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lich Wirklichkeit geworden. Der ganze Wald schien zn tanzen, und von den alten knarrenden Aesteu schienen boshafte Zwerge herabzu nicken. Als wir in die unheimliche Schlucht Hinuntersuhren, wurde es immer bunter; jetzt kroch gerade wieder der Mond hinter einer zerrissenen Regenwolke hervor, und nun sah ich deutlich ein Stück hinter der Eiche den wilden Jäger. Die Knöpfe seiner grünen Uniform blitzten im Mondlicht, und sein weißer, mächtiger Bart flatterte im Winde. Kein Wunder, daß ich vor Entsetzen halb ohnmächtig wurde, als mich der alte Rajowitz gerade an dieser Stelle aussetzen wollte, und ehe ich noch völlig zur Besinnung kam — krachte ein Schuß, und mein armer Freund sank zusammen. Nun ich mir aber jene ent setzliche Nacht ganz und gar vergegenwärtige, glaube ich doch, daß es keine Spukgestalt gewesen ist, die ich unfern der Eiche gesehen, daß vielmehr —" Der Exgutsbesitzer stockte und wollte erst die Wirkung seiner Rede abwarten; er hatte während seiner Erzählung kein Auge vom Nathe gewandt, um zu entdecken, welchen Eindruck seine Aussage auf den Beamten machen würde. Er las in diesem ruhigen, freundlichen Antlitz nur eine aufmerksame Theilnahme, nicht das mindeste Miß trauen spiegelte es wieder. „Sie glauben also vielmehr —?" fragte Wertheim. „Daß diese Gestalt, die ich in meiner damaligen Aufregung für eine gespensterhafte Erscheinung gehalten, volle Wirklichkeit gewesen, und da jetzt der Oberförster sein schändliches Verbrechen selbst be kannt, so zweifle ich keinen Augenblick, daß er der Mann war, den ich für den wilden Jäger gehalten." „Und Sie können also mit Bestimmtheit aussagen, daß Sie den alten Dorn hinter der Eiche bemerkt?" fragte der Nath, „Nicht mit Bestimmtheit, obwohl ich jetzt annehmen muß, daß jene Gestalt kein Bild meiner erhitzten Einbildungskraft, sondern Wirk lichkeit gewesen." „Als gebildeter Mann können Sie doch nicht an Gespenster glauben und deshalb muß es Ihnen jetzt völlig klar sein, was Sie gesehen haben. Ich bitte Sie daher, Ihre Aussage fester zu begrenzen." Obwohl Lange in der Antwort des Rathes nur das Bemühen sah, eine klare gravirende Aussage gegen Dorn zu gewinnuen, war er dennoch vorsichtig genug, auf diese Brücke nicht zu treten. „Verzeihen Sie, Herr Rath, wer kann für Jugendeindrücke, die unauslöschlich in der kindlichen Seele bleiben. Ich lauschte als Knabe eifrig den Spinnstubengeschichten unserer Mägde, und besonders die Erzählungen vom wilden Jäger machten mir das Herz klopfen. Ich darf noch jetzt nicht Abends durch einen Wald gehen, ohne daß ich nicht bei jedem Rascheln Lenke, nun wird er Hervorbrechen, und zu meiner Schande will ich's gestehen, dann tritt mir der Angstschweiß auf die Stirn." „Haben Sie den wilden Jäger je gesehen?" fragte der Rath, und ein fast unmerkliches Lächeln spielte um seine feinen Lippen. „Das nicht, aber ich glaube an ihn", entgegnete Lange erröthend. „Dann war es also der wilde' Jäger, der hinter der Eiche ge standen?" „Behüte, es ist mir jetzt völlig klar, daß ich keine Spukgestalt gesehen." „So war es der Oberförster, den Sie erkannt?" „Auch das möchte ich nicht mit Bestimmtheit behaupten. Ich vermuthe, ich schließe jetzt nur, daß der Alte dort auf der Lauer ge standen." „Das bedaure ich", entgegnete Wertheim achselzuckend. „Ohne Ihre ganz bestimmten Angaben ist Ihre Aussage völlig werthlos; der Richter darf kein Zeugniß beachten, das auf Vemulhuugen, auf Schlüssen vielleicht auf Sinnestäuschungen und Phantasiegebilden beruht. Wir haben eS stets nur mit den einfachen, nackten Thatsachen zu thun." Die Augen Lange's irrten unruhig hin und her; auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen hervor; er war in einer entsetzlichen Verlegen heit — und wußte trotz all' seiner Verschlagenheit nicht mehr ein noch aus. Obwohl Dorn sich inzwischen selbst angegeben, hatte ihn Josephe doch gedrängt, mit seinem Zeugniß aufzutreten, um den alten Mann völlig zu vernichten. Mit großer Schlauheit wollte er nun seine Aussage so einrichten, daß sie zwar den alten Dorn verdächtigte, im schlimmsten Falle jedoch ihm nicht die mindesten Unannehmlichkeiten bereitete. Er hatte so fabelhaft geschickt seine Sache vorgebracht, sich selbst heimlich über seine Klugheit bewundert, und nun machte der Nath mit seinem nüchternen verständigen Drängen Alles zu nichte. Wenn er jetzt bestimmt erklärte, daß er den alten Dorn bemerkt, so hatte er einen Meineid ans dem Gewissen, und wenn die Sache dennoch schlimm ablief, waren ihm einige Jahre Zuchthaus reis; ließ er aber Alles im geheimnißvollen Nebel, dann wußte ihm Josephe wenig Dank, und doch lechzte er nach dem Glück, das sie ihm für diesen Dienst in Aussicht gestellt. Wie schön war sie nicht gewesen! Er sah wieder, wie sie ihr rothcs Pantöffelchen hin und her wiegte; er fühlte den vollen, sinnenberückenden Zauber ihrer Persönlichkeit. „Herr Rath, ich glaube doch nicht, daß es eine blose Sinnes täuschung war", raffle sich endlich Lange auf, „ich sehe noch deutlich die blanken Knöpfe, den Weißen Bart, und selbst die gedrungene, kurze Gestalt hatte mit dem alten Dorn die größte Aehnlichkeit." „Sie glauben es nur, daß es kein bloseS Phantasiegebilde war; aber das kann mir nicht genügen", entgegnete Wertheim. „Wir Alle sind leicht solchen Sinnestäuschungen unterworfen, und in einem an geregten Zustande sieht wohl Jeder einmal Dinge, die nie -existiren, und die vor unserer ruhigen, kalten Vernunft in Nebel zerfließen." Ich möchte sogar sagen, daß ich es nicht nur glaube, daß ich es fast mit Bestimmtheit weiß, daß jene Erscheinung kein bloses Trug bild war." „Ich wiederhole Ihnen, nur Ihre ganz bestimmte Wissenschaft von den Vorgängen jener Nacht kann dem Richter von Nutzen sein, und wenn Sie mit gutem Gewissen einfache, schlichte Thatsachen zu beschwören im Stande find, dann bin ich bereit, Sie auch über Ihr jetziges Zeugniß zu vereiden, obwohl es von Ihrer ersten Aussage sehr bedeutend abweicht, und ich Sie ans die Gefahr aufmerksam machen muß, die für Sie leicht daraus ertspringen kann." Die Augen des Nathes ruhten bei diesen Worten mit durchdringender Schärfe auf dem Exgutsbesitzer. Lange zuckte zusammen; Wertheim hatte ganz besonders die Worte „mit gutem Gewissen" und „Gefahren" betont, und der furchtsame kleine Mann wurde hiervon und durch die Blicke des Rathes so ein- geschüchtert, daß er die Fassung verlor. Wertheim hatte ohnehin so seltsame, durchbohrende Augen; er schien plötzlich in Lange's Seele lesen zu können und zu wissen, daß die ganze Spukgeschichte nur ein Märchen sei. In seiner Angst sah Lange schon sich als Meineidiger angeklagt und dem Zuchlhause über liefert. — Josephe verlor in diesem Augenblick für ihn allen Zauber, und er beschloß ohne Weiteres, lieber auf Alles zu verzichten, als im Zuchthause über die Vergänglichkeit alles Irdischen nachzudenken. „Und ich kann auch nur wiederholen", begann er nach einem tiefen, schweren Athemzuge, „daß es mir unmöglich ist, eine völlig be stimmte Aussage zu machen. Wir hatte», wie schon erwähnt, unge heuer viel getrunken; es war die Michaclisnacht, die bei uns ganz besonders als Spuknacht gilt, und der Mondschein, der finstere Wald, da muß wohl Traum und Wirklichkeit in einander laufen. — Genug, feste, bestimmte Thatsachen kann ich nicht bekunden, und es wird mir ein ewiges Räthsel bleiben, ob es wirklich der wilde Jäger war, oder ein leibhaftiges Menschenkind." Lange hatte Anfangs stockend, unsicher gesprochen; aber allmälich kam er in Fluß, und nun sah es ihm der Nath deutlich an, wie sehr er sich erleichtert fühlte, daß er noch vorsichtig den Rückzug antreten konnte. „Ich will zwar Ihren Traum, oder vielmehr Ihre Visionen zu Protokoll nehmen, Halle aber schon in Ihrem eigenen Jntresse eine nochmalige Vernehmung nicht für nothwendig", bemerkte Wertheim. „Sie sind sehr gütig, Herr Rath, ich danke Ihnen. Ja, ja, mein Kopf war doch zu schwer, der Punsch zu stark; ich möchte um keinen Preis beschwören, daß ich wirklich den alten wackeren Dorn dort ge sehen hätte", entgegnete Lange, immer freier anfathmend. „Sie thun gut daran", entgegnete der Rath sehr ernst; „ein Schwur ist eine sehr wichtige, heilige Sache, und da kann ma üch ,licht genug prüfen, um nicht einen Meineid, und wäre es nur ein fahrlässiger Meineid, zn leisten. Sie wollen die nächtliche Erscheinung ein Stück hinter der Eiche bemerkt haben; der Kutscher hat aber aus- aesagl, daß er einen Mann gerade unter der Eiche gesehen, das sind schon Widersprüche, die Sie in der Annahme bestärken müssen, daß Sie sich doch nicht in jenem Zustande befanden, der Sie zu ganz be stimmten Angaben ermuthigen konnte." „Ich bin ganz Ihrer Meinung", entgegnete Lange, der äußerst froh war, daß er sich noch im letzten Augenblick aus der Schlinge gezogen hatte. „Verzeihen Sie, daß ich Sie mit meinem Geschwätz überhaupt behelligt." Der kleine Exgutsbesitzer schwatzte eifrig darauf los, um wenigstens sein Märchen als etwas ganz Natürliches darzustellcn, und der Rath war gutmüthig genug, ihm dieses Glück zu gönne». Als Lange sich erleichterten Herzens entfernte, schien auch Wert heim freier auszuathmen; er wußte; daß er durch fein Auftreten einen Menschen von einem schweren Verbrechen, von einem Meineide zurück gehalten. Jedenfalls war dieser Mann von Josephe zu diesem Schritt bewogen worden, denn aus eigenem Antriebe hatte er gewiß nicht seine erste Aussage abzuändern gesucht. — So hatte Fabian doch Recht gehabt, und dieses Frauenzimmer begann schon die ersten Hebel einzusetzen, um ihren alten Feind vollends zu vernichten, ohne zu ahnen, daß sie vielleicht selbst damit auf ihr eigenes Haupt das Verderben herabzog. (Fortsetzung folgt.) Kirchennachrichten aus Wilsdruff. Am I. Pfingstfeiertage Vormittags predigt: Herr k. Schmidt, Nachmittags predigt: . Herr Diac. Canitz. Am 2. Pfingstfeiertage predigen Dieselben. Kirchenmusiken. Am 1. Feiertag: Cantate von Herrmann mit einer Einlage von branoosoo Norlaosii für Sopran mit Orgelbegleitung. Am 2. Feiertag: Cantate von Bergt. Des Pfingstfestes halber erscheint die nächste Rr. unseres Blattes erst heute über acht Tage. Dis Lxxeäitlon äss L Amtsblattes kür ^Llsärukk sto. Redaktion, Druck und «erlag von V A. Verger in Wilsdruff.