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Noch anders verhalt es sich mit unseren Haus- thieren, diese machen gleichsam unsere niedere Dienerschaft aus; es besteht gewissermaßen ein stillschweigender Vertrag zwischen uns und ihnen. Unsere Vernunft ist dabei ihr Vormund und ihr Sprecher. Die religiöse Moral geht dabei noch weiter, als die bloße natürliche Moral. „Der Gerechte erbarmt sich seines Vieh's," sagt die heilige Schrift; sie beruft sich bei Behandlung unsers Vieh's auf das angeborne Erbarmen und knüpft an die Befriedigung dieses schönen menschlichen Gefühls den Anspruch auf die Ehre und den Namen eines Gerechten, eines Tu gendhaften. Noch ein anderes menschliches Gefühl spricht für eine milde Behandlung unserer Hausthicre, das Gefühl der Dankbarkeit. Kein Laster em pört so sehr das sittliche Gefühl, als das Laster des Undanks. Diesen Flecken in dem Charakter eines Menschen heißt jede Sprache vorzugsweise „schwarz". Das widrigste Gefühl des Abscheues ergreift uns, wenn wir sehen, wie von rohen Men schen ihr gutwilliges treues Zugvieh auf eine bru tale Weise mißhandelt wird. Am Tharander, sowie an anderen hohen Bergen, auf denen viel Fuhrwerk geht, kann man fast täglich Beispiele dieses empörenden Verfahrens wahrnehmen. Das Unsinnigste bei diesem moralischen Unsinn ist, daß sie dabei gewöhnlich ihr Vieh wegen Fehler und Verbrechen strafen, die sie selbst begehen. Sie mißhandeln z. B. ihr Zugvieh mit Schlagen mei stens dann, wenn cs durch ihre eigne Sckuld zu matt ist, den schweren, über ihre Kräfte beladenen Wagen von der Stelle zu ziehen oder sicher in der Furche fortzuschicben; sie mißhandeln es, wenn das geplagte, abgemattete Thier einmal stehen bleibt, um auszuschnaufcn. Solche Verbrechen entehren die Menschheit, nicht selten folgt aber auch die Strafe dafür unmittelbar auf dem Fuße nach. Wie oft z. B. stürzt nicht das mißhan delte Zugthier zum Schaden seines Eigners tobt vor dem Wagen nieder; wie oft ereignet es sich nicht, daß die Aeltern es dulden, daß ihre Kinder die Vogelnester aus frechem Muthwillen oder wil der Lust zerstören und dafür ihre Obstbäume von Raupen verwüstet werden. Wie man aber in civilisirten Staaten derglei chen, das natürliche Mitleid beleidigende Mißhand lungen sogar auf öffentlichen Straßen noch dul den kann, ohne sie ernstlich zu verpönen,, ist schwer zu begreifen. Vergebens z. B. bemühen sich die an das leider noch in vielen Gegenden gebräuch liche unbewegliche Doppeljoch gefesselten Kühe oder Ochsen, die Stechfliegen von sich abzuwehren, das gemeinschaftliche feste Joch verstattet ihnen nicht einmal diese geringe Freiheitsäußerung» Vergebens schreit das Kalb laut auf, das, vom Fleifcher- hunde gehetzt, nicht so geschwind zur Schlachtbank eilen kann, wie fein herzloser Treiber es will, oder das,, fast noch schlimmer, auf dem Wagen oder Schubkarren festgeknebelt dahingebracht wird, mit herabhängcndem, nicht selten auf der Erde hin schleifendem Kopfe, so daß das Blut aus Maul und Nase tritt. Jedes auf so empörende Weise zur Schlachtbank transportirte, dabei nicht glimpf lich, wie anderwärts, z. B. in Hamburg behan delte Kalb sollte schonungslos cönsiscirt werden, schon um der Güte des Fleisches willen, die durch das gerügte Verfahren ungemein verliert. Leider kommen nun jene und ähnliche Mißhandlungen so häufig vor, daß sich das Auge selbst des fühlend- sten Menschen daran gewöhnt, und ein gewisser, sie nicht achtender, Stumpfsinn fast überall sich verbreitet hat. Nicht selten schreibt sich der Ursprung des Ruins einer Familie von der Mißhandlung eines einzi gen Stückes Stallvieh her, das den Folgen der selben unterlag. Dieser Verlust nöthigte zum Bor gen eines andern Stückes, und dieses Borgen legte den Grund zum allmähligen Verfall. Die verständige, mitleidsvolle Schonung und Wartung der Hausthicre ist andrerseits in manchen Wirth- schaften der Grund und der erste Segen des Wohl standes. Der schöne Traum jenes Milchmädchens von dem Glücke, das es aus dem Milchtöpfchen, wie aus dem Born des Ueberflusses strömen sah, ist zwar nur eine lehrreiche Fabel, aber in Bezug auf geordnete Haushaltungen nicht selten eine buchstäblich zutreffende Wahrheit. Referent kann zur Bestätigung des Gesagten folgendes Beispiel anführen. Eine arme Frau bekam vor Jahren ein überzähliges, einen Tag altes Schweinchen ge schenkt. Es war zur Zeit eines harten Winters. Die Frau theilte mit dem Ferkel über sechs Wo chen lang Zimmer, Bett und Suppe, erzog dar aus mit der Zeit ein fettes Schwein, und erhielt durch dessen Verkauf die Mittel zur Erwerbung eines tragenden Rindes. Dies legte den Grund zu ihrem gegenwärtigen, zwar mäßigen, aber ih ren bescheidenen Wünschen entsprechendem und im mer sich mehrenden Wohlstände. Das Kapitel von den natürlichen Strafen ei ner schlechten, und von den natürlichen Belohnun gen einer guten Behandlung unserer Hausthicre könnte noch gar sehr erweitert werden. Die an geführten Beispiele sind jedoch vielleicht schon hin reichend, um zu zeigen, daß das christliche Gebot einer menschenfreundlichen Behandlung des uns dienstbaren Vieh's zugleich eine öconomische Vor schrift zur Beförderung des häuslichen Glücks sei ner Besitzer enthält. Sehr freuen würde sich übri gens der Unterzeichnete, wenn seine schwachen Worte Gehör fänden und geeignet wären, eine größere Aufmerksamkeit dem besprochenen Gegenstände zu- zuwendcn, der es wahrlich verdient, daß man sich ernstlicher damit beschäftige, als es im Allgemei nen. noch der Fall ist. A...g...f..