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Leben daselbst gewesen und noch ganz entzückt von den Reizen seiner Lage und seiner Umgebungen waren, Sie hatten sich so davon angezogen ge fühlt, daß sie, wider ihren anfänglichen Borsatz, mehre Tage daselbst geblieben waren und sich mit allen Schönheiten der Gegend, die ihnen, in gün stiger Herbstbelcuchtung und, vom Regen erquickt, in jugendlicher Frische strahlend, besonders reizend erschienen war, genau bekannt gemacht hatten. Sie versicherten von vielen als schön gepriesenen Punkten am Rhein, am Neckar, an der Mosel, auf dem -Harz, dem Thüringer Wald nicht so überrascht und angesprochcn sich gefunden zu ha ben, wie von manchen Parthieen in der Umge bung von Tharand, und gaben den Weiseritztha lern mit ihrer üppigen Vegetation weit den Vor zug vor den eintönigen Gründen der sogenann ten sächsischen Schweiz, deren Eigenthümlichkeit sie jedoch keineswegs verkannten. Da das Lob einer auch mir lieben Gegend aus dem Munde dieser Fremdlinge mir wohlthat, blieb ich kein müßiger Zuhörer, sondern nahm ebenfalls Theil an dem Gespräch, das bald recht lebhaft und, für mich wenigstens sehr ergötzlich wurde. Wir nannten uns gegenseitig die Punkte und Gegenden Deutschlands, wo es uns beson ders Wohlgefallen hatte, und kamen einstimmig darin überein, daß man sich den Genuß einer schönen oder anmuthjgen Gegend nicht durch Ver gleichungen mit anderen verkümmern dürfe, son dern sich ihm ohne Grübeln, rein dem ersten Ein druck folgend, hingeben müsse. Jede Gegend, die durch ihre Reize uns besticht, hat ihre besonderen Eigenthümlichkeiten, die man aus ihr herausgc- nießen muß; nur selten finden sich Aehnlichkeiten, die von selbst zur Vergleichung auffordern, und die Beleuchtung, die innere so gut, wie die äu ßere, die Gemüthsstimmung, die augenblickliche Empfänglichkeit, lassen uns bald Schönheiten ent decken, bald vermissen, die weder wirklich vorhan den sind, noch gänzlich fehlen, und bestimmen gar oft das Urtheil. Wer in eine Gegend, die er zum ersten oder gar einzigen Male sieht, mit seiner Phantasie erst das Sonnenlicht hineintragen muß, das der Himmel versagt, wird sich nur sel ten von ihr so angesprochen fühlen, als wenn sie im Glanze einer günstigen Beleuchtung vor ihm steht. Doch Verzeihung dieser Abschweifung! ich komme nun zu dem Hauptpunkte meiner Mitthei- l.mg. Nachdem wir uns länger? Zeit im Lobe der Tharander Gegend ergossen und die Punkte genannt hatten, die uns desselben besonders werth erschienen, sing der eine der Reisenden, ich will ihn A. nennen, an, seine Verwunderung darüber auszudrücken, daß das Innere der Stadt nur we nig der Anmuth ihrer Lage und Umgebung ent spreche, nicht etwa hinsichtlich ihrer Bauart und Anlage, die im Gegentheil ganz damit überein« stnnmten, als vielmehr hinsichtlich der Reinlich keit, Nettigkeit, Freundlichkeit, wohlgefälligen Ord nung und Schmuckheit, deren sie so fähig sei, die sich bei den vielen ihr zu Theil gewordenen Vor zügen erwarten lassen und die in mehren anderen, kaum so großen und nicht so günstig situirten Städten, ja vielen Dörfern (sie nannten deren mehre), zu finden seien. Es zeige dies offenbar entweder von Armuth ihrer Bewohner, die sich unter den bestehenden Verhältnissen doch kaum den ken lasse, oder von ihrer Geschmacklosigkeit und Stumpfsinnigkeit, von ihrem Atangel an GeMein- sinn, oder von der Nachlässigkeit der bestehenden Polizei. Ich merkte wohl, worauf das hinzicle, stellte mich aber ganz überrascht und unbefangen, und nahm mir vor, den Herrn A. auszuhorchen, dann aber die Vertheidigung der Bürger von Tharand ritterlich zu übernehmen. Zu dem Ende fragte ich ihn, was ihm denn zu einem so harten Ür- theil vornehmlich die Veranlassung gebe, und suchte bann jeden von ihm aufgebrachten Vorwurf zu widerlegen. Ich will im Nachstehenden, so gut ich es aus dem Gedächtnisse noch vermag, seine Vorwürfe und meine freilich nicht immer ernstlich gemeinten und zum Ziele führenden Widerlegun gen und Berichtigungen zusammenstellen; vielleicht ergibt sich daraus Einiges zur Ermunterung und Belustigung. 1. Vorwurf von A... gemacht und von seinem Freunde B... unterstützt. „Es ist doch in der That entsetzlich, daß in ei ner Stadt, wie Tharand, wo so viel gebildete und ansehnliche Familien wohnen, nicht einmal ein gepflasterter, auch bei üblem Wetter rein und trocken zu erhaltender Fußweg, wie ihn viele Dör fer aufzuweisen haben, zu finden, und daher zu mancher Zeit die Kommunikation fast ganz unter brochen ist, oder die Damen gcnöthigt sind, ihre zarten Füßchen in Holzpantoffeln zu stecken, wenn sie zu einander wollen, dann aber noch immer Ge fahr laufen, stecken zu bleiben oder zu versinken." Meine Entgegnung darauf: „diese Thatsache vermag ich allerdings nicht wegzuläugnen; sie hat aber sehr gute Folgen, und die Behörden der Stadt haben daher mit großem Vorbedacht die früher einmal gemachten Versuche, einen trocknen Fußpfad zu schaf fen, nicht thätig unterstützt. Ja, ja, sehen Sie mich nur nicht so staunend an, die Sache hat ihre Nichtigkeit; denn 1.) bleiben die Leute, und na mentlich die Frauen, viel lieber zu Hause und in der Erfüllung ihrer Pflichten, wenn sie nur mit Mühe über die Straße gehn können, als wenn ihnen dies zu leicht gemacht wird; 2.) gewinnt durch das Balanciren in den Holzpantoffeln ihr Gang so an anmuthsvoller Grazie, daß die daran sich überhaupt Erfreuenden mit Sehnsucht den Au genblick erwarten, wo die Noth sie zu deren Ge brauch zwingt, und 3.) sind diese nassen kothigen