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Das Gefängniß des Bezirksgerichtes Wehrwolfsheim war im Aeußeren ein recht freundliches, ganz neu erbautes Haus und man konnte auch von feinem Innern fagen, daß der Kerker feine Schrecken verloren habe. Nichtsdestoweniger schrak Wilhelm Bär doch zurück, als er den Fuß über dessen Schwelle setzte, und ein mächtiges Gefühl der Empörung über die ihm angethane Schmach durchzuckte ihn, welches sich nach der Veranlagung feines Cbarakters zunächst in eine gallenbittere Stimmung niedersching. Diese unglückliche Gemüthsstimmung war es ja gewesen, welche am Meisten dazu beigetragcn, ihn der Welt und sich selbst zu entfremden! Sie hatte ihn zum Grübler, zum Men schenfeinde gemacht, und arbeitete auch an seinem Physischen Verderben. Der Abend war schon mächtig hereingebrochen, als man das Ge- ' fängniß erreichte. Ein, mürrischer Diener des Gerichts empfing, mit der Lampe in der Hand, den späten Transport und geleitete den Mann in eine Stube, wo die Visitation und die Inventur über die bei Wilm gefundenen Gegenstände vor sich gingen. Seufzend ließ sich Wilm Alles gefallen und folgte dem Gefängnißwärter fodann, der einen langen Gang beschritt, an dessen Ende er an eine Zelle pochte und dieselbe dann aufschloß. (Fortsetzung folgt.) funden hatte, etwas bei Seite, elfrrg mit diesem discutirend. Indessen war die Versiegelung des Obsthauses vollendet worden und Wilm schaute dem Treiben um sich mit verschränkten Armen und düster vor sich hinmurmelnd zu. Es schien ihm peinlich zn werden, sich zur Zielscheibe aller hämischen Angriffe und finsteren Augenblitze seiner Mitbürger gemacht zu wissen, weshalb er endlich entschlossen auf den Assessor zuschritt und diesen fragte: „Mein Herr Assessor, was soll denn nun geschehen, wenn's erlaubt ist zu fragen?" „Das Fragen dürfte an mir sein, guter Freund!" bcmerte der Beamte rügend. „Wir sind noch nicht mit einander fertig. Ihr habt, wie ich eben erfahre, schon seit Jahren auch mit Guano und anderen künstlichen Düngemitteln einen Handel getrieben. Ist dem so?" „Aha, will's da hinaus?" antwortete bitterlachend der Marke- denter. „Nun, Herr Staatsanwalt, gehandelt habe ich nicht mit solchen Dingen. Wenn mich ein Bekannter darum ersuchte, brachte ich ihm aus Gefälligkeit einen Sack Guano oder ein Faß Salpeter und dergleichen aus der Stadt mit. Das ist Alles!" „Ihr leugnet also, jemals einen Vorrath von Düngemitteln be sessen zu haben, der in diesem Obsthause verwahrt zu werden pflegte?" Wilm besann sich. „Es ist wohl einigemalc vorgekommen, daß ich solche Waare aufhob, da dieselbe in die Nachbarschaft bestellt worden war und nicht gleich abgeholt werden konnte," bekannte er sreimüthig. „Gut, so sind wir der Verständigung nahe", erwiederte mit zweideutigem Lächeln der Beamte. „Hoffentlich könnt Ihr auch beweisen, woher Ihr die Waaren bezogen habt — vielleicht durch Bücher, Rechnungen, Lieferzettel?" „Das giebt es bei mir nicht, Herr Assessor", gab Wilhelm Bär ziemlich barsch zurück. „Ich habe die Waaren stets baar gekauft, was bedarf's da der vielen Schreibereien?" „Baar gekauft? bei Eurem Schwiegersöhne vermuthlich?" Wilhelm trat entrüstet zurück. „Fragen Sie, wen Sie Lust haben, mich nicht mehr", sagte er kurz und grob. „Was soll mir dieses Verhör vor einem halben Hundert Maulaffen? Wirsind, denke ich, noch nicht bis zur öffentlichen Gerichtsverhank lung gediehen. Ich versichere Ihnen nochmals, daß ich gänzlich unschuldig an dem bin, was Sie bei mir vorauszusetzen scheinen. Es ist augenblicklich wenig Aussicht sür mich, Ihren Ohrenbläsern und Zuträgern gegenüber obzusiegen. Wenn es noch eine Gerechtigkeit im Lande giebt, wird Lie Untersuchung, um welche ich bitte, die Wahrheit an das Tages licht bringen." „So künde ich Ihnen denn die Verhaftung an, Wilhelm Bär, das Weitere wird sich finden", antwortete der Criminalbeamte und winkte dem Gensdarm. „Immerzu!" sprach der Marketender fröhlich, „es hat schon Mancher unschuldig im Gefängnisse gesessen und für die Wahrheit leiden müssen. Ich kann's ja wohl auch einmal Prokuren. Habe doch ein besseres Gewissen, als Der oder Jener in meiner Umgebung und hoffe zu Gott, daß ich im Kerker ruhiger schlafen kann, als mein Verderber in seinem Lotterbette!" Der Beamte gab das Zeichen zur Abführung des Marketender- Bär und die Menge stob scheu auseinander, als der Verhaftete festen Schrittes neben dem Gensdarmen in's Dorf einzog. Mitten auf der Dorfstraße stürmte ihm Elisabeth entgegen. Sie hatte erfahren, was ihren Vater bedrohte und war vom Krankenbette des alten Fuchs hinwcggeeilt, um sich selbst zu vergewissern. Als sie ihren Vater in der Gewalt des Gensdarmen sah, erkannte sie die schreckliche Gewißheit seiner Verhaftung und stürzte händeringend und schluchzend aus den Alten zu. „Vater, o Du armer Vater!" wehklagte sie, „was hat man vor mit Dir? Soll uns denn die Schande zanz zerschmettern, sind wir noch nicht verfolgt genug von dem Elenden, der sich an seiner Rache weidet? O mein Gott, darf denn solcher Frevel geschehen? Armer, armer Vater!" Die junge Frau hatte die Arme um den Verhafteten geschlungen und hing weinend an seinem Halse. Wilm bemühte sich, die Arme seiner Tochter von seinem Halse loszumachen und sagte gütig: „Laß er gut sein, Elise, wir müssen tragen, was Gott über uns verhängt hat. Sei mein stolzes Kind, Elise, und gieb der bösen Welt von Tuttlitz kein entwürdigendes Schauspiel. Bist du Deines Gatten Unschuld so sicher, wie ich der meinigen bin, so wird es nicht lange dauern und Du siehst uns Beide wieder." „Aus dem Wege, Frau!" befahl der Gensdarm, aber Elisabeth rührte sich nicht und erwartete das Näherkommen des Assessors, der in Begleitung seines Schreibers und des Gemeinderathes daherschritt. „O Herr Staatsanwalt", rief sie ihm laut entgegen, „Sie begehen ein himmelschreiendes Unrecht an meinem Vater! Er ist ja ganz unschuldig, das schwöre ich Ihnen!" „Sie könnten freilich am Ehesten Zeugniß für ihn ablegen und die traurige Affaire klarstellen, wie ich glaube", entgegnete der Beamte doppelsinnig und sah die junge Frau prüfend an. „Aber hier ist nicht der Ort zu weiteren Auseinandersetzungen. Lassen Sie uns!" „Gut, wenn es nicht anders sein soll, so verhaften Sie auch mich mit, denn ich gehöre doch wohl mit zum Complott, wie mich Ihre Reden ahnen lassen", versetzte die Frau mit düsterer Energie „Das Unheil trifft die ganze Familie, ich will nicht besser behandelt sein, als Diejenigen, die mir die Liebsten auf der Erde sind!" „Es liegt zur Zeit nichts gegen Sie vor, Frau Heinz, — und dann, was sollte aus Ihrem Knaben werden, Frau?" redete der Assessor sanft und eindringlich. „Halten Sie den Lauf der Gerechtigkeit nicht auf, es handelt sich vielleicht nur um Tage, dann sehen Sie den Vater und den Gatten wieder." „Gewiß, es wird geschehen, wie der Herr Staatsanwalt sagt, gehe also ruhig nach Hause, mein liebes Kind, und Ware unser Eigen thum und unsern kleinen Eugen. Gott segne Dir deine Treue!" sprach nun auch seinerseits der alte Wilm tröstend und strich mit der Hand über das herrliche Haar seiner Tochter. Diese schmiegte sich an ihn. „Leb' wohl, mein Vater, Gott geleite Dich, ich will für Dich und für den Heinz beten, mehr vermag ja ein schwaches Weib nicht zu thun. Gewiß, dieser Kelch wird und muß rasch vorübergehen!" Ein Zeichen des Beamten beschleunigte den Marsch des kleinen Zuges und Elisabeth stand noch lange verloren und zerknirscht auf emselben Platze, wo sie Abschied genommen hatte von ihrem Vater, dieser schon längst auf dem requirirten Wagen des Gastwirthes in " ' ung der „heiligen Hermandad" der Bezirksstadt Wehrwolfsheim Vermischtes. * In Paris wurde an dem Polizeisergeanten Prevost die ihm wegen zweifachen Mordes zuerkannte Todesstrafe vollstreckt. Als man um 6V2 Uhr den Delinquenten in seiner Zelle avholte, fand man ihn wach und auf Alles gefaßt. Er kleidete sich rasch an und murmelte: „Ich will ohne Wanken das Schaffst besteigen .... Ich habe mit meiner That die Polizei recht bloßgestellt .... Das kann ich aber sagen, daß ich mir außer diesen beiden Verbrechen keines mehr vorzuwerfen habe .... Courage!" Nach einer Unter redung mit dem Gefängnißgeistlichen trat Prevost den letzten Gang au; vor dem Schaffst küßte er den Abba wiederholt, drückte das Crucifix inbrünstig an seine Lippen und wandte sich zu dem Scharf richter Deibler mit den Worten: „Ich bitte sie nur, nicht fehl zu treffen." Einige Augenblicke darauf war Prevost gerichtet. Der Leichnam wurde sofort in die mcdicinische Schule geschafft, wo ihn Professor Robin wissenschaftlichen Experimenten unterzog. Der Kopf wurde wieder an den Rumpf angenäht und der Leichnam an den Füßen, dann, als dies ohne Wirkung blieb, an den Knien und, nach dem hier einige Zuckungen eingetrcten waren, am Magen elekirisirt, worauf das Gesicht sich züsammenzog, die Augen wieder einiges Leben anzunehmen schienen, die Ohren sich bewegten und der ganze Körper nervös zitterte. * In Sachen der Berliner Gewerbcausstellungslotterie ist vor einigen Tagen das erste verurlheiltnde Erkenntniß gesollt worden. Ein dortiger Barbier hatte bei der Lotterie eine Porzellanschale ge wonnen, die man seinem Dafürhalten nach in jedem 50 Pfennig-Bazar käuflich findet. Er strengte in Folge dessen beim Amtsgericht I. wider den Vorsitzenden des Ausstellungskomitees, Kommerzienrath Kühne mann, einen Prozeß an, sich auf den Wortlaut des Lotteriestatuts stützend, welches besagte, daß sämmtliche Gewinne sich durch Zweck mäßigkeit, Mustergültigkeit und Neuheit auszeichnen und mindestens 5 Mark im Werthe sein sollten. Das Amtsgericht hat die gewonnene Porzclanschale gleich dem Klüger mir ans 1 Mark wcrlhgcschätzt und dem Anträge desselben gemäß den Beklagten vernrtheilt, die Differenz zwischen dem wirklichen und dem Sollwerthe in Höhe von 4 Mark a» den Kläger zu erstatten. Sollte die einzulegende'Berufnng zurückge wiesen und das erste Erkenntniß bestätigt werden, dann dürfte noch mancher ähnliche Prozeß diesem ersten folgen. * Eine Prophezeiung. Im fünfzehnten Jahrhundert wurde Folgendes prophezeit: „Und wer das Jahr 1880 erlebt, kann von Wunder sagen und Gott danken, weil ihn die furchtbare Geißel Gottes der siebziger Jahre nicht erreicht hat." Weiter heißt cs mit Bezug auf das folgende Decennium: „Und der Boden wird das Doppelteertra gen als seither, drei schwere Weiujahre werden die besseren Zeiten ein leiten, sodaß nicht Faß und Kübel den Wein alle fassen können. Ge treide und Obst gerade genug, und ein Frieden wird über die Welt kommen auf lange, lange Jahre. * Köln. Eine seltene Operation. Dem Oberarzt der chirur gischen Station unseres Bürgerhospitals, Vr. Bardenheuer, ist vor einiger Zeit eine sehr interessante Operation, die Herausnahme einer , Niere, gelungen. Der Patient, ei» hiesiger Einwohner, konnte die- » ser Tage als geheilt aus dem Hospital entlassen werden. * Eine rührende Szene spielte sich auf dem Büreau des 10. Polizei-Reviers ab. Der in der Anklammerstraßewohnhafte, 68 Jahre alte Stellmachermeister G. war unverschuldet in bittere Noth gerathen und hatte nach und nach sein Hab und Gut in's Pfandhaus tragen müssen, um für sich und seine greise Lebensgefährtin nur das Leben fristen zu können. In ihrer bedrängten Lage hatten die alten Leute auf Zureden vieler Bezirksgenossen in einer Jmediateingabe „An Se. Majestät, unsern guten, vielgeliebten Kaiser Wilhelm" (so » lautete die diesbezügliche Adresse), um Hilfe gebeten. Zur oben ge- k dachten Zeit wurde nun der Petent zu dem Vorstande seines Poli zei-Reviers berufen und ihm dort mitgetheilt, daß bezüglich seines Ge suchs, nach den stattgehabten Recherchen, sich die Würdigkeit und Be dürftigkeit seiner Person resp. Familie herausgestellt habe, aus welchen Gründen ihm Kaiser Wilhelm vorläufig ein Gnadengeschenk von 450 Mark bewilligt hätte. Dem alten Manne traten bei diesen Worten Thrünen der Rührung in die Augen; freudestrahlend nahm er die ' Summe in Empfang und eilte mit dem Ausruf: ,,Gvtt segne unsern braven Kaiser Wilhelm!" zu seiner bang harrenden Familie. * Ein echt russisches Geschichtchen ereignete sich in Berdit- schew. Als nämlich eines Morgens die Schnitlwaarenhändler da selbst in ihre Läden wollten, fanden sie dieselben amtlich versiegelt. Da das Gewissen aller dieser Herren bezüglich der Coulrebande nicht vollkommen rein war und sie hörten, daß zwei junge Männer in der Uniform des Zollamtes die Lüden während der Nacht versiegelt hat ten, schossen sie schnell 500 Rubel zusammen und suchten die beiden Beamten auf, um die Sache gütlich auszugleichen. Die Beamten wei gerten sich jedoch, die 500 Rubel anzunehmen und bestanden auf 1500 Rubeln, die ihnen auch bald gebracht wurden. Einige Tage später wurde die Sache in der Stadt ruchbar und kam auch zu Ohren der Behörden, die dann sofort Nachstellungen nach den beiden Be amten anstellten. Diese waren jedoch längst verduftet. Es stellte sich heraus, daß die Berditschewer Kaufleute das Opfer eines auf ihr bö« fes Gewissen berechneten Betruges geworden sind.