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Tagesgeschichte. Anläßlich des heranrückenden Sedan-Festes bringt der „Dr. Anz." eine Betrachtung, die auch anderwärts alle Beachtung verdient. Nach dem die nationale Bedeutung dieser Festfcier hevorgchoben ist, heißt es weiter: „Und dennoch giebt es leider viele Deutsche, die sich feind selig bei Seite stellen, wenn die Nation den Tag ihrer Wiedergeburt feiert. Sozialisten und Ultramontane wetteifern in dein Haß gegen den deutschen Nationalstaat, die einen, weil sie mit den sittlichen Ideen des Eigcnthums, der Ehe und Familie auch die nationale Gliederung der Menschheit verwerfe», die andern, weil sie die Befestigung eines Gemeinwesens nicht wollen, dessen Oberhaupt und Volksmehrheit sich ihnen nicht unterweisen will. Beide unterstützen sich im Kampf gegen das Reich, wie in der Verdächtigung der besitzenden und selbständig denkenden Klassen. Beide untergraben den gesetzlichen Sinn, arbeiten an der Zerstörung der heutigen Gesellschaft- und Rechtsformen, und rechnen auf die Vortheile, die der Sieg des andern ihnen bringen wird. Unter diesen Umstände» liegt für die nächst absehbare Zeit weder Waffenstillstand noch Friede, sondern nur Fortsetzung des Kampfes vor uns. An der Energie und Aufopferungsfähigkeit unserer Mittel stände wird es liegen, ob wir die Einheit des Reiches befestigen und und auf dem Wege der Freiheit beharren können. Vor Allem thut es Noth, daß die besitzenden Stände eine größere politsche Regsamkeit entfalten. An tiefgreifenden inneren Umgestaltungen war ja keine Periode deutscher Geschichte so reich, als die unsrige. Aber was zu nehmen muß, ist die freie und kräftige Action rcichstrcuer Bürger auch außerhalb des Parlaments. Die Erfolge haben uns leider be quem gemacht, man meint, Bismarck wird es schon machen, als ob auf den Schultern eines sterblichen Mannes das große Werk der Neu gestaltung Deutschlands allein ruhen könnte. Täuschen wir uns nicht darüber, wie schwer die Aufgabe eines Volkes ist, welches gegen starke Feinde draußen und zerstörende Paleien daheim gleichzeitig seine junge Einheit, seine innere Ordnung und Gesittung behaupten will. Nur die stets wachsende Theilnahme unsers Bürgerthums an den vaterländischen Interessen giebt unS Sicherheit für das Gelingen. Aus Dresden meldet der „Anz.", daß bis jetzt 106—108 Tausend Personen die Gewerbe- und Industrieausstellung besucht haben dürften. Dazu hat aber Dresden nur ein sehr kleines Contingent gestellt, drei Viertheile mindestens von dieser Zahl kommen auf die auswärtigen Besucher, nicht blos aus Sachsen, sondern viel aus Preußen, den Herzogthümern und Oesterreich. Die Lotterie nimmt riesige Dimensionen an; es werden jetzt nahe an 1000 Loose täglich abgesetzt und findet inan infolge dessen auch in der Ausstellung von Schrill zu Schritt an den verschiedensten Objecten einen Zettel mit der Aufschrift: „An- gekuaft zur Verloosung." Freiberg. In den letzten Tagen voriger Woche hatte sich ein Bergakademiker L. aus Ungarn in einem Anfalle von Schwermuth- von hier entfernt, weshalb man in den Kreisen seiner Commilitonen, die er einige Zeit vorher schon gemieden, vermuthete, daß er sich ein Leid anthun werde. Wie der hiesige „Anz." berichtet, ist der junge Mann im Obersöna'schen Walde, unweit der Oelmühle, am 29. Inti im bejammernswerthestcn Zustande gesunden worden. Derselbe hatte offenbar seinem Leben durch Gewalt ein Ende machen wollen, denn es zeigten sich an ihm mehrere Schußwunden und neben ihm lag ein sechsläufiger Revolver. Trotzdem war der Unglückliche noch am Leben. Verschiedene wunde Stellen an den Ohren, Händen und auf der Brust lassen darauf schließen, daß der unglückliche Mensch mehrere Tage im Walde gelegen und somit den Jnsecten preisgcgeben gewesen ist. Aus Tharandt wird berichtet, daß auch die dortigen schönen Waldungen von den Verwüstungen des Borkenkäfers nicht verschont geblieben sind, und hat sich die königl. Forstverwaltung daher ver anlaßt gesehen, in der Nähe von Heinrichseck ein ziemliches Stück Wald fällen lassen zu müssen. Die gefällten Stämme werden abge schält und die Rinden, in deren Bastschicht sich die Larven befinden, an Ort und Stelle verbrannt. In öffentlicher Sitzung des Schöffengerichts zu Leipzig wurde der ehemalige Director der Sparcasse zu Liebertwolkwitz wegen mehr facher Unterschlagung von ca. 18,000 Mark Sparcasscngelder zu sechs Jahren Gesängnißstrafe und drei Jahren Ehrenvcrlust verurthcilt. Aus Leipzig meldet das dortige „Tagebl." aus zuverlässiger Quelle, das der Generalpostdirector Stephan beschlossen hat, den festen Diensttuchrock der Briefträger für die heißen Monate ablegen zu lasten und ihnen zu gestatten, sich leinene Röcke, ähnlich denen, wie sie die Unteroffiziere der preußischen Armee tragen, anznschaffen. Wurzen. Aach den übereinstimmenden Beschlüssen beider städtischen Collegien wird das Turnen in den hiesigen Volksschulen als obli gatorischer Unterrichtsgegenstand zur Einführung gelangen. — Die hiesige Bezirksschulinspection hat den Lehrern ihres Bezirks eingeschärft, daß das Tanzen von Kindern bei Schulfesten unbedingt verboten ist und es sind die Lehrer, welche die Aussicht bei den Schulfesten führen, für jede Uebertrctnng des erlassenen Tanzvcrbotes verantwortlich ge macht worden. Aus der Schweiz kommen blutige Nachrichten. 2000 am St. Gotthardt-Tunnel beschäftigte Arbeiter haben, Erhöhung des Lohnes fordernd, ihre Arbeiten eingestellt und verhindern bewaffnet jeden Zu gang zum Tunnel. Eine von der Regierung zur Herstellung drr Ord nung aufgebotenc Compagnie Infanterie soll sich genöthigt gesehen haben, auf die Arbeiter Feuer zu geben, wodurch 2 derselben getödtet und mehre verwundet wurden. Nähere Nachrichten fehlen noch. Vor einigen Tagen wurde in Constantinopel auf Befehl des griechischen Patriarchen ein auf dem dortigen griechischen Friedhöfe „zur heiligen Dreifaltigkeit" «»gestellter Todtengräbcr verhaftet. Schon seit Jahren hatte derselbe jede Nacht die während des Tages bestatteten Leichen cxhumirt, nm ihnen ihre Kleidungsstücke und andere Werthsachen, die sie an sich hatten, abznnehmcn, ivarauf er sie wieder ins Grab legte. Hauptsächlich verlegte er sich darauf, die Leichen junger Frauen auszugrabcn, und ihnen ihr langes Haar abzuschneiden, das er dann den Haarkünstlern der Stadt verlauste, welche Chignons daraus fabricirlen. Bei einer solchen Leichenschändung wurde er cr- tappt, worauf seine Verhaftung erfolgte. Perrathen und Perloren. Criminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) Jean, oder Hans wie er jetzt genannt wurde, verwirklichte später seine kühnen Pläne. Er kaufte sich ein kleines Besitzthum, fand auch endlich eine paffende Frau und erwarb sich durch Fleiß und Spar samkeit ein ziemliches Vermögen. Seine dunkle Vergangenheit tag weit hinter ihm. Der Kutscher dagegen verließ den Dienst seines Herrn nicht mehr und zeichnete sich durch eine wahrhaft hingebende Treue gegen Theodor aus. Er konnte es ihm nicht vergessen, daß er den entlassenen Sträf ling zu Gnaden aufgenommen und das übrige, Anfangs murrende Gesinde sehr ernst und entschieden zur Ruhe gewiesen hatte. Auch hier schwanden allmälig die Vorurtheile, und da Herr Rajowitz dem Kutscher das größte Vertrauen und feine ganz besondere Gunst schenkte, gerieth dessen frühere Schuld völlig in Vergessenheit. XIX. Im Sonnenschein. Auf dem Hcrrnhofe von Kleinfurra ging es so lustig zu, wie einst in den Tagen des alten Rajowitz. Und doch, wie viel hatte sich seitdem verändert! — Selbst das alte Haus war vor der neuen Zeit nicht verschont geblieben. Werrn es auch äußerlich sich nicht ver wandelt hatte, in seinem Innern bot cs dafür einen ganz anderen Comfort. Es zeigte jetzt in seiner hübschen, freundlichen Einrichtung den bedeutenden Reichthum und den guten Geschmack seines neuen Besitzers. Der wüste Fleck hinter dem Gebäude war in einen Garten verwandelt worden, und die daranstoßenden Parkanlagen versprachen mit der Zeit ein herrlicher erquickindcr Erholungsort zu werden. Und wie hier Alles gewaltige Veränderungen erlitten, so waren auch die Gäste ganz andere, die heute in Kleinfurra versammelt waren. Es fehlten jene wilden, wüsten Gesellen, die hier in früheren Zeiten jedes Fest in ein tolles Gelage verwandelt Halle». Trotz der allgemeinen Heiterkeit blieb Jeder in denjenigen Schranken, die seine Sitten und Bildung zieren. Freilich hatten sich die gebildesten und angesehensten Männer und Frauen der Umgend zur Hochzeitsfeier des jungen Gutsherrn eingefunden; denn dieses Fest war es, das heute die weiten Räume des Kleinsurra'schen Herrenhauses von Musik und lustigem Leben wieder einmal erfüllen ließ. Wohl hatten sich Einige Anfangs daran gestoßen, der Hochzeits feier eines ehemaligen Harfenmädchens beizuwohncn; aber als sie hörten, daß der Nath Wertheim als erster Trauzeuge erscheinen werde, und der alte Landrath, ein Cavalier vom Scheitel bis zur Sohle, er klärte, dieses bildschöne Mädchen heimzuführen würde keinem Grafen Schande machen, und daß er mit Freuden der Hochzeit dieses hübschen Paares beiwohnen werde, da schwanden auch bei allen Anderen Lie letzten Bedenken. Und wirklich, als man die festlich geschmückte Braut sah, die noch herrlicher als alle Juwelen ihre Schönheit und Anmnth zierte, da konnte sich Niemand einer stillen Bewunderung enthalten. Luitgarde war in dem einen Jahre zu einer vollen, wunderbaren Schönheit aufgeblüht, und die geistige Bildung, die sie sich erworben, warf über sie noch einen höheren Glanz. Wie eine ütherreine Erscheinung, mit einem verklärten Lächeln, schritt sie an der Seite ihres Geliebten zum Altar. Auch Theodor hatte sich in dieser langen Zeit zu seinem Vor theil verändert. Der träumerische, — verschwommene Zug in seinem Antlitz war verschwunden und hatte jetzt einem tüchtigen, — sittlichen Ernste Platz gemacht, ohne daß seiner nerzensgüte Eintrag geschehen, die sein mildes, freundliches Antlitz nur zu deutlich vcrrielh. Der Rath führte als erster Trauzeuge die Schwester der Braut, Elise. Ihnen folgte ein noch seltsameres Paar, Fabian und Wanda. Man munkelte schon an diesem Tage, daß bald noch einige Hoch zeiten folgen würden, und wer Rath Wertheim schärfer beobachtete, konnte keinen Zweifel hegen, daß seine, trotzdem sie bereits die erste Jugend überschritten, noch bildschöne Brautjungfer auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht. Er behandelte sie mit einer Hochachtung und Zuvorkommenheit, als sei sie eine Dame vom höchsten Range, und Elise zeigte sich diesen Huldigungen des ernsten — feingebildeten Mannes durchaus nicht abgeneigt. Hatte sich doch schon ihr Herz ihm dankbar zugewandt, weil er mit der größten Humanität gegen die geliebte Schwester verfahren war, durch seine Umsicht die Schuldigen ermittelt und somit Wanda der Freiheit wiedergegeben hatte. Sie konnte ihm ihre höchste Achtung, ihre dankbarste Bewunderung nicht versagen, und von diesem Gefühl bis zur Liebe ist für ein Müdchenherz nur ein Schritt. Durch Theodor war sie mit dem Rathe in Berührung gekommen, und dieser schlug seitdem niemals eine Einladung nach Kleinfurra