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„Sie sind schuld daran, Sie allein mit Ihrer ewigen Krankheits-Litanei, das mnß den Gesundesten aus dem Gleichgewicht bringen." „Sie haben augenblicklich Kopfschmerz, Herr Professor," sagte der Doctor mit großer Bestimmtheit, welche Jenen imponirte. „Ich leugne es keineswegs, mein Freund, es kommt vom langen Schlafen, Doctor; ich will Ihnen nur gestehen, daß ich mich gestern über Sie ein wenig geärgert und darauf ein Glas Ungarwein getrunken habe. Das ist Alles, ich sündigte gegen meine Natur." „Glauben Sie, daß ich es wirklich aufrichtig gut mit Ihnen meine, Professor?" „Ich habe bis jetzt keine Ursache, daran zu zweifeln, Doctor, aus genommen Ihre Krankheits-Manie." „Nun wohl, diese bestimmt mich zu dem Rath: Reisen Sie noch heute oder morgen in's Bad. „Doctor, sind Sie wahnsinnig geworden? Ebenso gut könnten Sie mir rathen, einen Ball zu besuchen und die ganze Nacht hindurch .zu tanzen." „Reisen Sie in's Bad, mein Lieber, oder irgend eine gefährliche Krankheit bedroht Ihr Leben. Es ist mein Ernst. Sie müssen nach Pyrmont, nm Stahlbrunneu zu trinken. Ich habe einen vortrefflichen Reisegefährten für Sie. Mein Vetter, der Astronom Petermann, ein Verwandter des berühmten Geographen, geht ebenfalls nach Pyrmont, ich bringe ihn her, er muß Ihnen gefallen. Professor, ein Wort im Vertrauen; er ist ein wenig barock in seinen Ansichten, studirt augen blicklich die Sonnenflecke, welche er für Höcker erklärt. Eine komische Idee, sich die Sonne buckelig vorzustellen, wirklich originell, haha!" Der Doctor verließ laut lachend das Haus, ohne auf des Pro fessors Einreden und Grimassen zu achten. „Das wird zu arg", polterte der Professor, „bin nicht Herr mehr im eigenen Hause. Nach Pyrmont, in's Bad! Ja, das fehlte mir in der That noch, würde da eine schöne Figur spielen. Witt doch die Thür schließen und heute für Niemand zu Hanse sein." Bevor der gute Professor jedoch diesen Vorsatz mit seiner gewöhn lichen Weitschweifigkeit in's Werk setzen konnte, stand Doctor Feldmann schon wieder auf der Schwelle, von dem löblichen Grundsatz ausgehend, das Eisen zu schmieden, so lange es warm sei. „Sie erlauben, Herr Professor!" rief der schlaue Doctor. „Komm herein, Vetter, und laß Dich vorstellen. Der berühmteste Sprachforscher unserer Zeit, Herr Professor Doctor Hannibal Roßner, und hier, Herr Doctor Petermann, ein im Gebiete der Astronomie nicht unbekannter Name." Die beiden Herren verbeugten sich und murmelten gegenseitig irgend etwas von der großen Ehre, eine solche Bekanntschaft zu machen, wie es ja Brauch ist bei solcher Gelegenheit. „O, meine Herren, Sie werden sich schon gefallen", rief der Doctor. „Mich bitte ich jetzt zu entschuldigen, meine Patienten warten mit Schmerzen." Und fort war der Boshafte, den unglücklichen Professor in einer gelinden Verzweiflung zurücklassend. „Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Doctor", begann er endlich, sich gewaltsam zusammennehmend. „Sie sind Astronom? Eine erhabene Wissenschaft, die großartigste so zu sagen." „Sie sind sehr gütig, mein verehrter Herr Professor", versetzte der Astronom, sich verbeugend. „Erlauben Sie mir, einem so berühm ten Gelehrten, der die Sprache der Menschen zu seinem Studium er hoben und seinen Geist ihr leiht, dem babylonischen Wirrwarr ein Ende zu machen und eine einzige Weltsprache zu schaffen, meine tiefste Verehrung darzubringen." Jetzt mußte sich der Professor verbeugen, und er that es sehr ge schmeichelt. Der Astronom hatte durch dieses Compliment außeror dentlich bei ihm gewonnen, da jene Lieblings-Idee, eine Universalsprache zu erfinden, die Hauptaufgabe seines Lebns geworden war; brauchte sich der gute Hannibal doch nicht um den Erwerb zu kümmern, sein großes Vermögen hätte ihm das glänzendste Leben gesichert, jetzt sparte er unbewußt für lachende Erben, die sich schon auf den Tod des ver rückten Professors freuten. Die Unterhaltung war bald im Gange, zwei Gelehrte sind niemals um einen Stoff verlegen. Es drehte sich zuerst um die Weltsprache des Professors, der natürlich damit in sein rechtes Fahrwasser kam. „Wenn man bedenkt", sagte er eifrig, „wie viele Sprachen unsere civilisirte Welt aufzuweisen hat, wie schwer es hält, mit seiner Mutter- °sprache allein fortzukommen, wie vieler Menschenglück an dieser Klippe scheitert, da nicht ein Jeder fähig ist, fremde Sprachen zu erlernen, so wundert es mich, daß nicht schon längst ein Gelehrter darauf ge kommen ist, für aller Menschen Zunge eine Hauptsprache zu erfinden, deren Verbreitung durch Zwangs-Erlernung natürlich Sache der Re gierung sein müßte, indem sie ein Zweig der Schulwissenschaft würde. — In jeder Schule, selbst des abgelegensten Dörfleins, müßte sie Prak tisch erlernt werden, und die große, weite Welt stände fortan einem Jeden offen." Der Astronom war nachdenklich geworden. Was er oft verspottet, erschien ihm, von dieser Seite aus betrachtet, großartig genug, um das Studium eines ganzen Menschenlebens auszusüllen. Die Idee war sogar schön und humoristisch, — aber wo lag die Möglichkeit, sie auszuführen? „Eine erhabene Idee", versetzte er nach einer Pause. „Haben Sie die Möglichkeit des Gelingens für sich, Herr Professor?" „Wenn ich noch zwanzig Fahre lebe, ist meine Aufgabe gelungen", verschte Hannibal Roßner mit bescheidenem Selbstgefühl. „Dann ist Ihr Leben kostbar, Herr Professor" rief Doctor Peter mann, „und Sie haben die doppelte Verpflichtung, es zu erhalten, um der Menschheit nicht ein Gut zu rauben, das wichtiger ist, als alle Erfindungen zusammengenommen. Ich hörte von meinem Vetter, Ihre Gesundheit sei angegriffen, natürlich vom angestrengten Studircn, und es freut mich ganz außerordentlich, Ihrer anregenden Gesellschaft auch in Pyrmont mich erfreuen zu können." Der Professor machte eine abwehrende verlegene Bewegung. „Es ist Ihnen doch von Ihrem Arzt verordnet, Herr Professor?" fuhr der Astromou rasch fort. „Freilich, freilich", versetzte Jener, sich verlegen räuspernd. „Der Doctor ist förmsich darauf versessen, mich krank zu machen, — und ich darf versichern, etwas augenblickliches Kopfweh abgerechnet, mich nie Wohler befunden zu haben." „Sie sehen aber in der That recht angegriffen aus, Herr Professor!" rief der Astronom eifrig. „Es fiel mir sogleich beim Eintreten auf, und möchte ich doch dringend rathen, die Sache nicht auf die leichte Achsel zu nehmen. Es ging mir accurat so, ich fühlte mich nicht ei gentlich krank und litt doch täglich, ohne es selber zu wissen. Ich konnte mich eben so wenig von meinem Sternenhimmel trennen, wie Sie sich von Ihren Sprachstudien, bis das Uebel sich mir gewaltsam aufdrängte und mir eine derbe Lection, die ich durch eine Badereise leicht hätte vermeiden können, gab. Innerliche Unruhe, Schlaflosigkeit, schwere Träume, Kopfschmerz, das sind die sicheren Vorboten eines bösen Uebels. Fühlen Sie dergleichen, verehrter Herr Professor?" „Ich will nicht leugnen, daß die letzte Nacht mir wirklich diese Anzeichen gebracht hat", versetzte der Professor betreten. „Aber es ist unmöglich, rein unmöglich, sage ich Ihnen, lieber Herr Doctor! Ich passe durchaus nicht mehr für die große Welt, lebe seit zehn Jahren in gänzlicher Abgeschiedenheit nur der Wissenschaft." „So hassen Sie vielleicht die Menschen?" „Das just nicht, — doch liebe ich sie im Allgemeinen auch eben nicht besonders. Sind Sie verheirathct, Herr Doctor?" „Nein, — obgleich ich schon nahe genug daran gewesen bin, meine Freiheit zu verlieren. Ich glaubte einen Fixstern gefunden zu haben — es war ein Wandelstern. Da verschwor ich das Heirathen und blieb den ewigen Sternen getreu." „Eine ähnliche Geschichte wie die meinige", dachte der Professor, sprach es aber nicht aus. „Mir waren die Frauen stets ungefährlich", versetzte er mit einer gewissen Geringschätzung. „Die Ehe ist eine Fessel, und ich hasse Alles, was Ketten heißt. Doch überlassen wir dieses Thema Anderen, lieber Herr Doctor! Wir kennen Wichtigeres zur Unterhaltung und anregenden Belehrung. Ich glaube wirklich, daß wir sehr gut für einander Passen, das Alleinsein ist nicht immer gut, es macht vielfach einseitig, — darum mache ich Ihnen einen freund schaftlichen Vorschlag, Herr Doctor, bleiben Sie bei mir, reisen Sie nicht nach Pyrmont!" „Das geht nicht, Herr Professor! Ich muß und will für meine Gesundheit sorgen. Auch ich habe mir eine Lebensaufgabe gestellt, die in zehn Jahren gelöst sein wird. Soll ich die Frucht jahrelanger Studien und schlafloser Nächte Anderen überlassen? — Nein, nein, ich will mein Werk vollenden!" „Dürfte ich, ohne indiscret zu fein, diefc Lebensaufgabe erfahren?" „Ich studire die Sonnenflecken, — man hat sie bislang für ein fache Flecken gehalten, sie sind es nicht, sondern richtige Auswüchse, welche nach und nach der Sonne die Wärme und folgerecht das Licht entziehen müssen." „So wird die Sonne sich verdichten —" „Richtig, sie wird sich verdichten und unsere ganze Erde allmälig in die Eisregion übergehen; die Witterungsabnormitäten hängen genau mit diesen Sonnen-Höckern zusammen." Ter Professor wiegte etwas ungläubig den Kopf und sann eine Zeitlang nach. Der Spott des Doctors Feldmann von der buckligen Sonne tönte unaufhörlich an sein Ohr und machte ihn unempfänglich für die wissenschaftliche Seite dieser Behauptung. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist häufig nur ein kleiner Schritt! Dieser Gedanke beunruhigte ihn augenblicklich bedeutend, und er begann irre zu werden an seinem neuen Freunde. Ob der Astronom seine Gedanken errieth? Es war möglich, denn er fuhr mit einem feinen Lächeln langsam fort: „Diese Behauptung scheint Sie einigermaßen zu srappiren, Herr Professor! Natürlich mit dem Neuen, das den alten Gedankengang der Wissenschaft kühn zu durchbrechen wagt, ist es allemal eine miß liche Sache. Mir geht's damit, wie Ihnen mit der Universalsprache, auch sie wird von der ganzen gelehrten Welt verketzert, verspottet, ver höhnt werden, bis ein späteres Geschlecht die Sache klarer erkennt und den Erfinder durch ein Denkmal ehrt." „Ja, ja, Sie mögen Recht haben", versetzte der Professor nach sinnend. „Es geht dem wirklich Guten, Neuen fast immer so, beson ders in Deutschland, wir kaufen unsere eigenen Erfindungen mit schwerem Gelde von anderen Nationen; wir sind zu gründlich, zu gelehrt, meinen Sie nicht auch, lieber Doctor?" „Damit bin ich vollständig einverstanden, verehrter Herr Professor", lächelte der Astronom, „und wenn zwei deutsche Gelehrte solches selber behaupten, da muß es wohl seine Richtigkeit haben. Und doch hat die Gründlichkeit just ihr besonderes Gutes, würde die Welt sonst et was wirklich Großes jemals erhalten?" „Sehen Sie, Herr Professor", fuhr der Astronom fort, „je mehr ich über ihre Universalsprache nachdcnke, — doch still, da höre ich Jemand kommen, am Ende ist es mein lustiger Vetter; der Mensch ist in der Tyat zu beneiden, einen solchen Humor bei all' den Leiden, wirklichen und eingebildeten, die er täglich vor Augen hat —" „Nun", rief Doctor Feldmann eintretend, „gefallen wir uns?" „Gewiß, lieber Doctor!" rief der Professor.' „Aber deswegen kann ich doch nicht in's Bad reisen." „Warum nicht? Kann man mehr thun, als für passende Gesell schaft sorgen?" „Freilich nicht; abersehen Sie mich an, was soll ich zwischen all' den geputzten Affen? Die Bäder habe ich mein ganzes Lehen gehaßt, ja, förmlich verabscheut; sie sind Coquettirbudcn für heirathslustige Mädchen, ja meinetwegen Heirathsbureau's. War deshalb auch nie mals in einem Badeort." „Sie sind ein Verläumder, Herr Professor!" rief der Doctor ernst haft. „Es ist leichtsinnig, über Dinge abzuurtheilen, die man nicht aus eigener Anschauung kennt. Sie sollen in keine Coquettirbude, auch nicht in ein Heirathsbureau, aber gesund sollen Sie werden, das fordere ich als Arzt, oder muß von heute an meine Besuche einstellen." „Ich muß ebenfalls aus wirklichem Interesse für Ihre Gesundheit darum bitten", sprach der Astronom. „Im Namen der Menschheit, Herr Professor, denken Sie an Ihre Werke, denen zwanzig Jahre Arbeit noch fehlen. Sollen Ihre Gedanken als Makulatur unter den Hammer kommen?" Das wirkte. Mit einem tiefen Seufzer ergab sich der gute Han nibal Roßner in sein Geschick und entschloß sich zu dem Unerhörtesten- in's Bad zu reisen. Frau Grünewald gerieth in ein nicht geringes Entsetzen bei der Kundgebung dieses Vorhabens und fragte schnell ihr Karten-Orakel, ob wohl gar am Ende noch eine Heirath im Hause liege und sie hinaus müßte. Sie athmcte hoch auf. Die Heirath lag bei ihrer Person, Geld und Glück. Da konnte doch wohl ihr Lieblingstraum, Herrin des Hauses zu werden, in Erfüllung gehen; der Unterschied der Jahre machte am Ende, wie sie meinte, nicht viel; zählte sie auch schon ein halbes Jahrhundert, so sah sie doch noch immer stattlich aus, gut genug für einen Mann, der im Grunde gar nichts auf's Aeußere hielt