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^prlt Im 0>lä. V^^^^1>VI>v^>V1>->dL<>L2<>L^>v2-V2^2-L>- Die Kleine kämpfte eine Weile zwischen Furcht und Liebe und dann sprang sie aus dem Bett und eilte zitternd zu BMZ S:ühl- .chen, sie mit beiden Armen umspannend und unter ihre Kiffen bergend. Unter Tränen und Küssen klagte sie dann ihrem „Kindchen" ihr Herzeleid. „Die Großmutter flößt mir Furcht ein: und auch die Madalena ist so bös, wie die Hexe im Märchen. Warum kommt die Mama denn nie von ihrer Reise zurück? Ich möchte fort von hier, warum gehen wir denn nicht fort? . . ." Sie schlief ein, aber ihre Tränen benetz ten die beiden eng aneinander geschmiegten Gesichtchen. Auch der Papa war so verändert, und die Kleine fühlte es, ohne es recht zu begreifen. Es gibt Charaktere, die unter dem Unglück zusammenbrechen; Alfonso Chiaravia war einer derselben. „Für meine Kleine ist die Mutter da," dachte er, wenn er sein Gewissen beruhigen wollte, daß manchmal inmitten der Zerstreu ungen, die er draußen suchte, erwachte. Die Kleine sprach zu oft von „ihr" und sie ähnelte ihr zu sehr, und der einzige Trost, den es für ihn gab, war doch die gewaltsame Unterdrückung der Erinnerung an sie. Von den Freunden aufgestachelt, von der eignen Unruhe getrieben, hatte er sich Hals über Kopf auf das Projekt einer Afrikareise ge worfen, die von einigen jungen, reichen Leuten unternommen wurde und etliche Monate dauern sollte. Die Mutter legte ihm keine Hindernisse in den Weg; er hing noch zu sehr an der Toten, beweinte sie noch zu viel, um ganz der Ihre zu sein; dadurch, daß sie ihn einige Zeit frei gab, durfte sie hoffen, ihn dann geheilt wiederzusehen und dieser Gedanke erleichterte ihr das für ihre Liebe schwere Opfer. Der kleinen Bice brachte die Abreise des VaterS keinen großen Schmerz, es schien ihr nur sonderbar, daß alle um sic herum ab reisen mußten, und abends in ihrem großen Bett drückte sie die Puppe besonders innig und angstvoll an sich: „Sag' doch, Bebo, warum reist denn statt des Papa nicht lieber die Großmama ab?" Aber die Puppe drückte ihr rosiges Gesicht chen fest an den unschuldigen Mund, als wollte sie ihn verhindern, so zu sprechen, wäh rend die Arme sich wie in schweigender Lieb kosung um den kleinen Hals legten. . . . So eng aneinander geschmiegt fand man sie auch eines Morgens, aber die Wangen des Kindes brannten in heißem Fieber und die feinen Haare klebten an den Schläfen. „O, auf! Es ist eine Schande, so lange zu Bett zu bleiben!" rief Madalena brüsk, die Läden aufreißend. Aber von Furcht er griffen blieb sie vor dem Bette stehen. „Was ist denn los, Fräuleinchen? Fühlen Sie sich nicht wohl? Warum sagen Sie das nicht gleich, warum haben Sie nicht gerufen? Guter Gott, wie glüht das Kind!" Eine Minute später trat die Großmutter in ihrem langen schwarzen Kleid und dem Häubchen mit den echten Spitzen in das Zim mer — um es nicht mehr zu verlassen. Die Krankheit hatte den schweren, raschen Verlauf, den Kinderkrankheiten meist haben. Die besten Aerzte wurden an das Kran kenbett gerufen, aber Wissenschaft, Erfahrung und die aufmerksamste Pflege erwiesen sich machtlos gegenüber dem grimmen Feind. Die Kleine phantasierte immerzu und ihre Phantasien waren ganz dazu angetan, ein schon von Reue erfaßtes Herz vollständig zu erschüttern. Immer war Bobs diejenige, an die alle diese Ergüsse gerichtet waren, als die einzige Vertraute des kleinen, einsamen Wesens. „Ich habe die Mama gesehen, auch Du hast sie gesehen, nicht wahr, Bobb? . . . Sie war ganz weiß gekleidet und winkte mir von ferne. . . . Ah, wir sind wieder im Garten, in dem schönen, großen Garten, welchen ich so gern habe. Aber Du darfst keine Blumen pflücken, die Großmama will es nicht... sie ist so streng, die Großmama. . . . Der Papa kommt bald wieder, dann gehen wir mit ihm wieder in das andre Haus.... Aber gib acht, die roten Blumen haben unsre Kleider befleckt. . . ." Als die Aerzte kopfschüttelnd das Zimmer verlassen hatten und Madalenas Küvf in - wtenähnlicknm Schlaf der Ermüdung auf die Brust gesunken war, ließ die alte Dame ihre heißen Tränen auf das glühende Gesicht des sterbenden Kindes fallen. Aus ihrem Herzen stiegen verzweifelte, flehende Bitten, glühende Versprechungen auf, damit die Hand Gottes das Leben dieses Kindes schonen möge, bas, wie die arme Frau erst jetzt bemerkte, den In halt ihres Lebens ausmachte. Aber eines Nachts, wähöknd der Vater fern unter dem prächtigen Himmel bes Sü dens weilte und die Großmutter wie eine Bettlerin betend am Boden lag, ging die Kleine zu ihrer weißen Mama, die ihr liebe voll die Arme öffnete. Der erste Sonnen strahl verklärte das weiße Gesichtchen, an das sich lächelnd und rosig wie immer das Köpf chen Bobbs schmiegte, und noch im Tode hiel ten die kleinen Arme die Puppe liebevoll um schlungen. Die Großmutter achtete nicht einmal darauf, den Schein zu wahren, sich nach außen hin stolz und kühl wie vordem zu zeigen. In ihrem Innersten war eine Saite gerissen; sie weinte nicht und sprach nicht, nur von Zeit zu Zeit entrang sich ein tränenloses Schluch zen, eine Art rauher Schrei aus ihrer Brust und sie rang verzweifelt die Hände. Sie allein hielt die Totenwache bei der unter Blumen begrabenen kleinen Leiche, sie allein bettete sie in den Sarg und niemand wußte, was sie gemacht hatte; vielleicht hatte sie dem Kind das Liebste mitgeben wollen. So dachte wenigstens die alte Madalena, als sie später beim Aufräumen des verlasse nen Zimmers vergeblich nach Bobb suchte. „Die Herrin hat gut getan, sie dem Kinde miizugeben; es liebte sie so sehr," murmelte sie, trotz des gewohnten brummigen Tones liefen dabei die Tränen über die rauhen Wangen. Eine vollständige Umwälzung hatte sich in der gewohnten Lebensweise der alten Dame vollzogen, die nun nie mehr ein süßes Stimmchen „Großmama" nennen würde. Es war eine solch entschiedene und gründ liche Veränderung, daß alle Bemerkungen, Kritiken und Ratschläge ausgeschlossen waren. Sie empfing niemanden mehr; mit einem Schnitt hatte sie alle Bande zertrennt, die sie mit der äußern Welt verbanden, aber die Armen und Unglücklichen wußten nun, an wen sie sich in der Stunde der Not zu wen den hatten. 'Die hohe Figur war fast durchsichtig mager geworden, aber die Züge hatten die einstige Härte verloren, ihr Lächeln war mild und von ihrem ganzen Wesen ging eine Wärme aus, als sei sie von einer unsichtbaren Flamme genährt. Unermüdlich unterstützte, besserte und half sie und trug still, ohne zu klagen, ihr doppeltes Kreuz wie eine verdiente Strafe. Auch der Sohn schien ihr verloren, wer weiß wie lange, vielleicht für immer. Die Unglücksbotschaft hatte in ihm einen wahren Widerwillen gegen Vaterland, Familie und Bekannte wachgerufen; er fürchtete sich, Leu ten zu begegnen, die ihn als glücklichen Gat ten und Vater gekannt hatten. „Wozu zurllckkehren?" schrieb er im Egois mus seines Schmerzes. „Es wäre eine un erträgliche Qual für uns beide, es würde Reibereien, Bitterkeiten, vielleicht noch Schlimmeres geben. Es ist besser, daß ich die Welt durchstreife wie ein Verdammter. Du brauchst mich nicht, denn Du warst immer stark und ungebeugt und hast Deine Freunde, die Dir Gesellschaft leisten. Mein Schmerz und meine Schwäche würden nur Dein Gleichgewicht stören . . ." Sie fühlte es Wohl, er floh vor allem sie, weil er in ihr gewissermaßen die Ursache sei nes Unglücks sah, und so hatte sie ihn ver loren, den Sohn, den sie fast abgöttisch ge liebt hatte. Der Schlag war schwer, der schwerste von allen, und nun machte sich auch das Alter bemerkbar und beugte die hohen Schultern. Es war die Einsamkeit, das Ende . . . Aber das alles ist nicht die Geschichte Böbes. O, sie ist noch nicht begraben, die schöne Pariserin mit den Lapislazuli-Augen. Sie ist noch ganz gesund, und da Puppen zum Glück den Schmerz nicht kennen, fändet sie es trotz des Verschwindens ihres süßen kleinen Mütterchens gar nicht so übel, in einem kostbaren, kunstvoll geschnitzten Kasten auf weicher Watte zu ruhen. Ihr braucht aber auch nicht zu denken, daß sich nun ihr ganzes Leben im Dunkel dieses Kastens, in dem nach Sandelholz duftenden Bettchen abspielt. O nein, Bobs sieht und hört noch immer mehr als andre Leute. Jeden Abend um dieselbe Stunde öffnet sich der Kasten und Böbs sieht die gleiche Szene: ein kahles, ein faches Zimmer, ohne Teppiche und ohne an deren Schmuck, als das große Kruzisix, vor dem eine silberne Lampe brennt und drei von Veilchen umrahmte große Photographien, lieber Böbs aber beugt sich ein von Alter und tiefem Schmerz durchfurchtes Antlitz, dessen Augen keine Tränen mehr haben und zit ternde Hände streichen über Böbss Körper, da eine Schleife, dort ein Löckchen ordnend, und wer die alte Dame Plötzlich überraschen Würde, könnte denken, sie sei wahnsinnig ge worden, wenn sie die Puppe leidenschaftlich an sich Preßt und sie mit Küssen bedeckt .. . Nh, wie viele Küsse, wie viele Tränen sind aus die rosigen Wangen des „Kindchens" ge fallen, das kein Mütterchen mehr hat, und Wie rührend und heilig sind die Worte, die an die kleinen Ohren geflüstert wurden. Und des Nachts, wenn Böbs auf den Kissen des großen Bettes neben der alten Dame liegt, deren Unbeweglichkeit nicht Ruhe ist, dann hört sie oft zwischen einem Schlas- chen und dem andern seufzen: „O Herr, er löse mich bald von meiner Qual." Dann möchte Böbs wohl trübe das Köpf chen schütteln, wenn sie könnte, und in ihrer Puppenphantasie denkt sie, daß das Leben der Menschen doch gar zu traurig sei.