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Wochenblatt , für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Sicbcnlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitag« und kostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannshme bis Montag resp. Donmrstag Mittag. 56. Dienstag, den 21. Juli 1874. Tagesgeschichte. Die Cympathiebrzcugungen an den Fürsten BiSmarck sind zu «liier wahren Fluch angesckwollen. Die Zahl der nach Kissingen gc- langten Telrgranune errei^t säst 1600. Darunter befinden sich auch solche vom Kaiser und der Kaiserin von Rußland, vom Sultan, vom Khedive und, wie der „National-Zettung" bestätigt wird, vom Mar schall Mac Mahon, welchem Fürst Bismarck durch den Botschafter Fürsten Hobenlohe Hal seinen Dank aussprecbcn lassen. BemcrkenS- wcnh ist, daß in den sranzönscken Blättern, selbst den offiziellen, von der letzten Kundgebung aber nickt daS Mindeste zur öffentlichen Kenntniß gebracht ist. ES sieht^fast so au«, als trüge die französische Regierung Bedenken, das Anstandsgesühl ihrer höchsten Repräsentan ten' dem eigenen Volke bemerklich zu machen. ES ist leider nickt zu leugnen, daß die französische Presse eine Gesinnung des französischen Volkes an den Tag legt, welche selbst den von der Regierung auS- gedrücklcn Abscheu vor gemeinem Morde in einen gewissen Gegensatz mit ter Auffassung des französischen Volkes stellen würde. Findet sich doch sogar im „Journal des Debais" bei Besprechung des auf den Fürsten Bismarck verübten Attentats die Bemerkung, „derselbe ernte, was gcsäet." Die klerikale Partei in Deutschland erkennt im Allgemeinen wohl, wie sehr das in Kissingen verüble Verbrecken ihr swaden muß. Na- ,»entlieh in den Organen der bayrischen Patrioleuparlei tritt dies Ge fühl in anerkennenswenhcr Weise zu Tage und beweisen damit sehr viel mehr Takt, als die „Germania". So sagt der „Bayr. Cour." u. A.: „Der wahnsinnige Bube, der auf den Fürsten Bismarck schoß und diesen, Golt sei Dank, nur streifte, hat mit derselben Kugel un sere heilige Sacke selbst am schwersten verwundet. Und selbst wenn das verrückte Unternehmen geglückt wäre, wenn — was außer aller Wahrscheinlichkeit liegt — ein anderer Mann an Bismarcks Stelle der Kirche Freiheit und dem Lande innern Frieden wieder gegeben hätte, um den Preis eines Mordes konnten und durften sie nickt er kauft werden. Wenn wir zu unserer Rettung kein anderes als ein solches Mittel hätten, dann müßten wir uns unbedingt verloren geben. Wie wenig Sympathien die Katholiken Deutschlands für Bismarcks Politik auch haben können, der Mordversuch auf den Reichskanzler Muß auch sie im Innersten empören." Bischof Martin von Paderborn wird der Verhaftung doch wohl nicht entgehen. Wenn das „Fr. I." recht berichtet ist, sind Geldbußen im Gesammtbeimge von mehr als 18000 Thlrn. gegen ihn, wenn auch nicht rechtskräftig, so doch bereits erkannt. Ob seine frommen Verehrer auch diese Summe für ihn bezahlen werden, möchte doch einigermaßen zweifelhaft sein. Der neunte deutscke Fcuerwehrtag, welcher dieser Tage in Kassel zusammenlrat, hat seinen Ausschuß beauftragt, beim Reichskanzleramt wie beim Reichstage zu beantragen, daß sämmtliche deutsche Feuer- versicherungsgcscllschaflcn gesetzlich verpflichtet werden, mindestens 1 PCt. ihrer jährlichen Präinieneinnahmen für Feucrlöschzwccke herzu- gebcn. Aus Metz, 12. J»li schreibt man: Auf der Spitze des Thurmes der hiesigen Kathedrale wehte bekanntlich immer noch die französische Tricolore. Endlich einmal mußte sic doch entfernt werden. Es wurde eine Belohnung von 100 Thlrn. ausgesetzt. Die Sache war lebens gefährlich. Wenn der kühne Steiger auf de< im gothischeu Style er bauten Thurmspitze angelangt war, galt cs noch, über eine große, mehrere Fuß dicke Kugel zu gelangen und dann, etwa 260 Fuß über der Erde, noch eine zweite kleinere Kugel zu erklimmen, um zu der iftaggenstange zu gelangen. Ein Pionnier, ein Brandenburger, erbot sich zu dem gefährlichen Wagniß. Mil voller Musik marschirle gestern kurz nach Mittag eine Truppenabtheilung nach dem Platze vor der Kathedrale, der Pionnier siegesgcwiß in dem Zuge. Der Furchtlose begann seine Arbeit, die mehrere Stunden in Anspruch nahm. Zu nächst wurden voii der Gallone aus, von welcher ab sich die gotbffchc Spitze erhebt, zwei Stangen, in einem Abstand von l Fuß von einander, an den über der Spitze befindlichen großen Knopf gelegt und die noch darüber hinausragendcn Stangen von Militairmann- schaftrn se tgehalten. Der Pionnier hatte in der Tasche große Nägel und einen Hammer in der Hand, mit welchem er die Nägel stufen förmig einschlug und so langsam immer höher stieg. Auf der Höhe der großen Kugel angelangt, rutschte der Tollkühne einmal aus — „er fällt!" tönte es aus dem Munde der Tausende, die unten standen oder die aus den Fenstern das furchtbare Schauspiel beobachteten. Aber der Brandenburger fiel nicht, sondern stieg unersckrockcn höher, bis er die Flaggenstange erreicht hatte; noch einige Fuß und — die Trikolore sank und an ihre Stelle befestigte der Brave eine hinaufge zogene riesige schwarz-weiß-rothe Fahne. Der Pionnier kletterte wie der herunter, nachdem er noch zuvor die große Kugel nach Möglich keit wieder blank geputzt. Dann erscheint er — nach einer Zeit von 4 Stunden — wieder unten auf dem sicheren Erdboden, — er hatte sein Werk vollendet. Ein Händedrücken der Offiziere, ein Hurrah der Deutschen empfing ihn und unter rauschender Musik marschirle die Truppe wieder ab. Berlin, 15. Juli. Wie die „Ger.-Ztg." hört, sind ärztlicher seits mehrere Cholerafälle in der Stadt constatirt worden; es liege aber bis dahin durchaus kein Grund zu der Furcht vor einem epioe- mischen Auftreten der Krankheit vor. Das Blatt warnt indeß vor groben Diütfehlcrn und vor Erkältungen. In Berlin ist, wie die „Trib." berichtet, abermals ein Todes fall durch den Stich einer Giflfliege vorgekommen. Ein Primaner des Jvachimthalschen Gymnasiums, der zu Michaelis sein Abiturientcn- cxamen machen wollte, halte ein kleines, kaum bemerkbares Geschwür an der Wange; er befand sich auf dem Turnhose der Anstalt, als sich eine Fliege gerade auf die wunde Stelle setzte. Im nächsten Augenblick, nachdem er sie verjagt hatte, bekam er heftiges Stecken an der Stelle, das Gesicht schwoll stark an, der junge Mann mußte Las Bett hüten und war in wenigen Tagen eine Leiche. Die Schweizer sind etwas kurzgebunden, kommen aber damit recht gut durch die Welt und selbst um die Pfaffen herum. Ein frei sinniger Bürger in Wangen, der eine reformirie Frau bat, wollte die Schwester derselben als Pathin seines neugeborenen Kindes ein schreiben lasten. Der Pfaffe fuhr auf wie von der Tarandel ge stochen und wies die reformirte Pathin ab. Die Leute ließen sich aber nicht vöm römischen Gängelband führen, sondern gingen zum allkatholischen Pfarrer Herzog und dieser vollzog die Taufe. Dem Eiferer in Wangen blieb der Aerger und das Nachsehen. Italien. Wie weit die Dinge in Sicilien gekommen, lehrt ein Ausschreiben des Präfecten von Palermo, wonach nicht weniger als 139,000 Francs Prämien auf das Einbringen von ackt Räubern gesetzt sind, und zwar auf das von fünf derselben je 35,000 Frcs. Aus dem südlichen Frankreich, wo die Ernte in vollem Gange ist, treffen äußerst günstige Nachrichten ein; der Ertrag des BodenS fei nicht nur ein sehr bedeutender, sondern auch die Qualität des Ge treides eine vorzügliche. Wir wollen hoffen, daß sich diese Nackricht bestätigt, denn die jetzigen geschäftlichen Zustände sind tn Frankreich zum Theil trostlose und bedürfen dringend einer Besserung. In Chicago ist am 14. Juli wiederum eine große Feuers brunst ausgcbrochen, die sich über vier Straßenviertel ausdehnte und erst um Mitternacht, nachdem 20 Häuserviertel zerstört waren, bei der Straße Vanburen bewältigt Wörden ist. Dies ist um so s mehr zu bedauern, da Chicago erst vor 2V. Jahren, den 8. und 9. I Oclober 1871, niederbrannle. Waren damals die Holzpflasterungcn der Straßen wie die hölzernen Fußwege an dem schnellen, noch durch einen heftigen Orcan genährten Verbreiten des Feuers schuld, so dürfte, da jetzt die Häuser massiv gebaut sind, die Ursache des so ge waltigen Umsichgreifens der Flammen Wohl darin zu suchen sein, daß man zum Bau der Häuser meist mit Petroleum getränkte Steine, wie sie in der an diesem Brennmalerial reichen Gegend gebrochen werden,