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Der schlechte Kerl im Dorfe. Original-Novelle von Oscar Gießler. Nachdruck verboten. das lederne Geldtäschchen, in welchem er die Beträge mit sich führte, mit denen er seine Obsteinkünfe zu begleichen hatte. Wilm's Gesicht zeigte sich geröthet vom Lause, aber seine Stimme klang fest und markig, wenn auch mit einem leisen Beigemisch von Indignation, als er anhob: „Was geht in meinem Obsthause vor? Was sucht mau darinnen und wer hat sich unterstanden, cs öffnen zu lassen?" Es trat eine kleine Pause ein, bis der Assessor an den schlichten Mann herangelangt war. „Das Oeffnen geschah auf meinen Befehl, guter Freund," erwiederte der Beamte mit Würde, „und nur dem . Gesetze ist es erlaubt gewesen, in Euer Eigenlhum einzudringen. Ich denke, der Befund rechtfertigt unser Vorgehen genügend." „Welcher Befund?" fragte Wilhelm kühlen Tones. „Wollen die Diener des Gesetzes mir gebackene Pflaumen oder gedörrte Aepfel abkaufen oder brach irgendwo der Feind in's Land und man braucht meine Vorrüthe für die Verprovianürung der Armee? Dann konnte man mir doch immerhin vorher ein Wort vergönnen". „Spart Eure Worte!" gebot Assessor Müller. „Wir haben gefunden, was wir suchten und seht nur zu, daß Ihr Euch nicht blos von dem Verdachte der Hehlerschaft reinigt, sondern nachweisen könnt, daß Ihr nicht selbst der Thater gewesen seid!" „Ich verstehe keine Silbe von alledem", versetzte Wilm kopf schüttelnd. „Wollen Sie die Güte haben, mir zu sagen, wen Sie unter Hehler und Thäter meinen?" Die kühle Ruhe des Mannes machte doch einigen Eindruck auf den Staatsanwalt. „Wie kommen diese Waaren in Euer Darrhaus und wo sind sie her?" Bär blickte bald die Kisten und Fässer, bald den Beamten an und überflog prüfenden Anges die Gegend, als wolle er sich überzeugen, wo er sich zur Zeil befinde und ob er sich auch in der Localität nicht irre. „Was weiß ich von alledem?" fragte er. „Nun ist die Reihe an mir, zu fragen, wie kommen diese Waaren hierher?" „Und das fragt Ihr noch? Wenn solche Keckheit nicht allzuoft in der Verbrecherwelt vorkäme, man könnte sich schwer darüber ärgern", replicirte der Assessor. „Man hat in diesem, von Euch erpachteten Obsthause die vor Euch liegenden Waaren aufgefunden, welche Euer Herr Schwiegersohn, der Heinz, der Eisenbahn veruntreut haben soll. Das ist die bündige Erklärung des Sachverhalts. Ihr begreift noch nicht?" „Nicht Alles", antwortete der Markedenter ruhig. „Man glaubt doch nicht, daß ich, ich, der Wilhelm Bär, die gestohlenen Waaren hier herein geschafft habe?" „Gewiß glaubt man das, alle Umstünde sprechen dafür!" „Ich weiß nichts von diesen Waaren, so wahr Gott mir helfe!" bcthenerte der Angeschuldigte. „Das kann und wird Jeder in Eurer Lage ebenso versichern", meinte der Staatsanwalt. „Erlaubt nur, daß ich darüber anderer Meinung bin und Eurem Schwure mißtraue. Ihr wollt uns doch nicht glauben machen, ein Anderer habe diese Waaren in das von Euch wohlverschlossen gehaltene Haus schaffen können?" Die Augen des Markedenters flogen wie suchend im Kreise herum, ' schienen aber nicht das finden, um was sie sich bemühten. Der Gemeindevorstand hatte sich auf einige Augenblicke entfernt. „Es kann für mich keine größere Gewißheit geben, als daß ein Feind, ein Spion die Verhältnisse benutzt hat, um mir diesen Schimpf anzuthun", erklärte Wilhelm Bär bestimmt. „Sieht denn die mensch liche Gerechtigkeit nicht, daß man mir eine plumpe Falle stellen wollte? AVer freilich, die Fran Justitia trügt eine Binde um die Augen und tappt also nur mühsam vorwärts", setzte er bitter hinzu. „Also Ihr wollt uns nicht mitthesten, wie diese Waaren in Euer Darrhaus in's Versteck geriethen?" „Was weiß ich von dem Zeuge?" entgegnete Wilm heftig, denn der Geduldsfaden drohte ihm zu reißen. „Wer wagt's, mich eines Diebstahls, mich der Hehlerei zu zeihen?" „Ich wage es, Wilhelm Bär, denn alle Umstände sprechen gegen Euch!" Wilhelm blickte verzweifelt zum Himmel auf, dann wandte er sich mit einem plötzlichen Entschlusse an die versammelte Menge. . „Ihr Männer von Tnttlitz", sprach er kräftig, „ist einer unter Euch, der mich dessen für fähig hält, wessen man mich beschuldigt? — Ich weiß es, Ihr könnt mich nicht leiden und unser Verhältniß ist in diesem Punkt gegenseitig, aber so gehüssig wcrVct Jhr doch nicht sein, mir das Zeugniß zu verweigeru, daß ich mich redlich genährt habe bis hierher und daß ich fremdes Eigenthum respeetirte und Keinen am Vermögen beschädigte". Die Männer im Kreise schwiegen still. Der Groll gegen den „schlechten Kerl" faß zu tief bei ihnen. Nnr der Schullehrer, ein alter redlicher Herr aus der guten alten Zeit, vermochte dem Drange nach Wahrheit und Recht nicht zu widerstehen. Er trat vor und sagte unerschrocken: „Was wahr ist, muß wahr bleiben, Herr Staats anwalt. Der Mann da gilt als ein verschlossener, unzugänglicher und jähzorniger Mensch, der öfter als räthlich den Trost für ein verfehltes Leben in der Flasche suchen soll, wer sich aber Mühe gegeben hat, ihn genauer kennen zu lernen, der weiß, daß er im Grnnde ein gutmüthiger unv gemüthstiefer Mensch ist, den ich platterdings nicht für fähig halte, ein Verbrecken solcher Art zu begehen. Der Schein mag gegen ihn fein, aber diesem Scheine fehlt noch viel zur Wahrheit!" Der Sprecher trat zurück; er hatte seinem Gewissen genug gethan und fühlte sich dadurch befriedigt. Ein dankbarer Blick und ein warmer Händedruck Wilm's belehrte ihn, daß der Markedenter-Bär die Wohl- that solcher Vcrtheidigung anerkannte. Von den Bauern wandte sich Bär verächtlich ab; sie nahmen eine sehr feindselige Haltung chm gege,Vb?r an und verdachten es ihrem Lehrer schwer, daß er sich des von oen mit Vorurtheilen vollgesogenen Dorfbewohnern bereits gerich teten Mannes erbarmt und der Wahrheit die Ehre gegeben hatte. Wie ost schon hat der Wahn die Wahrheit zu Tode gesteinigt! Der Staatsanwalt schwankte ersichtlich in seinem Entschluss trat mit dem Gemeindcvorstande, der sich wieder auf der Seen (Fortsetzung.) „Ich möchte unbedenklich Ja aus Ihre Frage sagen, wenn ich . gewiß wäre, daß Sie die Anlwort nur als eine privatim ausge sprochene betrachten wollten", sagte er endlich. „Das versichere ich Ihnen, Herr Gemeindevorstand", gab der Assessor zurück; „ich brauche Licht und was Sie andeuteu, könnte zulänglich sein, um den Weg zu erhellen, den das Verbrechen^zurück- legte. Die angebliche Feindschaft des "Vaters mit Tochter und Schwie gersohn genirt mich nicht. Sie kann simulirt sein, aber auch wenn sie bestände, thäte der Vater seiner Tochier wohl noch andere Gefällig keiten, um sein einziges Kind vor Schande zu bewahren. Ich bin entschlossen, mir das Innere dieses Häuschens einmal anzusehen". Der Gemeindevorstand verbeugte sich. „Ihr Wille ist Befehl, nur fürchte ich, werden wir nicht dazu gelangen können, denn zufällig erfuhr ich vorhin vom Gemeindediener, daß der Wilhelm Bär verreist ist. Er dürfte also auch den Schlüssel mit sich genommen haben". „Verreist also — doch nicht etwa gar geflüchtet?" Eine neue Gedankenreihe stieg in dem Manne des Gesetzes auf. „Alan sende in die Wohnung des bewußten Bär und citire denselben!" befahl er dem ihn begleitenden Gendarmen. „Sollten Sie ihn nicht finden, fo bringen Sie schleunig einen Schlosser mit Werkzeug, der uns die Thüre dieses Hauses öffnen mag. Nur schnell, auf meine Verantwortung!" „Einen Schlosser haben wir nicht im Orte", erlaubte sich der Gemetndediener Händlern dem Gewaltigen zu insinuiren und erhob die rvthlick schillernde Nase in die Luft. „Vielleicht kann's der Docf- schmied Marx besorgen, der reißt nöthigeufalls die Thüre mitsammt dem Haspen heraus, denn der Kerl besitzt eine Viehkraft und hat bei Gravelotte (er sprach „Grafelotle") sieben Zuavcn mit der Faust nieder geschlagen, Sie können's glauben, Herr Assessor, er erzählt's alle Abende". „Schon gut, man rufe den Siebentödter!" sagte der Beamte lächelnd, «nd die beiden Executiven der Gerechtigkeit trollten ihres Weges. Es währte auch nicht lange, so kamen sie mit dem Schmied Marx zurück, denn Bär war nicht aufzufinden gewesen. Der Staatsanwalt befahl dem Schmiede, die leichte Thüre des Darrhauses zu öffnen, was recht bald gefchehen war. Die Commission trat ohne Weiteres ein. Das Erste, was man in dem Raume entdeckte, waren eine gute Anzahl Korbe mit Obst, die rasch in das Freie geräumt wurden. Unter denselben kamen Kisten und Fässer zum Vorschein und wer beschreibt die Ausregung der Gerichtsveamlen, als sie erkannten, daß man cs, wie schon die Signaturen zeigten, mit gefüllten Waarenkisten und Eisenbahngütern zu thun hatte! Der Schmied mußte eine der Kisten aufschlagen: die erstaunten Augen der Herren erblickten Kafsee- säcke und Zuckerhüte, während in einem alsbald geöffneten großen Fasse sich künstliche Düngemittel, anscheinend Chilisalpeter oder der gleichen, befanden. „Da haben wir die Bescheerung!" rief es durcheinander. „Wer hätte das dem Bür zngctraut! Es ist doch ein mords- fchlcchtcr Kerl!" sprach der Gemeindevorstand laut. Der Staatsanwalt war ernstlich betroffen. Eine solche Ueber- rafchung hatte er kaum erwartet. „Ah, meine liebe Frau Heinz", sagte er im Eifer, „Sie sind allo nichts weiter, als eine geschickte Comödiantin! Natürlich, wer wäre auf den Einfall gekommen, in diesem abgelegenen Hause nach solchen Dingen zu suchen. Sie konnte keck behaupten, nichts verborgen zu Haven, — nun nehmen wir das ganze Nest aus. Das ist kostbar!" Der Staatsanwalt gab sich ungeschcut seiner Freude über den guten Fang hin und belobte den Gemeindevorstand, der einen bedeu tenden Polizeisinn verrathen habe. Man konnte keine bescheidenere Miene sehen, als die des Herrn Lichtberg war, mit welcher er die Lobeserhebungen des Criminalbeamten einheimste. Der Vorfall konnte nicht geheim gehalten werden und es lag dies auch gar nicht in der Absicht des Dorftyrannen. Bald versammelte sich ein .guter Theil der Dorfbewohner um das Häuschen und Alle gestikulirten auf das Lebhafteste, schlugen die Hände über dem Kopfe zusammen und schrien Zeter über den schlechten Kerl, den Markedenter- Bär, der so viele Schande über das ehrsame Dorf bringe. „Er sollte gehengt werden!" meinte Michalski, der wendiscke Großbauer. „Morgen gehe ich sammeln für den Strick," witzelte der „geist reiche" Gutsbesitzer Haubold. „Was man nicht alles erlebt! — Nun ist's auf einmal heraus, woher die Bande das viele Geld genommen hat! — Das geschieht der feinen Stadtmadame schon ganz recht! — Nun werden wir die ganze vcrlodderte Markedenter-Gesellschaft los! — Pfm, so viel auf einmal zusammen zu stehlen!" Solcher und ähnlicher Art waren die Ausdrücke der Volksjustiz, welche in der erregten Menge hin- und herflogen und selbst der ein fältigste Pinsel hielt nunmehr nüt seiner „unmaßgeblichsten Meinung" nicht länger zurück. Die Hexen hatten ihren guten Tag, denn die alten Weiber des Ortes thaten sich eine besondere Güte im Schimpfen und Verlästern, wie denn bekanntlich die Hölle nicht Pech genug auftrciven kann, um die boshaften Lästerzungen der Menschen darinnen zu braten. Eben wollte die Gerichtskommission an die vorläufige Versiegelung der Darrhorde gehen, da verstummten die Leute ringsherum und nur ein leises Gezischel und gegenseitiges Ellenbogen-Anstoßen machte sich noch unter ihnen bemerkbar. „Der Markedenter-Bär!" hieß es im Kreise und richtig — er war es! Sich rechts und links energisch Platz machend, trat er schnell in den Kreis. Es war ersichtlich, er kam eben von der Reise zurück, denn seine Hand schwang noch den Knotenstock und über seinem Rock hing