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Berlin, 27. August. Die „N. A. Z." schreibt: Dem Bischof von Ketteler wird heute eine Desavouirung von einer Seite zu Theil, von der er dieselbe kaum erwartet haben möchte. Wie uns nämlich aus Dresden vom heutigen Tage telegraphisch gemeldet wird, hat der römisch-katholische apostolische Vicar in Sachsen, Herr Forwerk, Bischof von Leontopolis i. x. i. und päpstlicher Thronassistent, für sämmtliche katholische Kirchen seines Sprengels Festgeläute zur Nationalfeier angeordnet. Das Telegramm meldet ferner, daß der sächsische Staatsminister von Gerber die Festrede im Gewerbehaus halten wird und alle städtischen Aemter am 2. September geschlossen bleiben. Für die ministeriellen Bureaus in Dresden ist eine analoge Anordnung bekanntlich schon vor einiger Zeit erlassen worden. Die preußische Hauptbank fordert den Handelsstand auf, alle 1875 fälligwcrdenden Wechsel in Mark und Pfennigen auszu schreiben. Die preußischen Banken und Filialen kaufen von Neujahr ab keinen Wechsel an, der nicht in Reichsmark ausgestellt oder umge rechnet ist. Eine Münze durchs ganze deutsche Land — das war auch einer der vielen vor- und nachmärzlichen frommen Wünsche. Das Jahr 1875 bringt uns endlich die Erfüllung und das Neichsgeld in Gold, Silber und Nickel. Die Münzstätten in Berlin, München, Stuttgart rc. arbeiten mit Dampf; in der könniglichen Münze in Berlin hat mans durch verbesserte technische Einrichtungen dahin gebracht, daß täglich 580,000 Stück Münzen fertig gestellt werden. Der deutsche Norden führt jedenfalls bis zum ersten Januar 1875 die Neichs- münze ein und Baden hält mit ihm Schritt, wahrscheinlich auch Württemberg und Hessen. Nur in Bayern zeigen sich Hindernisse, namentlich darin, daß nock zu wenig Scheidemünze vorhanden ist. Ein Sporn für die Ueberwindung der Hinternisse ist namentlich der unangenehme Gedanke, daß, wenn alle deutschen Staaten die Neichs- markrcchnung und Münzen einsühren und Bayern allein als Gulden land übrig bleibt, in Bayern die alten Pfennige, Kreuzer, Groschen und Sechser Generalversammlung halten werden; da aber das Reich nur solche Scheidemünzen einlöst, welche noch deutlich als Scheide münzen deutscher Länder zu erkennen sind, so würden diesen Schaden schließlich die guten Bayern selbst zu tragen haben. In Bayern würde der Kehraus der alten Münzen getanzt werden, und das wird man vermeiden. Wir werden also in diesem Jahre noch Ab schied nehmen von den alten Thalern und Groschen, Gulden und Kreuzern, Stübern und Schillingen und was für Namen die Alten alle getragen haben. In unserm Geldbeutel werden wir das deutsche Reich tragen und uns nicht zu sehr grämen, daß wir nicht mehr sämmtliche deutsche Fürsten in der Tasche haben. Zahlreiche Gründer in Oesterreich kommen ans dem Para dies, in welchem sie jahrelang geschwelgt, ins Fegefeuer. Eine be trügerische Bank mW Gesellschaft nach der andern wird vor Gericht gezogen, die Richter reißen den betrügerischen Directoren und Ver- wallungsräthen die Larve vom Gesicht und geben Recht und Moral eine etwas verspätete Genugtbuung. Die Betrügereien der betreffen den Banken waren oft so plump, daß nur die blinde Geldgier des lieben Publikums noch größer war, und das Mißtrauen nach dem Krach ist so groß, daß man ihn Wien ein auf 100 ff. lautendes Bankpapier kaum nm 20 fl. kaust, weil man nicht sicher ist, daß auch diese 20 fl. durch betrügerische Manöver in Ranch aufgehen. Die Bonapartisten in Frankreich wühlen in sehr geschickt ge schriebenen Flugschriften unaufhörlich für die Wiederherstellung des Kaiserthums. Ein alter Republikaner sagt in einer solchen Flugschrift, er habe die Runde durch die volkreichen Viertel von Paris gemacht, die Kaufleute und Fabrikanten gefragt und alle haben ihm geant wortet: Man sieht es wohl, der große Unternehmer fehlt; die Ge schäfte und die Arbeit werden nur wieder gehen, wenn er (d. h. sein Sohn) zurückkehrt. Der Kaiser allein kann Elsaß «.Lothringen Frankreich wiedergeben rc. In einer anderen Flugschrift wird versichert, Napoleon habe den Krieg nicht gewollt, er habe sich nicht unwürdig vor dem Feind benommen, er habe bei Sedan wirklich den Tod gesucht, er habe bei Sedan Krone und Dynastie geopfert, nur um die Armee zu retten, welche nicht mehr kämpfen, aber massacrirt werden konnte rc. rc. Ein gewaltiger Dorn im Auge ist diesen Bonapartisten der Prinz Napoleon (Plon-Plon), der sich merkwürdig still hält. Eugeniens Anhänger fürchten, daß er durch seinen Schwiegervater Victor Ema nuel bei den Großmächten einen Stein im Brete habe und diesen überhaupt bequemer sei, weil er weder militärisches Talent, noch kriegerische Neigung habe, also ein friedliches Regiment führen müsse. Pfarrer Wawrousch in Schwaz bei Colin machte im Religions unterrichte den Schulkindern den Werth der Hostie mit folgenden Worten klar: Lieben Kinder, eine solche heilige Hostie ist mehr werth, als die ganze Welt sammt dem verlumpten Oesterreich. Den Kin dern fuhr das „verlumpte" Oesterreich in die Nase, sie erzählten die Sache, der Pfarrer kam vor das Schwurgericht und wurde von diesem 3 Monate ins Gefängniß geschickt. Jeden Monat muß er 3 Tage fasten, was ihm am ärgerlichsten ist. Schweiz. Die liberalen Katholiken des Cantos St. Gallen haben ans Anlaß der Revision der Verfassung des Cantons die Auf hebung sämmtlicher Klöster desselben verlangt. Türkei. In der Nähe von Adrianopel im Dorfe Durbee- Durce bei dem Städtchen Tschorlu ist es, wie sich die „Presse" mel den läßt, zu einer förmlichen Schlacht zwischen Sclaven u. Scaven- hattern gekommen. Im genannten Dorfe Hausen nämlich die neuesten Unterthanen des Sultans, die halbwilden, unbezähmbaren Söhne des Kaukasus, die nach der Sitttc ihres allen Vaterlandes auch in der Türkei Sclaven halten, welche sie noch von den hcimathlichen Berz' mitbrachtcn. Nach mannigfachen blutigen Zusammenstößen rM 300 Sclaven aus. Sie stießen auf 500 Sclavenhalter, dieeinfurc bares Blutbad unter ihnen anrichteten. Ncgierungslruppcn, die a) Adrianopel abgesendet wurden, machten dem Blutvergießen einEB Gute Leute sind die Carlisten in Spanien, welche der fron») Don Carlos der Freundschaft aller Mächte empfiehlt. Ein FamM Vater in Cordona wanderte jüngst ans seinem Ort nach Barcelo»' um sich dort Arbeit zu suchen, in seiner Tasche trug er einen E» pfehlungsbrief an einen Vater der Stadt. Unterwegs begegnete einer karlistischen Patrouille, die ihn gefangen nahm. Als er ihr Brief zeigte, nahmen die Carlisten einen langen Nagel und nagel» ihm damit das Schreiben auf den Rücken, so daß die Spitze/' der Brustseite herausging. Der Unglückliche bat seine Henker, sei»'' Leiden durch einen schnellen Tod ein Ende zu machen, erhielt die Antwort: Es hat keine Eile, Dn wirst schon sterben, habe »» Geduld! — und ließen ihn liegen. Das sind dieselben Leute, NM den deutschen Hauptmann Schmidt ermordeten und für welche frommen Leute in Fulda Gelder zu sammeln versuchten. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Wilsdruff, 1. September 1874. Die Vorbereitungen zur Feier des 2. September sind, wie wahrnehmen, in unserm Städtchen derart, daß wir schon im Vor»» überzeugt sind, mit andern Städten gleichen Ranges Schritt zu hcM Am allermeisten beschäftigt ist man jedoch mit den Vorbereitung zu dem lieben Kinderfeste, die freiwilligen Geldbeiträge und Gesche»' sind reichlich eingegangen, doch ist der Bedarf so groß, daß wir v» Seiten der Comstömitglieder den Wunsch aussprechen hörten: esw»' angenehm, wenn noch an dieselben Geldspenden und K schenke eingingen, welchen Wunsch wir hiermit ausgesprochen Hal» wollen. Und so nahe denn dieser für das deutsche Volk so^hochW tige Tag heran, wir werden ihn würdig feiern; möge sowohl d» Ackerpflug als auch das Handwerkszeug in der Werkstatt ruhen, ds mit Alle, Alle an der Feier sich betheiligen können. — Der Omnibus-Fahrplan des Herrn Spediteur Herrma^ hat mit heute eine Aendcrung erlitten. (Siehe Fahrplan.) Die neueste Nummer des sächsischen Justizministerialblattes o» hält spezielle Vorschriften über die vom 1. Januar 1875 ab beginnend Einführung der Neichsmarkrechnung; die in bisheriger Währung at'I zuschließenden Conlen sind nach dem Abschluß in Reichsmark ünw>st rechnen und so Weiler zu führen und soll der Gesammlabschluß bist längstens den 30. April beendigt sein. Auch in allen Ertenntnissci»! Zufertigungen, Spvrtclzetleln ist die Reichsmark ausschließlich zu ads brauchen. Der Kreisdirectionscassirer Hentsch in Bautzen hat sich von einigen Tagen von dort per Eisenbahn, wie man annimmt naclu. Dresden, entfernt und ist noch nicht wieder eingelroffen. Eine inst Zwischen vorgenommene Revision der von ihm geführten Bücher hn> ein Manco von circa 6000 Thalern ergeben. Unglückliche Geld specnlationcn scheinen seine Flucht veranlaßt zu haben; man vcr muthet jetzt, daß er sich nach Böhmen begeben hat. In Zilian verunglückte am 25. August in der Fabrik der Brüdck Schmitt der Schieferdecker Christian Wild aus Krumbach, zuletzt l» Pethau wohnhaft. Während seine Kameraden für die Dauer ein^ mit Graupelwetter vermischten Regenschauers das Dach verließen, vcü suchte er, dem Unwetter zu trotzen und als ihm der Sturm die MW entführte, stürzte er bei dem Versuche, dieselbe wiederzuerlangcn, vos Dache herab und blieb auf der Stelle todt. Derselbe war 55 Iah» alt und hinterläßt eine Frau und 9 Kinder. Die Gemeinde Schönefeld bei Leipzig ist von einem harten Ver lust betroffen worden. Der seit Juni d. I. als Expedient im Ge- meiudebureau angeslellte Carl Ferdinand Richter, aus Halle an de» Saale gebürtig und 24 Jahre alt, hat sich am 24. August unter Mit nahme von nahezu 1500 Thlrn. Gemeindegeldern geflüchtet. Dck Verbrecher, der von Altenburg aus noch eine Depesche nach Schöne feld hat gelangen lassen, wird von den Criminalbehörden verfolgt. Ein Act entsetzlicher Rohheit wurde am Montage Nachts in Berns dorf bei Lichtenstein verübt. Der Bergarbeiter Leichsenring von dort, Vater von sechs Kindern und als braver Arbeiter Westens beleumun-' det, wurde im Beisein seiner Frau auf offener Straße meuchlings s angefallen und ehe Hilfe erscheinen konnte, derartig geschlagen, daß man denselben als todt nach Hanse fahren mußte. Dem unglücklichen Mann sind allein 16 Messerstiche bcigcbracht worden und an den Ar-l men ist ihm (jedenfalls, als er einen seiner Gegner festhalten wollte) das Fleisch bis auf die Röhren durchschnitten. Wie wir hören, hat die Behörde bereits zwei verdächtige Individuen eingezogcn und wird es hoffentlich deren Energie gelingen, die Thäter zu ermitteln und Zü bestrafen. In einem „Ein Ausflug nach Waldheim" überschriebenen Artikel des „Dr. Anz." heißt es: Ganz besonders interessant war uns ein Besuch des Zuchthauses zu Waldheim, gegenwärtig nur für Männer, deren Zahl gegen 1400 beträgt. Hat man die Formalien des Ein tritts bestanden, so erinnern nur noch die Schildwachen und Aufseher daran, daß man sich in einem Zuchthause befindet. Im Uebrigen er hält man eher den Eindruck eines großartigen gewerblichen Etablisse ments oder vielmehr eines Komplexes von den verschiedensten gewerb lichen Etablissements. Da sind Säle für die Cigarrcnfabrikalion, für Strumpfwirkern, Weberei, Stublbauerei, Polster, Schlosser, Steinar-