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X Tagesgeschichte. Wohl ist es außer Zweifel, daß in ziemlich bedeutenden Länder strecken Deutschlands in Folge der anhaltenden Regengüsse eine Miß ernte zu verzeichnen sein wird und daß eine große Anzahl von länd lichen Grundeigenthümern erhebliche Verluste zu tragen haben wird. Wenn aber hier und da bereits infolge dieser ungünstigen Verhältnisse das Eintreten eines Nothstandes und der Theuerung in bestimmte Aus sicht gestellt wird, so kann den zu weit gehenden Befürchtungen zum Glück mit Erfolg entgegengetreten und ein Wort der Beruhigung ge sagt werden. Äm 16. d. hat in Wien der internationale Saatmarkt stattgefunden. In dem dort vorgetragenen Bericht über die Ernte in Oesterreich-Ungarn wird, wenn die Zahl 100 für eine Mittelernte an genommen wird, das Ergebniß bei Weizen auf 98, bei Roggen auf 97, bei Gerste auf 109, bei Hafer auf 107 Prozent angeschlagen, und die Exportfähigkeit bei Weizen auf 5, bei Gerste auf 6, bei Hafer auf 4 Millionen Zollceutner geschätzt. Für Roggen ist bei normalen Konsumverhältnissen eine Exportfähigkeit nicht vorhanden. Nach dem von dem Vicepräsidenten Sting über die Ernte in anderen europäischen Ländern erstatteten Bericht hat Weizen meist eine mittelgute und gute Ernte, Roggen eine schwache Mittelernte oder schlechte Ernte, Gerste und Hafer aber haben gute, theilweise sehr gute Ernten ergeben. Nach einem Telegramme des österreichischen Generalkonsuls in New-Mork vom 14. cr. ist der Ausfall der Ernte in Nordamerika quantitativ ebenso groß, wie im vorigen Jahre, nach einem Berichte der New- Iorker Produktenbörse vom Ende v. M. stellt sich dieselbe aber quali tativ geringer als im Vorjahre. Nun, man sollte meinen, daß hier nach bei der Vollkommenheit und dem Umfange der heutigen Verkehrs mittel ein Mangel und eine abnorme Preissteigerung kaum irgendwo eintreten könne. Auf dem Saatmarkte hat sich zwar Anfangs die schon im Gange befindliche Anspannung der Preise fortgesetzt, allein schon wenige Tage gute Witterung haben ihr Halt geboten, und man er wartet ein langsames Nachgeben. Also, den Muth nicht verloren. Getreide. Aus einem uns zur Einsicht überlassenen Privat briefe aus Hamburg entnehmen wir die Mittheilung, daß gegenwärtig in Hamburg kolossale Mengen amerikanischen Getreides lagern, resp. daselbst erwartet werden. Zum Transport nach dem Binnenlande sind fast sämmtliche disponiblen Flußfahrzeuge engagirt, so daß es schwer hält, für andere Waaren Trausportgelegenheit zu Wasser nach Magde burg, Berlin u. s. w. zu finden. Aus dieser Mittheilung geht aber auch hervor, daß die Befürchtungen, die man an allzu hohen Aufschlag im Getrcidepreis hält, unbegründet sind. (Dr. Börsenbl.) Der „alte Schäfer Thomas" hat soeben seine Propheten stimme erschallen lassen und uns über die Dinge, die unserer i» den Jahren 1881 und 1882 warten, aufgeklärt. Fast allen Ländern droht Mord und Todtschlag durch Aufruhr im Innern und Angriffe von Außen; nur Deutschland kann abrüsten (die Socialdemokcaten schmun zeln vergnügt), lediglich zu Gunsten Oesterreich-Ungarns braucht es einmal mit dem Säbel zu rasseln, doch kommt es zu keinem Blutver gießen, da alle Feinde Oesterreichs erschreckt die Schwerter in die Scheide stecken werden. Sonst heißt es im Bezug auf unser Vaterland: „Es wird seine innern Angelegenheiten ordnen und die Parteien werden sich einander mehr nähern, als dies bis jetzt der Fall gewesen. Gott selbst wird die friedlichen Bestrebungen der weisen Regierung Deutsch lands lohnen, daß er das theure Vaterland drei Jahre hindurch mit allen Gaben der Natur überhäufen wird. Die ausgiebigen Ernten, die reichen Weinlesen werden zur Thätigkcit aufmuntcrn, und ebenso wie der Feldbau werden Industrie und Handel erblühen. Amen!" — Amen! rufen auch wir aus vollem Herzen, gebe Gott, daß die Zukunftsaussichten, die der alte Schäfer mit solcher Sicherheit aufstellt, zrrm Ruhme seiner Prophetengabe und zu unser Aller Heil sich reali- siren mögen. Dann wird das Sprüchwort „der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande" zu Schanden werden, und über die Schäserhütte wird sich ein Denkmal des dankbaren Volkes erheben. Eine für alle Kaufleute und das gejammte Publikum höchst Wichtige Entscheidung ist von dem deutschen Reichsgericht vor Kurzem gefällt worden. Das Reichsgericht hat entschieden, daß der Verkauf aller Arten von Waaren mit falscher Ursprungsbezeichnuug als Betrug anzusehen und strafbar ist. Fast alle unsere Cigarrenkistcn tragen nun die Bezeichnung „Havanna", auch wenn der Tabak keineswegs in Westindien, sondern in Vierraden gewachsen und irgendwo in Deutsch land bearbeitet ist. Jeder Kaufmann kann um dieses Wortes „Havanna" willen, welches arif seinen Cigarrenkisten steht, nach heutiger Lage der Gesetze wegen Betrugs bestraft werden. Ebenso jeder Kürschner, dessen einheimisches Fabrikat an Hüten und Mützen dw prunkende Etiquette „Loudres" oder „Paris" trägt. Ferner alle Nähnadclbüchsen und unzählige andere Waaren, welche überall mit englischer Marke bezeichnet verkauft werden; kurz, ein enormer Theil der Verpackung und Emballa gen, welche von gewissen Kaufleuten zur Anpreisung ihrer Waaren gebraucht wird, kann zu einer Verurtheilung führen, weck die Urspruugs- Lezeichnung falsch ist. Die Berliner politische Polizei setzt die Haussuchungen bei den Sozialdemokraten, sowie die ununterbrochene Beobachtung derselben eifrig fort. Neuerdings sind auch einige Zeitungsspediteure in Mit leidenschaft gezogen worden. So erschienen der „Vvlks-Ztg." zufolge am Donnerstag Mittag um 1 Uhr bei dem Cigarrenhändler undZci- tungsspediteur O. Matthesius drei Geheimpolizisten, von denen zwei von der Straße aus den Laden beschritten und der dritte gleichzeitig vom Hofe aus durch die Wohnräume eindrang. Nachdem sämmtliche Cigarrenkisten, Packete und Zeitungen gründlich durchgesucht, auch der Rauchfang einer Revision unterzogen worden, konfiszirten die Beamten ein geschnürtes, bei Seite gelegtes Packet der in Hamburg erscheinen den „Neuen Deutschen Zeitung" sowie Kalendermuster, und verhafteten den Inhaber des Geschäfts. Derselbe ist bis Freitag Nachmittag noch nicht wieder freigelassen worden. Seine verreist gewesene Ehefrau mußte er vom Gefängniß aus per Telegramm zurückrufen. Drei Sozialisten, die Herren Körner, Finn und Bulkens, er klären ihren Abfall von der Partei Bebel-Liebknecht. In einem Auf ruf an die Arbeiter Deutschlands werden diese von der Sozialrevolution abgemahnt und aufgefordert, die arbeiterfreundlichen Absichten der Regierung nicht systematisch von der Hand zu weisen. Nachdem hier her'vorgehoben ist, daß in der Tagespresse der Sozialdemokratie nur ^ns Prinzip gelte, die Arbeiter möglichst in Erregung gegen die Re- lörüüg zu erhalten, um „ein brauchbares Material für die unaus bleibliche Revolution zu züchten", heißt es in dem Aufruf weiter: "Arbeiter Deutschlands: Habt Ihr die Arbeiterbewegung jemals in "icsem Sinne anfgefaßt? Habt Ihr gewollt, daß alle von den Regier- d . ungen gebotenen Vortheile zurückgewiesen werden sollten? daß der Ar beiterstand lediglich die gegen die Regierungen gehetzte Kanaille sei, deren Ansprüche erst am „Morgen nach der großen Revolution" eine Berücksichtigung erfahren könnten? Wir Haven die Arbeiterbewegung in riesem Sinne nicht aufgefaßt, sondern es für durchaus nothwendig erachtet, auch unter den heutigen Verhältnissen jeden Vortheil milnehmen zu müssen und solchen nicht des lieben Skandals wegen zurückzuweisen. Das ist der Unterschied, der uns von der heute in der Partei herrschen den Strömung trennt. Und dann wollen wir nicht in unsinniger und zielloser Weise die heutige Gesellschaft erstürmen, sondern durch lang same aber entschiedene Belagerung zur Kapitulation zu zwingen suchen." Köln, 14. August. Die „Kölnische Ztg." schreibt: Nun ist unser Dom, der herrlichste Tempel Deutschlands, das großartigste Werk gothischer Baukunst, vollendet. Heute Vormittag, 7 Minuten vor 10 Uhr, entfalteten sich die beiden mächtigen Fahnen auf der Höhe der Riesenthürme, die preußische auf dem nördlichen und die deutsche mit der Aufschrift „l'roteotori" auf dem südlichen. Das war das Zeichen, daß der Dombaumeister, Herr Regierungsrath Voigtel, der sich mit seinen Polirern und den bei der Versetzung der zweiten Kreuz blume beschäftigten Werkleuten auf dem kolossalen Gerüste befand, den Bau zum Abschluß gebracht hatte. Schon am frühen Morgen hatten die Häuser in der Umgebung des Gotteshauses und auch in manchen anderen Straßen der Stadt sich zur Feier des denkwürdigen Ereig nisses mit bunten Fahnen geschmückt. Mehr und mehr dehnte sich das Festgewand der heiligen Kolonia aus, immer freundlicher wurde das Angesicht der Stadt, als die beiden Fahnen von den Thürmen herab die Vollendung des erhabenen Gotteshauses weit in die rheinischen Lande verkündeten. Viele Kölner und auch manche Fremde, die durch unsere Zeitung die Stunde erfahren hatten, wann der letzte Stein in die Kreuzblume des südlichen Steinriesen eingelassen werden sollte, hatten sich am Fuße des Domes, in den benachbarten Straßen und auf öffentlichen Plätzen eingefunden, um hier das Zeichen zu erwarten, welches das freudige Ereigmß zu bekunden bestimmt war. Frohe Be geisterung malte sich da in den Blicken Vieler, und manche Thräne verrieth das Glück, welches die Herzen empfanden, als die Fahnen auf den Thürmen entrollt wurden. Zwei alte Herren, die längere Zeit in der Trankgasse unverwandten Blickes nach der Krone des Südthurms geschaut hatten, reichten einander plötzlich die Hände. „Da sind die Fahnen!" sagte der eine. „Nun haben wirs doch noch erlebt!" ent gegnete der andere mit leuchtenden Blicken, und eine Helle Thräne rollte ihm dabei über die von der Zeit mit tiefen Furchen durchzogene Wange. In der Ferne ertönten Böllerschüsse. Ob sie auch dem glück lichen Augenblicke galten, wir konnten's nicht erfahren. Sie klangen wie ernste Vorwürfe, die rollenden Donner, daß Köln, welches heute hoch aufjubeln sollte, welches in froher Begeisterung seinen hochseliaen König Friedrich Wilhelm IV. umjauchzte, als derselbe am 4. September 1842 den Grundstein zum Fortbaue des hehren Gotteshauses legte, — daß unser Köln stumm, wenn auch im reichen Feierkleide, der mit zahllosen Opfern der Liebe und des Frommsinns aller Konfessionen ermöglichten Vollendung zuschaut. Stille Wehmuth mag da' jeden wahren Freund unseres Domes ergreifen, wenn er bedenkt, daß ohne j'de Feier, ohne Sang und Klang das herrliche Gotteshaus voll endet wurde, an welchem sechs Jahrhunderte vorüberschritten, bis der letzten Kreuzblume der letzte Stein eingefügt werden konnte. Die kriegerische Stimmung in Griechenland ist im Steigen. Selbst der den Griechen keineswegs besonders freundlich gesinnte Athe ner Specialcorrespondent des „Standard", der bisher an dem Muth und der Kriegslust der Griechen zweifelte, muß dies jetzt constatiren. Er meldet seinem Blatte: „Die Griechen sind entschlossen, den Beweis zu liefern, daß es ihnen Ernst ist. Ueberall melden sich Freiwillige an, während die Rekruten mit Begeisterung dem Ausruf Folge leisten. In der Umgebung der Stadt sollen Lager gebildet werden, während auf dm Straßen zum Gaudium der lieben Jugend exercirt wird. Ein Minister sagte mir: „Wir besitzen heute 20,000 Soldaten, morgen werden wir deren 30,000 und übermorgen 60,000 besitzen." Mein Erstaunen bemerkend, fügte er lächelnd hinzu: ,^ch meine nur, daß wir in kürzerer Zeit bereit sein werden, als man cs für möglich halten dürfte; die Marine wird auf 2500 Mann erhöht werden." Die Hafen behörden haben den Auftrag, nach Rekruten zu fahnden, welche an Bord von Schiffen zu entschlüpfen suchen. Es ist verboten, Leuten Passagierbillete zu verabreichen, welche keinen Reisepaß besitzen." Vaterländische». Wilsdruff. Mittwoch Abend, den 18. August, versammelte sich im Gasthof zum weißen Adler hier eine Anzahl ehemaliger Krieger aus den Jahren 1870 und 1871, um eine Erinnerungsfeier des Tages von Marie aux Chenes zu begehen, des heißen Tages, wo vor 10 Jahren Sachsens jetziger König das Rautenkranzbanner den deutschen Sturmkolonnen voran tragen ließ im wilden erbitterten Kampf. Es war eine ernst-freudige Erinnerung, denn der 18. August 1870 war ein hoher Ehrentag für die sächsische Infanterie, welche sich an diesem Tage von Neuem den Ehrentitel erwarb, den ihr nach der Schlacht bei Wagram der Prinz von Ponte Corvo durch seinen damals er lassenen Tagesbefehl beilegte, worin er sie „Granitkolonnen" nannte. Dem Führer der Sachsen brachte die glänzende Waffenthat dieses Tages nicht allein das eiserne Kreuz, sondern der deutsche Oberfeld- Herr übertrug Sachsens Kronprinz auch den Oberbefehl über die neu gebildete Maasarmee, mit welcher der Feldherr eine Reihe glorreicher Siege erfocht. Der Tag von St. Privat war der erste verheißungs volle Anfang jener langen Reihe von namhaften und bedeutungsvoÜen Waffenthaten, welche die sächsischen Truppen im deutsch-französischen Feldzuge verrichteten. Im Laufe des Abends wurde so manches Kriegs erlebniß aufs Neue besprochen, sowie in patriotischer Gesinnung auch ein Telegramm an seine Maj. den König Albert abgesandt wurde. — Potschappel, 16. August. Am gestrigen Nachmittag in der 5. Stunde wurden einige Ortschaften der Umgegend durch einen wol- kenbruchartigen Regen schwer heimgesucht. Besonders stark wüthete das Unwetter im Poisenthale und richtete in Folge dessen der durch Niederhäslich sich ziehende Bach, welcher zu einem Strome ange schwollen wav, sehr großen Schaden an. Die am Bache gelegenen Kartoffelfelder wurden zum größten Theil ausgewaschen, Getreidegarben vom Wasser mit fortgeschwemmt, Gärten und Wege versandet und Steine in Unmasse angeschwemmt. Insbesondere ist ein Stück Chaussee oberhalb des Segen-Gottesschachtes von der von den Kohlen- und Schlackenhalten hereingeschwemmten Asche, Erde und den Kohlensteinen überschüttet worden. Eine Privatbrücke in der Nähe der NiederhäS- licher Schule wurde von den Fluthen weggerissen, ebenso hatte der