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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Tiebenlehn und die Umgegenden. WmtsLkatt für das Königliche Gerkchtsamt Wilsdruff und den DtaLtrath daselbst. ^7 34. ' Dienstag den 4. Mai 1875^ Nachruf, gewidmet unserem Ehrenbürger, Herrn Eerichtsamtmann I^sonliaräi, bei Seinem Weggänge vvn hier nach Dresden. Nach 26jähriqer Wirksamkeit als Vorstand des Gerichtsamtes in Ihrer Vaterstadt Wilsdruff sind Sie, hochverehrtester Herr Gerichtsamtmann, gekannt und geschätzt als ausgezeichneter Beamter, edler Menschenfreund und stets treuer und liebevoller Berather, in den so wohlverdienten Ruhestand getreten. Wehmüthigen Herzens sahen wir Sie sowohl aus Ihrem Amte, welches Sre mit seltener Treue und Gewissenhaftigkeit, hohem Rechtsgefühl und strengster Unpartheilichkeit zum Wohle der hiesigen und auswärtigen Gerichtsbefohlenen verwalteten, als auch aus unserer Mitte, in welcher Sie Sich ganz besonders durch freundliches, liebevolles, leutseliges und bescheidenes Auftreten unwandelbare Liebe und ungeteiltes Vertrauen erworben haben, scheiden. Sichern Ihnen nun Ihre hohen, bethätigtcn Eigenschaften schon ein bleibendes, dauerndes Gedächtniß in unserer Mitte, so haben Sie Sich durch Ueberreichung eines Geschenks von 300 Mark, wovon die Zinsen alljährlich am Geburtstage Sr. Majestät unseres allverehrten Königs zur Speisung hier heimischer Armen verwendet werden sollen, noch ein für immer feststehendes Andenken in unserer Gemeinde gestiftet. Mit den Gefühlen der Liebe und der Verehrung rufen wir Ahnen andurch hierfür sowie überhaupt für Ähre unausgesetzt treu bewährte Gesinnung den tiefgefühltesten Dank nach und sind überzeugt, dadurch den Gefühlen und Gesinnungen der hiesigen Bürgerschaft Ausdruck gegeben zu haben. — Schließlich haben wir noch den innigsten Wunsch bcizufügen, daß Sie Gott auch ferner schützen und segnen und im Kreise Ahrer lieben Familie die wohlverdiente Ruhe recht viele, viele Jahre genießen lassen möge. Wilsdruff, am 1. Mai 1875. Der Stadtgemeinderath das. Ficker. Tagesgeschichte. Berlin, 30. April. Der Gesetzentwurf betreffs Aushebung der geistlichen Orden und Kongregationen hat nunmehr die Genehmigung des Königs erhalten und ist heute dem Staats- ministerinm aus Wiesbaden zngegangen. Die Einbringung desselben im Abgcordnelcnhause steht bereits morgen bevor. Wie man erfährt, sind die Modifikationen nur gering, welche die ursprüngliche, von döm Staatsministcrium vereinbarte Fassung des Entwurfes erfahren hat. Die Hauptänderung bezieht sich auf diejenigen Genossenschaften, welche sich mit Unterricht beschäftigen. Während der frühere Ent wurf die Auflösung derselben in einer Frist von zwei Jahren be stimmt, ist dieser Zeitpunkt nunmehr bis auf vier Jahre verlängert worden. Alle übrigen Orden und Kongregationen müssen binnen sechs Monaten aufgelöst sein, mit Ausnahme derjenigen Orden, welche sich der Krankens) lege widmen. Die letzteren dürfen dauernd, jedoch mit Widerruf fortbcstehcn. Hinsichtlich des Vermögens der ausge hobenen Orden und Kongregationen war, wie man sich erinnern wird, schon in dem ursprünglichen Entwurf bestimmt, daß dasselbe unter Sequester gestellt und theilweise zur Pensionirung der früheren Mit- glieder benützt werden soll. Ueber die Verwendung des Nestes der Einkünfte wird ein Specialgesetz Bestimmungen treffen. Voraus- sichtlich wird ein erheblicher Theil desselben dem Schulwesen zu Gute kommen. Die neuesten amtlichen Erhebungen ergaben, daß in sämmtlichen Bundesstaaten des deutschen Reiches mit Einschluß Lothringens am Ende des Wahres 1874 etwas über 16,000 männliche und weibliche Mitglieder katholischer Orden und Congregationen vorhanden waren. Dem gegenüber ist es^von Interesse zu untersuchen, welchen Ilmsang das Ordcnswcsen in Frankreich erreicht hat, wo cs den besonderen Schutz der Negierung und der Bevölkerung genießt. Ein Zug seltener Selbstcrkenn tniß wird aus Posen gemeldet: Bei der diesmaligen Schwnrgcrichlssitzuug hatte ein zum Gcschwornen cingerufencr Kaufmann aus Schrimm ein „Entbindungsgesuch" ein gereicht und dasselbe damit motivirt, daß er wirklich zu dumm sei, um den Verhandlungen folgen zu können. Der Pariser „Figaro" hatte dieser Tage gemeldet, Kaiser Wilhelm habe letzthin auf dem Ballfeste zum französischen Botschafter in Berlin, Vicomte de Goutaut-Biron, gesagt: „Herr Botschafter, man hat uns entzweien wollen; jetzt ist Alles beendet; cs lag mir daran, Ihnen dies zu sagen." Das offfcivse „Journal de Paris" versichert, diese Aeußcrung sei durchaus authentisch, nur habe der deutsche Kaiser dieselbe nicht dem Botschafter, sondern dem französischen Militär- bevollmächtigten, Fürsten von Polignac, gegenüber gethan, was ihre Wichtigkeit nicht vermindere. Die Stadt Graz, das Eldorado friedliebender Pensionäre, ist in den letzten Tagen zum Schauplatz der tumultuösestcn Auftritte ge worden. Und daran trägt Niemand Schuld, als Se. königl. Hoheit, der wegen Raub, Mord, Brandstiftung und Nothzucbt steckbrieflich verfolgte Don Alfonso mit seiner erlauchten Gemahlin Donna Blanca. Das edle Paar ist nickt zufrieden, in der steycrischcn Landes hauptstadt überhaupt ein Asyl gefunden zu haben, sondern bereitet seinen gastsreuudschastlichcn Beschützern, den österreichischen Behörden, durch sein provozirendes Auftreten inmitten der ihm mißgestimmten Bevölkerung obendrein die größten Verlegenheiten. Statt sich nach der ersten bcdauerlichcn Demonstration vor der Grazer Domkirche still und zurückgezogen zu verhalten, zeigte sich Don Alfonso mit seiner Gattin am nächsten Tage abermals in der Kirche und rief dadurch einen Scandal in der Kirche hervor, bei dem cr sich die wahrschein lich gewünschten Schläge holte. Gestern Abend fanden vor seiner Killa Zusammenrottnuacn statt, Militärpatrouillen wurden requirirt und ans beiden Seiten gab cs Verwundete. Die Anstifter dieser ! Tumulte tragen eine schwere Verantwortlichkeit, aber das spanische j Prinzenpaar hat auch das Seinige dazu bcigctragen, die Erbitterung l der gesummten Bevölkerung aufs Höchste zu steigern. Man kann cs ! den Grazern beinahe nicht übel nehmen, wenn sie sich für die Ehre j bedanken, einen solchen Gast i" ihren Mauern beherbergen zu müssen. Die Seandalsccnen, die der edle Prinz in seiner Einfalt zuerst für Ovationen der begeisterten akademischen Jugend hielt, scheinen zwar vorläufig beendet zu sei. Da Alfons es aber mit seiner Ehre ver einbar hält, in Graz zu bleiben, so kann es stets zu neuen Scenen kommen. Während des letzten Tumults ließ Donna Blanka den Bürgermeister zu sich rufen und forderte ihn kurz auf, die Ruhe her- zustcllen. Don Alfonso geruhte zu bemerken, daß so etwas in Eng land oder Frankreich nicht geschehe, dort werde das Gesetz strenge gehandhabt! Der Bürgermeister antwortete, daß das auch in anderen Ländern der Fall sei. Er stehe übrigens dafür ein, daß die Sicher- > heit der Person und deS Eigenthums nicht gefährdet werde, wenn j Don Alfonso und Donna Blanca das Haus nicht verlassen. Der Bürgermeister warnte davor, die Bevölkerung anzugreifen oder an-