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43 man aber zu derselben Zeit die Füße allein in kaltes Wasser stecken, so würde man sich wohl leicht gefährlich erkalten können. Demnach ist also die Gefahr sich zu erkalten um so größer, je größer der Unterschied der Warme des Körpers und der Kalte der Lust ist; das heißt: „je wär- „mcr man sich kleidet, und in je wärmern Zim- „mern man sich aufzuhalten gewohnt ist, desto „mehr kann eine und dieselbe Witterung einem „Menschen, der sich nicht sehr warm zu halten „gewöhnt hat, unschädlich sein, ja sogar warm „vorkommen, während der Weichling aufs ärgste „davon erkaltet wird." Hierzu kömmt aber noch ein wichtiger Um stand. Wer könnte wohl alle Theile seines Körpers auf gleiche Art verwahren? Weder der Anstand noch die Nothwendigkeil erfordern oder gestatten dies. Man kann ein Kassen auf der Brust und auf dem Bauche, aber nicht füglich um dem Kopfe tragen, wenn man ausgehen will. Daher ist es auch wohl leicht möglich, daß der eine Theil hinsichtlich seines Wärmegrades, von den übrigen, die sehr warm gehalten werden, merklich verschieden sei, und da dies zu einer Erkältung schon hinreichend ist, so kann nichts mehr die Erkältungen befördern, als eben das Bevorzugen einzelner Theile im Warmhalten. DicS klingt eben so seltsam, als wenn man sagt, daß sich jemand vom Einhcizcn des Zimmers erkälten könne, und doch gleichwohl ist eins so gewiß als das andre. Wenn ein ungeheiztes Zimmer eine gemäßigte Luft hat, so kann man sich, ohne alle Gefahr sich darin zu erkälten, darin aushalccn. Nun lasse man aber dies Zim mer Heizen, und setze sich so an den Ofen, daß nur eine Seite recht tüchtig erwärmt wird; so wird hier auf beiden entgegen stehenden Seiten des Körpers ein merklicher Unterschied der Warme verursacht, und im Augenblick fängt man an zu niesen und zu husten. Man lege sich in ein Bett, das an einer Wand stehet, und worin auf der andern Seire ein andrer Mensch liegt. Der Leib wird von der Wand auf der einen Seite nicht er- wärmt, ob sie gleich nicht eben kalt ist. Weil ihn aber auf der andern Seite sein Schlafgenossc stär- ker erwärmt, so entsteht hier ein Unterschied in der Ausdünstung beider entgegengesetzter Seiten, welcher Husten, Schnupfen und Reißen in dem der Wand zugckchrten Theil zur Folae haben wird. Also thul die unproporlionicke Erwärmung einiger Theile des Körpers eben dieselben Wir. kungen, als eine Erkaltung der ihnen entgegen gesetzten Theile; und wenn dem so ist, so ist nichts leichter zu begreifen, warum die Leute, die IM Winter sehr selten aus ihren Zimmern kommen, und dir sich in zehn Kleider und dicke Pelzmützen einhüllen, einen beständigen Husten, Flüsse lind Reißen haben, wohingegen die är mere Klaste, welche stets auf der Straße liegt, von keiner Erkaltung etwas weiß. Weil mau hier zu Lande die meisten Krank- heilen von Erkältungen hcrzuleiten pflegt, so wünsche ich, daß man das, was ich jetzt erwiesen habe, seiner besonder« Aufmerksamkeit würdigen möge. Man kann in der Theorie recht haben. Allein ich glaube, daß die Erkältungen mehr Krankheiten um deswillen hervorbringcn, weil wir uns zu sehr davor verwahren wol- len, als dies außerdem geschehen würde. Wir würden uns bei weitem nicht so oft erkälten, wenn wir uns nicht so sehr warm hielten, und wenn wir nicht einige Theile unsers Körpers im Vcrhältniß zu den übrigen zu sehr erwärmten. Es ist eine allgemeine Regel: je dicker die Perücke, je röthcr die Nase; je dicker das Hcrzbelte, desto bellender der Husten; je dicker die Pelze, desto wülhender das Reißen. — Man sehe euren Postillon mit hinter die Ohren gestrichenen Haa ren ganze Tage unter freiem Himmel in einem Sturme fahren, der gerade auf die Oeffnung des Ohres gerichtet ist, und dem es gar nicht cinfällt, sich das Okr zu bedecken. Ein andrer würde das größte Unglück davon tragen; ihm ist cs kaum merklich. — Wie oft arbeiten nicht die Landleute, daß sie über den ganzen Leib schwitzen, während dem sie mit bloßen Füßen in einem Sumpfe stehen der noch Schnee und EiS enthält. Gleichwohl wissen sie nur äußerst selten vom Catarrh etwas. — Wenn sich diese Leute reich gearbeitet haben, und beßre Pflege und Bequemlichkeit haben; wenn sie den warmen Ofen suchen und sich hübsche Pelze zulegcn r dann find sic den öfter» Erkaltungen eben so gut unter worfen, wie andre vornehme Leute. Dies ist also unser Fehler, daß wir durch zu sorgfältige Verhütung der Erkaltung, cs uns fast unmöglich machen, uns nicht zu erkälten. Sollen wir aber um deswillen die Kleider ablcgen und im Winter nicht einhcizcn? Nein. Wir wollcn nicht von einem Extrem aufs an dere gerathen. Wir werden bestraft genug von - dem einen, wer weiß, was uns bei dem andern widerfahren könnte! Allein, einem gutgemeinten Rache der Acrzte könnten wir doch wohl Folge leisten, daß wir zu allen Jahreszeiten eine der selbe» möglichst angepaßte Kleidung trügen, welche so beschaffen sei» müßte, daß sie uns in den warmen Tagen nicht zu heiß, und in den kalten nicht zu kühl wären. Soll ich noch cinen an der» wichtiger» Rath hinzufügen, so ist es der, „sich nicht so warm geheizte Zimmer zum bcstan- „digcn Aufenthalt zu wählen, besonders aber „gleich in der Jugend die Kinder so an die „verschiedene Temperatur der Witterung zu ge- „wöhncn und ihnen nicht schon dicke Pelze an- „zuziehcn, wodurch sie sich frühzeitig verweichlichen „müssen. Durch dies Mittel läßt sich alles „zwingen." Ich weiß wohl, was man mir einwenden wird. Husten und Schnupfen und Flüsse sind geringfügige