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Beilage zu No. 50 des Wochen- und Amtsblattes für Wilsdruff re. Freitag, den 2 Juli 1875. Tagesgeschichte. Aus Freiberg wird gemeldet: Am vergangenen Johannistage wurden bei dem fiscalischen Berggebäude Beihülfe Erbst, die alten durch Grubenbaue, welche im Jahre 1746 verlassen worden sind und seitdem unter Wasser gestanden haben, mit dem Rothschönberger Stölln durch ein Bohrloch von circa 2 Meter Tiefe ohne jeden Unfall erreicht. Die aus diesen Bauen bei einer Wasserdruckyöhe von 95 Meter mit großer Spannung ausslietzenden Wasser werden zum völligen Abläufen derselben bis in die Rothschönberger Stollnsohle einen Zeitraum von einigen Wochen in Anspruch nehmen und wird man alsdann im Stande sein, die auf den Wieder angriff des sehr mächtigen und aus früheren Zeiten als besonders erzführend be kannten Halsbrückner Spates gerichteten Tiefbaubetriebe unverzüglich weiter fortzu stellen. Aus Zittau wird berichtet: Ein scheußliches, an der eigenen Mutter verübtes Verbrechen hat hier die ganze Bevölkerung in große Aufregung versetzt. Der 20- jährige Schuhmachergeselle Brühl, welcher bei seinem Vater in Arbeit stand, gerieth mit seinem um einige Jahre älteren Bruder geringfügiger Gegenstände halber in Streit. Der Vater, der denselben durch gütiges Zureden zu schlichten suchte, wurde von ihm unter Schlägen und Schimpsreden hinausgeworfen; die Mutter, die, durch das Schreien und Toben herbeigerusen, jetzt zwischen die Brüder trat, um so den Zank mit einem Male zu beenden, wurde von dem Sohne zur Seite geschleudert, mit der Drohung, daß, falls sie sich nicht entferne, er sie erstechen würde. Da nun die Mutter blieb, ergriff der Unmensch ein Schuhmachermesser, stürzte auf seine 60jährige Blutter los und schnitt ihr fast ganz den Kopf herunter. Nur schwer gelang es, den Mörder vor der Wuth der durch die Hülseruse angesammelten Menge zu schützen und ihn gebunden in einem verdeckten Wagen nach dem Gefängniß zu transportire«. Ein schrecklicher Unglücksfall hat sich am 25. Juni auf dem Pleißeflusse einer Kahnfahrt ereignet. Eine Gesellschaft von 6 jungen Leuten, meist Kellner, vergnügte sich damit, den Fluß hinaufzufahren. An einer Biegung auf Connewitzer Flur in der Nähe des städtischen Freibades angekommen, gerieth der Kahn in Folge An stoßes an eine Brücke, unter welcher sich die Kahnsahrer gegen die Strömung durchzudrehen versuchten, plötzlich in Schwanken und schlug um, wobei sämmtliche Leute ins Wasser stürzten. Leider vermochten sich daraus nur 4 zu retten, während die . Andern untergingen und ihren Tod im Wasser fanden. Als Cultusminister Falk an den Rhein reiste, um die Kirchen- und Schulzu stände an Ort und Stelle zu studiren, schilderte man ihm die Provinz als eine Löwcngrube und er werde der Daniel sein. Jetzt ist er seit 8 Tagen dort und findet, daß er der einzige Löwe ist. In Trier, Bonn und Cöln findet er die ehren vollste Aufnahme, namentlich bei den Behörden, bekommt Stündchen, Fackelzüge, eilt von Festessen zu Festessen und noch ist kein Mißklang hörbar geworden. In Trier saßen sogar ein paar Domherrn, freilich weltliche, an seiner Tafel. Vom Culturkampf war bis jetzt noch nichts zu spüren. Der Prozeß Arnim geht ans Obcrtribunal in Berlin, Rechtsanwalt Munkel hat bereits die Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Crkenntniß des Kammergerichts eingelegt. Bismarck macht sich etwas lustig über die neue platonische Liebe zwischen England und Rußland, mit welcher Frau Times so un gemein kokettirt. Er nennt diese junge Liebe eine „Album-Schwärmerei", weicher Lebens-Ernst und Prüfung fehle, und scheint sie nicht all zusehr zu fürchten, obgleich er sonst leicht zur Eifersucht neigt. Pest, 28. Juni. Infolge des am Sonnabend hier stattgehabten Wolkenbruchs werden 200 Personen vermißt, 112 Leichen sind bis jetzt aufgesunden. Die Be wohner Ofens sind durch Wasserfluthen besoders hcimgesucht. 100 Häuser sind ge räumt. Viele Gebäude drohen dein Einsturz. Allseitig sind große Hilfsleistungen in Aussicht gestellt. Toulouse in Frankreich und die weitere Umgegend ist durch eine furchtbare Ueberschwemmung heimgesucht worden, viele Tage lang regnete es und die Garonne und viele Nebenflüsse traten aus. Eine Menge von Häusern — mehre lOO — sind eingestürzt, viele Brücken weggerissen, schwer Verwundete und Todte giebt es viele; Ertrunkene hat man jetzt schon über 200 aufgesischt. Die Nachrichten aus den überschwemmten Gegenden in Frank reich lauten trostlos. In Toulouse sind 20,000 Menschen ohne Hülfsquellen; im Ganzen sind jetzt 215 Leichen aufgefunden. Die Garonne stieg um 9 Meter. In der Umgegend von Montauban bilden Garonne und Tran einen großen See, der fast alle Bauern höfe zerstört. Das Steigen des Wägers ging so schnell, daß die Bauern nichts retten konnten. Die Negierung wird wahrscheinlich sofort einen neuen Credit für die Uebcrschwemmten verlangen. Ueberall sind Snbscriptionen eröffnet worden. Die große Oper giebt drei Vorstellungen für die Uebcrschwemmten. „Journal Officiell" sagt: Durch Beschluß des MarschajlH Mac Mahon, Präsidenten der Re publik, sei ein Commitee zusamMenberuscn, das unter dem Patronat der Marschallin Mac Mahon eine Subscriplion sür die Ueber- schwemmten eröffnet hat. Der Marschall hat sofort 5000 Francs gezeichnet. Mac Mahov traf mit seinem Gefolge am 26. Juni um 2 Uhr Nachmittags in Toulouse ein; die Garonne ist fast ganz in ihr Belt zurückgetrctcn. Noch liegen viele Leichen in den Trümmern der cin- gestürzten Häuser. In Agen hat die Wasserhöbe 12 Meter erreicht und die ganze Stadt war überschwemmt. In Massac stürzten 170 Häuser ein, lN Magiüere 50; das Dors Golfeh ist säst ganz wegge- schwcmmt; 4l) Personen ertranken. Im Departement der Hochphre- uäen sind wenig Verluste an Menschenleben zn beklagen; das Departe ment hat jedoch stark gelitten. Madrid, 29. Juni. Die Gazetta veröffentlicht ein Decret, wonach alle Familien unter den Aufständischen, sowie die Mitglieder der Carlisten, welche sich nicht binnen Tagen unterwerfen, aus Spanien vertrieben werden. Aufständische, die von den Anhängern der Regierung Güter erworben haben, werden gerichtlich verfolgt, für leden von den Carlisten als Geißel fortgeführten Anhänger der Regierung soll ein Carlist eingekerkert werden. Aerrathen und verloren. Criminal-Novelle von Ludwig Habicht. (Fortsetzung.) „Ich bedaure sehr, daß ich Ihren höchst liebenswürdigen Wunsch, der Ihrem dankbaren Herzen alle Ehre macht, nicht erfüllen kann, denn Sie werden sich bald überzeugen, daß ich nach dem letzten Willen meines seligen Herrn ein wohlbegründetes Recht habe, hier wohnen zu dürfen." Theodor erbleichte. Der Gedanke, mit diesem teuflischen Geschöpf noch länger unter einem Dache zu wohnen, flößte ihm ein wahrhaftes Grauen ein. „Wenn Herr Najowitz wirklich Testament hinterlassen hat, warum haben Sie nicht schon lange Anzeige gemacht?" fragte der Referendar. „Weil es mir so gefiel", entgegnete Josephe spöttisch; „aber ich habe die Bescheinigung in Händen, — daß ein sorgfältig abgefaßtes Testament auf dem Gericht zu Trhneck niedergelegt worden, und werde deshalb noch heule auf Eröffnung desselben antragcn." Ohne eine Antwort abzuwartcn, verschwand sic rasch mit einer höhnischen Ver beugung. „Folgen wir ihr augenblicklich, — damit sie uns nicht noch etwas Anderes in die Suppe brockt", flüsterte der Referendar Theodor zu. „Wir wollen uns wenigstens das herrschaftliche Gastmahl schmecken lassen, das sie uns noch in ihrer zärtlichen Fürsorge hergerichtet hat", und der um das prächtige Diner besorgte Fabian stürzte Allen voran in die Küche. Josephe war nicht dort, eine Magd hatte bemerkt, daß sie sofort in größter Aufregung ihr Zimmer aufgesucht habe. Auch in den Speisesaal war sie nicht mehr gekommen. Der Referendar konnte sich mit seinem jungen Freunde ohne Gefahr einer Vergiftung den Freuden der Tafel hingeben. Und Josephe hatte ein Festmahl hergerichtet, das ihre alte Meister schaft in der Kochkunst bekundete, und das wohl die liebevolle Obhut des Referendars verdiente. Es fehlte heute nicht an jenen ausge suchten kostbaren Gerichten, die selbst die verwöhnteste Zunge in Ent zücken versetzen konnte, und Fabian schwärmte für eine gute Tafel. Aber auch Theodor war ein wenig Feinschmecker, und selbst wenn er es auch nicht gewesen wäre, heute, — am ersten Tage seiner Befrei ung, — würde ibm doch Alles ganz anders gemundet haben. „Da sehen Sie, wie gut es war, daß ich ihr nachlief!" bemerkte der Referendar lachend, und zog sich den wahrhaft köstlich zubcreiteten Rehbraten noch einmal näher. „Ich bin ihr niemals nachgelaufen, aber diesmal lohnte es sich schon der Mühe, und ohne meine Vor sicht konnten wir den saftigen Rehrückcn und alle diese Herrlichkeiten mit dem Rücken ansehen. Ah, der Rehbraten ist veliciös!" und er spülte behaglich mit einem Glase Capwein den letzten Bissen hinunter. „Ich würde diesen Gerichten noch ganz anders zu sprechen, wenn mich nicht schon jetzt der Gedanke beunruhigte, mit diesem Dämon ferner unter einem Dache wohnen zu müssen." „Seien Sie froh, Sic werden sich sonst den Magen verderben." tröstete Fabian; „aber auch diese Aussicht brauchen Sie nicht zu fürchten. Ich habe ein Mittel, diesen wilden Vogel für immer zahm zu machen." Das gute Essen, der treffliche Wein halte auf den Referendar bereits seine Wirkung geübt, ihn redseliger, mitthcilsamer gestimmt, als es sonst seine Art war. Er würde zu anderer Zeit mit einer solchen Antwort gewiß noch hinter dem Berge gehalten haben. „O, wenn Sic das vermöchten, — lieber Fabian, diesen wilden Vogel für immer zahm zu machen, würde ich Ihnen gewiß dankbar sein!" rief Theodor lebhaft aus. „Keine Ursache, lieber junger Freund", und Fabian streckte ihm äußerst gemüthlich die Hand entgegen. „Was ich sür Sie thue, ist blose Schuldigkeit. Sie sind ja der Sohn Ihrer mir unvergeßlichen Mutter." War es der Wein, oder überwältigte ihn wirklich die Rührung; die Augen des Referendars füllten sich mit Thrünen. „Ja, sehen Sie mich immer erstaunt an, jetzt endlich kann ich es Ihnen sagen: ich habe Ihre Mutter geliebt, tief, innig, namenlos, sie war so rein, so schön und ach, so unglücklich! Sie sind ihr theures Vermächtniß, und deshalb drücke ich Sie mit zärtlichster Empfindung an mein übervolles Herz." Theodor halte den Referendar noch nie so gesehen; er hatte sich stets kühl, überlegen, blanrt gezeigt, und nun erkannte er plötzlich, daß auch in dieser Brust ein warmes, licbeglühendes Herz schlug. Fabian hatte die theure Mutter geliebt! Mehr bedurfte es nicht, um ihm die tiefste Theilnahme des Sohnes zu erwerben. Mit ganz anderen, wärmeren Empfindungen, als er je für ihn gefühlt, warf sich Theodor in seine Arme. „Wir wollen nun treu Zusammenhalten, für heute und immer!" rief er tief bewegt. „Laß uns auf ewige Freundschaft und Brüderschaft anstoßen!" — entgegnete der Referendar. „Ich habe mich längst nach diesem Augenblick gesehnt." Die Gläser klangen an einander, und in glücklichster Stimmung saßen Beide noch lange beisammen. Auch Theodor öffnete jetzt dem Freunde sein Herz und vertraute