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ISO Thau benetzte, sehr schädlich ist. Des Lamcntirens und Klagens wird aber nun vollends kein Ende, wenn im Winter bei großer Kalte und vielem Schnee dem lieben Wild der Brodkorb so hoch hangt, daß manches schlanke Reh und manch niedlicher Rammler sich darnach zu Tode gelangt. Daß der Wilddieb in ihren Augen der ärgste Ver brecher ist, versteht sich von selbst. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß ein vom Jagdteufel ersten Grades Erfaßter für den Wilddieb keine Marter zu ausgesucht und keine Strafe zu hoch halten würde, wenn es in seiner Macht stände, sie ihm zuzuerkennen. Der Wilddieb kommt beim Gebet des ächten Waid manns, wenn es fick um Abwehr und Schutz ge gen Gefahren handelt, gleich nach dem Satanas selbst. Er ist der schwarze Faden, der sich durch das Leben des Jägers zieht, und schon der Gedanke an einen Wilderer vermag seine Galle aufzuwüh len und seine Ruhe ihm zu rauben. Er späht nach ihm umher bei Tage und sieht ihn des Nachts im Traume, wo er meist so lange mit ihm ringt und kämpft, bis er schweißtriefend erwacht. Wenn das Gespräch der Nimrodssöhne auf den Wild diebstahl übergeht, steigert es sich in der Regel bis zu einer solchen Heftigkeit, daß ich es nicht für gut halte, den geehrten Lesern d. Bl. einen solchen Dialog, wenn auch nur im Auszug, mit- zutheilen. Heiterer und erquicklicher und sogar für den Laien in der WaidmannSkunst von besonderem Interesse ist aber der gegenseitige Austausch der erlebten Jagdabenthcuer. Bis auf die geringste Kleinigkeit herab werden die weltschweren Ereig nisse besprochen und in der Erinnerung noch ein mal durchgemacht. Man erfährt haarklein, wie der Hase gelaufen, ehe er zum Schuß gekommen, ob er auf die rechte oder linke Seite, ob er von vorn oder von hinten die Schroote zugeschickt er hielt Und was Lampe dabei für eine Miene ge macht, ob er zweimal oder dreimal das „Rad geschlagen", oder ob er zur Stelle „zusammenge zittert". In dieser Weise geht es fort bis ins Aschgraue. Und wenn der Erzähler den Mund geschlossen, öffnet ihn der Nachbar, um ein neues erlebtes Ereigniß, für dessen Wahrheit er mit sei nem Leben einzustehen er sich bereit erklärt, der Vergessenheit zu entreißen. Trotz der vorausge- schicktcn Versicherung der strengsten Wahrhaftigkeit geschieht es doch nicht selten, daß der Vortragende die Muttersprache fallen läßt und in fremder Zunge, das heißt lateinisch, redet, weshalbmandergleichen Uebersprünge von einer Sprache in die andere Jägerlatein nennt. Dieses Latein wird in keiner Schule gelehrt, noch kann man es sich aus irgend einer Grammatik zu eigen machen, und doch ist es Denen, die sich dessen bedienen, so ge läufig, daß es ihnen wie Wasser auS dem Munde und wie Honig von den Lippen fließt. Auch ver stehen es die Genossen ganz vortrefflich und zwar vom Standpunkt der Rechenkunst aus, was wider sinnig klingt, aber nichtsdestoweniger wahr ist. Wenn nämlich Einer mit dergleichen lateinischen Floskeln um sich wirft, wie sie weder je ein Rö mer, noch jüngst die Philologen in Dresden im Munde geführt, machen die Zuhörer aus dem mit- getheilten Factum ein Subtractionsexempel, indem sie irgend eine ihnen passend dünkende Zahl unter die vom Erzähler angegebene setzen und im Geist von der Summe abziehen. Wenn z. B. Jemand behauptet, in einer Entfernung von 120 Schritten einen Hasen geschossen zu haben, so setzt man in Gedanken die Zahl 50 unter die Zahl 120, zieht die 50 davon ab, und erhält so die Zahl 70. Auf diese Weise gelingt es oft, das Jägerlatein in gutes, richtiges Deutsch zu übersetzen und zwar ohne Grammatik und Lericon. Es ist keine Hexerei, sondern pure Geschwindigkeit im — Subtrahircn. Doch den Scherz jetzt bei Seite. Es liegt mir noch ob, das Treiben des großen Jagdteufels von einer nicht erwähnten, und zwar ernsten Seite zu betrachten. Wir Frauen nämlich, deren Män ner dieser Dämon beherrscht, ohne daß sie Jäger von Metier sind, müssen oft um des häßlichen Ungethüms willen recht traurige Erfahrungen ma chen. Eine schriftliche oder mündliche Einladung zur Jagd ist im Stande, mitten aus seinen Be- rufsgeschaftcn den Mann hcrauszureißen und hin aus in Feld und Wald zu führen, wo kein ande rer Gedanke Raum in seiner Seele findet, als schuldlose Thiere zu morden und an ihrer letzten Todesqual sich vielleicht zu ergötzen. Wehe der Unglücklichen, die es wagt, die erwachte Jagdlust des Gatten durch vernünftige Vorstellungen nie derzuhalten oder zu dämpfen. Ihre Worte wer den keinen Eingang finden in das Herz des Man nes, dem in diesem Augenblick sein Beruf zur Nebensache geworden ist, dem seine gewohnten Beschäftigungen anekeln, den es hinwegzieht vom heimischen Heerd mit unwiderstehlicher Allgewalt. Ihre Bitten werden überhört oder durch unhalt bare Gegenvorstellungen zu entkräften gesucht, und ihre Klagen und sanften Vorwürfe rufen wohl gar Drohungen hervor. Ihr Widerstand reizt nur noch mehr die Heftigkeit des Mannes, und sie thut wohl, wenn sie es bei den ersten schwa chen Versuchen, dem Gemahl für heute die Jagd lust zu verleiden, bewenden läßt, um Schlimmeres zu verhüten. Noch übler aber ist die arme Frau daran, wenn der Jagdteufel selbst dem kranken Gatten keine Ruhe und Rast gönnt, sondern ihn aufstachelt das Schmerzenslager mit dem Aufent halt im grünen Walde, das Medizinglas mit der Jagdflasche zu vertauschen. Mit der den Kranken so oft eigenthümlichen Heftigkeit wird er jedem Ansinnen, selbst dem Ausspruch des Arztes, seinen entschiedenen Willen entgegensetzen und der verlo-