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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.05.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190805283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19080528
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19080528
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-05
- Tag 1908-05-28
-
Monat
1908-05
-
Jahr
1908
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Nosalba Carriera. Bon Fran- ScrvaeS. Wer nennt heute noch mit Andacht den Namen „Nosalba Carriera"? Man erinnert sich ihres Kabinetts in der Dresdner Galerie, ehemals das .Sanktuarium der Pastellmalerei" genannt unD heute fast gescholten als die Auffbavahrungsstätte „kreidiger Ideale". Oder wir gedenken des fürchterlichen Abfalles unserer Stim mung, wenn wir in der Mademie zu Venedig, noch trunken von den Zchönheitswelten eines Tizian, Tintoretto, Bordone und Veronese und neu angefacht vom feurigen Kometenglauz eines Tiepolo — wenn wir daun iu daS Zimmer traten, in dem uns Rosalbas konventionelle Süß lichkeiten maskenhaft anlächelten und wir dann unwillkürlich in die Frage auÄrachen: Ist auch dies noch venezianische Malerei? Nein, das ist nicht mehr venezianische Malerei — wofern dieses Wort einen in sich beschlossenen Sinn hat — cs ist bloß noch Malerei einer Venezianerin. Dies« lebte freilich s1676 bis 1757s gleichzeitig mit Tiepolo, war sogar fast um zwanzig Jahre älter als er, aber von einem und seiner Vorgänger Geist bat sie nicht einen Hauch in sich ver spürt. Doch da kommt plötzlich ein Buch und macht sic uns trotz allem wieder lebendig. Zwar nicht die Künstlerin und ihr überwundenes Schaffen, wohl aber die Frau und ihr wunderliches Erbenlos. Und was wir vor den Bildern stets vermißt haben, was wir vergeb lich bei ihnen zu spüren suchten, die Züge und den Widerschein eines lebendigen Menschendaseins, das tritt uns jetzt auf einmal entgegen. Wir ahnen jetzt, wer Rosalba Carriera war, wie es in ihrem, wenn auch spröden Innern aussah und mit welcherlei Mitteln sie um ihr Glück und ihren Namensruhm rang. Eine deutsche Kunstsorscherin, Emilie v. Hoerschelmann *s, hat dieses Buch geschrieben, mit dem Fleiß oer Deutschen und dem Spürsinn der Frau, und hat damit dem Gedächt nis einer bis zur Wesenlosigkeit verflüchtigten, in trauriger Verschmäyt- heit hinsiechenden Mitschwester einen rühmlichen Dienst erwiesen. Uns aber weiß sie schlicht und wahrhaftig zu fesseln durch die halbverblichenen Runen eines dap-ser geführten Lebenskampfes.. Welch seltsamer Kontrast einer Künstlerexistenz: es waren die glän zendsten, die schönsten, die genußfrohesten und verliebtesten und selbst auch die sündigsten und verruchtesten Menschen ihrer Zeil, die Rosalda Carriera konterfeit hat, mit allen ihren Modellen stand sie in leben digem, angeregtem Verkehr: und ihr eigenes Dasein geht doch wie in einer ganz andern Welt vor sich, wie aui einem andern Stern, in dem andere Existenzbedingungen herrschen. Nosalba war weder schön, noch glänzend, noch genußfroh, noch verliebt, den tl^eiz der Sünde hat sie niemals gekostet, und ihr Dasein war förmlich eingesponnen in spieß- bürgerliche Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit. Man nannte sie die keusche Diva loasta ckienl, und sie trug dieien Namen mit Recht. Jung- 'räulich starb sie im Alter von einundachzig Jahren, und nie bat auf >brem Namen der kleinste Rostflecken gelegen. Im mediianteiten aller Zeitalter traute sich an den Ruf dieser Künstlerin die Verleumdung niemals heran. Was ging das Leben sie an, das die andern fübrten? Sie selbst wollte nichts weiter, als ihre Bilder malen und Geld damit verdienen. Sie batte eine alte Mutter zu ernähren und mußte in ihrem Beriefe zwei Schwestern mit beschäftigen. Alle in der Familie 'aßen fleißig sei der Arbeit, doch Rosalba allein zeichnete die Firma. Sie war die Begabteste und an Persönlichkeit die Stärkste. Sie gab im familiären Zusammenleben durchaus den Ton an. Und sie hatte ein unauslösch liches Bewußtsein in sich, daß das Leben schwer sei, jedoch das schwie rigste von allem, eine unter Mühen errungene Position gleichmäßig zu behaupten und sicher zu verankern. Das war ihr Ziel, und dieses Ziel hat sie erreicht. Sie opferte ihm alles, Genuß, Freude, zuletzt selbst die Sehkraft ihrer Augen. Dafür erlebte sie denn auch die Genuz- uming, daß sie, die auS kleinen und drückenden Verhältnissen hervor- aegangen war, verhältnismäßig rasch emporstieg, in der europäischen Welt zu geradezu beispiellosem Ansehen heranwuchs und niemals em sinken ihres künstlerischen Kredits, weder bei Vornelzmen und Groszen, noch bei Gelehrten und Kennern, zu ertragen oder auch nur zu be fürchten hatte. Noch bei ihrem Tode wurde sie gepriesen wte eine der wenigen Ganzgroßen. Niemand zitterte für ihre Unsterblichkeit. Dies alles war zanz überwiegend das Resultat unermüdlicher Ar- bei und klugen geschäftlichen Operierens. Daneben freilich auch das Gunstgeschenk eines seltsam bedürfnislosen Naturells, daS weder Tempe rament noch Leidenschaft kannte und daS einen wohl an — Menzel er innern könnte, wenn nicht auf der andern Seite, auf der der Kunst, doch ein paar kleine Unterschiede wären. Es wäre grausam, diese Unterschiede zu entwickeln — und wer möchte gegen eine Dame von solch tadelloser Rechtsckmsfenheit dergleichen auf sich nehmen? Und war nicht schließlich doch die Carriera in ihrer Art eine Künstlerin von Gottes Gnaden? Nämlich in der Kunst, Karriere zu machen! Ihr Name schon schien dies von ihr zu fordern. Jedenfalls verstand sie diese Kunst ans dem Grunde. Uno selbst ihre Keuschheit war ihr hier bei dienlich. Schon mit siebenundzwanzig Jahren hatte Rosalba ihr Ziel er reicht. Schon damals hatte sie eine solche Berühmtheit erlangt, daß reiche Weltleute und Fürstlichkeiten, die die Lagunenstadt besuchten, ihrem Ansehen etwas vergeben hätten, wenn sie sich nicht von Rosalba hätten malen lassen. Dies war überhaupt das mindeste, was der mondäne Anstand von ihnen forderte. Wer sich irgendwie hervortun wollte, mußte mehr leisten. Der mußte gleich ein« ganze venezianische Schönheitsgalerie von einem Dutzend Pastellbildern bestellen. Damit konnte man sich unter Standesgenossen sehen lasten und durfte sich als kleiner Mäcenas fühlen. Denn dies war vor allem Nosalbas feft- zegründetcs Renommee: Niemand verstand wie sie, weibliche Schön heiten zu malen, so eleaant, so dezent, so verführerisch, so oonuns U In der Art, wie sie daS machte, hatte sie den Geschmack der hoch gestellten Kreise mit souveräner Sicherheit getroffen. Ihre Sachen wurden überhaupt nicht mehr diskutiert, sie wurden blos noch ge- orie'en. Wer am besten preisen konnte, glaubte sich damit als den größten Kunstkenner gezeigt zu haben. „Ich erwartete ein Kunstwerk, Ihrer würdig", schreibt im Jahre 17R ein Gras Nicoli an die Malerin, „Sie über sende« mir die Kunst selber." Das war die Ton art, in der man zu ihr sprach. „keim» pittm« ckoll' Eunova" hieß sie in Italien, und in Frankreich l.« reine <lu pnstol". Deutsche Fürsten aber waren ihre vornehmsten Besteller. So Herzog Christian Ludwig von Mecklenburg, König August der Starke von Sachsen-Polen und der in Düsseldorf residierend« kölnische Kurfürst Karl von Bayern. Diese betrauten ihre gewiegtesten Diplomaten mit der Aufgabe, die Künstlerin dazu zu beweorn, die ersehnte SchönheitSgalerie für sie her- ,ustellen Doch es war keineswegs leicht, das Dutzend vollzudekommen. Ebenso schloß sich die Kunstwelt dem Rosalba-Kultus an. Die höchsten Genostenschasten ernannten sie zum Mitglied: so 1705 die Academia di San Luca zu Rom und 1720 die Pariser Akademie der Kunst. Watteau ließ in fast demütiger Weise durch seinen Freund Molos Vleughels nm ein Zeichen von der Hand der berühmten Kol legin bitten. Und auch die Kunstkritik streckte die Waffen. Die höchsten Autoritäten der Zeit, ein Gras A. M. Zanetti, ferner die Franzosen Graf CayluS, Pierre Jean Mariette und Pierre Crozat berboten einander in Lobreden auf die umworbene Künstlerin, ^er Letztgenannte aber erwarb sich «m sie das größte Verdienst, indem er sie 1720 zu sich nach Paris lud und ein Jahr lang in seinem reichen Hause beherbergte. Damit verhalf er Rosalba zum größten Ruhmeserfolg ihres Lebens ES war die Zeit der Neaenre. Der liederliche Philipp von Orleans ührte für den zehnjährigen Louis XV. das Szepter, und der gebietende Nann des Tages war der berüchtigte irische Schwindler John Law. Dabei war die Revolution noch so fern, daß das goldumränderte Laster sich in traumhasier Sicherheit fühlte und in wohliger Ueppigkeit gedieh. *s „Rosalba Carriera, die Meisterin der Pastellmalerei". Mit 18 Bollbilder». Leipzig 1908. Verlag von Ksinklhardt L Biermanu. Beachtung! Im ^vüchertisch^ gelange« ,«r Original-Vefprechungen ,«m Abdruck. SS »erde« >«r Bücher »nr Besprechung »ergeben, welche auf der Redaktion eingrgangen sind. Tie Redaktion behält sich vor» an» der Zahl der eingesandtrn Bücher solche zu kritischer Würdigung auSzugrbrn, welche sich zur Besprechung im Leipziger Tageblatt eignen. Sine Rücksendung ««»erlangt eingeretchter Bücher erfolgt in keinem »alle. Philipp selbst, der Sohn unserer Liselotte von der Pfalz, gab den Ton an. Er, der schon mit vierzehn Jahren Vaterfreuden genossen hatte, stand damals in der Blüte seiner Kraft, blendete die Welt durch mili tärische Talente, unterhielt sie durch künstlerische Dilettantismen und entzückte sie durch per'önliche Liebenswürdigkeit. Es wurden zwar mit- unter auf seine Paschawirtschaft scharfe Verslcin gedichtet und gepfisien. Aber das war nur die stachelnde Begleitmusik zu seinem fröhlichen Tun. Der Volksmund raunte das Aergste. Selbst sein Verhältnis zur eigenen Tochter wollte man nicht als rein passieren lasten. Im Vordergrund des Interesses standen jedoch zwei rivalisierende Maitressen: Marie Maleme Comtesse de ParalKre, die lächelnde Königin der fürstlichen Gelage, die es gerne duldete, daß die Malerhand Santerres sic als Eva neben dem adamisifchen Philipp der Nachwelt überlieferte; und Madame de Prie, „gui avait UN cstaetere ctdmoniskine cisns UN corps et une kixui-e snxeligues", die sich im übrigen eines minder lärmenden und sen sationellen Auftretens befliß, dafür aber ihre Nebenbuhlerin an Geist und politischen Talenten bedeutend überragte. Auch die beiden Schwestern Mlle. de Cbarolais und Mlle. de Clermont, Enkelinnen von Louis XIV. und der Montesvan, waren Teilnehmerinnen von Philipps berüchtigten nächtlichen Ge agen; ferner die um ihrer exzentrischen Häßlichkeit willen geschätzte Princeste de Leon, die sich im Rausch mit unter das Aergste bieten ließ und selbst für die schlimmste Schmach kein Zürnen übrig hatte. Diesen angenehmen Kreis ergänzte als zweiter Kavalier Frankreichs der Herzog von Richelieu, Großneffe des Kar dinals, genannt „le roue ctes roucs", und als schirmender Schutzgeist waltete über allen der genannte John Law, der unablässig die Taschen mit dem so nötigen Golde spickte, das er durch 'eine berüchtigten Finanz- schwindeleien zusammenscharrte. Allen diesen Herrschaften trat Nosalba Carriera während ihres Pariser Aufenthaltes nahe. Sie hat sie sämtlich porträtiert und in ihrem Atelier empfangen, ließ sich von ihnen feiern, besuchte ihre Diners und Bälle und saß in ihren Dheaterlogen. Ja, sie spielte in diesem Kreise eine große Rolle, und war dort trSs on voguo. Unaufhörlich rollten die glänzendsten Eguipagen beim „Hotel Crozat" vor, elegante Kavaliere und perlengeschmückte Damen entstiegen ihnen, klommen die steile Treppe zu Nosalbas Werkstatt empor und fühlten sich in ihrem Ehrgeiz beglückt, wenn die unscheinbare Diva sich dazu herheiließ, ihnen eine Porträtsitzunfl zu bewilligen. Gar manche aber mußten unver- richteter Sache wieder abziehen, da Rosalba, zumal als ihr Pariser Aufenthalt seinem Ende zuging, sehr viele Anträge ablehnen mußte. Ihre immensen künstlerischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen ließen ihr, trotz äußerst angespannter Leistungskraft, keine freie Minute mehr übrig. Woher kommt nun dieser fast beispiellose Erfolg inucryalb einer dem eigenen Wesen Rosalbas völlig fremden Gesellschaft? Und, wird mau fragen dürfen, hat die Künstlerin selbst von dem wahren Charakter dieser Menschen etwas gewußt oder auch nur geahnt? Ob Rosalda wirklich ahnungslos war, ist sehr zu bezweifeln. Da für war sie von vornherein viel zu Uug und scharfblickend. Wie hätte sie ihre Position mit solcher Sicherheit nehmen können, wenn sie nicht die ganze Situation durchschaut und ihre Auge r überall gehabt hätte? Es ist wahr, in dem sehr lakonischen, aber sehr genau geführten Pariser Tagebuch Rosalbas kommen gelegentlich Irrtümer vor, die beweisen, daß die Schreiberin um das eine oder andere Verhältnis, um diesen oder jenen intimen Vorgang nichts wußte. Das mögen zufällige Lücken ihrer Kenntnisse gewesen jein. Aber die Art, wie sie selbst in ihren Niederschriften hier Diskretion übte, besagt doch sehr viel. In diesem Tagebuch, das doch nur für ihre eigenen Augen bestimmt war, das indes durch Zufall ja auch Unberufenen zu Gesicht kommen konnte, ist sie sehr vorsichtig mit Nennung von Namen und deutet sie, wofern der Ruff illegaler Beziehungen damit verknüpft war, nur durch Buchstaben und Punkte an. Es ist also an-unchmen, daß sie genau unterrichtet war, und daß sie mit vollem Bewußtsein beide Augen schloß. Sic wollte nichts anderes in Paris, als die Stadt und ihre Gesellschaft kennen lernen und als Malerin Geschäfte machen. Dazu war ihr ein zurückhaltendes, unauffälliges Verhalten sehr förderst«!'. Sie machte alles mit, tat aber, als ob sie nichts sähe. Und sie malte alle diese Per sonen, die sie sehr genau kannte, ganz und gar nicht so, wie sie waren, sondern wie sie gemalt sein wollten: als tadellose Idealbilder männ licher Schönheit und Kraft oder weiblichen Reizes und Glanzes. Den Frauen insbesondere gab sie alles, was die süßeste Tugend sich wünschen mag — alles überdies, was ihr selbst fehlte. Gab es mit einer ganz eigentümlichen Beflissenheit und Hiugegebcnhest, gleich als wollte sie damit in der anschauenden Phantasie genießen, wovon sie selber, die kleine, häßliche Mamsell, aufs deutlichste misge)chlossen war, und was sie auch ihren Modellen vielfach hinzudichten mußte. Wie aber stand eS um Rosalbas eigenes weibliches Empfinden? Schwieg dieses ganz? Die Antwort geben vielleicht am besten die nicht seltenen Selbstporträts der Künstlerin, die zugleich zum Teil neben ein paar anderen Werken ihre künstlerische Enrenreltung sind. Sie weichen sehr ab von den sonstigen Frauenbildnisfeu Nosalbas, und zeigen stellenweise eine fast brutale Offenheit. Wir sehen vor uns eine ganz unzweifelhaft wenig reizvolle weibliche Persönlichkeit, der vor allem jeglicher Schmelz, jeder Ausdruck der Hingabefähigkeit fehlt. Hingegen gewahren wir ein paar dunkle, beobachtende, sehr kluge Augen, einen nnzugänalich-ziisammengepreßten Mund und ein kraftvoll energisches Kinn. Jedenfalls, das war keine Frau, die aus Männer zu wirke» suchte, und die dem Glück einer in Männerarmen gewährten Liebe nach- trachtete. Die direkt höhnische Art, mit der sie in zwei Fällen, die un bekannt geworden sind, die Annäherung von Männern zurückwies, be stärkt uns in dieser Auffassung. Hingegen war sie wohl einer gewissen Freundschaft mit Männern fähig — welche Frau, die zu lieben vermag, ist dieses? — jedoch mußten die Männer, die ihrer Freund^ast sich berühmcn wollten, gehaltvolle Persönlichkeiten sein, die auch geistig etwas zu bieten vermochten, und die nach außen hin über so viel Ein- fluß verfügten, um der Künstlerin in ihrer Laufbahn energisch bei- 'pringeu zu können. So waren denn ihre Freunde vorwiegend Ge lehrte, vor allem angesehene Kunstkenner, wie Mariette und Crozat, oder wie der Graf Zanetti, der möglicherweise der einzige war, der ganz von fern auch ihrem Herzen ein wenig nahe stand. Im übrigen sparte sie ihr Herz für ihre Familie auf, für ihre Mutter und für ihre beiden Schwestern, und für ein sehr schönes junges Mädchen, das sie als Zofe zu sich nahm und als Schülerin ausbildete, und das später am Dresdner Hof als Gattin eines Hofmannes zu bedeutendem Ansehen emporstieg: Felicitas Hoffmann-Sartori. Diesen ihr nahestehenden Persönlichkeiten, ausnahmslos Frauen, gab Nosalba alles, was sic hatte, mit ihnen teilte sic ihr altes, kleines Familienhaus, für sie arbeitete sie, in ihnen ging sie mit ihren Gemütskräften auf. Anderes scheint sie von der Welt und vom Schicksal nicht begehrt zu haben. Die Natur hotte sie offenbar so veranlagt, daß sie den Genüssen und Reizungen der Liebe gegenüber unempfindlich blieb. Nosalba liebte die Ruhe und blieb zeitlebens in ihrer Vaterstadt. Nur einmal noch, zehn Jahre nach ihrem Pariser Aufenthalt, verstand sie sich zu einer größeren Reise und ging im Frühling 1730, als Vier- undfünszigfährige, für ein halbes Jahr nach Wien. Dieser Wiener Aufenthalt siebt dank der köstlichen Briefe, die NosalhaS Schwester Giovanna darüber schrieb sund die E. von Hoerschelmann mitteilts, als eine besonders heitere und farbige Episode vor unseren Augen: ein «n- gemein liebenswürdiges Gegenbilb »« dem in de» bedenklichsten Garden gehaltenen Gemälde von Pari-. Die Leichtlebigkeit, Putzsucht und Fiakerfreudigkeit der Wienerinnen und Wiener wird von Giovanna mit manch schelmischem Ausdruck notiert: der Prunk religiöser Feste bei Umzügen auf der Straße und bei höfischen Veranstaltungen in der Kapelle entgeht ihr nicht; ebensowenig die Unzuverlässs-ckeit der Hand werker, sowie der Umstand, daß für bweutendere Knnstnnkänse nie Geld vorhanden ist. DaS alles ist sehr amüsant z« lesen. Doch aas daS inner« Wesen RosctlbaS wirft diese Darstellung kein weiteres Licht. Die alternde Künstlerin war, als sie nach Wien kam, bereits eine völlig fertige Persönlichkeit, die sich nicht mehr veränderte. Sie oueh auch hier die kühle, aleichmäßige Beobachterin, die sich sowohl über ihre Um welt als über sich selbst keinerlei Täuschung hinaab. Denn daS bleibt als letzter Strich zum Charakterbild« NosalbaS noch uack-rutragen: sie war im tiefsten Innern bescheiden und kannte die Grenzen '^rer Kuust- begabuna sehr genau. Zu ihren Lebzeiten war sie vielleicht die einzige Persönlichkeit, die sie als Künstlerin nicht überschätzte. Jnngfranenbeichte. Gedichtbuch von Elisabeth Paulsen. Gedruckt und verlegt von I. Bensheimer. Mannheim. 1908. Der Titel, schwarz von dem ganz schrillen grellen Gelb des Um schlags abspringend, ist vielleicht das einzige Un'ympatchiiche "N diestui Buche. Man wäre leicht versucht, ihm vuchdänslcri'ch spekulierende Be deutung beiznleaen, ihn als ziemlich oeuiliche Ankündigung exhiditioni- stischer Frauenlyrik aufzusasten, würden nicht schon die ersten Blätter durch die intensive Ehrlichkeit ihres Empfindens, die frische Art ihrer Auseinandersetzung einen Charakter verraten, dem solche Tendenzen von vornherein fremd sind. Dieses Buch enthält eine durch äußere und innere Vielfalt doppelt erstaunliche Fülle von Gedichten, di« mir zum Allerschönsten unserer modernen Frauenlyrik zu gehören scheinen und di«, was vielleicht noch wichtiger ist. sich ganz zur Physiognomie einer bedeutenden Persönlichkeit runden. Kleine Gedichte sind es und dann wieder anscknvellende Rhapsodien, aber immer tanzhaftc Gedichte, die — nicht gezügelt und gebügelt — im Rausche ihrer eigenen Melodie hin wirbeln, denen ein inneres Lobensmaß geheimnisvoll seinen Takt zu flüstert und reichentwickelte Sprachkunst schöne Farben und Linien ichenkt. Zart und stürmisch ist dieses Buch, yerschamt und begehrend, einsamkeitsverwühlt und fernhinschweifend, laut und leise: Voll mii einem Wort, vollempfindend, stark und in sich selbst ruhend. Es ist daS Buch einer Persönlichkeit, die alles Leben um sich als Mittelpunkt grup piert und der der Weltumschwung nur eine stürzende Bewegung der Dinge um das eigene Ich ist, ein hinstrebender und wieder wegstürzender Schwung, der aber das aufrecht Unbiegsame der eigenen Ach'e nicht zu verrücken vermag. Man spürt, daß ein jeder augenblickliche Eindruck, jedes Bild, jedes Blatt, das vom Baume wehende und Vas gedruckte, jedes Lied und jeder Mensch hier dichterisch aufflammt, wie angestreift an einer Zündfläche, und wie doch alle diese Glut nichts von dem Eigenen und Unwandelbaren vernichten kaun. Ein« solche Dichterin kann nur von sich selbst gelernt haben und muß im wesentlichen unbeeinflußt sein. Von Dckimel, dem einzigen, an den sie sich näher anffchließt, bat sie vielleicht nur eine Erkenntnis gewonnen, die, kein Ding lau und behend, sondern alle leidenschaftlich und feurig anzufassen, hat an seiner Kunst vielleicht vorbildlich den großen Auseinandersetznngstricb mit dem Weltall gesehen, der dann in ihrem Buche zur leidenschaftlichen Konfession wurde. Eli'a- beth Paulsens Eigenart könnten vielleicht nur Proben veranschaulichen. Aber wo griffe man in einem Buche, darin olles charakteristisch und be- tont ist, ein Einzelnes heraus, ohne dem Ganzen gegenüber ungerecht zu werden? So erübrigt nichts, al» mit allem Nachdruck, aller Liebe un> lebhaftester Bewunderung von diesem Buche zu sagen, daß cs eines der schönsten, reichsten und lebendigsten unserer modernen Frauenlyrik ist. Denn wer so wie Elisabeth Paulsen das Leben in der Dichtung zwingl. wird auch stark genug sein, durch die Dichtung sich Geltung in Leben und Literatur »n verffchaffen. Steksn ^reeix lWiens. Th Bitteraus. Napoleon I. Von Dr. Theodor Bitteraus, Privatdozent an der Universität München. Mit einem Bildnis Napoleons. Leipzig, B. G. Teubner 1908. Aus Natur und Geisteswelk. Bd. 195. 109 Seiten, ged. 1Z5 ^1. In gedrängter Kürze bietet das vorliegende Bändchen das Wichtigste über das Leben Napoleons I., und es ist er- treulich, daß der Verfasser sich von ieder einseitigen Partci- stellungnaihme fernzuhalten sucht und dem Korsen gerecht zu werden redlich bemüht ist. Er wird dabei allerdings da nicht ohne Widerspruch bleiben, wo man in dem Eroberer nur den „großen Schlächter" zu sehen gewohnt ist und kein Verständnis hat für jene großen Züge der Weltgeschichte, die noch immer aus dem gewaltigen Ueberlegensein einer großen Persönlichkeit geflossen sind. Dout aonr- prenUr« tont pnrckonner. Das gilt auch von Napoleon I., und wer sich tiefer in das Studium dieses gewaltigen Menschen vertieft und sich die Mühe nimmt, auch in den zeitgenössischen Quellen seinem Leben und seiner Entwicklung nachzugehen, wird gerade wegen der Schwächen und Fehler, die er hatte, das Große und Gewaltige um so freudiger av erkennen. In acht Abschnitten behandelt Bitteraus seinen Stofi. Jugend und Lehrzeit <1769—17961, Italien und Aegypten <1793—1799'. Konsulat und Kaisertum <1799—l804>, Austerlitz und Jena 11805 bis I807I, Spanien und Oesterreich <IM8—1810s, Napoleons Verwaltung? tätigkeit <1800—1812), Moskau und Leipzig <1812—1813s, Elba, Water loo, St. Helena <1814—1821s. Gerade letzt, wo ein Jahrhundert das Gedächtnis des Vonaparten hevanfruft, ist daS Büchlein Bitteraufs doppelt willkommen. Llnetin 8tsin. Schlesinger, Dr. Marlin Ludwig. Rußland im 20. Jahrhundert. Berlin 1908 D. Reimer lErnst Vohsens. 542 S., eine Karte als Beilage, geb. 10 WaS Schlesinger hier vorlegt, ist daS Ergebnis einer Reihe wissen schaftlicher Reisen in Rußland, ans denen der Verfasser Land und Leute gründlich studiert hat. Ost benutzt er, besonders bei Schilderung der Landschaft, des Gesamteindrucks größerer Striche, direkte Aufzeich- nnngen, die er auf seinen einzelnen Reusen gemacht hat. Do wurden die Ansiedelungen der Deutschen an der Wolga und in Kleinrußland aus eigener Anschauung geschildert. Auch wo er vom Beamtentum, der Bestechlichkeit des Eisenbalmperfvnals, wo er von der Verwaltung, dem Heere spricht, verflicht Schlesinger oft einzelne Züge, manchmal anekdotenhafte Geschichten, die er selbst erlebt oder aus guter Quelle gehört bat. Im ersten Kapitel <89-220) sind Land und Leute geschildert. Iw zweiten bespricht er eingehend die neue Verfassung, jm dritten die Staatseinrichtungen sRcgieruna, Heer, Kirche, Unterrichts. Kapitel IV handelt von den wirtschaftlichen Verhältnissen, V von den Staats finanzen. Im sechsten Kapitel bespricht Schlesinger die geistigen und sozialen Strömungen, nnd im letzten eingehend die junge Geschichte der russischen Volksvertretung. Einen besonderen Wert steht Referent darin, daß verschiedene Resormedikte, die Verfassungspatente usw. in originalgetreuer Uebersetzuna mitgeteilt sind. Darin beruht der Wert des Werkes, während die übrigen Partien, besonders die Schilderung von Land und Leuten, über da- in älteren Werken Gebrachte nicht hinausaehen. Zur ersten Orientierung ist daS Werk schon deshalb brauchbar, weil «S interessant geschrieben ist. Qr. Lsrxstriisvsr. Vücherelnlarrf. Maria Schlumpf: Der Setbermann. «erlag von Ego« Fkeischel t To.. Berlin. 3 ^is. — Fedor v. Zabeltitz: rrösPEinsomteit. «erlag von Egon Fleischei t To., Berlin. » ulk. — Sofie Jansen: Fried« Send. Verlag von Egon Fleisch»! L To., Berlin. 3 — SrNer Jahregderichl der Freie» Schulgemeinde Sicher»», rf, 1. September 100» bi« 1. Mürz 1008. «erlag von Eugen Diederich«, Jena. 1 — Julian Marcus e: Tie tertielte Frag« und da« Christentum. «erlag von Dr. Werner Klinkhardt, Leipzig 2 ^it. — Goethe« Sprüche in Prosa. Herausgegeben und eingeleitet von H«ruuinn Nrüger-Defiend. Jnselderlag, Leipzig. — Stefan Ronay: Gedichte, «erlag von Alfred Janfseu, Hamburg. » ^k. — Heinrich Pallatann: Johann «mm Horn, »oettze« Jugend freund. Jufelderlog. Leip,»«. — «i«,ade«h Bar- rett.Browning« Sonette »ach dem Portugiesischen, übertragen dar» Rainer Maria Rilke. Jnselderlag. Leipzig. — Maria Schmeidler: Die Berustcinbero. HerauSgegeben von Wilhelm Meinhold Jnselverlag, Leipzig. — Fritz v. Uhde: Tin« Kunstgab, für da« deutsche Volk. Herausgegebeu von der Freien Lehrer, verein'ginrg für Kunstpfteg«. «erlog do« Jos. Schal«, Main». — Uhde. M«pp«, mit «egleittert von yerd. «denariu». Herausgegeben do« KunsVvort Verlag Georg D. W. Tallwed, München. 10 ^k. — Saktav v. Hartmann Tie VcrhültnIStoahl im iüchflsSen Wahlgesetzen twur* Verlag Puttkammer » Miihi brecht, Berlin. 30 Pf. — Dr. «. Romen: Das RcichsdereinSgesetz. Verlag I. Gutlentag, Berlin. — Sammlung MSschen: Dr. G. Hölscher: Lande- vn > «olk.kunde Palästina«. Prof. Dr. R Sternseid: Französische Mekchi»!e. Vro' Dr. ». Ptztkttzps»»: Landesemtd« de« enropülseben Rußland« nebst Finnland Dr. Carl Solff: veffeutkiche «ade» und Schwimmanstalten. G. I. Göschen'che «erlagshmchkuna. vetpzig. I, « Pf. — Prof. Dr. N. Heldmann: Miilelalter li»e «olk-spiele in den thüringisches»)»»«« Landen, «erlag Otto Hendel. Halte a. S. 1 ^k. — Leonid vnbret»»: Da« Leben «ater Wassili Fiweiskt«. Bühnen, und «uchderlog russischer Autoren. Berlin. — T d m. Solmt: Leonardo da Vinei. «erlag Ernst Hofmann b <»„ Berkin. S.OO^k. — Arthur Werner: Steine von de« Leben« Wege». >. Pierson« Verlag, Dresden. 1.50 — Rieder- lündifch« Nnt»rricht«briefe 7—10. Langeni»eidtf»e Verla-sbnchband lirng. Berlin-Schöneberg. Je 1 ^k. — F v. Reitzenstetn. Urgeschichte der Sb- Franchhsche Verlagsbuchhandlung. — Pros. Dr. I. Hleber und D. Bazille Das Dereinsgeletz vom 19. April 1903. Verlag I. Hetz, Stuttgart — Tr. med. Ganser: Psychiatrische Bemerkungen zum Tntwurs eine« Gesetze» über die Fürsorgeerziehung im »Snigreich« Sachsen. — Tapistrau»«: Di« Lieb« im »«all. «erla, Mr vttmmtzm, AmM m» Mufik, Seip«i«.
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