Volltext Seite (XML)
sich der Proclamirung Don Alfonso's zum König von Spanien überall angeschlossen. Marschall Serrano hat keinen Widerspruch dagegen erhoben und sich zurückgezogen, nachdem er den Oberbefehl über die Norbarmee in die Hände des Generals Laserna gelegt hatte. — Prinz Alfons von Asturien ist am 28. November 1857 geboren und erst vor wenigen Wochen volljährig geworden. Seine Erziehung hat der junge König im Theresianum in Wien genossen und seine mili tärischen Studien auf der bekannten englischen Kriegsschule in Wool wich gemacht. Erst vor wenigen Tagen war er von dort zum Be such bei seiner Mutter, der vormaligen Königin Isabella, in Paris eingetroffen, und seit jenem Tage schwirrten allerhand Gerüchte von einer bevorstehenden Umwälzung in der Luft. Wenn es auch nur zwei Bataillone waren, welche das Signal zur Bewegung in einem kleinen catalonischen Städtchen gaben, so spricht doch Alles dafür, daß dem Ganzen ein lange vorbereiteter Plan zu Grunde lag, und daß nicht nur die gegenwärtige Madrider Regierung, sondern auch das Ausland von der bevorstehenden Katastrophe wohl unterrichtet gewesen ist. Die Krone Don Alfonso's ruht auf den Spitzen der spanischen Vayonncte. Nicht die Nation ist es, welche ihr Geschick entschieden, sondern die Armee hat dest neuen König gemacht und die Entscheidung, wenn auch in glücklicher, so doch immerhin in brutaler Weise herbeigeführt. Die vcrmuthlich bald einzuberufcnden Cortes finden eine vollzogene Thatsache vor, welche sie einfach zu sanctio- niren haben. Daß dies geschehen wird, dafür bürgt die alte Er fahrung, daß die spanischen Tortes immer nur das Echo der jewei ligen Regierung sind, welche dte Wahlen leitet. Nachdem einmal ein alfonsistisches Cabinet gebildet ist, kann auch die Majorität der Volks vertretung nur alfonsistisch sein, so daß irgend ein gewaltthätiges Nachspiel zu dem Handstreich der Armee nicht zu befürchten steht. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Dresden. Am königlichen Hofe fand am I. Januar große Neujahrscour statt. Nachdem Morgens zunächst Se. Majestät der König die katholische Geistlichkeit und die königl. Leibärzte zur Be glückwünschung empfangen hatten, geruhten beide Majestäten in den Mittagsstunden von den Cavaliercn des königl. großen Dienstes und sodann von den Staatsministern, dem diplomatischen Corps, den am königl. Hofe vorgestcllten fremden und einheimischen Herren, sowie von der Generalität und dem Osfiziercorps in den Parädesälen der zweiten Etage des königl. Residenzschlosses die Glückwunschcour anzunehmen. Mehr als 800 Personen waren zur Veglückwünschungs- cour erschienen, darunter viele höhere Staatsbeamte und distinguirte Personen von auswärts, namentlich der Rector der Landesunivcrsität, die Kreishauptleute von Burgsdorff (Leipzig), von Könneritz (Zwickau) und von Beust (Bautzen), sowie fast sämmtliche Amtshauptleute der Provinz. Abends 7 Uhr empfing die Königin die Oberhosmeisterin- nen, die Zulrittsdamen und die Hofdame» und kurze Zeit darauf die Gemahlinnen der am hiesigen königl. Hofe beglaubigten Diplomaten. Gegen V28 Uhr fand bei beiden Majestäten, sowie bei dem Prinzen und der Frau Pnnzcssiii Georg in einer Präscutatiouscour die Vor stellung von ca. 80 angemeldeten fremden und einheimischen Damen und Herren statt. Dresden. Lebhaftes Interesse erregt in den betheiligten Kreisen die vom hiesigen Gewerbevereine für dieses Jahr zu veranstaltende Ausstellung gewerblicher und industrieller Erzeugnisse aus dem König reich Sachsen. Wenn das Unternehmen seinen Zweck erfüllt, woran nach den bis jetzt eingegangcnen Anmeldungen nicht mehr zu zweifeln ist, so muß cs vielfachen Segen bringen. Die „Dr. N." theilen u. A. mit, daß, um die auszustellenden Maschienen in Gang zu setzen, Dampfkraft vorhanden sein wird, welche bei rauchfreier Fcuerüngs- anlagc genügend Triebkraft liefert. Unter den auszustellenden Gegen ständen wird ein höchst interessantes Ausstellungsobject, ein kostbarer Pavillon, sich befinden, welcher durch verschiedene Künstler und Gc- werbtreibende in äußerst stilvoller und angemessener Meise erbaut, ausgcstattet und decorirt sein wird. Dieses mit schönen Blumen partien umgebene „Schmuckkästchen", als auch die in diesem Pavillon noch weiter aufzustellenden Gegenstände und Möbel werden sämmt- lich nach Zeichnungen angefcrtigt, welche als neu und originell hohen Werth haben und als große Zierde in der Ausstellung zur Geltung kommen. Die Idee zu diesem kleinen Prachlbauwerk entsprang echt patriotischen Gefühlen, indem die Hersteller damit den Zweck verfolgen, den Pavillon wihrend der Zeit der Ausstellung der Benutzung Sr. Maj. des Königs Albert und der königl. Familie zu widmen. Falls Se. Majestät die Bitte um Annahme nicht ablehnt, haben die Dresdner die Aussicht, während der Ausstellung einen „Königs-Pavillon" zu besitzen. — Der letzte Anmelduugsdcrmin ist der 1 Februar. Nach der neuen, am I. Januar in Kraft getretenen Postord nung heißt es künftig statt „rccommandiren", „recommandirte Sen dungen",, „Rccommandationsgebühr" „cinschreiben", „Einschreibsen dungen" und „Einschreibgebühr"; statt „Exprcßbestellung", „Expreß- bote" und „durch Expressen zu bestcllcu" „Eilbestellung", „Eilbote" und „durch Eilboten"; statt „Bricfcouvcrt" „Briefumschlag"; statt „xo8to rostants" „postlagernd"; statt „Passagierbillet" „Fahrschein" u. s. w. Obwohl die bisher gebräuchlichen Bezeichnungen ihre Gül tigkeit nicht verlieren, so wird doch gewünscht, daß die eingetrctenen Acnderungen im Publikum Beachtung finden. Der Hauptverein für innere Mission der evangelisch-lutherischen Kirche in Sachsen beabsichtigt, seinen Unternehmungen eine neue inner dem Namen „Bethlehem-Stift" bcizusügen; es soll dies eine ländliche 2 Gcnesungs- und Erholungsstätte für verkümmerte, verkrüppelte und gebrechliche Kinder, besonders auch für solche sein, welche, ausHospi- thälern rc. entlassen, noch weiterer Stärkung bedürfen, um nicht da heim dem alten Siechthum zu verfallen. Dunkle Existenzen. Skizze von Ludwig Habicht. Wenn wir in unsern Tagen von so vielen und raschen Lebens schiffbrüchen hören, dann fragen wir uns unwillkürlich, wo kommen die aus einer behaglichen Existenz herausgeschleudertcn Menschen hin, was treiben, wovon leben sie? Tauchen sie vor Schimpf und Schmag in den Strom der Vergessenheit unter, verschwinden sie gänzlich aus der Welt, oder treiben sie ihr Schaumblasendasein weiter? Eben schlug die Nuderstange des Schicksals einen vorhin noch lustig schwim menden Geldfischer auf den Kopf; er taucht für eine ganze Zeit unter: die Welt sagt: „er ist bankerott —" und siehe da,' ein Stück weiter hin arbeitet er sich schon wieder empor; zuerst sehen wir den Kopf, dann de» ganzen Menschen, oder vielmehr das ganze Geschäft. Aber es giebt doch sehr Viele, die solch harte Schläge nicht über winden können und, für immer in unergründliche Tiefen gebannt, ein dunkles, cxistenzloses Dasein sichren. Das klingt freilich parodox; die Menschen leben zwar, wovon und wie? das hüllt sich oft in un durchdringliche Schleier. Die größte Beisteuer zu diesen „dunklen Existenzen" liefert die Kaufmannschaft, da giebt es eine ganze Scala von Bankerotteurs, vom hohen des Bankiers bis zum tiefen 6 des Winkelkrämers, lind ost sind es nicht die Letztem, die dann die traurigste Rolle spielen. Gewöhnlich retten sich solche Verunglückte in irgend ein Bureau; „abschreiben" kostet ja nicht viel Mühe und Verstand, und Gott sei Dank! wird in unserm deutschen Daterlande noch viel geschrieben, — bei der Verwaltung, der Justiz, — mehr als gut und zweckmäßig, und es ist oft koniisch, daß die armen Opfer, die von der Justitia erst recht durchgeschüttelt, mit Klagen und und Arresten reichlich hcimgc- sucht worden, dann, wenn der rauhe Sturm über ihre Häupter hin- weggcgangen, sich dienstergeben an den starren, kalten Busen der Ge rechtigkeit werfen und für sie ohne Groll und Haß unermüdlich, ge duldig „Akten schreiben". Aber nicht Alle finden ein solch' ehrlich Stück Brod; gar Viele müssen sich auf weit wunderlicheren Wegen durch die Welt schlagen und bleiben für immer brüchige Charaktere. Welche Abstufungen, welche Schattirungen! Es sind bunte Steine, aber keine „Stifterchen," oft nur Glasscherben in einem Kaleidoskop, die das Schicksal wunderlich durch einander wirbelt, zur traurigen Belustigung der glücklicheren Menge. Die Noth Hal meist bei allen diesen Leuten Eisen gebrochen; — sie leben von der Bcsangcnhcit und Dummheit der großen Menge. Welche reiche Tonleiter menschlicher Erbärmlichkeiten! Vom Schmarotzer an, der sich überall herumißt, und herumtrinkt, bis zum raffinirten Gauner, der einer armen, be schränkten Wittwe den letzten Sparpfennig abschwindelt! Da giebt cs Mäkler, die stets beide Parteien betrügen, Agenten, die alles ver- haiidel» und am ehesten sich selbst, Winkeladvokaten, die jeden Prozeß gewinnen, wenn auch nur zu ihren Gunsten, Börsenmänncr, die ganze Banken und Eisenbahnen kaufen, eben weil sie keinen Pfennig haben, und diese edlen Obstsorte» am Baum des Lebens erhalten mit den zahlreich ansbrechendcn Bankerotten immer frischere Reiser. Es giebt jedoch unter diesen Schiffbrüchigen auch solche, die sich auf recht unschuldige Weise durch die Welt schlagen. Irgend eine kleine Kunst, die sie früher „kaum" oder „zu viel" beachtet, hält sie jetzt über dem Wasser; vielleicht die Virtuosität im Kegelschieben, Dcclamiren, Guitarrespielen, Transparentschnitzeln, Feuerwerk macken, wirst so viel ab, daß sie wieder zu einer, wenn auch „dunklen" Existenz kommen. Suchen wir einige dieser Unschuldigen auf. Eine jede Stadt hat eine Menge solcher „Lebens-Wracke" aufzuwciscn, die, in wunder barer Wahlverwandtschaft, sich in irgend einem Gasthose zusam- mcufinden. Es ist Zug der Seele, — Sympathie des Herzens. Gehen wir auch einmal hin. Es ist Abend, und im Gasthofe zum „deutschen Hause" herrscht das regste Leben. Die Gaststube, das Billardzimmer sind vollgedrängt von Menschen und wenn unser Auge in dem dichten Tabaisqualm sehen gelernt hat, wollen wir versuchen, nach dem Schlachtopfer eines rauhen Geschicks zu forschen. Wir be dürfen wahrlich dazu kciirer Diogenes-Laterne, in diesem bunten Ge wühl dennoch diejenigen herauszufinden, denen seit Jahren die liebe deutsche Erde zu cincm tückisch italienischen Krater oder einer Straße Lcpcllctier geworden ist. Dort am Billard finden wir schon einen „unserer Leute;" es ist ein großer, noch ziemlich beleibter Mann; er sieht dumm und schläf rig aus und hält das Quenc ganz steif und schülcrmäßig in der Hand. Es ist ihm gelungen, einen „Boule" zu arrangiren, der ihm sicher sein morgendes Mittagbrod und die heutige Zeche deckt; das lesen wir aus seinen kleinen geschlitzten Augen, mit denen er von Zeit zu Zeit sein Schlachtopfer betrachtet. Er hat in „Tabak" gemacht, aber Alles ist in Rauch aufgegangen, nicht durch den Mund seiner Kunden, sondern durch srincn eigenen. Der „lumpige, einzige Bankerott" hat ihn gründlich niedcrgeschmettert, daß er nie wieder aui die Beine gekommen, und seitdem steht erden ganzen Tag am Billardlisch , durchstreift alle Gasthäuser mit der un-