Volltext Seite (XML)
8. Brklagr Freitag, 4. Juni 1»«. Leipziger Tageblatt. Rr. IS». 10». Jahrgang. Mußestunden. , Ei« Doppelleben. Roman von H. Scharfenort. „Aeh!" sagte er, wie jemand, der einen bitteren Geschmack auf der Zunge verspürt, „wenn Sie darunter die Damen vom Brettl und der Halbwelt verstehen, da muß ich wirklich passen. Wahrhaftig! Da ist doch nur alles Berechnung, Eigennutz, Heuchelei und Lüge. Mit den selben Künsten und mit derselben Liebenswürdigkeit, mit der sie mich heute bedenken, haben sie gestern einen andern beglückt und berauscht. Schal und öde — äh! Es ekelt einem davor. Da sehnt man sich einmal nach einem wahren, echten Gefühl, nach einer reinen, ehrlichen Liebe." Bsla von Almassy war aufrichtig überrascht. So ernst hatte er den ,ungen Lebemann, der ganz Oberflächlichkeit und Genußsucht schien, noch nie sbrechen hören. Der schien sich wirklich in einer ernsten Krisis zu befinden, den schien wirklich ein« wahre, große Leidenschaft mit ihrem Flügelschlog gestreift zu haben. Es war fast eine Regung der Sympathie, die in dem Ungar aufstieg, und der Gedanke fing an ihn zu beschäftigen, daß vielleicht auch in dem leichtlebigen jungen, Sportsmann ein besserer Kern steckte, und daß die Frau, deren Liebe es vermochte, diesen Keim zum Blühen und Gedeihen zu bringen und das Leben dieses von dem Schicksal so glücklich bedachten Menschen mit eiwem ernsten Inhalt zu erfüllen, vielleicht gar kein schlechtes Los zog. Auch die gemeinschaftliche Mahlzeit zu zweien trug dazu bei, diese Empfindungen und Gedanken in Bsla von Almassy noch zu verstärken und zu erhöhen. Das Menü war .auserwählt, die Speisen vorzüglich zubereitet und die Weine von bester Qualität. Daneben machte Herr von Baumgart mit Welt- männischer Liebenswürdigkeit und Gewandtheit den Wirt, und auch in seiner Unterhaltung zeigte er sich diesmal von einer besseren Seite als sonst. Anstatt, wie es sonst bei ihm üblich war, von seiner Betätigung und seinen Erfolgen im Sportleben zu sprechen, brachte er das Gespräch aus die Militärzeit seines Gastes, ließ sich von ihm über die serbische Armee und die Verhältnisse im serbischen Offzierkorps berichten und hörte den Mitteilungen mit sichtlichem Interesse zu. Auch nachher, während des gemeinschaftlichen Spazierrittes, hielt Bslas nachdenkliche Stimmung am Fast schweigsam ritt er zur Rechten Baronesse Ediths, und überließ es dem anderen Begleiter, die junge Dame zu unterhalten. Herr von Baumgart nahm den Vorteil, den ihm der Ungar so selbstlos zu gönnen schien, mit Eifer wahr. Er sprudelte nur so von guter Laune. Die Nähe der bewunderten jungen Dame, deren Reitkleid er mit seinen Fußspitzen streifte, der Anblick ihres von der schnellen Bewegung in der scharfen frischen Winterluft geröteten Antlitzes mit den großen, ausdrucksvollen Augen schien auf seine geistigen Kräfte belebend zu wirken. Er plauderte unaufhörlich, mit einer Leb haftigkeit und einem beredten Mienenspiel, das den unangenehmen Ein druck seiner hochmütigen Züge und seines sonstigen blasierten Wesens gänzlich verwischte. Dennoch schien sein augenfälliges Bemühen, sich von der besten Seite zu zeigen und das Interesse seiner Begleiterin zu fesseln, wenig von Erfolg gekrönt; sie gab nur kurze, zerstreute Ant worten, und ihre Blicke richteten sich immer wieder fragend, forschend auf den Reiter zu ihrer Rechten. Und als sie endlich einsah, daß es ihr nicht gelingen würde, den Ungar seiner merkwürdigen Schweigsamkeit und Versunkenheit zu entreißen, gab sie ihrem Pferd die Sporen und schlug ein so heftiges Tempo an, daß sich die Unterhaltung von selbst verbot. Als sie auf dem großen, freien Reitplatz nahe dem Zoologischen Garten anlangten, trieb sie ihre Begleiter mit einem fast übermütigen Zuruf zu noq tollerer Karriere an; eine förmliche Ausgelassenheit schien sich ihrer bemächtigt zu haben. Vornübergeneigt, sich leicht im Sattel er- -kßHE-wahm'std den Graben, der da»^>rrdkV züttsk MMMEet/vtzd ^»rengte dem anderen Hindernis entgegen, das in der Gestalt eimex künstlichen Hecke den Reiter zu kühnem Sprunge ladet. Aber sie mochte wohl die Höhe nicht richtig abgeschätzt haben, das Pferd schlug mit den Husen gegen den oberen Rand des Hindernisses, fiel in die Knie, und die unvorsichtige Reiterin« flog im Bogen aus dem Sattel. Im nächsten Moment schon stanid Bsla von Almassy neben der sileich, wie leblos am Boden Liegenden. Sich nach dem bestürzt, wie ge- lähmt vor Schrecken auf seinem Pferde haltenden Sportsmann um- wendend, ries er hastig, fast befehlend: „Ein Wagen — schnell einen Wagen!" Herr von Baumgart gehorchte ohne Widerrede und sprengte eilig klavon. Der Ungar lag auf einem Knie neben der noch immer bewußtlos am Boden Ruhendem: eine stürmische Bewegung kam über ihn bei dem Anblick des bleichen, starren Gesichts, das noch eben voll Lebenslust ge glüht und vibriert hatte, der schlaffen, regungslosen Gestalt, die sich eben noch so straff und elastisch, voll jugendlicher Frische gehalten. Ihre zarte Büste mit einem Arm umschlingend und den Oberkörper sanft ein wenig emporrichtend, raunte er ihr leidenschaftlich zu: „Edith! Liebe, liebe Edith!" Er beugte sich zu ihr hinab, so daß sein heftiggehenlder Atem ihr Antlitz fächelte. Er konnte sich nicht beherrschen, für einen kurzen Moment ihre farblosen Lippen mit den seinen zu streifem Da schlug sic die Augen auf. Als sie das Gesicht ihres Begleiters so dicht an dem ihren sah, ergoß sich eine brennende Röte über ihre blassen Züge, und ein glückliches, traumhaftes Lächeln glitt darüber hin. „Gott sei Dank!" rief er aufatmend. „Wie ist Ihnen? Ver spüren Sie irgendwie Schmerzen?" Das stille, selige Lächeln schwebte noch immer in ihren Mienen, als glaubte sie sich von einem schönen Traumbild umgaukelt. Erst als er seine Frage wiederholte, sah sie ihn erstaunt, fragend an. „Was ist? Bin ich gestürzt?" Er bejahte; dann half er ihr vorsichtig, mit zarter Behutsamkeit empor. „Wie kam denn das?" fragte sie, sich straff reckend. Er sah sie mit frohen, zufriedenen Blicken an. „Fühlen Sie denn gar keinen Schmerz?" Sie streckte die Arme und machte ein paar prüfende Bewegungen^ Dann schüttelte sic mit dem Kopf, und plötzlich flammte dunkle Glut in ihrem Antlitz auf. War es die Wirkung seiner Blicke, die noch immer voll Bangen, voll Zärtlichkeit an ihr hafteten? Oder kam ihr die Er innerung. empfand sie noch den Druck seiner Lippen, die für eine kurze, selige Sekunde auf Len ihren geruht? Ta ließen sich rufende, schreiende Stimmen vernehmen; ein paar Leute kamen herbei; zwei führten die eingefangenen Pferde. Von der anderen Seite, von der Straße her kam zugleich Herr von Baumgart in voller Karriere heran; ihm folgte eine Droschke, die er glücklich auf gestöbert hatte. „Stützen Sie sich auf meinen Arm, bitte!" forderte der Ungar auf. „Ich will Sie zum Wogen geleiten." Aber sie schüttelte lebhaft mit dem Kopf. „Wozu? Mir fehlt ja gar nichts. Es war nur der Schreck, der jähe Sturz." Und in der Tat, sie bewegte sich ganz frei und leicht; der weiche, tiefe Sand hatte ihre Glieder vor Schaden bewahrt. „Ich bin so glücklich!" flüsterte er leise in weichem, innigstem Ton. Sie standen sich dicht gegenüber, und für einen Moment tauchten ihre Blicke noch einmal tief ineinander. Dann stand Herr von Baum gart zwischen ihnen; ganz verstört, den Zügel seines Pferdes in der Hand. „Wädiges Frquleist", stammelte er fast atemlos, »ein Wagen —- Aber sie lächelte freundlich und schüttelte launig mit dem Kopf. „Besten Tank, Herr von Baumgart, für Ihre Bemühung. Aber ich ziehe vor, unser» Spazierritt fortzusetzen." Sie nahm die Zügel ihres Pferdes aus den Händen des Mannes, Ter den Durchgänger eingefangen hatte, und mit Bsla von Almassys Unterstützung schwang sie sich elastisch in den Sattel. Herr von Baum- gart sah mit offenem Munde zu, denn er hatte nicht anders geglaubt, als daß sie mindestens ein paar Rippen oder ein Bein gebrochen habe. Als die beiden anderen ruhig davonritten, als wäre nichts geschehen, stieg auch er rasch wieder zu Pferde, und nachdem er den Droschkenkutscher entschädigt hatte, galoppierte er seinen Begleitern nach. Die Freude seines Herzens machte ihn noch redseliger als vorher, und wieder be mühte er sich, die Baronesse möglichst fesselnd zu unterhalten, während der junge Ungar schweigend neben ihr ritt. Freilich in den Blicken, die - der letztere ab nnd zu mit der schönen Reiterin tauschte, lag mehr Be redsamkeit, als in den übersprudelnden, wortreichen Tiraden Des anderen. VI. Zwischen Herrn von Baumgart und Bsla von Almassy entwickelte sich fast ein freundschaftliches Verhältnis. Einige Zeit nach seinem Besuch bei dem jungen Sportsmann und dem gemeinschaftlichen Spazier ritt im Tiergarten sandte der junge Ungar seinem freundlichen Gast geber ein Exemplar seines Buches über das serbische Soldatenleben, mit eigenhändige'. freundschaftlicher Widmung. Der Kammerdiener Franrois überbrachte es im Auftrag seines Herrn. Herr von Baumgart ließ den Boten in sein Zimmer führen; die Aufmerksamkeit überraschte ihn sichtlich sehr angenehm. Tas war nicht nur an dem opulenten Trink geld zu erkennen, das er dem Franzosen selbst behändigte, noch beredter kam sein Dank in den freundlichen, liebenswürdigen Zeilen zum Aus- druck, die der junge Sportsmann auf einen seiner eleganten, duftenden, wappengeschmückten Briefbogen warf, während Franrois ehrerbietig hinter seinem Stuhl stand und seine neugierigen, hastig forschenden Blicke im Zimmer umherwandern ließ. Mehr noch aber als diese Aufmerk samkeit erfreute den reichen, jungen Lebemann das Verhalten seines neuen Freundes gegen Baronesse Edith. Es war dem verliebten jungen Mann nicht entgangen, daß die Baronesse an, dem interessanten Ungarn, dessen Bekanntschaft sie unter so eigenartigen, seine Ritterlichkeit ins hellste Licht setzenden Umständen gemacht hatte, ein« lebhaftes Interesse zu nehmen schien. Die Eifersucht schärfte seinen sonst nicht gerade scharf beobachtenden Blick, und er nahm wahr, daß der Baronesse Augen intensiver strahlten, daß ihre Wangen sich lieblich röteten, und daß die Grazie und Anmut ihres Wesens einen neuen Impuls erhielt, so oft Bola von Almassy in ihrer Nähe weilte. Das Selbstgefühl des jungen Lebemannes fühlte sich durch solche Beobachtungen aufs schmerzlichste gekränkt, und wenn die Liebe und die Bewunderung, die Baronesse Ediths eigenartige Schönheit und ihre ungekünstelte, natürliche Anmut und echt mädchenhafte Keuschheit ihm einflößte, nicht bereits zu tiefe Wurzeln in ihm geschlagen hätte, er würde ihr wohl verletzt und grollend den Rücken gekehrt haben. So aber trieb ihn seine Leidenschaft immer wieder in ihre Gesellschaft, und spornte ihn zu unermüdlichen Versuchen an, das Interesse und die Gegenliebe seines Ideals zu erringen. Es erfreute ihn nun in höchstem Grade, als er bemerkte, daß der Ungar nicht das geringste unternahm, um die unzweifelhaft vorhandene Sym pathie der Baronesse für sich in Anspruch zu nehmen, und ihn — seinen Mitbewerber — auszustechen und zurückzudrängen. (Fortsetzung folgt.) (Auf Wunsch wir« der Anfang diese» Roman» neu hinzutretendea Abonnenten kostenlos nachgeliefert.) 6ec belzoz-Äe/zezic/ez? ^ez-/ez^ezt L/'/roi /-/suaisz-Lezlez) ez'ue szi^ezie/rms ^ezÄz-ekZt/ziL. c/e55eu /Ll ^zi- ^ebol beLo/?cie/'T besc/ilez^^ez-l. m/e a/l'äot z/iro -es«/», 4 L-rt/'s-^/rAebot vo/r r/zre/'/'e/c/rbs/'e/' ZVe/r- M vS7vo6zee/e-re-r §/-ö^ezr rzzre/ ^ILzs/üi^-rmLezr, zn^ r/zre? Aezr^<7//)re - <5/>rsLZsezr 4-OB Z.OO ÄNk «Mot ÄVzt