wurde auch drr ausgestellte Teil von Vollmann- physikalischem Baukasten in Augen schein genommen. Nach einer kurzen Früh stückspause begann dann pünktlich 11 Uhr im Schul- saale die «llgemetae öffentliche Versammlung. In dieser begrüßte zunächst der Vorsitzende deS OrlSauSschusieS Rektor Dr. Stange-Drrsdcn die Erschienenen, speziell den Kultusminister Dr. Beck, der in Begleitung des Geh. Schulrat» Dr. Seeliger erschienen war, den Bürgermeister Dr. May nebst den übrigen anwesenden Mitgliedern des Stadt rates und des Stadtverordnetenkollegiums, sowie die Kollegen und erteilte daun dem Hauptredner, Prof. Dr. Korfelt-Auuaberg das Wort zu seinem Bortrage über „Licht- und Schattenseite» der modernen Bestrebungen aus dem Gebiete deS höhere» Schulwesen»". Der Gedankengang deS Ver trags war etwa folgender: Alle Schulen seien infolge der fortschreitenden kullorelleu Entwickelung genötigt worden, die Menge de» Lehrstoffe- bedeutend zu vermehren. DaS habe zu lebhaften Klagen über Uebrrbürduag geführt, und eiulge Päda goge« forderten sogar, man solle nicht länger dem Phantom ein« allgemeinen Bildung nachjagen. Diese Klagen hätten eine Menge Reformwaßregelu uud Bestrebungen gezeitigt, die alle dahin zielten, drr Individualität d«S Schülers möglichsten Spielraum z« gewähren. Einige, wie di« Schaffung verschieden« Typen vou höher«» Echmeu, suchen die Menge deS Wissens stoffes in den einzelne« Schule« zu beschränken, andere suchen di« Art zu bester.i, wie da» Wissen bisher übermittelt wurde, lvenutzung von Wandbilder«, Modellen «nd Versuchen, Einrichtung von Schülerübungen in Physik, Chemie »ud Biologie, Exkursionen in die freie Natur ob« in technische Betriebe.) Noch andere Resormbrstrebungen befürworte« di« Einrichtung von Jugendspielen, Sportklub» «nd von Schüler- Vereinigungen zur Pflege von Literalnr »nd Kunst. Redner ging daun dazu üb«, die Kehrseite dies« an sich wohlgemeinten Reformen zu beleuchten und die Uebertreibungen uud schäd liche« Folgen einiger derselben zu schildern. Die Kerschenpeiaer« sche Idee, vier ans verschiedenen Pfeilern ruhende höhere Schulen zu schaffen, eine humanistische, eine neusprachltche, eia« techuische uud eine naturwissenschaftliche, bezeichnete Redner al» schon deshalb unausführbar, weil die Mehrzahl der Schüler erst in den oberen Klassen eine besttmmle Vorliebe für ein einzelne- Fach fasse und danach den künftigen Beruf wähle. Die jetzt in Cachseu vielfach probeweise eingeführte Gabelung in eine sprachlich-historische und eine mathematisch-natvrwiffrnschaftllche Abteilung genüg« nicht, man müsse eine dritte ungegabrlt« Abteilung bribehalte», Nr. »». 103. Jahrgang. schon um der Schul« willen, dir sich noch nicht für einen bestimmten Berns entschieden hätten, sowie für die, die sich keinem drr erwähnten Fächer znweode», sondern Juristen, Mediziner, Kaufleute, Offiziere oder VerwallungSbeamte werden wollen. Die „ArbeitSidre" führe zwar zu ein« fachwiffeuschastlicheu Vatiefnng, vernachlässige ab« die allgemeine Bildung, um die wir nicht herum kvoutrn und verwische die Grenzen zwischen höherer Schule und Universität. Ein« solch« frühzeitig« Spezialisierung wirke nicht erzieherisch, sondern führe zur Verzärtelung uud zum Schlendrian. Anfänge zur Uebertrribnng seien bereits vorhanden. Daher könnten die besprochenen Reformen wohl manche Härten in unsrrm Schulwesen beseitigen,aber wegeu neuer Schäden und Schwierigkeiten n icht allruthalben zur lousequrnten Wciterfüdrung empfohlen werden. An der Hand «ine» zugunsten Deutschlands ausfallenden Vergleich» deS deutschen Schulwesens mit dem Mittel- schulwrsen Oesterreich» deutet« Redner zum Schluß au, daß durch Ber- ringeruug des MemorterstoffeS und schärfere Scheidung von wesentlichem und speziellerem Lehrgnt anderlei» sich auch bei unS die Klagen über Neberbürdung an den höheren Schulen noch bejritigeu ließen. (Lebhafter Beifall.) Nachdem noch einige geschäftliche Angelegenheiten erledigt worden wäre» und der Vorsitzende bekonntgeoebrn hatte, daß die nächste (10.) Hauptversamm lung in Plauen i-V. zu Pfingsten 1910 statlfiuden solle, war di« Tages ordnung erschöpft. An die Berhaudluugen schloß sich «iu gemeinsame- Mittagsmahl im Städtischen AusstellungSpalast. Der Sächsische Kymnafiallchrer-Vereiu hatte sich al- Ort seiner Tagung da» KSnig-Grvrg-Gyninaüum am Fiedler platz auSersehen. Hier sand zunächst am Donnerstagvormittag 10 Uhr eine erweiterte Vorst indssitzung statt, die sich mit Erledigung rein geschäftlicher An gelegenheiten besaßt«. Um 3 Uhr folgte ebendort eine Sitzung der historiscben Kommtision und daran anschließend eine Führung durch das Gymnasium, dessen schöne Räume von allen Teilnehmern mit großem Interesse besichtigt wurden. Um » Uhr fanden sich die Teilnehmer im Festjnale der Anstalt zur offiziellen Eröffnung der Tagung ein. In den sich hieran anschließenden AbteilungSsitznngen wurden folgende Vorträge gehalten: I. Abteilung für alte Sprachen, Deutsch und Geschichte. Oberlehrer Dr. Becher-Dresden behandelte Schülerjprachvrreine, Koureltor Tr. Po land- TreSden erörterte Vorschläge zur Begründung von Gesellschaften für altklassische Philologie und Oberlehrer Dr. Iäckel-Leipzig sprach iu einem durch Licht bilder erläuterten Vortrag über Palmyra. Tie II. Abteilung, neuere Sprachen, verzeichnete elneo Vortrag von Professor Dr. Besser-Dresden üb« Englisch im Gymnasium und einen zweiten von Professor Dr. Reum-Dresden über die ZieUeislungen im Französischen. Für die III. Abteilung, Naturwissenschaften, waren gleichsalls zwei Vorträge angemeldet: «in« von Oberlehrer Dr. Teucher-Dresdeu über die neueren Bestrebungen zur Förderung des geographischen Unterricht- und ein solch« von Prof. Dr. Gasch-Dresden über naturgeschichtiichen Unterricht in den Oberklasten. Die IV. Abteilung, Mathematik und Physik, hatte folgende drei Borträge ans dem Programm: 1) Prof. Dr. Ftnsterbusch-Zwickau über die graphische Auflösung quadratischer Gleichungen mit reellen und komplexen Werten, 2) Proft Dr. Witting-Dre-den über F. Klein» Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus betrachtet und 3) Oberlehrer Dr. Lohmann-DreSden über einige physikalische Schulversuche. Die V. Abteilung, Religionsunterricht, hatte nur einen Vortrag auf zuweisen, in dem Dr. Schäfer-Dresden da- Wundrrproblem behandelte. Nach Erledigung der AbteilungSsitzungeu fanden sich die Versammlungs teilnehmer abends 8 Uhr im Saale von Hammers Hotel in Striesen rin, um dort den Abend zuzubringen. Morgen früh 8 Uhr beginnen im Festsaale des König-Georg-Gymnasiums die eigentlichru Berhandluugea, die zunächst geschäftlich« Natur sind, worauf um 11 Uhr der öffentliche Teil beginnt. In diesem werden sprechen: Ober studienrat Dr. Stürenbnrg-Dresden über da» Thema: Läßt da» Gymnasium in Sachsen seine Schüler zu alt werden? und Prof. Dr. Bassenge-TreSden über staatsbürgerlichen Unterricht auf Leu höheren Schulen. I. Deutscher Blindentag zrr Dresden. (:) TreSden, 3. Juni. Im weiter«» Verlaufe der Beratungeu sprach Herr Dr. Ludwig Cohn über Len genosseuschaftlicheo Zusammenschluß der blinden Handwerker. Er wieS darauf hin, daß in Deutschland vou 29 009 erwerbsfähigen Bliuden nur 6900 erwerbstätig seien. Deshalb schlage er die Bildung lokalbegrenzter Handwerksgenossenschaften für Blinde vor, denen der Anschluß an die bestehenden oder noch zu gründenden Fürlorgevereine zu empfehlen sei. Betreffs der Ver wertung drr Arbeiten empfehle er das Muster der Leipzig« Blindenfürsorge. An den Vortrag schloß sich eine lebhafte Debatte, worauf folgender Antrag zum Beschluß erhoben wurde: „In Anerkennung der Wichtigkeit des Prinzips eines genossen schaftlichen Zusammenschlusses der blinden Handwerker wolle der Erste Teulsche Blindentag Dresden 1909 beschließen: I) Es wird eine süufgliedcrige Kommission mit KooptionSrecht vledrrgesctzt. 2) Dies« Kommission möge bestehen aus den Herren Baron, Cohn, Dietrich, Hammel und v. Horvath. 3) Aufgabe der Kommission ist, unverzüglich die Gründung von Handwerkergenossenschaften in die Wege zu leiten, wie sie sich aus der Kombinierung der Vorschläge von Horvath und Cohn, sowie unter Verwendung weiteren geeigneten Materials zweckmäßig ergeben." Die heutige Versammlung war wieder so zahlreich besucht, als die gestrige und wurde von Herrn Baron-Dresken eröffnet. Dann gab Herr Ministerialsekretär Winkler als sehender Vorsitzender zwei in huldvollen Worten gehaltene Ant wortstelegramme Ihr« Majestäten deS Königs Friedrich August und des Kaiser» Franz Josef bekannt. Die Wahl deS 1. Vorsitzenden sür den heutigen Tag fiel ans Herr« A. von Horvath-Wien, der mit 97 Stimmen gewählt wurde. Derselbe gedachle zunächst mit pietätvollen Worten des verstorbenen Förderer» der Blindrnsache, Herrn Paul Schneider, woraus sich Li« Versammlung zu Ehren des Verstorbenen von ihren Plätzen erhob. Auch heute wurden einige Vorträge von der Tagesordnung abgesetzt, doch dauerte eS geraume Zeit, bis in die geschäftlichen Verhandlungen ringetretrn wurde, da eine ganze Anzahl Redner zur Geschäftsordnung sprachcn und die verschiedenfachsten Wünsche äußerten. Zunächst wurde eine fünfgliedrige Kommisfinn zur Durchberatung der Leitsätze deS Herrn Karl Bartsch über das Thema: Der Blinde in -er Vergangenheit und Gegenwart gewählt. Die Wahl dieser Kommission war gestern versäumt worden. Gegen Schloß der Versamm lung gab Herr Ministerialsekretär Winkler noch ein Antworttelegramm Kaiser Wilhelm H. bekannt. G » G Wie un- unser« Dresdner Redaktion telegraphiert, beschloß der I. Deutsche Blindentag am Donnerstag, die Begründung eiue-Verband-Deutscher Blindenvereine. Es wurde zur Durchführung diese» Beschlüsse- eine Kommission eingesetzt. IX. Deutscher Areistudententag. ii. L. Weimar, 3. Juni. Die Verhandlungen des IX. FreistudenientageS wurden am Vormittag de? 2. Juni fortgesetzt. Sie begannen mit einer öffentlichen Versammlung, in der als «ster Redner Herr Oberlehrer Dr. Scymank-Posen über „Disziplinär gesetzgebung für Studierende" sprach. Dec Vortragende zeigte zunächst, daß dir heutige Dtsziplinargesetzgebung infolge ihres patriarchalischen Charakters dem Rechtsempfinden deS modernen Studenten nicht mehr entspricht, daß infolge dessen eine Reform im modernen Geiste notwendig ist. Als die wesentlichen Punkte der Reform wurden hiugestellt: keinerlei Strafen dürfen von einzelnen Angehörigen des Lehrkörper- verhängt werden, alle Urteile muffen stets schriftlich und mit Gründen versehen erlassen werden, bei jeder Verurteilung muß sür Rechtsmittel gesorgt werden. DaS studentische Vereins- und BersamuNungSrrcht ist im modernen Sinne auszubauen, jede Bevormundung Ler Studenten in inneren VerrinSangrlegenbeiten zu verwerfen. Tie Gesetzgebung hat dem Grmeindeprinzip der Freien Studentenschaft Rechnung zu tragen und eine Ver fassung für die gesamt« Studentenschaft in Form eine» allgemeinverbindlichen. Gibt es für Kinder im Wachstum — und auch für Erwachsene — wohl etwas Besseres als d^PNdltMM-Milchpudding mit gedampften Früchten? Frisches Obst gedämpft oder geschmort ist sehr zuträglich, der Mondamin- Pudding gibt Speisennährwert und macht daraus eine delikate Mahlzeit. Mondamin überall erhältlich in Paketen ü 80, M und 1k Pfg. Rezepte gratis u. franko von Brown u. Volson, Berlin E. 2.
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