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Wochenblatt 1875" Dicnsttag, dc» 11. Mat 36. für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenteln! und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Nachdem das königl. Finanzministerium im Einverständniß mit dem Ministerium des Innern beschlossen hat, die Ausstellung von Nothschlagszeugnissen außer durch die, wegen ihrer amtlichen Eigenschaft zunächst dazu berufenen Gemeindevorstände, auch fernerhin durch die Ortsrichter und Thierärzte bewirken zu lassen, so wird solches zur Stachachtung mit dem Beifügen hiermit bekannt gemacht, daß den Gemeindevorständen von Vieherkrankungen die erforderliche Anzeige durch die Stcueraufsicht auch in den Fällen zugehen wird, wenn die Nothfchlagszeugnisse von den Ortsrichtern oder Thierärzten ausgestellt wordeu siud. Königl. Amtshauptmlumschaft Meißen, am 29. AM 1375. Schmiedel. Bekanntmachung. Wir bringen andurch noch zur Kcnntniß der hiesigen einkommensteuerpflichtigen Bewohner, daß nach § 19 der Ausführungsverord nung zum Eiukommensteuergefetz vom 8. März 1875, diejenigen Beitragspflichtigen mit einem 1600 Mark zweifellos nicht übersteigenden Einkommen jährlich, wenn sie bei ihrer Einschätzung Schuldzinsen re. berücksichtigt haben wollen, eine Declaration über ihr Einkommen aber nicht abgeben, dies bei uns unter specieller Angabe der Höhe der gedachten Zinsen rc. bis zum SV. Mai dö. Ks. schriftlich zu bean tragen haben. Wilsdruff, am 8. Mai 1875. Der Stadtgemeinderath. Eicker. Tagesgeschichte. Ueber die deutschen Eisenbahnen streckt das Reich seine Hand aus, nicht um sie an sich zu reihen, sondern um sie zu beauf sichtigen. Und diese Beaufsichtigung wird nach dem Entwürfe eines Reichseiscnbahngcsetzes eine ziemlich umfassende und strenge sein, die manche Willkür und Herrschsucht brechen wird, ß 40 gibt dem Ncichseiscnbahn-Amt die Vesugniß, die einzelnen Eisenbahn-Ver waltungen zur Rechenschaft zu ziehen, die Vorlegung von Geschäfts büchern und Akten zu Verlangen, an Ort und Stelle durch Kommissare Ermittelungen anzustellcn, Zeugen und Sachverständige zu vernehmen, Revisionen betreffs des baulichen Zustandes und der Ausrüstungen Wie der bctriebseinrichtungcn vorznnchmcn u. s. w., in besonderen Fällen kann ungehorsamen Bahn-Verwaltungen sogar die Konzession entzogen werden. Die Regelung der Preise und Fahrpläne wird vollständig dem Neichscisenbahn-Amte übertragen. Während amtliche Berichte aus der Nheinprovinz die gänzliche Erfolglosigkeit der sozialistischen Agitation in den dortigen Jndustriebezirken konstatiren, ist Herr Hasenclever soeben von einer Agitationsreise aus Süddeutschlaud zurückgekehrt, über welche der „Neue Sozialdemokrat" ebenfalls in ziemlich kleinlauter Stimmung berichtet. Allerdings soll der Eindruck, „den das frische Volksleben" in Württemberg, Baden und Hessen auf den Agitator machte, „ein sehr schöner gewesen sein, zumal die beiden Fraktionen der deutschen Sozialdeinocratie dort vereint den Kampf führen und irgend welcher Zwist unter ihnen nicht besteht," über die Erfolge der Reise aber, sowie über die Stimmung der Arbeiter schweigt das Organ und be stätigt so indirect die anderweitig verbürgte Thatsache, das es den angestrengtesten Bemühungen der sozialistischen Führer nicht gelingen will, die Bewegung wieder in Scbwuug zu bringen. Die Arbeiter zeigen sich allep Erörterungen über die soziale Frage gegenüber sehr indifferent und sind durch die vractischcn Erfahrungen, namentlich durch das rapide Sinken der Löhne viel zu sehr beeinflußt, als daß i sie sich den Agitatoren irgendwie zugänglich erweisen sollten. Der Beschluß Sr. Heiligkeit des Papstes: am 16. Juni die ganze Welt dem heiligen Herzen weihen zu wollen, ist dem gewöhn lichen Menschenverstände etwas unklar und könnte zu dem Gedanken führen, daß damit ein allgemeiner Gnaden- und Segcnsact vollzogen Werden solle. Solche überschwängliche Hoffnungen würden jedoch sehr voreilig sein; wer weiß, was noch für bedenkliche Dinge zum Vorschein kommen! Ein italienisches Blatt versichert bereits, daß auf den Wunsch vieler Geistlichen und Laien die Feier des 16. Juni durch öffentliche Verfluchung und Verdammung der Altkatholiken noch erhöht werden würde. Hiernach darf auch die deutsche Regierung ihre Schlüffe machen; denn da das heilige Herz Jesu von den Jesuiten erfunden worden ist, so kann es unmöglich au den neuen und neuesten Kirche^gesetzen seine Freude haben. Aus Verzweiflung über erlittene Mißhandlungen ist bei Mainz neulich ein Soldat der dortigen Garnison in den Rhein gesprungen und hat in den Wellen seinen Tod gefunden. Nichts ist rührender, als der Abschiedsbrief, den er in der letzten Stunde seines Lebens an seine jetzt tief gebeugten Eltern geschrieben hat. Dieser Brief macht die Runde durch alle Zeitungen und lautet: „Mainz, den 23./4 75. Liebe Eltern! Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, bin ich nicht mehr unter den Lebenden, denn mit dem heutigen Tage habe ich für dieses Leben abgeschlossen. Bis jetzt habe ich Alles mit Ge duld ertragen und immer gedacht, daß nach dieser traurigen Zeit wieder eine andere folgt. Aber was zu toll ist, ist zu toll. Heute Mittag hatten wir Turnen und Bajoncttircn, und ich sollte heute zum ersten Mal schon pariren und stoßen wie ein Dreijähriger; weil das nicht Alles klappte, wurde ich von Lieutenant Götz II. so gcohr- seigt, wie es mir während meiner Rekrntcnzeit noch nicht vorgekonnnen ist. Ich kann das nicht länger überleben und muß der Sache ein Ende machen. Liebe Mutter, ich bitte Dich viel tausendmal um Ver zeihung für das, was ich jetzt thue, aber es ist nun nicht zu ändern. Tröste Dich und bete zu Golt, daß er meine arme Seele gnädig auf nimmt. Du hast mich unter dem Herzen getragen, hast mich mit Schmerzen groß gezogen, und nun muß ich zum Dank so traurig enden. Liebe, gnte Mutter, weine nicht zu viel um Deinen Sohn und denke, daß er eines natürlichen Todes gestorben sei, und daß Alles nichts ist auf dieser Welt. Ich kann nicht mehr schreiben, denn mein Herz strömt über vor lauter Schmerz. Ich wollte auch Onkel und noch so Vielen schreiben, sage ihnen tausend Küsse und Grüße von Deinem treuen Sohn Theodor." An der Börse von Paris hat's wieder einmal pespukt. Plötz lich, man wußte nicht, woher und wodurch, verbreiteten sich Gerüchte von drohenden Verwicklungen mit dem Ausland, die Course fielen, cs cnstand ein Laufen, Rennen und Fragen, Niemand wußte zu sagen, was cs sei und gebe und die Negierung erklärte in den Abendzeitungen, nichts, gar nichts Drohendes gebe es. So flogen die Schatten vor über wie ein unheimlicher Spuk. Sie waren um so verwunderlicher, als die Gesichter der Franzosen strahlen über die neusten amtlichen Berichte über Handel und Industrie. Nicht nur, daß die Erndte des vorigen Jahres an Getreide und Wein eine glänzende war, auch der Handel und die Industrie haben sich an die Spitze der Civilisation gestellt und eine Thätigkeit entwickelt und Erfolge erreicht, welche die besten Jahre des letzten Jahrzehnts übertreffen. Die Ausfuhr von Producten, namentlich von Rohzucker, Butter und Eiern, an Maschinen und Werkzeugen der Metall-Industrie war ungemein groß und be trug in den ersten drei Monaten d. I. fast lOÖOMill. Franks. Die