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Unter den Städten, welche dein Fürsten Bismark wegen seiner Rede gegen Schorlemer und Mallinkrodt Danksagungen und Glück wünsche zngeschickt haben, befindet sich auch Buchholz. Die Reichstagswahlen und ihr Ausfall haben Manche zu mancherlei ernsten Betrachtungen angeregt. Als Feinde des Reiches betrachtet z. B. die National-Zeitung in Berlin nur die Ultramonta nen; in den Socialdcnwkraten und anderen reichsfeindlichen Elemen ten sieht sie nur Störenfriede der Verhandlungen. Die Ultramonta nen üben durch ihre Zahl einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Verhandlungen; auf die Ultramontanen schauen Frankreich, der Papst und die Jesuiten. Während in der jetzigen Weltlage ein socia- listiscber Aufstand, wo er auch in Europa anstrete, in wenigen Tagen mit Waffengewalt unterdrückt werden kann, ist der UltramontanismuS wohl im Stande, einen allgemeinen Krieg zu entzünden. Hier vor zubeugen, mit allen Mittel» eine Rcichs-Kirchenpvlitik dnrchzuführen, durch deutsche Neichsgesctze die vollste bürgerliche Unabhängigkeit des Einzelnen von der Kirche hcrzustcllcn und die Unabhängigkeit der Kirche gegen ultramontane, d. h. römische Einflüsse zu sichern, das er scheint als eine hohe und dringende Aufgabe der deutschen Politik. Die Preuß. Regierung wird nicht in Verlegenheit kommen, wenn die katholischen Bischöfe sich absctzcn lasse» u»d die Domkapitel neue Bischöfe nicht wählen. In Rom spekulirt man ans diese Ver legenheit, aber der neue Gesetzentwurf über die Verwaltung erledigter Bisthümer macht ihr ein Ende. Er ist dem Landtag vorgelegt und wird von Geistlichen und Laien eifrig studirt. In jedem erledigten BiSlhum muß binnen 24 Tagen die Wahl nnd eidliche Verpflichtung eines Bisthum-V er Wefers stattsinden. Unterläßt das Domkapitel die Wahl oder verweigert der Verweser den Eid, so wird ein Nc- gicrungs-Commissar ernannt, welcher die ganze Verwaltung über nimmt. Die Besetzung erledigter geistlicher Stellen soll durch die freie Wahl der Pfarrgemeinden erfolgen. Das ist der erste Versuch, die unbeschränkte Wahl der Bischöfe durch die selbstständige Gestaltung der Gemeinden zu beschränken, um wieder an das Wahl recht der Gemeinden in den ersten Jahrhunderten des Christenthnms anzuknüpfen. Der deutsche Kaiser hat, wie die rheinischen Blätter mittheilen, an den altkatholische» Bischof Reinkens daS nachstehende huldvolle Schreiben gerichtet: „Hochwürdigcr Herr Bischof! Ich danke Ihne» für die herzlichen Glückwünsche, welche Sie Mir aus Anlaß des Jahreswechsels ausgesprochen haben. Möge Gottes Segen das in seinem Namen von Ihnen begonnene Werk auch im neuen Jahr fördern! Möge die von Ihne» getheilte, unzweifelhaft richtige Ueber- zeugung in immer weitere Kreise dringen, daß in Meinen Staaten die Achtling vor dem Gesetz mit der Religionsübung einer jeden Ge meinschaft wohl vereinbar ist, welche keine irdischen Zwecke, sondern nur den Eine» verfolgt: des Menschen Frieden zu suchen mit Gott. Berlin. Die BundeSraths-AuSschüsse beschäftigten sich gestern in einer sechsstündigen Abendsitzung mit dem Gesetzentwürfe zur Ab änderung der Gewerbeordnung in Betreff der strafrechtlichen Ver folgung deS Contractbruches. Im Wesentlichen ist der vorjährige, diesmal nur etwas erweiterte Entwurf angenommen worden. Die wesentlichen Veränderungen, welche der Ausschuß beantragt, gehen auf die Vereinigung der Gewerbe-Gerichte mit den Gerichten erster Instanz und principicll auf die Vorbedingung der Straffälligkeit des Contractbruches. Es sollen nämlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer für Entlassung der Arbeiter, beziehnngsweis« Verlassen der Arbeit nur dann gestraft werden, wenn neben der objectivcn Widerrcchtlich- keit das Bewußtsein der rechtswidrigen Handlung nachgewicsen werden kann. — Die siebente Deputation des Stadtgerichts verurtheilte am 23. d. M. den Nedactcur der „Germania", Paul Majunke, wegen Majestätsbeleidigung, Beleidigung des Reichskanzlers Fürsten Bis marck, des Slaatsministeriums, sowie der Redaction des „Staats- Anzeigers" als öffentlicher Behörde, zu einem Jahr Gefängniß und 200 Thaler» Geldbuße. Es lagen gegen denselben elf einzelne An klagefälle vor. Der Staatsanwalt hatte drei Jahr Gefängniß und SOO Thaler Geldbuße, außerdem den Verlust der Würde eines Reichs- tagsabgeordnetcn beantragt. Oesterreich bleibt nicht zurück. Es hat im Reichstage confessio- nelle Gesetzesvorlagen gemacht, die kurz und bündig sind. DaS Con- cordat wird aufgehoben. Jede Besetzung von geistlichen Stellen muß der Staatsbehörde angezcigl und kann auch inhibirt werde». Die Erlasse der Bischöfe müssen der Staatsbehörde nntgctheilt werden, ehe sie publicirt werden dürfen. Kirchliche, den Gottesdienst betreff. Anordnungen können aus öffentlichen Rücksichten untersagt werden. Auch auf das Kirchenvermögen macht der Staat seine» Einfluß gel tend. Ohne Genehmigung des Staates kann kein Kloster errichtet werden. Die Statuten müssen dem Staate vorgelegt und geprüft werden. Die Vorstände der Corporationen sollen alljährlich ein Ver- zeichniß ihrer Mitglieder vorlcgen. Stiftungen, Schenkungen ic. solle» der Genehmigung des Staates bedürfe». Der vierte Gesetzentwurf regelt die gesetzliche Anerkennung der noch nicht anerkannten Religi- vnsgcscllschaften. Die Verfassung derselben darf nichts Gesetzwidriges und sittlich Anstößiges enthalten. Die Tagesfrage in England ist eine für Deutschland sehr in teressante und ehrenvolle. Frau Times, das Zeitungsorakel Englands, verhandlt sie täglich in Aufsätzen und Eingesandts in ihren Riescn- spalten. Und diese Tagesfrage lautet? — „Wie kommt's, daß die Deutschen so tüchtige Geschäftsleute sind? wie kommts, daß die Deutschen in allen Ecken der Welt, in England, Amerika, Indier, Japan u. s. w. die tüchtigsten Geschäftsleute und die gefährlichste und oft siegreichen Concurrenten Englands sind?" Jedes der zahl reichen Eingesandts sucht das Geheimniß dieser deutschen Geschäftt- tüchligkcit zu enträthseln und findet es theils in der Vortrefflichket der deutschen Realschulen oder der Handelsschule», theils i» der großer Sparsamkeit der deutsche» Handelsherren, theils und besonders n der Aufmerksamkeit der Deutschen auf die anscheinend geringfügiger Gcschäftskleinigkeiten. Alle aber stimmen überein, daß der Schul- uiite richt in Deutschland besser sei als in England. Quitt. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Der Vcrtheidiger wußte nun in seiner weitern Ausführung mit großem Geschick all' die Beweggründe darzulegen, die jene beiden Frauen zur Mordthat aufgestachelt. Warum konnten sich nicht Beide daran betheiligt haben und die Eine hatte als Wächterin gedient, während die Andere das Rächeramt ausgeführt. — Dann erinnerte der Anwalt an den ersten VergiftungSversnch, der von denselben Feindinnen ausgegangen, den» alles spreche dafür; und nun erwähnte er auch den Traum — der jedoch unter diesen Umständen eine tiefere Bedeutung erhalte. Wie oft wären schon durch Träume die dun kelsten Räthsel gelichtet worden und die größesten Realisten wie die tiefsten Denker hatten dieser stillen Arbeit der in sich selbst versunkenen Seele ihre Beachtung geschenkt. — Noch einen Umstand hob der Vcrtheidiger hervor. Die Hand schrift des bei der Kiiideslciche aufgefundenen Zettels; sie sei augen scheinlich verstellt, aber sie rühre, wie Sachverständige bekunden müßten, unstreitig von einer Frau her. Am Schluß stellte er des halb den Antrag, vor der Entscheidung dies Gutachten einzuholen. Auf diesen Umstand hatte bisher Niemand geachtet, nach Alle dem aber, was im Laufe der Verhandlung zu Tage getreten war, hielt der Gerichtshof diesen Punkt wichtig genug, um dem Anträge des Verthcidigers Stadt zu geben. Die Schwurgerichtssitzung wurde aufgehoben und auf kurze Zeit vertagt. Wirklich bestätigte sich die Angabe des Anwalts vollkommen. Alle Schreibvcrständige stimmten darüber ein, daß die Worte auf dem Zettel: „Auge um Auge, Zahn um Zahn" von einer weiblichen Hand hcrrührten. Nun wurde Fräulein Melzer noch einmal vorgeladen und sie ersucht einige Zeilen in Gegenwart der Richter nicderzuschreiben. Obwohl sie wußte, daß jetzt in ihrer Hand das Schicksal ihres Lebens hing, griff sie doch ohne Zögern nnd so ruhig zur Feder, als handle es sich nur darum, den unbedeutendsten Geschäftsbrief zu entwerfen. „Was soll ich schreiben?" fragte sie, und ihre Auge» blickten kühl und gleichgiltig auf deu Beamtem Nicht eine Muskel ihres Gesichts zuckle, nicht die leiseste Bewegung verrieth, was etwa in ihrem Innern vorgehen mochte. „Schreiben sie dieselben Zeilen, die auf dem Zettel standen/ entgegnete der Richter. „Da ich nicht weiß, was er enthalten hat, wollen Sie dann die Güte haben mir die Worte zu dictiren? war ihre Antwort und ihr Gleichmulh verließ sie nicht eine» Augenblick. Der Beamte kam ihrem Wunsche nach und mit ihrer etwas steifen, beinahe kaufmännischen Handschrift sckrieb sie die Verhängniß- vollen Zeilen nieder. „Genügt es?" fragte sie mit einem kühlen Lächeln, indem sie die Feder wieder weglegte. „Ich glaube" entgegnete der Richter einsilbig. „Und dann hab' ich wohl hier meine Pflicht erfüllt?" fragte sie von Neuem, indem sie ihre Glacehandschuhe anzog und sich nach Schirin und Mantille umsah, die sie ans den nächsten Stuhl gelegt. „Ich wollte Sie bitten noch einen Augenblick zu verziehen," war die Antwort des Beamten, „es wäre doch möglich, daß wir sie noch um einige Zeilen ersuchen müßten" und mit einer kurzen Verbeugung verschwand er im Nebenzimmer. Eleonore »ahm wieder auf dem Stuhle Platz. Sie war unglück seliger Weise nicht allein im Zimmer zurückgeblieben und mußte sich deshalb beherrschen. Sie beschäftigte sich mit ihren Handschuhen, die etwas eng waren und beugte sich herab, als falle ihr das Zukiiöpfen sehr schwer; aber ihr war es, als finge das ganze Zimmer vor ihren Augen zu tanzen an und als ob der junge Protokollführer dort am Tische seine hohnlachendcn Augen aus sie richte und der Cxecutor an seiner Seite schon die Hand nach ihr ausstrecke, um sie in's Gefäng- niß zu schleppen. — Sie wußte, daß sich in den nächsten Secunden ihr Geschick entschied; — wen» die Schreibvcrständige» drinnen im andern Zimmer die Aehnlichkeit der beiden Handschriften begutach teten, dann war sie eine Gefangene, sobald der Gerichtshcrr wieder zurückkam. — Beim leisesten Geräusch schreckte sie auf und starrte auf die Thür. — Eine nahmenlose Angst fluthete durch ihre Brust, sie hätte laut aufschreien, wie von Furien gepeitscht aus dem Zimmer stürzen mögen und konnte sich doch nicht von der Stelle rühren . . . Jede Secunde dünkte ihr eine Ewigkeit voll ungeheurer Qual, und Secunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden und noch immer kam der Beamte nicht zurück . . .