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Dem Kaiser Wilhelm gelang es, im vorigen Jahre in Berlin die persönliche Aussöhnung der beiden Kaiser Alexander und Franz Jo sephs herbeizuführcn. Alexander machte seinen Besuch in Wien und erhält dafür jetzt den Gegenbesuch Franz Josephs. Auch der Bischof von Trier steht nun, nachdem einer Mit- theilung der „Germania" zufolge Lie gegen ihn verfügten Exccuti- onen Pfändungsobjecte nicht mehr vvrgefunden haben, wohl vor der Vollstreckung der subsidiär erkannten Gefängnißstrafen. Am Montag wurde in Oberrad bei Frankfurt a. M. ein-e Volksversammlung durch den socialdemokratischen Wühler und Nichts- thuer Frvhme abgchallen. Nachdem derselbe sein Thema abgewickelt, ergriff der „Eisenacher" Bär aus Offenbach das Wort und warf demselben vor, daß er nicht arbeiten wolle und sich in Bremen für 80 ff. habe kaufen lassen. Der Tumult, welcher entstand, läßt sich denken; Frvhme stürzte auf Bär los und schlug denselben ms Ge sicht. Dieser war in seiner Erwiderung auch nicht faul, so daß die Polizei die Sitzung schließen und das Local räumen mußte. Ocrtliche und sächsische Angelegenheiten. Das sächsische Justizministerium hat über die Erfahrungen, welche mit dem Institut der Schöffengerichte im Königreich Sachsen bisher gemacht worden sind, Ermittelungen angcstellt und daS Ergcbniß der selben nebst einer Erläuterungsschrift dem Reichskanzleramtc mitge- theilt. Diese Materialien sind vollständig als Nachtrag den Motiven zu dem Entwurf über die deutsche Strafprozeßordnung und zu dem Gesetz über die deutsche Gerichtsverfassung beigrsügt worden.. Zu einer Aeußerung über die Erfahrungen in Betreff der Schöffengerichte waren von Seiten der sächsischen Justizverwaltung äußer den Be zirksgerichten und Staatsanwälten auch die Schöffen und, die Sach walter aufgefordcrt worden, und es sind 45 Antworten von Schöffen und 11 Gutachten von Sachwaltern etngegangem Von sämmtlicheu Berichten sprechen sich nur neun von Schöffen und einer von einem Sachwalter nicht zu Gunsten des Instituts der Schöffengerichte aus. Alle übrigen Gutachten treten aus Grund der gemachten Erfahrungen und zum Theil mit großer Entschiedenheit für die Schöffengerichte ein. Ein rrm das Forstwesen hochverdienter Mann ist am 15. Febr. im 78. Lebensjahre verstorben, der königlich sächsische Oberforstmeister CvMhM und Ritter rc. Herr Friedrich Wilhelm von Cottain Tharandt. Zn Dresden hat sich ein politischer Verein gebildet unter dem Namen Deutscher RcichSvercin. Der Verein hat den Zweck, „Las Interesse und die Theilnahme des Volkes an den öffentlichen An gelegenheiten .in reichslkcuem und liberalem Sinne anzuregen und sortzubilden." Das königl. Bezirksgericht Leipzig verurthellte'am. 14^Fehrilar Mittag den seil Mitte December v. I. suspcndirten Advocate» uNd Notar Theodor Ernst Osten wegen Unterschlagung von Miethzins- gcldern nach Höhe von zusammen 117 Thlrn. zu Gsfängnißstrafe in der Dauer von 9 Monaten nebst Ljährigem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. 's Aus Oederan, 16. Februar berichtetdas „Wochcnbl. f. Order.": Heute Nachmittag stürzt»,sich am Perron des hiesigen Bahnhofes ein junger Mensch unter den in der 4. Stunde hier ab sah reu den Äüter- zug, der Kopf des Unglückliche» wurde bis auf einige Fasern voll ständig vom Rumpfe getrennt. Die gerichtliche Aufhebung erfolgte sofort, es konnte die Persönlichkeit jedoch nicht ermittelt werden. Am 4. Februar starb in Lengenfeld ein Jüugling von 17 Jah- rrn infolge einer Schwitzkuhr, welche ein dortiger Quacksalber wegen leichten Unwohlseins in folgender Weise vorgenommen hatte. Der Kranke, bis miss Hemd entkleidet, wurde, auf einem Stuhl sitzend, vom Kopf bis zu den Füßen mit rohem Tuch, welches vom Webstuhl dircct abgenommcn und gegen 40 Ellen lang war, umwickelt; unter dem Stuhl wurde Spiritus, in einem Töpfchen befindlich, angezündet, wodurch natürlich ein hoher Hitzegrad entstand. Als man, durch das Stöhnen des Kranken aufmerksam gemacht, das Tuch lüstete und ihn aus ein Sopha brachte, starb derselbe sehr bald. Die durch das königliche Bezirksgericht Zwickau veranlaßte Sectio» ergab Tod durch Erstickung. Lausigk, 14. Februar. Gestern Abend in der II. Stunde brannte die dem Kalkbrennerei- und Wirthschaftsbesitzcr Wage in Köllsdorf bei Lausigk zugehörige massive Scheune bis auf die Um fassungsmauern nieder. Außer Verlust an Getreide, Futtervorräthen und Mobilien, sind leider auch zwei Menschenleben zu beklagen. In einem unbewachten Augenblicke geht der 6jährige Enkel des Calami- toscn mit dem eben so alten Sohne des Handarbeiter Budig an einem stehen gebliebenen Brandgiebel vorüber; durch einen schnellen Wind stoß angefacht, stürzt der Brandgiebel zusammen und verschüttet beide Knaben. Wage wurde sofort todt, Budig sehr lebensgefährlich ver letzt aus dem Schutte hervorgczogen. Onit t. Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „Sehr gern," entgegnete sie eben so artig: „Ich habe es auch schon dem alten Gärtner flüchtig erzählt. Als ich heute Nachmittag auf meinem kleinen Hügel spazieren ging, der die Aussicht auf den Nachbargarten bietet, mußte mich die Frau Baronin bemerkt haben, denn sic winkte mir eifrig zu und als ich näher an die Mauer trat, sagte sic hastig, daß ich doch herunterkommen möchte, sie habe mit 2 mir ganz dringend zu sprechen, ihre Seelenruhe stände auf dem Spiel. Ich entgegnete ihr, daß cs ja unmöglich sei, so ohne Weiteres in ihren Garten zu gelangen, da sie wohl schwerlich eine Leiter bei der Hand habe. „Ich darf sic freilich nicht holen," war ihre Antwort, „denn ich muß alles Aufsehen vermeiden und Sie um jeden Preis ganz in's Geheim sprechen; aber schaffen Sie eine Leiter herbei." Sie wiederholte so dringend und ängstlich ihre Bitte, bis ich mich bewegen ließ, eine Strickleiter herbeiholte, die ich vor Kurzem durch einen Zufall in unserer Rumpelkammer entdeckt. Doch ich ermüde Sie gewiß mit einer weitläufigen Schilderung," — unterbrach sich Fräulein Meltzer selbst und blickte dabei fragend auf den jungen Gerichtsbeamtcu. „Durchaus nicht," — entgegnete dieser mit einer artigen Ver beugung. „Selbst die unbedeutendsten Einzelheiten haben in diesem Falle Interesse. .Als werde sie durch dieses Lob aufgcmuntert, fuhr sie ohne Zögern fort: „Ich holte also meine Leiter herbei. Es war freilich ein seltsames Mittel, um eine Unterhaltung mit meiner Nachbarin zu ermöglichen; aber meine Neugier war einmal erregt und Sie wissen schon, Herr Gerichtsrath," setzte sie mit einem frohen Lächeln hinzu, „wenn die Neugier von Frauen einmal geweckt worden, dann scheuen sie selbst vor nichts mehr zurück und auch ich wagte das halsbrecheude Kunststück, an der hohen Mauer dort hinabzuklcttern. Freilich war ich beinahe einer Ohnmacht nahe, als die Leiter unter meinen Füßen schwankte, und hätte mich die Baronin nicht in ihren Armen aufgcfangeu, würde ich gewiß ein Unglück genommen haben. Dies kleine Wagniß, daß ich für sic unternommen, hatte uns schneller zusammengeführt, als es ost Jahre vermögen. Wir wanderten Arm in Arm miteinander in den Garten." Eleonore Holle tiefer Athem. Die Erinnerung des heut Erlebten schien sie seltsam zu bewegen. Vielleicht hatte cs ihrer Eitelkeit ge schmeichelt, daß die Baronin sie mit solchen Freundschaftsbeweisen überhäuft. „Die Baronin von Wermuth ist eine außerordentliche Fran, voll Tiefe und Freisiimigkeit," fuhr Fräulein Meltzer fort, als sie der Be amte mit keiner Gegenrede unterbrach: „Sie wollte Gewißheit haben, was von den Gerüchten wahr sei, die zu ihr gedrungen. Ihr Ge mahl hatte ihr sorgfältig den eigentlichen Gang der Untersuchung verschwiegen, von mir wollte sie erfahren, welches Verhältnißzwischcn dem Baron und Ernestine Liebig bestanden habe. Ich zögerte, denn ich fürchtete, die üble Wirkung auf das zarte, poetische Gemüth der Baronin, die bisher ihren Gemahl als Halbgott verehrt. Warum sollte ich ihr Len schönen Wahn zerstören? — Nur der Jrrlhum ist Leben!" uud um die dünnen Lippen Eleonorens spielte wieder ein Lächeln. „Meinen Sie das nicht auch?" wandte , sie sich zu dem Kriminal-Richter, der in anscheinender Zerstreutheit darauf keine Ant wort gab. Der Protokollführer hätte so gern an seiner Stelle hinzugesetzt: „Und das Wissen ist der Tob.'" aber er mußte seine Bekanntschaft mit dem Dichtcrwort, in Gegenwart seines Vorgesetzten verkneifen. Da der Beamte für ihre geistreichen Bemerkungen so wenig Verständniß zeigte, schloß Eleonore trockener und gleichgültiger ihren Bericht: „Die Baronin ließ mir keine Ruhe, ich mußte erzählen, und was ich gefürchtet, traf nur zu bald ein. Als ich ihr schilderte, wie die arme, verlassene und verralhene Pachterslochler in bitterster Winterkälte eine Feldhütle ausgesucht, um dort elend und völlig hilflos einem Kinde das Lebe» zu schenken, wurde die zarte, nerven schwache Frau ohnmächtig. Zum Tod erschrocken suchte ich ihr mit Lau äs Oologns die Schläfen einzureibcn, und da auch dieses Mittel nicht half, wollte ich in mein Zimmer eilen, um rasch belebende Es senzen herbeizuholen, als ich durch die Dazwischenkunft des alten Clemens daran verhindert wurde." „Sie waren also kurz vorher mit der Frau Baronin ganz allein in der Laube?" fragte Herr v. Neumann. Hatte der Mann auf ihre Erzählung gar nicht gehört? —Kurz und mißmuthig entgegnete sie deshalb: „Ich habe keine Ursache dies zu leugnen." „Und in ihrer Gegenwart wurde Frau Baronin ohnmächtig?" „Auch daS habe ich bereits gesagt." „Welches Mittel gebrauchten Sie zu ihrer Wiederbelebung?" „blau äs Eologns", entgegnete Eleonore kurz, die zeigen wollte, daß ihr diese Fragen lästig fielen. „Der Gerichtsarzt hat bereits constalirt", entgegnete Herr v. Neumann, der plötzlich seine lässige Haltung aufgab, „daß Frau Baronin von Wermuth durch Chloroform gelödtct worden," — und die sonst so ruhigen, freundlichen Augen des Beamten ruhten jetzt mit dnrchdringlicher Schärfe auf dem Antlitze Eleonorens. Ein leises Zucken war alles, was ihre innere, tiefgcwaltige Er regung verrieth. „Das ist nicht möglich! das beruht ans einem Jrrthum!" sagte sie langsam, das Sprechen schien ihr doch schwer zu fallen. „Es ist leider die volle Wahrheit," entgegnete der Kriminal- Richter mit scharfer Betonung. „Es ist Ihnen vielleicht, Fräulein Meltzer, die Eigenschaft des Chloroforms unbekannt geblieben," fuhr Herr von Neumann mit derselben eisigen Ruhe fort, die Eleonore ihm so oft bewiesen. „Sie haben geglaubt, daß dieses schmerz- und lebenlödtende Mittel die gute Eigenscbast besitze, spurlos zu ver schwinden; aber der gerichtsärztlichen Wissenschaft ist es ein Leichtes, mit absoluter Bestimmtheit nachznweisen, wo der Tod durch Chloro- sormirung erfolgt." Eleonorens scharfer, berechnender Verstand sagte sich Alles. Auch