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Nr. 107. Zweites Blatt. Sonnabend, 9. September 1905. Preisrätsel. Bald scheint es unemichbar fern, Bald zieret es vom Hof die Herrn. Doch kommt statt „r" ein „i" hinein, Wird'I aus uud in der Erde sein. Für die richtige Lösung des Preisrätsels setzen wir eine Bücher-Prämie aus, und zwar wird unter den jenigen richtigen Lösungen gelost, die bis Mittwoch mittag in der „Redaktion des Wilsdruffer Wochenblattes" mit der Aufschrift: „Preisrätsellösung" eingegangen sind. Um Unzuträglichketten bei der Auswahl "der Ge winne zu vermeiden, muß die Lösung außer dem Namen und Wohnort auch die Altersangabe des Einsenders ent halten. Betrachtung zum 12. Sonntag nach Trinitatis. Also ist auch die Zunge ein klein Glied und richtet große Dinge an. Siehe ein klein Feuer, welch' einen Wald zündet es an! Und die Zunge ist auch ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Durch sie loben wir Gott, den Vater, und durch sie fluchen wir den Menschen, nach dem Bild Gottes gemacht. Aus einem Munde gehet Loben und Fluchen. Es soll nicht, lieben Brüder also sein. Jak. 3; 5, 6a, 9, 10. Hütet Eure Zunge! Sie ist gefährlich in ihren sün digen Wirkungen und schwer zu zähmen. Darum bedarf sie steter gewissenhaftester Achtsamkeit. Aber nicht bloß den L.sern des Jakobusbriefes gilt das. Jeder Christ soll seine Zunge hüten. Denn wie es überhaupt Christenpflicht ist, sich zu beherrschen, den Trieben und Lüsten in uns nicht ihren Willen zu lassen, so sollen wir auch unsere Zunge im Zaune halten. Wohl ist sie nur ein kleines Glied, aber überaus beweglich. Große Dinge vermag sie auszurichten, gleichwie auch nur ein Funke Feuer genügt, einen ganzen, großen Wald in Flammen zu setzen und zu zerstören. So sind auch die Wirkungen der Zunge von weittragender Bedeutung. Mit ihr drücken wir alles das aus in Worten, was uns innerlich bewegt. Das sind aber gemeinhin nicht fromme, reine, christliche Regungen und Gedanken, sondern recht unchristiiche, sündige. ES weiß jeder aus Erfahrung, daß Jakobus die Zunge eine Welt voll Ungerechtigkeit nennt Wieviel Unfriede und Haß, wieviel bittere Feindschaft ist durch ein oft bloß un überlegtes Wort in Familien, unter Hausgenossen, in der Gemeinde schon ausgebrochen! Es entsteht dabei ein Schaden, der fast nie wieder gut gemacht werden kann. Darum hütet Eure Zunge! Leicht ist das freilich nicht. Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der Meerwunde, werden gezähmt und sind gezähmt von der menschlichen Natur, aber die Zunge will sich nicht zähmen lassen. Und doch sollen wir es. Acht haben muß ein Christ auf sich selbst in allen seinen Reden. Durch Selbstzucht kann es ein Mensch dahin bringen, daß er sich gemeiner und spöttelnder, leichtsinniger, unwahrer Worte ent hält. Gerade die letzteren sind diejenigen, zu welchen dieZunge in unserer Zeit in erschreckender Weise gemißbraucht wird. Leider halten sich auch viele Eltern ihren Kindern gegen- über nicht frei von dieser Sünde. Sie machen ihnen etwas weis. Dadurch aber werden die Kinder irre an Vater und Mutter und wachsen durch deren Schuld hinein in die Sünde der Unehrlichkeit und Unwahrheit. Aber was den Eltern gilt, das gilt allen. Mag es schwer sein, die Zunge zu zähmen. Danach trachten müssen wir und des Herrn Wort befolgen: Eure Rede aber sei ja, ja, nein, nein, was darüber ist, das ist vom Uebel. Es wird auch hier Gott dem Aufrichtigen gelingen lassen und dann wird aus dem Munde immer weniger Fluchen, sondern immer Loben, nämlich Loben Gottes gehen. Dazu aber helfe der Herr einem jeden Christen in Gnaden! Die Sittenlosigkeit in den russischen Klöstern und Damenstiften. Aus Petersburg wird berichtet: Die böseWUt beschäftigt sich wieder einmal mit dem Vermögen der Klöster, das, wie die Blätter berichten, ein ganz ungeheuer großes ist. Den genauen Umfang dieses Vermögens kennen freilich nur die frommen Brüderschaften, die keine Veranlassung haben, von den Schätzen, die weder Motten noch Rost fressen, aber schöne Zinsen tragen, all zuviel Aufhebens zu machen. Ihre bescheidene Zurück haltung ist um so verständlicher, als die gottlosen Mit menschen und der allezcit gierige Fiskus die Hände nach den Besitztümern der Klöster ausstrecken und in dieser Zeil der schweren Not, wo weder auf ausländischen noch inlän dischen Märkten Geld zu haben ist, die Mönchleiu einer gewaltsamen Pumpoperation unterwerfen wollen. Die Sache ist freilich sehr verlockend. Da haben wir in Petersburg das Alexander - Newski-Kloster, dessen Jahreseiunahmcn rund 1^2 Millionen Rubel betragen. Der Abt dieses Klosters erhält ein Gehalt von 1800 Rubeln; da aber mit diesem Einkommen ein Abt unmöglich leben kann, so bezieht er von den Einnahmen des Klosters „außerdem" noch 65000 Rubel jährlich. Die Zahl der Mönche dieses Klosters beträgt 70. Sie beziehen jährlich pro Bruder 8000 Rubel, und doch sterben sie, wie es frommen Mönchen geziemt, in großer Armut, denn das Leben in Petersburg ist teuer, selbst wenn mau im Kloster lebt. Champagner, Liköre, Importen und ähnliche Dinge werden leider hoch verzollt, uud die kleinen Abende im Kreise heiterer Damen, die die frommen Brüder in ihrer Weltabgeschiedenheit trösten, kosten auch nicht wenig. Was sind also 8000 Rubel jährlich?! Ein etwas behaglicheres Leben führen die Brüder des berühmten Troize - Sergiewoklosters bei Moskau, das über ein Kapital von drei Milliarden Rubel verfügt. Der Prior dieses Klosters subventioniert mit 30000 Rubel jährlich - ein Operettentheater in Moskau, und er behält noch genug, um ein bescheidenes und golt- gefälliges Leben führen zu können. Die Zahl der Klöster in Rußland beträgt 700. Ein Zeitungsschreiber berechnet, daß sie den ganzen japanischen Krieg bezahlen und trotzdem noch ein äußerst bequemes Leben führen könnten. Gleich zeitig bemerkt er, daß dis Klöster — alle zusammen! — bisher nur 50000 Rubel zu Kriegszwecken aufgebracht haben. In ganz Rußland, namentlich in Petersburg, bestehen zahlreiche adelige Fräuleininstitute in der Form von Internaten, die zumeist von Katharina H gegründet wurden. Alle diese Institute zeichneten sich bis vor einigen Jahren dadurch aus, daß die jungen Damen famos französisch plappern lernten, tadellose Allüren annahmen und sonst herzlich wenig wußten. Wenn man in Rußland den höchsten Grad von Naivität und Unerfahrenheit bezeichnen will, so sagt man: das ist eine „Jnstitutka", — rin Justitutsfräulein. Seit einigen Jahren ist das Regime in den Instituten geändert worden. Man wollte nicht mehr unwissende Gänschen nach dem Muster der französischen Klöster erziehen, sondern den jungen Mädchen, die vielfach Waisen sind, die Möglichkeit geben, eine praktische Vorbildung für das Leben zu erhalten. Die Reform wurde nicht ohne Wider spruch vollzogen, und wie es scheint, ist der Widerspruch, der von den alten aristokratischen Damen, die den Instituten vorstehcn, ausging, nicht ohne Berechtigung gewesen. Man munkelte schon lange. Man flüsterte dies und flüsterte das. Aber die Zensur schob allemal den sensationslüsternen Blättern rechtzeitig einen Riegel vor. Junge Damen machten Selbstmordversuche, Lehrer wurden entlassen, Hebammen wurden nötig, — doch von allen diesen Dingen drang wenig in die breitere Oeffentlichkeit; denn die In stitute unterstehen dem Hofministerium, und das weiß die äsllors zu wahreu. Nun veröffentlicht ein Quidam in dem führenden Blatte der Rechtsliberalen, „Nuß", einen Artikel, in dem er schaudererregende Dinge in einem In stitute nachweist. In diesem sensationellen Artikel heißt cs wörtlich: „ . . . Bekanntlich ist die erste Liebe der Schülerin ihr Lehrer. Doch wie mißbrauchen die Lehrer dieser Anstalt diese Liebe! Wie entsetzlich verroht sind diese Gesellen! Zweideutige Witze und Anspielungen sind au der Tagesordnung. Der französische Lehrer reißt Zoten uud korrespondiert mit einer Schülerin, die ausge schlossen wurde, als man bei ihr einen der von Laszivitäten wimmelnden Briefe des Lehrers fand, der seine Autorschaft leugnete. Die Schülerinnen sahen wiederholt ihre Klassen damen auf dem Schoße von Lehrern sitzen. Eine der Klasseudamen ladet Schülerinnen zu sich ein; in ihrer Wohnung finden Orgien statt, an denen sich Kavallerie junker und aristokratische Studenten beteiligen. Unter den Schülerinnen herrscht Trunksucht und Sittenlosigkeit. Am Abend empfangen sie Kadetten, Junker und Studenten, wobei in die Schlafsäle Kognak eingeschmuggelt wird... Dieses erschütternde Sittenbild, für dessen Wahrheit die Stellung der „Ruß" bürgt, bedarf keines Kommentars. Der Artikel schildert in milder Form Verhältnisse, die zum Himmel schreien. Aus Sachsen. Wilsdruff, 8. September 1905. Ein ungetreuer Beamter der Dresdner Amts anwattschaft wurde in der Person des Numerars Fleischer in Untersuchungshaft genommen. Fleischer vertrat den EffeklenvelWalter Richler während dessen Urlaubes und soll dies benutzt haben, sich von den Asservaten bares Geld und Wertstücke anzueiguen. Da einer Frau, die wegen Diebstahls angeklagt gewesen, aber freigesprochen worden war, ein besonderes gekennzeichnetes Fünfmarkstück von dem bei ihr beschlagnahmten Gelbe bei der Wieder aushändigung fehlte, wurden die Unregelmäßigkeiten Flei- schers entdeckt und dieser sofort ins Untersuchungsgefängnis abgeführt. — Wegen eines sehr bedenklichen galanten -7, Goldsucher. Roman von Edela Rüst. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Ich sage Dir nur, solch ein Mann läuft nickt zum zweitenmal übern Weg, der so Deine Sache zu seiner eigenen machen würde. Der Dich überhaupt kreirt! Der Dir jeden Stein aus dem Wege räumt und die Dornen seitwärts biegt, daß sie Dir weder Gesicht noch Seele zer- fleischen. Was glaubst Du wohl, was das in Deiner Karriere bedeutet?" »O, sehr viel! Datüber bin ich mir ganz klar! Aber ja, ich weiß selbst nicht, aber mir bleibt immer ein Aber! Und solange ich das nicht auslöschen kann, so lange . . ." „So lange wirst Du wägen uud rechnen." „Ich rechne nicht! Aber wägen muß ich, um, wenn ich einen Mann wähle, zu wissen, warum ick diesen vor anderen erwähle! War das nicht dein Motto? Hast Du mir das nicht mit auf die Lebensreise gegeben! Also laß mich wägen! Mir eilt es nicht, mich in Fesseln legen zu lassen, ehe ich noch in der Welt gestanden habe als selbständiger gereifter Mensch." „Aber Swansen eilt es, weil er Dich wahnsinnig liebt und Dich zv verlieren fürchtet. Das ist kein Egoismus, das ist Liebe uud sollte Dich rühren. Er ist ungeduldig und halb verzweifelt, und mir . . . ." „Nun, und Dir? Sprich doch zu Ende." „Mir macht er die heftigsten Vorwürfe, weil er meint, ich müßte Dich zu seinen Gunsten beeinflussen können. Er meint, ich setzte nicht alles daran, Dich zu ihm zu überreden, und nun rächt er sich, oder droht sich zu rächen.. An Dir? Laß Dich nicht auslachen! Womit droht er?" „Nnn, mit dem, was uns am empfindlichsten trifft: er vereitelt Bilderverkäufe, die er auch weiterhin mit Leich tigkeit vermitteln könnte . . .!" Aline bereute schon, was sie eben ganz zielbewußt herausgeschleudert hatte. Ein Blick auf Eva sagte ihr, daß sie sich nicht ärger hätte schädigen können, als durch diese brutale Entschleierung ihrer egoistischen Ränke. Es herrschte eine minutenlange, peinliche Stille im Zimmer. Eva kämpite einen Augenblick mit sich, sie war im Begriff, ihre Stickerei zusammenzulegen und fortzugehen. Sie stemmte dis flachen Hände auf ihre Knie und sah Aline ernst in die Augen — eine lange Weile. Dann sagte sie schon bald lachend: „Die Sorgen haben Deine Phantasie ungesund be fruchtet, so kann Swansen nicht sein! Denn wenn er so wäre, müßtest Du ja meine Erzfeindin sein, mich bereden zu wollen, daß . . ." „Ach Gott, natürlich im Scherz hat er es gesagt — — es ist auch nur Scherz, aber ich meine, bei seinem leidenschaftlichen Naturell wäre es gar nicht so er staunlich, wenn er mal im gegebenen Augenblick Ernst macht, und — na, dann haben es wir eben auszubaden, weil die gnädige Komtesse sich nicht entschließen kann, stch einen Mann zu nehmen, in dessen Hände sie ruhig alle ihre eigensten Interessen legen könnte, ohne selbst eine Hand zu ihrer Wohlfahrt rühren zu brauchen! Ueber- haupt, ich habe es mir in den Kopf gesetzt, ihr zwei gehört zusammen!" Frau Aline lachte und schmollte jetzt wie ein Kind, dem man nicht den Willen tut. „Ich bitte Dich, Aline, laß das Thema jetzt — es irritiert mich und ist eher geeignet, mich von Swansen abzubringen, als alles andere." „Hat es nicht eben geklingelt?" rief Aline, und spitzte die Ohren. „Der Briefträger!" meinte Eva, und sprang auf, um hinauszulaufen für den Fall, daß er auch für sie etwas hätte. „Es ist neun durch, also nicht die Post! Horch mal, sei doch still! Swansen ist es nicht, der wäre schon längst drin und mehr zu hören. Um diese Zeit kommen nur noch Leute von der Boheme — warte mal. — Du, mir ahnt Schreckliches — das ist der Kammerher — hörst Du nicht seine dünne, heisere Stimme? Freilich, alltags pflegt er ja doch nie. . ." Die Türe öffnete sich vor Wilhelm Besorge mit rot gefrorener Nase und noch röteren Händen. Er küßte beiden Damen mit zärtlichen Nachdruck die Hand, die sich von ihrem Wundern zu erholen begannen. „So aus heiterem Himmel mitten in den Harem hinein! Unsere Männer sind aus!" Im Innersten war Aline ganz froh über den Ein dringling, sie hatte stch vorhin etwas zu sehr verhaspelt, es war recht gut, daß das Gespräch für dieses Mal un terbrochen wurde. „Unsere Männer! ist gut!" — näselte der Kammer herr — „sind Sie schon so weit mit dem Danker, gnädiges Fräulein? Na, das wollen wir doch nicht hoffen!" „Was hast Du denn zu hoffen oder nicht zu hoffen?" lachte Aline. Sie ließ eine Flasche Wein kommen. Die Damen arbeiteten weiter, rauchten zwischenein auch eine Zigarette, dem Kammerherrn zur Gesellschaft, der nur ein lehr mäßiger Raucher und Trinker war und zunächst das Gespräch auf Evas Konzert lenkte. Er hatte sogor schon ein halbes Dutzend Billetts verkauft, was Eva bis in die Seele rührte. An ihr „nagte die Ratte" jedenfalls nicht. Besorge war ihr wirklich ein allzeit bereiter aufopfernder Freund geworden, auf den sie den allerbesten Einfluß ausübte Man fand, er hätte sich in jeder Hinsicht vor teilhaft verändert, sogar äußerlich, seit Eva sich Mühe gab, ihn ernst zu nehmen — er war dankbar dafür. Freilich mehr instinktiv, denn er war doch viel zu sehr von sich durchdrungen, um seine Minderwertigkeit irgendwie auch nur in Erwägung zu ziehen. Swanseas Name fiel natürlich noch sehr oft während