Volltext Seite (XML)
so findet man sie selten leer, sogar in den Morgen- und Vormittags stunden; entschiede sich also hiernach die „Bedürfnißfrage", so mußte sie fort und fort bejaht werden. Mit den Schankstätten verhält es sich übergenau wie mit den Spielhöhlen: je mehr Gelegenheit geboten ist, dem Glückspiel und der Böllerei zu fröhnen, um so mehr wird gespielt, gezecht, „gelumpt". Wo Zucker ausgestreut ist, sammeln sich Fliegen. Sind die Zeiten gut, so heißt's: „wir haben's ja und können draufgehen lassen", sind die Zeilen schlecht, so „müssen die Sorgen vertrunken werden". Jst's kalt, so soll „von innen erwärmt werden" (bekanntermaßen erwärmen Spiritnosen nur die äußere Haut und bringen so zwar das Gesühl der Wärme, entziehen aber davon desto mehr dem Körper), ist's heiß, so „muß doch der Durst gelöscht und die äußere Hitze durch innere ausgetrieben werden". Immer häufiger kommt es vor, daß bäuerlicher und städtischer Grundbesitz veräußert werden muß, weil der Besitzer sich tief in Schulden gesoffen Hal! — Mit Seufzen und Kapuzinern ist aber nichts gebessert. Warten wir auch nicht, bis die Erhöhung der Branntweinsteuer endlich durchgesetzt ist. Sehen wir uns lieber um nach Mitteln, die das Uebel wenigstens etwas mindern und ohne Aufschub ausgeführt werden können. Ein solches Mittel besteht in der Verabreichung von Kaffee oder Thee an die Handarbeiter anstatt des bisher üblichen Schnaps! Auch in der deul- fchen Armee sieht man neuerdings von der Gewährung geistiger Ge tränke an die Soldaten ab. AdelstoLz und Bürgerthnm. Culturgeschichtliche Erzählung von E. Heinrichs. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Mit diesen Worten sprang Philipp auf und folgte dem jungen -Kaufmann in des Vaters Zimmer, während die Zurückbleidenden eine .seltsame Beklommenheit fühlten, was Hedwig und Charlotte bewog, den Heimweg anzutrcten. Auch dunkelte cs bereits, und so konnten sie ohne Furcht des Doctors Begleitung annehmen, zumal dieser von Philipps Größe war und sich fast genau so kleidete. Auch war im vorigen Jahrhundert die Straßenbeleuchtung derartig, daß man in ihrem Schutze und Schatten so leicht nicht erkannt wurde. Ludwig's Gattin umarmte Hedwig zärtlich und flüsterte: „Darf mein Name noch immer nicht im Vaterhause genannt werden?" „Habe Geduld und hoffe!" entgegnete Hedwig ebenso leise, „die Sonne wird auch für uns Beide wieder leuchten, Dir Versöhnung, mir Frieden bringen!" „Das walte Gott!" flüsterte Hermine bewegt undfeierlich, — und mit einem unerklärlich bangen Gefühl verließ der Doctor mit den beiden Damen das Haus, von einer Magd mit einer großen Laterne voran- geleuchtct, — wie wir das in unserer Zeit, wo die Gasflammen die dunklen Straßen in'.Tageshelle verwandeln, als eine Nemimjcens des »origen Jahrhunderts zu unserm Erstaunen noch fast allabendlich, be- .sonders zur Winterzeit, sehen können. Drittes Capitel. In seinem Gemach ging Herr Josias Burchard mit großen Schritten mnd in tiefer Bewegung auf und nieder. Er hielt noch immer den offenen Brief in der Hand und schaute ost seufzend und kopfschüttelnd hinein. Da trat Ludwig mit dem Assessor ins Zimmer, und als könne ein Unberufener horchen , schritt der alte Kaufmann rasch ans entge gengesetzte Ende und winkte den beiden jungen Männern, ihm zu folgen. Erwartungsvoll blickte Philipp ihn an, uno schweigend reichte Herr Josias ihm den Brief. Der Assessor war nicht leicht aus der Fassung zu bringen; dennoch wechselte er beim Lesen die Farbe und seine Hand, welche das ver- hüngnißvolle Schreiben hielt, zitterte merklich. Sein scharfes Auge wurzelte lange an den Schriftzügen und hastete besonders an der Unterschrift. „Pompejus!" las er gedankenvoll. „Kermen Sie den Träger die ses Namens, Herr Josias?" „Ich höre diesen Namen zum ersten Male; der Brief ist von einem Anonymus." „Grund genug, ihm zu mißtrauen, Papa!" bemerkte Philipp, der sich vollständlich wieder gefaßt hatte. „Das sagte ich dem Vater sogleich," setzte Ludwig hinzu. „Und doch muß ich glauben," rief Herr Josias trübe lächelnd. „Gott gebe, Ihr hättet Recht, meine Kinder! Doch erklärt mir dann vor allen Dingen, welchem Menschen in der ganzen Christenheit könntet Ihr so teuflische Bosheit zutrauen, mir den Untergang meines Hauses zu verkünden? Dieser Schreiber hat zu genaue Kenntnisse von allen meinen Verhältnissen, die nur Ludwig und ich allein wissen dürften. Und dann enthält der Brief nur eine Warnung, wie sie mir ein Freund nicht besser hätte geben können." „Und trotz alledem, Herr Josias, behaupte ich, daß der Schreiber dieses ein Lügner ist, sonst hätte er sich genannt. Außerdem ist die Handschrift verstellt, —was znm Henker! — doch nein, es ist unmög lich, — und doch — hm! — Papa Burchard, hier meine Hand, ich ruhe nicht, bis ich den nichtswürdigen Anonymus entdeckt und zur Rechenschaft gezogen; im Uebrigen verlassen Sie sich auf mein Wort, rs sind boshafte Jntriguen von einer gewissen Partei, der die Mes alliance noch schwer im Magen liegt." „O, ich wollte, meine Familie wäre nie mit dem Adel in Be rührung gekommen," murmelte der alte Kaufmann schmerzlich, „nur Zwietracht und Kummer erwächst aus solcher Verbindung." Ludwig senkte erbleichend das Ange, während Philipp unwillig ausrief: „So, das fehlte noch, zu allen Cabalen von anßen müssen unzeilige Vorwürfe das mühsam errichtete Gebäude des Friedens wie ein Kartenhaus wieder umblasen. He, alter Herr! kann solch' lum piger Brief die arme Hermine, welche den Segen der sterbenden Mutier zu ihrer Verbindung besaß, nun den braven Sohn schlecht und vom väterlichen Herzen abwendig machen?" Herr Josias versuchte zu lächeln und streckte dem Sohne bittend die Hand entgegen. „Und was ist's denn eigentlich mit diesem Wisch?" fuhr Philipp mit vollkommener Sicherheit fort, „wollen ihn noch einmal recht kalt und mit nüchternem Blick studiren." Er setzte sich ohne Umstände in den großen Sorgenstuhl des Kaufmanns und las: „Herrn Josias Burchard diene zur Nachricht, daß der Sturz des Hauses Hildebrandt in Hamburg nahe bevorsteht. Ich weiß, daß Sie fast Ihr ganzes Vermögen diesem Hause anvertraut und den Speculationen des Chefs unbedingtes Vertrauen schenken. ! Herr Hildebrandt geht im März auf seinem S.bisse nach Amerika und ! nimmt Ihr Vermögen mit. Fordern Sie es zurück, noch ist cs Zeit, sonst sind Sie ein Bettler. Ferner wird es sicherlich von Interesse für Sie sein, zu hören, daß sich Junker Albendyl in Hannover be findet mid Rittmeister Königstreu im April den König dorthin begleiten wird. Fesseln Sie den Assessor bei Zeiten an Ihre Tochter; später ! wird der Bettlerin solch'glänzende Aussicht nicht wieder geboten werden. Beherzigen Sie meine Warnung, sie kommt von einem aufrichtigen , Freunde, der sich bis zur gelegenen Zeit nennt Pompejus." „Nun?" fragte Herr Josias bleich, „mich dünkt, es ist kein Grund, an der Wahrheit zu zweifeln. Ist es doch richtig, daß ich ein Bettler bm, wenn Hildebrandt, mein Jngendgespiele und Freund, znm Schurken geworden. Und nur Ludwig weiß cs, daß ich ihm fast meine ganze Habe zu einer großen Spcculation gegeben. Wober also weiß Pom- pejus dies mein wichtigstes GeschästSgeheimnch Woher weiß er ferner, daß Albendyl der Feind meines Hauses ist, daß die Ankunft des Ritt meisters Königstren mich intercssirt?" „Ein öffentliches Geheinunß, das die ganze Stadt weiß," entgeg nete Philipp achselzuckend; „hier aber im Schluß, da steckt der Pferde fuß. Was soll die boshafte Anspielung auf den Assessor, mit dem doch ich gemeint bin? Man sieht meinen Besuch in dem bürgerlichen Hause mit scheelen Augen an, und greift da zu dem teuflischen Mittel, mich vor den muthmaßlichen Bettlerin zu entfernen und den Ehren mann Bnrchard so empfindlich zu verwunden, daß er dem Assessor nolaus voloim die Thür zeigt. O, vortreffliche Jntrigue, aus der ich nur die einzige freudige Nachricht, daß Königstrcu, der wackere Junge, nach Hannover kommt, als Wahrheit herausnehme." Der Kaufmann blickte Philipp fast erschrocken an, als zweifle er an seinem Verstände. „Königstreu hat Hedwig ins Unglück gestürzt," begann er zögernd, „und Sie, lieber Assessor, wollen der Armen den Frieden wiedergeben, das ist edel, — wie können Sie aber den Verrälher, der Ihre Braut säst getödtet, mit Jreuoen erwarten?" Philipp lächelte still vor sich hin, dann erhob er sich rasch auS dem SorgenstnhI nnd drückte den Kaufmann mit einer gewandten Be wegung hinein, während er für sich und Ludwig Sessel heranzog. Es lag in dem ganzen Thun und Treiben des jungen Mannes eine Sicherheit und Bestimmtheit, die unwillkürlich Vertrauen erwecken mußte. „Was ich jetzt erzählen werde," begann er leise, „darf nur in diesem kleinen Kreise als strenges Geheimniß bleiben, und ich öffne das Siegel auch nur, um die volle Zuversicht für meine Behauptung hinsichtlich des Briefes zu erlangen und den Frieden Ihnen zurückzn- geben. Wissen Sie genau alle Einzelheiten jener tragischen Geschichte von Königstreu und Hedwig v. Wüllen?" „Nun, Hermine hat uns so ziemlich Alles darüber mitgetheilt," entgegnete Ludwig. „Und doch, glaube ich, wissen Sie nur die Geschichte, daß Königs tren Hedwig verrathen und einer andern Liebe geopfert haben soll, worüber das arme Kind in gefährliche Schwermuth, die fast in Wahn sinn ausgeartet, gefallen sei." „Freilich, das ist so ziemlich Alles, was wir darüber erfahren haben." „Der boshafte Junker v. Albendyl," fuhr Philipp ruhig fort, „wollte damals dem ehrenwerthen Josias Burchard eine empfindliche Schlappe beibriugen; — die Geschichte von der Mesalliance des hoch adeligen Fräuleins war wie eine Bombe in die gute Gesellschaft ge fallen, und nun kam das Unglück mit dem neugeadelten Türken dazu, der sich erfrechte, neuen Schimpf auf den Namen des Landsyndicus zu häufen. Da gedachte der glatte Hofjunker zwei Zwecke mit einem boshaften Streiche zu erreichen. Er brachte den armen Türken mit der tugendhaften Mathilde Burchard in sträfliche Verbindung und die guten Leutchen glaubten das Böse, Entehrende gar zu gern, wenigstens so lange, bis der Heißsporn des Hanfes Burchard, der junge Aescu- lap, dem hochgeborenen Junker eine hübsche Schmarre der regelrech testen Art ins Gesicht gezeichnet; da schwiegen die bösen Zungen, und das Beste bei dieser albernen Geschichte war Herr Josias selbst, der seinen Gleichmuth keinen Augenblick verlor, die Verläumdung verachtete und seinem unschuldigen Kinde die Kenntniß derselben gänzlich zu verheimlichen wußte." Der Kaufmann nickte und murmelte fast unhörbar: „Doch den boshaften Verlüumder hasse ich als den Todfeind meines Hauses." (Fortsetzung folgt.) « Vermischtes. * Erdbeben in Tirol. Die „N. T. St." schreiben vom l5. d.: „Eine aufregende Scene ereignete sich gestern während des sonntäg lichen Gottesdienstes in Rum. Eben hielt daselbst ein Kooperator von Thaur die Predigt, als man auf einmal ein unheimliches Dröhnen hörte — es war ein Erdbeben. Es erschütterte die Mauern derart, daß einige Stückchen vom Bewurf herabfielen. Die Leute in der Kirche wurden dadurch in nicht geringen Schrecken versetzt, der seinen Höhe punkt erreichte, als einige Männer mit großem Gepolter die Empor kirchenstiege herunterkamen. Es ergriff alle Anwesenden eine derartige Panik, daß allgemeines Rufen und Heulen entstand, man drängte zu beiden Kirchlhüren hinaus, es war ein allgemeiner Aufruhr. Der Prediger auf der Kanzel bot Alles auf, um die Lage zu beschwichtigen, und so gelang es endlich doch nach und nach, den größern Theil des Volkes wieder in die Kirche hereinznbringen; hierauf wurde der Gottes dienst fortgesetzt. In Hall Thaur rc. will man ebenfalls einige Erd stöße verspürt haben. * Bei Halifax in Amerika hat am 12. November eine Explosion schlagender Wetter stattgefunden, und eine große Anzahl Bergleute sind in einem brennenden Steinkohlenschacht eingeschlossen. Bisher haben erst acht Personen, zwar noch lebend, aber in hoffnungslosem Zustande an die Oberfläche gebracht werden können. Das Unglück scheint seinem Umfange nach dem von Seaham gleichzukommen, wo ja auch (in den Kohlengruben des Marquis von Londonderry) vor wenigen Monaten an 200 Menschen auf die elendeste Weise um's Leben gekommen sind. Das Unglück wurde wahrscheinlich dadurch verursacht, daß ein Arbeiter trotz des Verbotes in einem verlassenen Theil des Bergwerks einen Schuß abseuerte. Am Eingänge zur Grube befindet sich Alles in größler Verwirrung; ein Gerücht giebt die Zahl der von eingestürzten Kohlenmassen eingesperrten Arbeiter auf 40 an; einem anderen zufolge werden 70 vermißt. Die Rettungsmannschaften können wegen der aufgehäuften Kohlenmassen nicht weit vordringen und Leichen sind am Tage des Unglücks noch nicht ausgefunden worden.