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99 nicht gehen zu können, oder die cs für vornehm halten von ihren gesunden Beinen keinen Gebrauch zu machen, über die Brücke zu fahren nach dem Waldschlößchen oder in den großen Garten und des Sonntags im Sommer nach Pillnitz oder Tharand und im Winter auf die Weintraube, vorausgesetzt wenn der Schlitten geht. Und wenn eS hoch kommt, soll er kleine Reisen machen in die Lausitz, ins Gebirge und ins Niederland. In den Gasihofen soll er sein tägliches Brod finden ohne Zahlung,, wenn er des Mittags und Abends eine reichliche Frcmdenladung abgcsetzt, und in Privathäusern soll er die Actzung tadeln, so man ihm wohlmeinend gereicht, wenn er Verwandte oder Freunde dahin gebracht zum Besuche. Wenn er Unternehmungsgeist besitzt und das Glück ihm günstig ist, wird er von Dresden nach Breslau fahren, vielleicht auch nach Warschau und wie der zurück zur Residenz des Königreichs Sachsen und nach der Deichsel leben, so lange er da kut- schirct auf Erden. Und da cs ihm, seinen Pas sagieren gegenüber, bei etwaigen Menschlichkeiten, die man im gemeinen Leben mit den profanen Ausdrücken Zank, Streit u. s. w. belegt, an den Waffen des Geistes gebrechen wird, so soll er diesen Mangel ausgleichen durch Dreistigkeit und Grobheit, und durch insolentes Wesen er- setzen, was ihm da abgcht am Geiste. — Zu- weilen aber soll cs auch einige Ausnah» men geben unter den Lohnkutschcrn in Dresden." — Dafern nun ein Dresdner Fiaker in diesen harmlosen Zeilen einige Sticheleien er« blicken und die Redaction dieses Blattes darob zur Rede setzen sollte, möge sie ihn, wenn es auf glimpfliche Weise geschieht, unbedingt, zu den , Ausnahmen" zahlen; verfährt er aber auf die oben angedcutcte Weise — nun so be stätigt cr nur meine unmaßgebliche Meinung und spricht sich sein Urtheil selbst. Die freundlichen Leser mögen mir die kleine unw llkührliche Abschweifung beleihen, die der Erinnerung galt, und. mich wieder nach Freiberg in die Gaststube des Hotels zum schwarzen Roß begleiten, wo ich den Pferdclenkcr um die Stunde der Abfahrt zu fragen im Begriff stand, als eben ein dicker- Herr mit freundlichem Gesicht mir zuvorkam. Ich muß nämlich bemerken, daß ich schon beim B.ginncn meiner Reise beschlossen halte, Mein Fuhrweik von Freiberg aus wieder zurückzuschickcn, um zu Fuße oder zu Wagen über Tharand nach Dresden zu eilen. Denn E>lc haue ich meines nur achttägigen Urlaubs wegen wahrlich nöthig, wenn ich das Lcbcn in Leipzig wieder einmal genießen wollte. DieAb- fah't ward, wie ich vernahm, in zwei Stunden festgesetzt, mir gleichfalls ein Platz verheißen, und in den mannigfaltigen Genüssen schwelgend, die mir nach der einsamen Reise das Zusammen leben mit den einstweiligen Bewohner» des rie sigen Lohnkutschcrwagcns versprach, verließ ich den Gasthof, um mich einmal wieder im lieben Freiberg umzuschauen, das ich als Gymnasiast mehre Jahre mit meiner Gegenwart beglückt hatte. Dem Menschenstrome folgend, befand ich mich nach wenigen Schritten auf dem geräumigen Markte, den altergraue, ehrwürdige Gebäude fast rings umschließen. Es ist ein ganz eigcnthümliches Gefühl, wenn man nach jahrelanger Abwesenheit einen Ort wieder betritt, in welchem man früher, natür lich Unter ganz anderen Verhältnissen, heimisch gewesen. Dieses Gefühl muß besonders in einer Stadt wie Frcibcrg vorherrschen, das, einige unwesentliche Veränderungen abgerechnet, im Acußcrn sich heute eben so darstellt, wie vor zweihundcit Jahren, und in zweihundert Jahren kaum einen andern Anblick gewähren wird wie heute. Es kam mir vor, als kehrte ich von einem Spaziergänge nach Hause, während doch in der Lhat ein Raum von nahe an acht Jahren zwischen meinem damaligen Weggang und mei nem jetzigen Wicdcrerschcinen mitten inne lag. Eben tönte vom hohen St. Pctcrsthurme die neunte Morgenstunde herab, und cs war mir, als sollte ich eiligen Schrittes nach dem Dom platz und dem alten Klostergcbaudc, dem Gym nasium, zuschrcitcn, nachdem ich im frevelhaften Leichtsinn die erste Schulstunde geschwänzt. Auch des Prinzcnraubers Kunz von Kaufungcn stei nernes Brustbild schaute vom ersten Stockwerk des Ralhdauses noch immer, wie vor Jahrhun derten, mit den todlstarren Zügen auf den Olt (durch einen breiten viereckigen Stein bezeichnet) herab, wo sein Haupt von des Henkers Hand gefallen. Heute bedeckte den Stein die Bude einer Krämerin, und der tückische Blick des tobten Ritters fiel in cim Labyrinth von Wurstpyrami den und in blinkende Fusclfläschchcn. — Wie nahe steht doch oft dem Ernsten das Komische, dem Erhabenen das Lächerliche! Auch der Gang me ner Ideen veränderte sich plötzlich und nahm eine andere Richtung, an, d. h., mein Geist wen- bete sich jählings vom Tragischen dem Komischen zu, und zwar aus einem Grunde, den ich den Lesern dieses Blattes vorzuenthalten eben — keinen Grund habe. Ich vergegenwärtigte mir nämlich die Hin- n'chtungsscene des ritterlichen Sünders Kunz von Kaufungcn und gedachte der dichtgedrängten Menschenmasscn- dw, gleich starrenden lebendigen Spalieren, das Schaffet umstanden, wic sich dies natürlich annchmen läßt und auch Moller in seiner Chron k des breiten und langen erzählt. Dabei fiel mir cin, daß ich den freundlichen Lesern mit mathematischer Bestimmtheit angeben kann, wic viel Menschen der Freiberger Markt zu fassen vermag. Diese Kennlniß verdanke ich der Mittheilung eines Freundes, der sie auf fol gende Weise erlangte: Als vor ohngcfähr drei Jahren in Freiberg