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258 uns scheint diese Titeltrennung die Einheit des Stückes zu zerreißen, da zumal die fünf Akte auch in der Zeit wenig auseinander liegen. Die Darstellung war im Ganzen eine sehr gelungene, und wollen wir die Hauptrollen in der Aufeinanderfolge des Zettels kurz besprechen. Der Commandcur wurde von Herrn Führig entweder weil er als Komiker nicht anders konnte oder in tiefer Berechnung fast noch niedriger komisch aufgefaßt, als er vom Dichter gezeichnet ist. Hatte er ihn mehr als glatten französischen Lüstling auf gefaßt, so würde die beabsichtigte Attake auf Ma riens Tugend im 4. Akte nicht ohne frivolen An stoß haben bleiben können. Herr Führich aber rettete und dafür sind wir ihm jedenfalls zu Dank verpflichtet, durch seine Komik den Anstand. Herr Fontaine behandelte dle kleine Rolle des Pfarrers namentlich im letzten Aufzuge mit viel Ruhe und Würde, nur wünschten wir, daß er in solchen Rollen sich weniger verpflichtet hielte, Oelung in seine Stimme zu legen, wodurch diese etwas zu sehr an Klang verliert. Loustalot und dessen Frau waren in Herrn und Madame Carlsens Hän den gut aufgehoben, namentlich war Herr Carl sen im vierten und fünften Aufzuge sehr gut, Im ersten dagegen trat bei beiden der schon einige mal uns ausgefallene Fehler eines übertriebenen Pathos hervor, der namentlich im Munde von Landleuten am unrechten Orle war. Fräulein Marie Leopold war als Marie vortrefflich, und wenn wir sie in den Scenen des Wahnsinns er greifend war finden, so müssen wir als einen be- sondern Beweis von ihrem Bestreben, die Wahr heit des Lebens zu malen, es sehr hervorhcben, daß sie sich durchaus frei von dem Fehler vieler Schauspieler halt: wenn sic blos zu hören haben mit dem Geiste abwesend zu sein. Im Gegen theil ist FrI. M. Leopold eben so gewissenhaft ge gen ihre Mitspieler als gegen das Publikum, durch das angemessenste Mienenspiel jene zu unterstützen und dieses zu befriedigen. Ihre Schwester, die durch eine glänzeilde und geschmackvolle Kleidung stets unterstützte Frl. Antonie Leopold, war als Chonchon ein leibhaftiges Bild jener liebenswür digen Leichtfertigkeit, welche mit dem Markstein weiblicher Tugend ein gefährliches Spiel spielt. Die Gesänge ihrer Rolle (die der andern blieben weg) sang sic mit graciöser Koketterie und unüber trefflichen Humor. Herr Jsoard war als Pierrot ein kreuzbraver närrischer Kauz, und das soll er sein. Ob ein nicht selten störendes Holpern und Ueberstürzen der Wörter mehr dem Organ Herrn Jsoards oder — einiger Nachlässigkeit zur Last falle, wagen wir nicht zu entscheiden. Madame Stein war eine zu hübsche und zu junge Mutter für den großen Sohn und ersetzte diesen angenehmen Fehler zu wenig durch desto würdevolleres Auf treten. Herr Gäthke, der Marquise Sohn, hat fast überall zwei Fehler, die er gewiß leicht wird beseitigen können, um dann noch besser zu gefal len: zu wenig Haltung des Körpers und eine weinerlich werdende Innigkeit der Rede. Uebrk- gens war er in dieser Rolle zu loben. Schließlich müssen wir der Direction die Bitte an das Herz legen, der Einbildungskraft des Pub likums etwas weniger starke Zumuthungcn zu machen, als cS bei der Scene der Fall war, wo unter einem kleinen schlecht verhängten Tischchen die ansehnliche Figur Herrn Jsoards vor den Füßen des Commandeurs verborgen sein sollte und mußte. Tharand, den 7. August. ? Etwas echt Russisches. Die Breslauer Zeitung berichtet Folgendes aus Ostrowo: „Zu denjenigen Artikeln, die in diesen Tagen trotz aller Grenzcontrole aus dem östlichen Nachbarstaate zu uns gelangt sind, gehört unter Anderm die sicher verbürgte Nachricht, daß der General Tolstoi einen Droschkenführer in War schau niedergcstochen, weil derselbe so grenzenlos unvorsichtig gefahren, daß er dem Herrn General ganz leise den Arm gestreift, und nicht im Stande war, durch einen Fußfall, den er sofort that, Gnade und Verzeihung zu erlangen." — Ein Fuhrmann, von Jemand zur Rede gesetzt, warum er seinen Gaul so unbarmherzig schlage, ant wortete, „weshalb ist das Vieh ein Pferd geworden!" General Tolstoi würde wahrscheinlich, wenn er über haupt einen Frager Rede gestanden haben möchte, im Bezug auf den vorliegenden Fall erwicdert haben: „warum ist die Kreatur ein Droschkenführer ge worden!" Wenn ein Mensch, d. h. ein einer Hähern Rangordnung angchörendes Individuum den Arm des Herrn Generals gestreift hätte, so würde der Herr General sich zu einer Erklärung hcrbeigelassen haben und ein Duell wäre vielleicht die Folge davon gewesen. Möglich das der Herr Graf auch gar keine Notiz von dem unfreiwilligen Verstoß gegen seine hohe Person genommen. Hier handelt es sich aber nicht um einen Menschen, son dern um einen lumpigen Droschkenführer, die gar keiner Klasse oder Rangordnung angehören. Was sollte da der Herr Graf lange Umstände machen? Er stach das Brest nieder wie einen Hund, der seine Kleider beschnüffelt, und damit war die Sache abgethan. Den Fußfall hätte sich aber der Drosch- kenführcr ersparen können. Glücklicher wäre viel leicht der Hund gewesen, wenn er, im entscheiden den Moment auf den Hinterbeinen stehend und mit den Vorderpfoten wedelnd, eine stumme Gna- denbitte an ihn gerichtet. Dieses, oder ein ähn liches Manöver hätte ihn, den General, vielleicht überrascht und zur Verzeihung umgestimmt. Eine Kreatur aber, die mit dem Herrn General nichts gemein hatte als die entfernte Aehnlichkeit mit sei ner menschlichen Gestalt, wahr natürlich seiner