Volltext Seite (XML)
2 Wirren Frankreichs bewahrt und im sichern Besitze der bedungenen Entschädigungssumme zu sein. Frankreich bekommt freilich dadurch freiere Hand, seine finanzielle und militärische Reorganisation rascher und umfassender zu betreiben und somit den Tag der „Revanche", wenn es will, schneller und umfassender zu betreiben. Wir sind in- deß nicht bange, daß dieser Tag sobald kommen werde. Frankreich hat in sich selbst so viel Elemente der Hemmung und der Desorga nisation, dass es sroh sein mag, wenn es mit diesen fertig wird und zu eiuer leidlichen Entwickelung im Innern gelangt, und daß es wohl sobald noch nicht wieder an große gefahrvolle Unternehmungen nach außen denken wird. Indessen wird diesseits mit Recht nichts versäumt, was, für den Fall eines abermaligen tollkühnen Losbrechens der Franzosen gegen uns, uothwcndig und dienlich scheint, uns einen abermaligen Sieg zu sichern, unsere Grenzen, unsere Familien, unser Hab und Gut vor einem raschen Anpralle feindlicher Schaaren zu schützen. Mit Hilfe der von Frankreich gezahlten Milliarden ist das Kriegsmaterial nach allen Seiten hin, wo es nölhig war, nicht blos wieder ergänzt, son dern vermehrt und verbessert worden; unser Festungssystem wird auf einen ganz neuen Fuß gebracht und ganz besonders gegen Westen hin verstärkt; unsere ganze Hecrcsorganisation wird auf Grund eines Ge setzes, dessen Berathuna die erste und Hauptaufgabe des demnächst zufammcntretenden neuen Reichstages sein soll, einer zweckmäßigen Fort- und Ausbildung unterzogen werden, wobei freilich auch der Be darf für das Heer sich höher stellen dürfte als bisher, entsprechend der allgemeinen Verlheuerung aller Bedürfnisse. Es ist das ein Tri but, den die deutsche Nation nicht etwa einem blendenden Ehrgeize des Ruhmes oder der Eroberung — weder ihrer Leiter noch ihrer selbst — vielmehr nur der ganz nüchternen Berechnung zu zollen hat, daß es, abgesehen von allem andern, selbst finanziell und wirthschast- lich ein schlechter Calcul wäre, an der nothwendigen Wehrkraft Deutsch lands zu sparen, um bei eiuem neuen Kriege mit Frankreich vielleicht, statt eine Kriegscontribution von 5000 Mill. Frs. zu erhalten, eine solche zu zahlen, außerdem aber noch verwüstete Fluren, eingeäscherte oder ausgcsogcne Städte und einen zerstörten Verkehr mit in den Kauf zu nehmen. Neben dieser unvermeidlichen Bereithaltung und Verstärkung der eigenen Kampfesrüstung hat das deutsche Reich — dank dem hohen persönlichen Ansehen und dem nach allen Seiten hin Vertrauen er weckenden Wesen des Heldcnkaisers Wilhelm sowie der diplomatischen Klugheit des Fürsten Bismark! — weitere werthvolle Bürgschaften der Erhaltung des Friedens für sich und für Europa gesucht und ge sunden in der immer engern Befreundung mit den übrigen Groß mächten. Zu der Drei-Kaiserzusammenkunft in Berlin im Sommer 1L72 kam im Jahre 1873 der Besuch des italienischen Königs eben daselbst, welcher indirect zugleich zwischen Deutschland und Oesterreich ein neues Band knüpfte, daß der gemeinsamen Abwehr römisch-kirch licher Ucbcrgriffc. Diese Uebergriffe und überhaupt der planmäßige Kamps der katho lischen Kirche gegen den Staat auf Grund des Vatikanischen Concils und dcS Unfehlbarkeitsdogmas von 1870 stehen noch immer in erster Reihe der Tagesereignisse, wie in andern Ländern, so auch in Deutsch land. Und hier insofern noch mehr als irgendwo sonst, als nach den eigcnthümlichen Verhältnissen in Deutschland mit den ultramon tanen auch allerhand andere hier vorhandene reichsseindliche Elemente (ganz abgesehen von den socialistischen) sich verbünden. Wenn daher der Kampf gegen den UltramontaniSmus aus einer Rcichssache, wozu er durch das Jesuitengesetz und andere Vorgänge im Reichstage von 1L71 gemacht werden zu sollen schien, neuerdings mehr zu einer Sache der einzelnen Staaten, insbesondere Preußens, geworden ist, so dür fen wir doch uic vergessen, daß es immerfort eme gemeinsame und eine Lebensfrage fürs ganze Reich ist und bleibt, wer in diesem Kampfe siegt oder unterliegt. Der Ausfall der nächsten Neichstagswahlcn wird daher auch in dieser Beziehung bedeutsam sein; eine namhafte Verstärkung des katholischen Eentrums im Reichstage würde den Muth und den Einfluß dieser Partei auch in den Einzelstaaten bedenklich stärken. Umgekehrt müssen wir Preußen danken, daß es diesen schwe ren und ernsten Kampf, bei welchen, ein Ende sobald nicht abzusehen ist, mit voller Kraft und Entschlossenheit aus sich genommen hat und ihn mit aller Entschiedenheit durchzuführen sich änfchickt. Es zeigt sich darin als den geistigen Vorkämpfer Deutschlands, wie es dessen Vorhut und Fahnenträger im Wasfenkampfe auf den Schlachtfeldern gewesen ist. Pflicht aller aufgeklärten und patriotisch denkenden Männer in Deutschland ist es, die preußische Regierung nicht blos mit ihren Sympathien zu begleiten, sondern auch in jeder Weise mit geistigen und sittlichen Waffen zn unterstützen. In Bezug auf das Verkehrswesen des Reiches geschahen im ver gangenen Jahre von Seiten der Reichsgesetzgebung mehrere wichtige Fortschritte. Das Münzgesetz, welches zur Einführung der Goldwähr ung das Nähere sestsetzle und zugleich wegen der durchaus nothwen digen Regelung der Papiergeldwirlhschafl Vorkehrungen traf; das neue Posttaxgesetz und die vielen Postverträge mit fremden Staaten, welche diesem unter der Reichspostverwaltung bereits zu so großer Vollkommenheit entwickelten Verkehrszweige immer neue Erleichterungen schaffen; das Rcichs-Eisenbahnamt, welches, wie schon die ersten Spu ren seiner energisch eingreifenden Wirksamkeit bekunden, auf diesem fast noch wichtigeren Verkehrsgebiete nothwendige Fortschritte anbah nen, vorhandene Uebelstände beseitigen wird — dies und Aehnliches bezeugt die fortdauernde und erfolgreiche Fürsorge des Reiches für die Entwickelung der materiellen, wirthschaftlichen Interessen der Nation. In welchem Maße durch die allgemeine Steigerung der wirth- schaftlichen Bewegung, der Industrie, zugleich das materielle Loos der arbeitenden Klassen verbessert wird, hat gerade das vergangene Jahr in handgreiflichster Weise auch in Deutschland gezeigt durch die mit oder ohne Strike auf allen Arbeitsgebieten sehr beträchtlich erhöhte Scala der Löhne. Die socialistischen Agitatoren würden ihre angeb lich so wohlmeinende Fürsorge für die Arbeiter am besten bewiesen haben, wenn sie diese veranlaßt hätten, von dem bedeutenden Mehr verdienst, den sie erzielen konnten, wenn sie fleißig waren, einen ent sprechenden Theil zu sparen und für Tage der Noth oder der ver ringerten Arbeitsgelegenheit (wie sie leider in Folge der großen Bör senkrisis schon eingctretcn oder im Anzuge ist) aufzusammeln. Jeden falls wäre dies besser gewesen, als wenn sie fortwährend über „Aus beutung der Arbeiter" schreien, diese in steter Unzufriedenheit mit ihrem Loose zu erhalten und selbst gegen unleugbare Verbesserungen dessel ben unempfänglich zu machen suchen. Die mannigfachen, gerade im Laufe dieses letzten Jahres stärker hcrvorgctretenen Bestrebungen, theils die wahre Bildung der niederen Klassen und damit zugleich ihren sittlichen und wirthschaftlichen Zu stand zn heben, theils auch mit Hilse der Wissenschaft und der Er fahrung wenigstens einzelne Bausteine zur „Lösung der socialen Frage" herbeizutragen, bekunden jedenfalls in erfreulicher Weise den Eifer der gebildeten Klaffen, von sich aus für diesen Zweck das Mögliche zu thun. Als einen wichtigen Fortschritt auf dem Gebiete der deutschen Rechtscinheit — ebenfalls vorzugsweise mit in ihren Rückwirkungen auf das Verkehrsleben der Nation — haben wir die endlich mit der verfassungsmäßigen Mehrheit im Bundesrathe erfolgte, in den letzten Tagen durch die Verkündigung seitens des Kaisers besiegelte Annahme des sogenannten Lasker'schen Antrags wegen Ausdehnung der Reichs« competenz auf das bürgerliche Recht zu verzeichnen. Der Blick auf die Geschicke Deutschlands, in der jüngsten Zeit einigermaßen getrübt durch die Sorge um den Kaiser, dessen lange anhaltendes Unwohlsein Befürchtungen zu erregen ansing, ist durch die neuesten beruhigenden Nachrichten aus Berlin wieder Heller ge worden. Möge der Himmel den erhabenen Fürsten, dessen allverehrte Persönlichkeit mit der ruhmvollen Neugestaltung und Machtcntfaltung Deutschlands so innig verwachsen ist, der deutschen Nation und seinem preußischen Volke noch lange erhalten! Unser engeres Vaterland Sachsen ward im vergangenen Jahre schwer betroffen durch den Verlust eines Königs, welcher fast zwei Jahrzehnte lang dasselbe mit lanbesväterlichem Wohlwollen regiert hatte. Die Trauer über seinen Tod war eine allgemeine und auf richtige. Ebenso allgemein und aufrichtig aber ist das Vertrauen zu dem neuen König, daß er das Steuer des Staates mit fester Hand und Hellem Blicke zu führen, daß er ein kräftiges und zeitgemäßes, ein reichssreundliches und freisinniges Regiment handhaben und so die Hoffnungen, die das Volk auf ihn setzt, erfüllen werde. Und so dürfen wir mit getrostem Blicke in die Zukunft unseres weitern deutschen wie unseres engern sächsischen Vaterlandes schauen! (D. Allg. Ztg.) Reichstagswahl. Am Nachmittag des 17. dieses Monats hatten sich auf erfolgte Einladung im Gasthof zur Rothen Schänke zu Döhlen gegen 90 Wähler ans den Ortschaften des Gerichts amtsbezirks zu Döhlen zur Besprechung der bevorstehenden Neichs- tagswahl und zur Aufstellung eines Candidaten eingcfunden. Die Versammlung zählte Vertreter aus den verschiedensten politischen Parthcistellungcn und waren die Anhänger der freisinnigen und national-liberalen Parthci wohl eben so stark vertreten, als die der conservativen. Nach Constituirung der Versammlung durch Wahl eines Vor sitzenden und eines Stellvertreters desselben wurde zunächst mitgetheilt, daß der bisherige Abgeordnete des 6. Wahlbezirks Herr Finanzpro- curator Hofrath Ackermann in Dresden, Vorsitzender des Stadt verordneten-Collegiums, auf geschehene Anfrage eine Wiederwahl anzunehmen bereit, und daß die Candidatur desselben , soweit bekannt, auch in den übrigen mit dem Gerichtsamt Döhlen unsern Wahlkreis bildenden Gerichlsamtsbezirken (Tharandt, Wilsdruff, Dippoldis- walda, Altenberg und Dresden — Landbezirk diesseits der Elbe) alleinig in Aussicyt genommen sei. Mehrere Redner, obwohl zum Theil entgegengesetzten politischen Richtungen angehörend, hoben nun die Vorzüge des bisherigen Abgeordneten hervor und wiesen insbe sondere darauf hin, daß derselbe zeilher in der geeignetsten Weise unsern Kreis vertreten habe, daß daher jede Parlheirichtnng die wiederholte Candidatur desselbigen billigen und unterstützen könne, und daß endlich die von Herrn Hofrath Ackermann den in der Gegen wart so wichtigen GewerbSiulereffen gegenüber eingenommene und auf verschiedenen politischen Gebieten kundgegebene Stellung den Wunsch des Zittauer Gewerbevereins, welcher die Vertretung der erwähnten Interessen durch Geiverbtreibende im engern Sinne an.irebt, für unsern Wahlkreis überflüssig mache. Die Candidatur des Herrn Hofrath Ackermann wird sonach einstimmig angenommen und eine Commission erwählt, welcher die Ausführung der zur Unterstützung derselben nöthigen