Volltext Seite (XML)
s ein ganzes Regiment 'sanier Kunden, die so thun, als sei der arme Handwerker nur geschaffen, um mit seiner Hände Arbeit ihnen Schuhe und Stiefeln, Rock und Hose zu machen und als ob das Bezahlen eine bloße Nebensache sei. Auf die bestellte Arbeit will man nicht warten, keine Stunde, aber der Meister soll auf sein Geld warten. Man stellt sich fast, als ob das Bezahlen nicht Pflicht und Schuldig keit, sondern Gnade und Barmherzigkeit wäre. Das ist, gelinde aus gedrückt, leichtsinnig, oft aber ist es viel mehr als leichtsinnig, näm lich hart, schnöde, ungerecht. Vergißt man denn, daß der Handwer ker, Schuhmacher, Schneider, oder was er sein mag, auf den Lohn seiner sauren Arbeit angewiesen ist? Daß er aus der Hand in den Mund lebt, daß er essen will und sein Weib und seine Kinder auch? Muß er nicht das Leder, aus dem er Eure Stiefeln, und das Zeug, aus dem er Eure Kleider macht, selbst baar bezahlen? Wer borgt es ihm? Und wenn es ihm Einer borgt, zu welchem Zins? Welches Recht haben wir, uns von dem armen Mann, dessen ganzes Capital seine Hände und sein Arbeitsgeschick sind, kleiden zu lassen und ihm weder das Arbeitsmaterial, noch seine ehrliche-Arbeit zu bezahlen? Wie würde Euch zu Muthe sein, wenn es Euch mit Eurer Arbeit so erginge? Es sollte einmal die Probe gemacht werden! Wer nichts bezahlen kann, der soll auch nichts bestellen. Wer aber bestellt und das Seinige empfängt, der soll gleich bezahlen. Gute Arbeit, gutes Geld. Sonst bringt man den Handwerker, der es heut zu Tage schwer genug hat, durch Leichtsinn herunter. Es giebt Leute, die von des Volkes Wohl sehr viel schwatzen, oder gar über die Rechte der Arbeiter gewaltige Reden halten und die Zei tungen damit vollschreiben, die aber ihre eigene nächste Pflicht gegen die Arbeiter nicht thun. Und andere giebt es, oft sind eS gar Vor nehme und Reiche, die es von Kindesbeinen auf so gut gehabt, daß sic sich gar nicht in die Lage eines armen Handwerkers hinein zu versetzen wissen; daß er für die paar Groschen oder die paar Thaler, die er bei ihnen rechtmäßig verdient hat, heute noch für Weib und Kinder Brod kaufen, heute noch seinen Miethzins entrichten muß, daß, wenn man ihm die Rechnung nicht zahlt, er mit den Seinigen hungern oder sich vom Hauswirth auf die Straße setzen lassen muß, daran denken Viele gar nicht, weil sie es nicht kenne». Zu ihnen muß oft ein armer Handwerker, am meisten aber Schuster und Schneider, der ja weiter nichts begehrt, als was man ihm schuldig ist, zweimal, drei mal, sechsmal mit der Rechnung kommen, muß dcmüthig bitten, war tet im Hausflur, wird von der Magd oder dem Bedienten abgewiesen, weil die Herrschaft nicht zu Hause ist, geht mit leeren Händen trau rig oder zornig davon, wird da- nächste Mal gar wie ein zudring licher Bettler hart abgewiesen und muß sich schließlich gehorsamst be danken, wenn ihm nichts abgedungen und abgezwackt wird. Darum ist eine Pflicht'des Bestellers, empfangene Waareif so gleich zu bezahlen. (WaldH. Anz) Km Ziel. Eine stille Geschichte von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Heinrich hatte sich beim Aufheben einer schweren Last die Hand verstaucht und mußte für ein paar Tage vom Dienst entbunden wer den. Zufällig las er in dem Wochenblätlchen, daß am nächsten Sonn tag in Dresden „Mozart's Don Juan" gegeben würde. Die Nach richt zuckte wie ein Blitz durch seine Seele. Er mußte hin, — dort in der Welt der Töne neues, frisches Leben holen, war doch sein Herz dieses ewigen Kämpfens mit den Fesseln des Alltagslebens müde, die er nicht abzustreisen vermochte, und bedurfte er doch eines Zauber spruches, der ihm wieder Welt und Leben im Sonnenlicht zeigte. Als er Louise seine beabsichtigte Reise erzählte, freute sie sich da rüber und meinte, das würde ihn recht ausheitern. Sie plauderte weiter, daß sie auch schon in Dresden gewesen, und wie prächtig es dort sei, die Bildergallerie und besonders das grüne Gewölbe sei himmlisch; da funkelte es von Perlen und Diamanten, sie seien alle „echt", wie die Leute sagten. „Das mußt Du Alles sehen, Heinrich, damit Du Dich erheiterst." Heinrich hörte kaum darauf, er schwelgte schon im Vorgefühl des ihn erwartenden Tönemeers, — die Plaudereien der Geliebten kamen ihm heute ein wenig abgeschmackt vor. Sonntags in aller Frühe kam er in der Residenz an. Der junge Mann hatte kein Auge für die Merkwürdigkeiten Dresden's, er wartete in fieberhafter Unruhe auf den Abend. Welch' herrliches Ge bäude -- das Opernhaus! In diesen weiten, hohen Räumen konn ten schon die Töne ausströmen in voller, herzbewältigender Kraft. Er war mit einer der ersten Besucher, sein Auge schweifte rast los von den sammetverzierten Logen zu dem prächtigen Vorhänge und von dort zum plitzenden Kronleuchter. Nach und nach füllten sich die Räume. Wie festlich, sonntäglich sah das Alles aus; dem jungen Manne kam das Ganze so schön und zauberisch vor, als wäre Alles nur ein Märchen aus Tausend und einer Nacht. Wie anders fühlte er sich hier, wie frei und gehoben, als sei er nicht blos ein müßiger Zuschauer in dem Tempel der Kunst, sondern auch ihr würdiger Diener. Die Ouvertüre begann, und ihm war's, als legte plötzlich eine Weiche, kühlende Hand sich auf sein fiebernd Herz, — er wurde ruhig und athmetc mit vollem, glücklichen Bewußtsein diese süßen, schmeicheln den Töne ein. Endlich begann die Oper selbst und rollte alle Schönheit und Pracht vollendeter Musik vor ihm auf. Heinrich hatte selbst schon Partien aus Mozart'schen Opern auf seiner Geige versucht und sich dann so leicht und wohl gefühlt, wie in den klaren Wellen eines hellsprudelnden Baches, aber die Vorführung einer ganzen Oper ist doch etwas ganz anderes. Heinrich saß dort wie in den Traum der Musik tief eingespon nen, und doch hin und wieder rauschte es wie funkelnde Schaum perlen einer Cascade über seine Seele. Als ob ein Genius den Wcihekuß auf seine Lippen gedrückt, fühlte er plötzlich ein neues Le ben, das Blut in seinen Adern rollte heißer, alle Fesseln schienen ge löst, und klar und deutlich stand es in seiner Brust: auolw io! Auch meine Welt ist die Musik, ich muß etwas schaffen, das alle Qualen löst, mir den Tempel öffnet, nach dem allein nur meine Seele seit frühester Kindheit gerungen hat — oder untergehen. Er vergaß die eben noch so bewunderte Außenwelt, sein Auge, seine ganze Seele lebte sich hinein in die phantastische, klingende Welt; jede Faser sei nes Herzens fieberte, seine Augen brannten, es war ihm, als ob die Musik wie ein großes, weites Flammenmeer zu seiner Brust schlug und ihn verzherte. Er fühlte einen stechenden Schmerz in seiner Brust und doch eine unendliche Seligkeit. Ja, das war nur eine starre, kalte Felscnwand gewesen, die ihn bisher umgeben und das Herz so weh und wund gedrückt, jetzt plötzlich hoben sich die Wände auseinander — der Vorhang rollte auf, und es begann das wirkliche Leben. — Jetzt erst klangen Me lodien zu ihm herüber, es blitzte und funkelte ihm eine neue Welt entgegen. Die Wirklichkeit und die Träume seiner Seele schwammen in einander, und wie aus der Ferne noch schlugen die Töne zu ihm herüber. Er war allein, — aber die Töne rauschten fort, die Bühne blieb offen, nach und nach nahm Alles eine andere Gestalt an, aus seiner Seele strömten Gedanken und Traumbilder, und die Bühne schien nur ein Spiegel, der Alles ausfing und hell und gländend zu rückstrahlte. Immer größer, immer vollendeter wurden die Bilder. Der Raum füllte sich wieder, er saß allein in einer dunklen Loge und horchte dem verkörperten, klingenden Leben seiner Brust, und heiße Thränen stürzten ihm aus den Augen. — Da siel der Vorhang, die Menge strömte dem Ausgange zu — Heinrich erwachte aus seiner wachen Träumerei und taumelte, von tausend stürmende», wogenden Gedanken trunken, in sein kleines Quartier. Am andern Morgen schon wanderte er wieder aus der Stadt. Er hatte den zündenden Funke» mitgenommen, der seine Seele zum wogenden Flammenmeer machen mußte, und mehr bedurfte eS nicht — Heinrich kam als ein Anderer, völlig Umgewaudelter zurück — dieser eine Abend hatte seine Zukunft entschieden, für immer ent schieden. Er fühlte in sich das Auflohen jener Begeisterung, die »ach dem einmal gesteckten Ziele mit ganzer Feuerkraft ringen muß, und mag auch darüber die Wirklichkeit zusammenbrechen. Mit diesem Sturm und Drang in der Seele trat er vor Louise hin, die ihn noch nicht erwartet halte und nun glaubte, daß ihm ein Unglück zugestotzen sei. „Du kommst gar nicht glücklich wieder," meinte Louise. „Als ich in Dresden war, da hat es mir so freundlich vor den Angen ge flimmert, daß ich tagelang zu Hause nur singen und lachen konnte, und Du bist so verdrießlich, als kämst Du schnurstracks aus Dei nem Schacht." „Komme auch daher, aber aus einem der von Diamanten fun kelt", entgegnete Heinrich. „So warft Du im grünen Gewölbe? Gelt, da ist's schön." „Nein, dort war ich nicht," war die ruhige Antwort. „Aber doch in der Gcmäldcgallerie?" fragte Louise wieder. „Auch dort nicht!" sagte Heinrich trocken. „Auch dort nicht?" rief Louise erstaunt. „Nein, das ist zu arg. Du bist doch ein recht cigcnthümlicher Mensch! Ich hatte mich recht gefreut, mit Dir nun darüber plaudern zu könne», weil wir nun all' das Schöne zusammen gesehen, und Du gehst nirgends hin. Aber was hast Du denn in Dresden gemacht?" fragte sie weiter. „Ich war in Mozart's Don Juan," entgegnete Heinrich mit leuchtenden Augen. „Das könnt' ich denken," bemerkte Louise, „das hat Dich wieder so konfus und unglücklich gemacht." „Nein, Louise, rmendlich glücklich," begann jetzt Heinrich, dem bei der herausbeschworenen Erinnerung das Blut heißer durch die Adern rollte, „denn ich kenne jetzt den Weg, den ich gehen muß, und sollt' ich ihn mit meinem Herzblut erkämpfen." „Und der Dich mir entführen wird, Heinrich", entgegnete Louise ängstlich. „Wenn Du in Deinen Musikträumen schwärmst, fühl' ich, daß Du mich doch nicht so innig liebst wie Dein Spiel, — das nur allein geht Dir über Alles. Und ach — ich hänge doch mit meiner ganzen Seele an Dir und Niemand wird Dich wieder so innig lieben als ich." Heinrich war betroffen; er fühlte die Wahrheit von Louise's Worten und erstaunte über den unerklärlichen Scharfblick, der entdeckt hatte, was er ihr bisher sorgfältig verhüllt. Auf ihren freundlichen Vorwurf, daß er niemals glücklich wer den würde, weil in ihm etwas lebe, das nicht ruhen und rasten wolle, wurde Heinrich freundlicher und heiterer als gewöhnlich, erzählte ihr von seinen neuen Träumen, daß er eine Oper schreibe«' und sich dadurch berühmt machen und aus all dem Druck imd ZwcMö befreien wolle.